ASWN: Arbeiten wo andere Angst haben! Industriekletterer – ein Job für Jungs und Mädels ohne Nerven

Ein spannender Beruf, der oft ans Limit führt: Industriekletterer arbeiten in der luftigen Höhe eines Windrades, manchmal aber auch in dunklen Industrietanks – und wie Spiderman kleben sie an Gebäudewänden. Klaus Kapinos von der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft Norddeutschlands (ASW Norddeutschland) berichtet aus dem Kompetenzzentrum für Höhensicherheit in Hamburg-Wilhelmsburg.

Über die Höhenretter der Feuerwehr oder neuerdings den Höheninterventionsteams der Polizei wird häufiger berichtet. Die Industriekletterer als „Handwerker der Lüfte“ stehen jedoch nicht so sehr im Fokus. Sie hängen am Amrumer Leuchtturm in voller Montur und Werkzeugen in über 40 Metern Höhe an einem dünnen Seil in ihren Gurten. Die Blicke von ihnen gleiten unerschrocken in die Tiefe. An ihrem Klettergurt mit Sicherungsgerät hängen unzählige Karabiner, Bandschlingen und ein Sicherungsseil, das mit einem Sicherungsgerät am Klettergurt befestigt ist. An diesem Seil hängt ihr Leben. 

Überall dort, wo es knifflig wird, ist der Industriekletterer gefragt. „Ein besonders hohes Maß an physischer und psychischer Belastbarkeit sowie ein ausgeprägtes Engagement sind Grundvoraussetzung, um den speziellen Job eines Industriekletterers ausführen zu können“, erklärt Felix Leuschner, Geschäftsführer der Firma Hanse Climbing. „Die Jungs und Mädels sind besonders teamfähig, sportlich und leistungsbereit.“ 

So ist Thore Eichler zum Kletter-Spezialisten mit Level 3 ausgebildet – das heißt, er und sein Kollege Jan-Philipp Urban können in die Höhe und Tiefe klettern: Auf Dächern, Brücken, Schächten, Sendemasten, Windkraftanlagen und sogar Leuchttürmen ist ihr Arbeitsplatz. Auch Paula Zoe Barner kam vom Hobbyklettern zum Industrieklettern. Noch dieses Jahr will sie Sicherheitsmanagement an der Hochschule NBS studieren und danach in die Veranstaltungsbranche wechseln. „Kletterer“, sagt die junge Frau, „sind coole Kollegen und Typen. Das Arbeiten in Höhe gibt immer wieder tolle und spektakuläre Ausblicke.“

Ein junger Beruf
Den Beruf des Industriekletterers, immer verbunden mit handwerklichem Können, gibt es noch nicht so lange, erklärt Leuschner. In der ehemaligen DDR war der „Techno-Kletterer“ bekannt. Nach der Wende wurde mit der Reichstagsverhüllung in Berlin der Industriekletterer auch im Westen populär. 

Sein Unternehmen Hanse Climbing gründete Leuscher 2007 mit einem Startkapital von nur 5.000 Euro. Heute führt er ein kleines Unternehmen mit 15 festangestellten Mitarbeiter und diversen Freelancern, die bei größeren Aufträgen zum Einsatz kommen. 

Industriekletterer arbeiten als Handwerker mit einer speziellen Ausbildung unter anderem im Baugewerbe, der chemischen Industrie, zusammen mit Feuerwehren, Gebäudetechnik, Telekommunikationsfirmen und der Windenergiebranche. „Im Facilitymanagement engagieren wir uns nicht, das machen nur wenige Mitbewerber“, so Leuschner. Neben der Reparatur von Blitzableitern auf Kirchtürmen klopfen neuerdings Industriekletterer die Felswände von Berghängen und Schluchten ab, um die Gefahr von Steinschlag zu reduzieren. 

Viele Mitarbeiter, die auch eine handwerkliche Vorbildung haben, so Leuschner, „kommen über Hobby- und Sportklettern zu uns. Sie dürfen keine Höhen- oder Platzangst haben, müssen sportlich fit sein und eine Leidenschaft zur Seiltechnik haben. Arbeitsplätze in luftigen Höhen und die Vielfalt der Aufträge machen den abwechslungsreichen Beruf aus. Klettern ist unser Weg zum Arbeitsplatz. Und dann die Aussicht von oben – immer wieder ein Erlebnis. Dort wo andere Angst bekommen, beginnen wir mit Freude unsere Arbeit“. 

Sicherheit steht an erster Stelle
„Weil man an einem Seil hängt, hat die Arbeitssicherheit den allerersten Stellenwert und ist der wichtigste Teil der Tätigkeit!“ erklärt Leuschner. Jeder Kletterer hat seine eigene Schutz- und Sicherungsausrüstung, für die er verantwortlich ist. Sie muss jedes Jahr einer sachkundigen Prüfung unterzogen werden. Bewusste Nachlässigkeit kann ein Kündigungsgrund sein. Niemals arbeitet ein Kletterer allein, sondern immer im Team. Jeder Mitarbeiter wird auch arbeitsmedizinisch untersucht, die ärztliche Untersuchung muss regelmäßig wiederholt werden. 

