Katastrophe Duisburg und die Schlüsse
Die Loveparade-Katastrophe in Duisburg hat vor Augen geführt, welche Gefahren von großen Massenveranstaltungen ausgehen, wenn im Vorfeld nicht ordentlich geplant wurde. Der Experte...
Die Loveparade-Katastrophe in Duisburg hat vor Augen geführt, welche Gefahren von großen Massenveranstaltungen ausgehen, wenn im Vorfeld nicht ordentlich geplant wurde. Der Experte Michael Öhlhorn gibt Tipps zur Konzeption und Durchführung von Großevents.
Großveranstaltungen sind für Besucher atemberaubend und gigantisch. Genauso „gigantisch" muten aber auch Planung, Organisation und Haftung für die Verantwortlichen und die beteiligten Gewerke an. Eine Veranstaltung mit nur wenigen hundert oder tausend Besuchern kann ebenso eine „Großveranstaltung" sein, wenn der planerische, logistische und bauliche Aufwand gigantisch sind. Beispiel: Ein alle zwei Jahre stattfindendes „ historisches Dorffest" mit Darbietungen, eine Vielzahl an Ständen, Dekoration und Feuer mit 2.500 Besuchern unter freiem Himmel. Es gibt keine festen Größen oder Faktoren die den Begriff „Großveranstaltung" definieren. Auch die Erfordernis eines Sicherheitskonzeptes ist gemäß MVStättV abhängig davon, ob es die „Art der Veranstaltung erfordert", und erst ab 5.000 Besucherplätzen zwingend vorgeschrieben
Die Rechtslage
Außer der Versammlungsstättenverordnung (VStättVO) des jeweiligen Landes (teilweise auch als Sonderbauverordnung oder Richtlinie umgesetzt), regeln weitere knapp 80 Regelwerke auf EU-, Bundes- und Länderebene unter gewissen Voraussetzungen die Durchführung einer Veranstaltung. Betrachten wir im Folgenden näher die Rechtslage hinsichtlich (Groß-)Veranstaltungen.
Wichtig für die Anwendung der VStättVO, ist eine Kapazität von mehr als 200 (im Gebäude) oder mehr als 1.000 (im Freien) Besucher, sowie im Freien das Vorhandensein von Szenenflächen, und der Bestand einer baulichen Anlage, zumindest in Teilen. Zu Letzterem zählt aus Sicht der Gefährdung auch eine eng bebaute Altstadt, oder die Umzäunung des Geländes mit einem mobilen Zaun oder ähnlichem. Ob Tag- oder Nachtbetrieb ist dabei für die Umsetzung trotz erhöhter Gefährdung und erhöhtem Organisationsaufwand im Nachtbetrieb bis auf die erforderliche Sicherheitsbeleuchtung nach dem Regelwerk irrelevant. Greift die Verordnung nach Anlegen der o.g. Kriterien nicht, sollte dennoch die VStättVO zu Grunde gelegt werden, und auch alle anderen einschlägigen Regelungen beachtet werden.
Hierzu zählen ein Großteil der einschlägigen berufsgenossenschaftlichen Vorschriften, die zwar zunächst die Sicherheit der Mitarbeiter in den Vordergrund stellen, jedoch von vielen Gerichten als Maßstab für die Sicherheit der Besucher angewandt wird. Kurz umschrieben fordern die Regelwerke der VBG bzw. GUV eine Gefährdungsbeurteilung einer möglichen Situation bzw. Zustand, und eine bedingungslose Umsetzung der Sicherheit und Minimierung aller möglichen Gefahren. Als wichtigste Regelwerke aus diesem Bereich zählen die BGV A1, A3, C1, C7, D34, BGI 810.
In den Letzten Jahren haben auch die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättVO) und das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) an Bedeutung gewonnen. Auch der Bauordnung (Länderrecht), als Haupt-Regelwerk, über der VStättVO stehend, liegen hohe Schutzziele zugrunde, die durch Vorschriften wie Verkehrssicherungspflicht, Brandschutzvorgaben, Fluchtwege, Barrierefreiheit und viele weitere Vorgaben erreicht werden sollen. In fliegenden Bauten, in denen die VStättVO nicht gilt, ist oft die Richtlinie über den Bau und Betrieb fliegender Bauten (FlBauR) anzuwenden, wenn größere Zelte, große Bühnen oder Fahrgeschäfte vorhanden sind.
Planung, Organisation und Sicherheitskonzept
Jede Veranstaltung ist hinsichtlich Ort, Lage, Besucher, Darbietung, Infrastruktur, Wetter und Umwelt, Organisation, Mitarbeiter, Dauer, etc. unterschiedlich. Aus diesem Grund ist ein Sicherheitskonzept immer individuell und daher an das jeweilige Event anzupassen, also sind die dazugehörige Planung und Organisation immer unterschiedlich. Für eine sichere Veranstaltung ist im Vorfeld die Ausarbeitung eines ganzheitlichen Sicherheitskonzeptes mit den jeweiligen Sicherheitsgewerken (Sanitätsdienst, Sicherheitsdienst, Feuerwehr etc.) und der Behörde abzustimmen. Grundsätzlich unterteilt sich ein Sicherheitskonzept in die beiden Hauptbereiche Konzeption und Planung. Dabei werden im planerischen Teil, die Flächen, Wege, Breiten etc. dargestellt, und diese Werte in die Konzeption für Berechnungen und Auswertungen übernommen. Folgend eine Auflistung von möglichen Inhalten eines Sicherheitskonzeptes je nach Art und Größe:
Konzeption
- Security-Konzept
- Brandschutzkonzept
- Brandschutzordnung
- Verkehrskonzept
- Umweltkonzept
- Notfallplan
- Mobilfunkkapazitätenprüfung
- Sicherheits- Organigramm/Kontakte
- Hubschrauberlandeplatz
- Genehmigungsvorlage
- Gefahren-, & Risikoanalyse
- Vorbereitung Krisen- & Katastrophenmanagement
- Jugend- & Kinderschutz
- Lebensmittelsicherheit
- Wind & Wetter
- Lärmschutz
- Einsatzkräfteberechnung
- Evakuierungskonzept
- Brandschutz & Baurecht
- Diverse spezielle Gefahren: Ballone, Flugzeuge etc.
