Risiken einer globalisierten Welt - Interview mit Dr. Anja Opitz

Dr. Anja Opitz verantwortet bei der Akademie für Politische Bildung Tutzing den Bereich „Internationale Politik und Sicherheitspolitik“

Dr. Anja Opitz leitet den Bereich „Internationale Politik und...
Dr. Anja Opitz leitet den Bereich „Internationale Politik und Sicherheitspolitik“ an der Akademie für Politische Bildung Tutzing – und sie ist Präsidentin der Global Health Security Alliance (GloHSA)

Dr. Anja Opitz verantwortet bei der Akademie für Politische Bildung Tutzing den Bereich „Internationale Politik und Sicherheitspolitik“. Für verschiedene Multiplikatoren konzipiert und leitet sie Fachtagungen, Expertenforen oder Seminare – aktuell beispielsweise eine Tagung zur Strategiefähigkeit der Bundeswehr im Kontext der globalen Sicherheitsarchitektur. Die Akademie will Wissenschaft und Praxis vereinen – so befasst sich Opitz auch mit der Forschung über den Nexus zwischen Gesundheit und Sicherheit sowie mit der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Sie ist außerdem Präsidentin der Global Health Security Alliance (GloHSA). Matthias Erler von GIT SICHERHEIT hat mit Dr. Anja Opitz gesprochen.

GIT SICHERHEIT: Frau Dr. Opitz, die Akademie für Politische Bildung Tutzing will ja seit ihrer Gründung 1957 zur politischen Bildung beitragen – für Politik, Wissenschaft bis zur Öffentlichkeit. Welche Zielgruppen haben Sie mit dieser Forschung vor allem im Auge? Können auch Unternehmen daraus Nutzen ziehen?  

Dr. Anja Opitz: Die Akademie ist ein Forum der Information, Forschung und des diskursbasierten Austausches und zugleich ein Ort der Vernetzung für Akteure aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Öffentlichkeit, Medien oder Bildung. Dabei setzen wir in unseren unterschiedlichen Angeboten auf einen interdisziplinären Ansatz. Auch Unternehmen gehören zu unseren Multiplikatoren, die diese Angebote wahrnehmen, denn sie gelangen so an auf spezifisch für sie zugeschnittene Expertise. Um ein Beispiel aus meinem Bereich zu nennen: Es gibt Unternehmen, die in Regionen investieren, die von Konflikten betroffen sind. Entsprechend können sich Mitarbeiter bei uns über entsprechende Konfliktstrukturen oder Sicherheitszusammenhänge fort- bzw. ausbilden.

Es gab von Ihrer und generell wissenschaftlicher Seite schon seit Längerem Warnungen auch vor globalen Pandemien. 2012 gab es eine Risikoanalyse für die Bundesrepublik, in der sogar der Coronavirus schon erwähnt wurde?

Dr. Anja Opitz: Ja, in der jüngsten Vergangenheit waren es insbesondere die beiden Ebola-Epidemien 2014/2016 in Westafrika und 2018/2020 in der Demokratischen Republik Kongo sowie auch die Sars-Pandemie 2002/2003, die das Bewusstsein für derartige Herausforderungen wieder stärker in den Fokus rückten. Auch der von Ihnen angesprochene Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012 umfasste das Szenario einer Pandemie, ausgelöst durch einen fiktiven Virus „Modi-Sars“ und lieferte ein entsprechendes Risiko-Portfolio für Deutschland. Derartige Analysen bilden jedoch nur dann eine sichere Präventionsgrundlage, wenn sie regelmäßig überprüft und aktualisiert werden und das war hier leider nicht der Fall.

Dann lassen Sie uns einmal näher über die aktuelle Corona-Pandemie sprechen. Zunächst einmal: So eine Pandemie ist im Grunde etwas recht häufig Vorkommendes – nur nicht so sehr in unseren Breiten oder gar weltweit wie jetzt?