Die Grundausbildung für Auf- und Abstieg von einer Woche endet mit einer Prüfung, man nennt sie in der Branche Level 1. Seil- und Knotenkunde, Seilkommandos, Standplatz bauen und Abseiltechniken gehören zu den Grundlagen. Die meisten Kletterer verfügen über die Ausbildungsstufe Level 2 für Höhenarbeiter. Und in der Stufe Level 3 sind Seiltechniker mit Führungsaufgaben, wie Teamleitung, oder Leitung für den gesamten Auftrag, ausgebildet.  

Die Berufsgenossenschaft schätzt die Branche als sicher ein. Andere Branchen wie Dachdecker oder Gerüstbauer weisen viel höhere Unfallzahlen auf. Jeder Komplettgurt hat auch ein Auffangsystem mit einem Falldämpfer. Dieser verhindert, dass Fangstöße beim Stoppen höchstens 6 kn Spannkraft betragen. Über 10 kn Fangstoßkraft hinausgehende Fangstöße sind meist tödlich. Neben der guten Aussicht bringt der Job leider auch gesundheitliche Belastungen mit sich – so sei etwa das Sitzen im Gurt eine Zwangshaltung für den Körper. Zwar gebe es auch Kollegen, die älter als 50 Jahre sind. Doch für viele Kletterer sei mit Mitte vierzig, Anfang fünfzig Schluss am Seil. 

Ein erfolgreiches Unternehmen
Was ist das Erfolgsgeheimnis von Hanse Climbing bezogen auf das Wachstum und die Position des Unternehmens? Dazu Felix Leuschner: „Unsere Spezialität ist es, Windkraftanlagen nach einem Feuer zurückzubauen bzw. Reparaturarbeiten durchzuführen. Unter anderem dokumentieren wir alle Arbeiten und Bauwerksschäden fotografisch. Ich habe immer die beste und innovative Lösung für unsere Kunden im Auge und sorge für ein kollegiales Arbeitsklima, was sich im hohen Engagement der Mitarbeiter zeigt. Müssen Arbeiten an schwerzugänglichen, in extremen Höhen oder Tiefen gelegenen Objekten ausgeführt werden, ist die Beauftragung eines professionellen Industriekletterers meist die beste Option. So kann auf den Gebrauch schwerer Maschinen und aufwendiger Gerüstkonstruktionen oder Hebebühnen gänzlich verzichtet werden. Dies erspart dem Auftraggeber neben Kosten vor allem auch Zeit.“ 

Durch die Vorgaben der Bauwerke unterliegen die Arbeitshöhen keiner Beschränkung. Auf einem 300 Meter hohen NDR-Sendemast wurden Arbeiten in 140 Meter Höhe durchgeführt. Der Aktionsradius der Firma beträgt ganz Norddeutschland, gelegentlich auch in europäischen Nachbarländern. 

Weitere Standbeine der Firma sind ein großer Schulungs- und Ausbildungsbereich sowie der Materialverkauf. Sogar die Feuerwehr und Polizei Hamburg kaufen ihr Material bei ihnen ein, sagt Leuschner. Demnächst könnte auch eine Drohne zur Dokumentation der Aufträge eingesetzt werden. 

Ärgerlich findet Leuschner, dass bei öffentlichen und unternehmerischen Ausschreibungen das Preisangebot zu 80 Prozent und die Qualifikation nur zu 20 Prozent berechnet werde. In anderen europäischen sowie den skandinavischen Ländern lägen die Quoten bei 50 zu 50
Prozent. 

Nach Roland Hasenjürgen, Sicherheitsberater von Security Assist und Spezialist für Ausschreibungen, ist die Ausschreibungsbewertung 80:20 „noch im Rahmen“. Jedoch würden bei der angewandten Rechenmethode die Punkte des Preises berechnet, indem der niedrigste Preis die 80 Punkte bekomme, die anderen prozentual weniger. „Bei der Leistung werden die Punkte einfach addiert. Das OLG Düsseldorf hat dies für nicht zulässig erklärt, da hier unterschiedliche Wertungsmethoden eingesetzt werden. Das Bestbieterprinzip wird dadurch ausgehebelt. Es hat sich das System der erweiterten Richtwertmethode durchgesetzt, die höchstrichterlich bestätigt wurde, da nur hier kein sogenannter „Flipping-Effekt“ entstehen kann. Das heißt, eine mittelmäßige Leistungspunktzahl kann durch einen sehr niedrigen Preis ausgeglichen werden und zum Zuschlag führen. Das würde ich auch der Branche der Industriekletterer wünschen.“

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