- Unterweisung
Planung
- Flucht- und Rettungsplan
- Feuerwehrplan
- Park- und Verkehrsplan
- Bestuhlungsplan
Materielle Sicherheit auf dem Event
- Sicherheitskennzeichnungen
- Sicherheitsbeleuchtungen
- Feuerlöscher
- Imprägnierungen
- Kabelbrücken
- Bauzaun-Fluchtwegsysteme
- Alarmierungsanlage (für Durchsagen)
- Brandmeldeanlage
Oberstes Schutzziel ist die Unversehrtheit von Leib und Leben von Besuchern und Beteiligten. Dazu muss das Sicherheitskonzept aufgrund von individuellen Gefahren und Risiken an die jeweilige Veranstaltung angepasst werden. Der Schutz von Sachwerten steht dabei an zweiter Stelle wird jedoch oft vernachlässigt, was schnell unnötige Kosten und Ärger zur Folge haben kann.
Betriebliche Sicherheit:
Safety und Security
Die konzeptionelle und planerische Theorie und die daraus getroffenen Absprachen gilt es nun in die Praxis richtig umzusetzen. Hierbei sind folgende Faktoren wichtig:
Bau und Brandschutz: Hierzu zählen die vorschriftenkonforme, bauliche Beschaffenheit sowie der Brandschutz. Das Zusammenspiel aus diesen Aspekten mit dem Sicherheitspersonal, Sicherheitsmaterial sowie der Absprachen im Vorfeld, ermöglichen so auch eine sichere Lenkung der Besucherströme.
Personelle Sicherheit: Feuerwehr, Brandsicherheitswache, Verantwortliche für Veranstaltungstechnik, Sanitätsdienst, sowie der Sicherheitsdienst.
Absprachen/ Unterweisung: Bereits in der Planung müssen Gefährdungen und Umsetzungsvorgaben mit den Standbetreibern besprochen werden, um so eine Haftungsabgrenzung zwischen Standbetreiber zum Veranstalter zu definieren.
Hierzu gehört vor Betriebsaufnahme eine Unterweisung des Personals über die besprochenen Sicherheitsmaßnahmen, Gesundheitsschutz und anderen sicherheitsrelevanten Informationen.
Sicherheitsmaterialien: Hierzu gehören Feuerlöscher, Sicherheitsbeleuchtung, Rettungswegkennzeichnung, benötigte Aushänge wie z. B.: Flucht- und Rettungsplan, Brandschutzordnung, JuSchG, Gefahrenkennzeichnungen etc., Alarmierungsanlage, ggf. Überwachungskamera zur Überwachung von kritischen Besucherbereichen. Bedingt gehört hierzu die umfassende Unterrichtung der Sicherheitsgewerke und Weitergabe des Sicherheitskonzeptes mit Konzeption und Übersichtsplänen an alle Mitarbeiter.
Fazit und Umsetzung
Die Praxis beweist immer wieder, dass Planung und Organisation sowie die Durchführung der immer komplexeren Events und die steigenden Gefährdungen durch Besucher und Umwelt, den Einsatz von Fachkräften erfordern. Vergleichbar mit einem Hausbau, der ebenso ohne Fachkräfte nie denkbar und zulässig wäre. Der Schlüsselerfolg liegt aus Expertensicht beim Sicherheitsdienst (Eventsecurity), den es vor nur zehn Jahren so gut wie noch nicht gab. Durch seine meist hohe personelle Präsenz auf der Veranstaltung soll dieser mit einem gut ausgebildeten und geprüften Fachplaner mit den anderen Sicherheitsgewerken und Behörden die Konzeption und Planung erledigen. Dadurch wird die höchstmögliche Sicherheit gewährleistet, da der Sicherheitsdienst bei der Erstellung im Detail beteiligt war. Diese Umsetzungsweise würde dem Wandel in den Kommunen und Behörden zu Gute kommen, welche steigende Amtspflichten und Aufgaben mit weniger Personal erledigen müssen. Als Qualitätssicherung könnte eine Organisation wie der TÜV dienen.
Rund um Duisburg stellt sich derzeit noch immer die Schuldfrage. Man will jetzt aus den Fehlern lernen. Eine Umsetzung wie oben beschrieben wird seit 2008 durch das Unternehmen „Vabeg" in Deutschland erprobt und zeigt zumindest auf den durchgeführten Veranstaltungen beachtlich niedrige Hilfeleistungszahlen und nach Angaben von Michael Öhlhorn zugleich eine hohe Entlastung bei Behörden und Veranstaltern. Der eine oder andere hat vielleicht noch auf die Zertifierung des Verfahrens gewartet - dem sei gesagt: Vabeg hat den TÜV Saarland mit einer fachmännischen neutralen Prüfung des Konzeptes beauftragt. Ziel ist eine Zertifizierung nach TÜV Saarland Standard.
Business Partner
Vabeg EventsafetyZum Thäle 18
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Deutschland
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Ein Beitrag von Wilfried Joswig, Geschäftsführer beim Verband für Sicherheitstechnik VfS.