Dr. Anja Opitz: Epidemien, also das Auftreten einer hoch ansteckenden Krankheit in einem regional begrenzten Gebiet, treten häufiger auf. Das Risiko einer globalen Ausbreitung zur Pandemie erhöht sich in einer globalisierten Welt aus unterschiedlichen Gründen signifikant. Sars breitete sich 2002/2003 schneller aus, als dessen Erreger, ein bis dahin unbekanntes Coronavirus, identifiziert werden konnte. Sogenannte Zoonosen, Infektionskrankheiten, die zwischen Tier und Mensch übertragen werden, stellen eine der Hauptursachen für Epidemien dar. Die Mobilität der Menschen nimmt zu; sie sind potentielle Träger von Pathogenen und begünstigen so deren globale Ausbreitung, das hat Covid-19 gezeigt. Auch Europa kann Ausbruchsort für endemische Infektionskrankheiten sein. 2019 wurden in Deutschland die ersten Infektionsfälle mit dem West-Nil-Virus beim Menschen diagnostiziert. Das Virus ist in der Lage, hier zu überwintern; längere und wärmere Sommerperioden begünstigen eine Ausbreitung, so die Einschätzung des RKI. In Griechenland oder Italien erlebten wir die Rückkehr von Malariafällen, um nur wenige Beispiele zu nennen.

Man könnte also im Prinzip sagen, das Wissen über den besten Umgang mit Pandemien ist weitgehend in der Welt – wir müssen nur die richtigen Schlüsse daraus ziehen?

Dr. Anja Opitz: Auf Pandemien kann natürlich kein Staat zu hundert Prozent vorbereitet sein. Dennoch gibt es bestimmte Erfahrungswerte, Forschungsergebnisse und Best-Practise-Strategien, auf die man zurückgreifen kann und aus denen man Lehren für die Zukunft ableiten muss. Es verwundert, dass etwa der Global Health Security Index 2019 im Ergebnis zeigt, dass Staaten kaum bis gar nicht auf Großereignisse wie Pandemien oder Epidemien vorbereitet sind. Ich möchte damit sagen: Wir müssen über den wesentlichen Kern von Präventionsmaßnahmen intensiver und anders nachdenken. Ignorieren wir mit Blick auf „Gesundheitssicherheit“ weiterhin die Zusammenarbeit mit dem Veterinärsektor? Wie binden wir das Thema Digitalisierung zur Ursachenanalyse ein? Gelingt es, globale Indikatorensysteme zur Identifikation von potentiellen Gefahren zu entwickeln und vor allem, sind Staaten bereit, hier zu investieren?

Sie nannten in unserem Vorgespräch ein Beispiel dafür, dass auch große, global präsente Unternehmen nur vermeintlich, jedenfalls nicht ausreichend, auf Corona vorbereitet waren. Wo lag das Problem?

Dr. Anja Opitz: Vergleicht man die Ergebnisse des jährlich erscheinenden Global Risk Reports des World Economic Forums, wird deutlich, wo das Problem lag: Ein Verständnis dafür, dass derartige Krisen nicht nur den Gesundheitssektor betreffen, sondern massive Einschnitte für Wirtschaft und Gesellschaft bedeuten, war immer vorhanden. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass diese Großereignisse global und in dem Ausmaß, wie wir es jetzt mit Covid-19 erleben, eintreten, wurde in den letzten Jahren konsequent unterschätzt.

Müssen sich Unternehmen auf Pandemien in ähnlicher Weise vorbereiten wie auf andere globale Phänomene wie zunehmende Cyberkriminalität, Klimawandel etc.?

Dr. Anja Opitz: Ja. Das Auftreten derartiger hybrider Herausforderungen oder Bedrohungen wird in Zukunft wahrscheinlicher. Pandemisches Risikomanagement sollte daher integraler Bestandteil einer jeden Business-Continuity-Strategie sein. Oder anders herum: Business-Continuity sollte auf einer Risikobewertung der potentiellen Auswirkungen einer Epidemie bzw. Pandemie auf das Unternehmen beruhen. Und hierfür ist das umfassende Verständnis über die Ursachen dieser sogenannten Kaskadenphänomene erforderlich.

Kann man die generellen Grundsätze des Krisenmanagements auch auf solche Pandemien anwenden? Oft haben die installierten Prozesse ja nicht wirksam greifen können?

Dr. Anja Opitz: Krisenmanagement ist ein weit gefasster Begriff. Mein Blick darauf ist durch mein Verständnis des Sicherheitsbegriffs geprägt. Im Englischen lässt sich der Unterschied gut mit den beiden Begriffen „security“ und „safety“ verdeutlichen. Zum einen geht es darum, Sicherheit durch Reaktion und Prävention zu gewährleisten, zum anderen um die Sicherstellung. Greift man hier den Aspekt der Prävention heraus, geht es also um die Erkennung von Gefahren, um das Verständnis über deren komplexe Ursachen, um die Entwicklung entsprechender Szenarien und, darauf aufbauend, um die Bedarfsermittlung von risikominimierenden Faktoren. Und dafür reicht der gängige Blick auf potentielle Unterbrechungen von Prozessen oder Störungen mit Blick auf (Human-)Ressourcen nicht aus. Das Stichwort ist die Vernetzung der Expertise unterschiedlicher Branchen und ein regelmäßiger Austausch.

Gegen die Unterbrechung von Supply Chains dürften bei aller Vorbereitung kaum wirklich wirksame Kräuter gewachsen sein...? Welche grundsätzlichen Optionen gibt es aus Ihrer Sicht, mit denen Unternehmen ihre Geschäftsmodelle über solche Krisen retten bzw. schnell wieder hochfahren können?

Dr. Anja Opitz: Folgende Elemente halte ich für zentral: Pandemien haben ihre eigene Funktionslogik. Ähnlich wie Konflikte unterliegen sie einem, nennen wir es einmal Pandemiezirkel. Sie verlaufen meist über einen langen Zeitraum und durchlaufen verschiedene Phasen. Das bedeutet ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit und Flexibilität der verschiedenen Branchen. Zentral wäre daher die Entwicklung eines unternehmensspezifischen Indikatorensystems, das entsprechende Unsicherheiten und Risikoabhängigkeiten in unterschiedlichen Pandemiephasen identifizieren kann. An diesen Zeiträumen müsste das entsprechende Geschäftsmodell gemessen und getestet werden können, um die Krise zu überleben.

Wie sieht es mit kleineren und mittelständischen Unternehmen aus – haben auch sie ein nennenswertes Potential, sich besser aufzustellen?

Dr. Anja Opitz: Aus dem WHO Influenza Risikomanagement Konzept (2017) ist mir in diesem Zusammenhang ein Satz in Erinnerung: Das Geschäftsmodell selbst kann eine Bedrohung für die Resilienz bzw. Kontinuität des Business darstellen. Daher ist es gerade für kleine und mittelständische Unternehmen so wichtig, sicherzustellen, dass das Geschäftsmodell in der Lage ist, eine gewisse Widerstandsfähigkeit gegenüber äußeren Störungen wie einer Epidemie bzw. Pandemie zu entwickeln. Und hierzu gehört auch das Bewusstsein dafür, dass sich die zeitlichen Phasen zwischen zwei Epidemien oder Pandemien verkürzen werden. Mein Rat wäre es daher, den Fokus jetzt nicht nur auf das Überleben der aktuellen Pandemie zu legen, sondern bereits jetzt die Weichen dafür zu stellen, einer weiteren Krise dieser Art in der Zukunft erneut Stand halten zu können.

Inwiefern und inwieweit können politische Rahmenbedingungen und Maßnahmen verbessert werden, um künftig noch besser mit Pandemien umgehen zu können?

Dr. Anja Opitz: Die aktuelle Pandemie zeigt, dass der gängige Fokus auf die Stärkung der und Investition in die Stabilität und Wirksamkeit von Gesundheitssektoren zu kurz greift. Aspekte wie Ursachenerkennung im Bereich des Veterinärsektors fallen heraus, ebenso wie die Abfederung der Folgen einer Pandemie für die wirtschaftliche, gesellschaftliche und eben auch die sicherheitspolitische Entwicklung, ein Aspekt, der sehr gerne negiert wird. 50% der nicht erreichten globalen Gesundheitsziele betreffen Staaten, die von Konflikten und Kriegen betroffen sind. Die Sekundäreffekte der Covid-19 Pandemie für diese Länder werden gravierender sein, als die wirtschaftlichen Folgen hier in Europa. Staaten der internationalen Gemeinschaft sollten sich von den gewohnten nationalstaatlichen Denkmustern lösen und in den multilateralen Rahmen investieren: in die VN, die WHO und die EU. Es benötigt eine politische Verpflichtung für ein ressortübergreifendes internationales Krisenmanagement. Und das bedeutet nicht nur die Reaktion auf eine Gesundheitskrise, sondern die ressortübergreifende Prävention. Das bedeutet u.a. die Bedarfsermittlung anhand der Fragen: Sind wir auf Massenlagen wie Pandemien ressourcentechnisch vorbereitet? Verfügen wir über die notwendigen Intelligence-Kapazitäten Gefahren zu erkennen, auch im Bereich des Bioterrorismus? Gibt es ein branchenübergreifendes Berichtswesen?

Sie sind ja auch Präsidentin der Global Health Security Alliance (GloHSA). Könnten Sie diese Vereinigung, ihre Mitglieder und die Aufgaben die sie sich gesetzt hat, einmal überschlägig beschreiben?

Dr. Anja Opitz: Das Besondere ist ihr interdisziplinärer Charakter: GloHSA ist eine unabhängige, gemeinnützige Non-Profit-Association; ein Netzwerk internationaler Experten aus Politik, Wissenschaft, dem Privat-, sowie dem Sicherheits- und Gesundheitssektor, das wir 2017 gegründet haben. Unsere Experten eint das gemeinsame Verständnis, dass Gesundheits-, Sicherheits- und Stabilitätsprobleme zunehmende und miteinander verbundene globale Auswirkungen haben, die einen transnationalen und multisektoralen Ansatz zur Minderung von Bedrohungen erfordern. Das Ziel von GloHSA ist eine effektive Vernetzung verschiedener Interessengruppen mit Entscheidungsträgern zur Erarbeitung von Konzepten zur Lösung globaler Herausforderungen im Bereich der Gesundheitssicherheit.

GloHSA bietet Analysen und Beratung. Welche Rolle spielte und spielt die Vereinigung während der Corona-Pandemie?

Dr. Anja Opitz: Derzeit sind viele der Mitglieder u.a. in den USA, in Frankreich, der Ukraine, Großbritannien, Deutschland, Belgien, Italien im aktiven Einsatz gegen Covid-19 gebunden; sei es von ärztlicher Seite zur Betreuung von Intensivpatienten, durch Unterstützung seitens der Streitkräfte zum Beispiel beim Contract-Tracing sowie im Rahmen der internationalen Unterstützung afrikanischer Staaten oder seitens Experten im Bereich der Health Security Intelligence, hierbei geht es u. a. um die globale Erfassung von Daten zur Ausbreitung des Coranavirus. Darüber hinaus versuchen wir derzeit verstärkt Unterstützung bei der Entwicklung nationaler und transnationaler Strategien oder bei der Durchführung krisenpolitischer Bewertungen und wissenschaftlicher Analysen zu leisten.

Die Coronapandemie ist bei globaler Betrachtung gewissermaßen „nichts Neues“. Wie sehen Sie von diesem Blickwinkel aus die weitere Entwicklung? Kann man aus typischen Verläufen ableiten, wann das Virus weitgehend überwunden sein wird? Würden Sie eine grobe Prognose abgeben?

Dr. Anja Opitz: Es wäre etwas vermessen, würde ich hier eine Prognose abgeben, denn ich bin weder Virologin noch Epidemiologin. Was ich aus meiner Sicht sagen kann ist: Ein Wendepunkt hin zu einem Ende einer Pandemie stellt sicherlich die Entwicklung eines entsprechenden Impfstoffs oder einer anderweitigen medizinischen und medikamentösen Behandlungsmethode dar. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass damit auch der Erreger selbst überwunden ist. Ich denke da an andere Infektionskrankheiten wie Masern, HIV, Malaria, Polio usw. Das Ziel ist es, die Ausbreitung durch die Unterbrechung der Infektionsketten einzudämmen bzw. zu beenden und in eine Situation zu gelangen, in der ein Gesundheitssystem durch einen Krankheitsausbruch nicht an Kapazitätsgrenzen gelangt.

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