LTE/5G-Campusnetz in der Praxis
Seit einiger Zeit gibt es neue regulatorische Rahmenbedingungen für den Aufbau lokaler privater Mobilfunknetze – sogenannter Campusnetze.
Seit einiger Zeit gibt es neue regulatorische Rahmenbedingungen für den Aufbau lokaler privater Mobilfunknetze – sogenannter Campusnetze. Dr. Torsten Musiol berichtet in seinem Beitrag über Herausforderungen im Umgang mit dieser Technik und erste praktische Einsätze. Der Autor ist Gründer und Geschäftsführer von MESCSware, einem Mitgliedsunternehmen des PMeV – Netzwerk Sichere Kommunikation.
Frequenzzuteilungen für Campusnetze sind grundsätzlich technologie- und dienstneutral – und anders als oft angenommen, kann nicht nur 5G (Band n78: 3.300 MHz – 3.800 MHz), sondern auch LTE (Band 43: 3.600 MHz – 3.800 MHz) eingesetzt werden. Daher ist es möglich, zunächst mit einem oder mehreren 10 MHz breiten Frequenzblöcken und heute verfügbarer LTE-Technik zu starten und später – falls für bestimmte Anwendungen erforderlich – weitere Frequenzblöcke zu beantragen und mit 5G-Technik zu ergänzen.
Die Entscheidung wird meist unter Berücksichtigung der Leistungsanforderungen der Anwendung und der Gesamtkosten („Cost of Ownership“) getroffen. Die Kostenbetrachtung ist komplex, da hier nicht nur die einmaligen Geräte- und Installationskosten (CAPEX) betrachtet werden müssen, sondern auch die laufenden Kosten (OPEX). Unzweifelhaft genügt die Leistungsfähigkeit von LTE vielen Anwendungen. Der Einsatz von 5G-Technik auf Basis der heute verfügbaren 3GPP Release 15, die für das Anwendungsszenario „Enhanced Mobile Broadband“ (eMBB) entwickelt wurde, bringt kaum Zusatznutzen. Für industrielle Anwendungen interessante Features werden erst Release 16 für „Ultra-Reliable and Low-Latency Communications“ (URLLC) und Release 17 für „Massive Machine-Type Communications“ (mMTC) mit sich bringen.
Wer kann diese Netze aufbauen und betreiben? Im Allgemeinen ist nicht davon auszugehen, dass 3GPP-Mobilfunkexpertise bei den industriellen Anwendern verfügbar ist. Hingegen sollten Kenntnisse in Netzwerktechnologie, die im Wesentlichen durch IEEE (Institute of Electrical and Electronics Engineers) und IETF (Internet Engineering Task Force) (de-facto) Standards beschrieben wird, vorhanden sein - entweder im Unternehmen selbst oder bei beauftragten Dienstleistern.
WLAN stößt an seine Grenzen
Auf Grundlage dieser Kenntnisse werden WLAN-Netze, die auch im industriellen Umfeld ihren Platz gefunden haben, aufgebaut und betrieben. Insbesondere bei unternehmenskritischen oder großflächigen Anwendungen stößt die WLAN-Technologie jedoch an ihre Grenzen. Eine Ergänzung mit LTE bzw. 5G wird in vielen Fällen sinnvoll sein. Daraus lässt sich die Aufgabe ableiten, die Mobilfunktechnologie auf das bekannte WLAN-Architektur- und Betriebsmodell abzubilden. Damit können alle Funktionsebenen durch den Anwender kontrolliert werden (Netzhoheit).
Sämtliche Funktionsebenen müssen in die Planung des Netzes einbezogen werden. Im Prinzip sollten IT-Abteilungen, die bisher WLAN geplant und implementiert haben, in der Lage sein, auch ein privates Mobilfunknetz zu beherrschen. Einfache Netze mit wenigen Basisstationen können vom Hersteller komplett vorkonfiguriert werden („Plug and Play“). Lediglich bei der Funkplanung und dem Betrieb komplexer Netze wird Spezialwissen benötigt. Dann wird typischerweise ein Dienstleister beauftragt.
Bei guter Planung sollte der Aufbau eines kleinen privaten Mobilfunknetzes schnell erledigt sein. Die Verbindungen zu den Basisstationen nutzen das Internet Protocol (IP), das sich auf vorhanden LAN-Infrastrukturen übertragen lässt. Die Small Cell Basisstationen können wie WLAN Access Points an geeigneten Standorten innen wie außen montiert und mit LAN-Kabel angeschlossen werden. Die Stromversorgung erfolgt üblicherweise per Power-over-Ethernet (PoE).
Da LTE/5G Small Cells alle Funktionen des Radio Access Networks (RAN) abbilden, ist eine zusätzliche Aggregationsfunktion im RAN nicht notwendig. Das Netz ist somit weniger komplex als verteilte Architekturen, die für die großen öffentlichen Mobilfunknetze entwickelt wurden. Macro-Basisstationen enthalten zumindest eine Central Unit (CU) und mehrere Distributed Units (DU), gegebenenfalls auch noch weitere Radio Units (RU), wobei die Namen zwischen den Herstellern variieren. Weiterhin gibt es hier spezielle Anforderungen an die Quality-of-Service (QoS) im LAN, die u.U. eine dedizierte Infrastruktur erfordern.
„Network Slicing“ auch mit LTE möglich
Nach der Inbetriebnahme des Netzes fokussiert sich der Netzbetrieb auf die Integration von Endgeräten (User Equipment Provisioning) unter Berücksichtigung von Anforderungen an die Konnektivität (Service Data Flows - SDF) und Quality-of-Service (QoS). Das oftmals der 5G-Technologie zugeschriebene „Network Slicing“ lässt sich übrigens auch mit LTE realisieren.
Oftmals ist es vorteilhaft, den Datenverkehr (Services) von der Administration (Management) des Netzes aus Gründen der Sicherheit und Skalierbarkeit logisch oder sogar physisch zu trennen. Integrierte Diagnosewerkzeuge sollten es ermöglichen, Leistungsmessungen (Reichweite, Datendurchsatz, Latenz) per Endgerät sehr einfach durchzuführen.
Götting KG: LTE-Campuslösung für Logistik-Anwendung
MECSware hat in den vergangenen Jahren die Systemlösung Campus XG auf Basis von LTE entwickelt. Dabei wurde eine Erweiterung in Richtung 5G schon beim Architekturdesign berücksichtigt. Das Systemprodukt ist kommerziell verfügbar und in mehreren industriellen Proof-of-Concept (PoC) Projekten im Einsatz.
Die Götting KG in Lehrte bei Hannover produziert seit 1980 Geräte und Systeme für die Automatisierungs-, die Verkehrs- und die HF-Messtechnik sowie für die allgemeine Funktechnik. Seine Kunden finden sich vor allem in der Automobilbranche, der Fördertechnik und im Anlagenbau. Die Systemlösung Campux XG nutzt das Unternehmen zur Steuerung ihrer fahrerlosen Transportfahrzeugen (FTF), auch Automated Guided Vehicle (AGV) genannt.
Hierbei ist der Mobile Edge Cloud Server (MECS) – das zentrale Netzelement – in die Infrastruktur der Firma Götting integriert worden. Die Basisstationen konnten dadurch unter Nutzung des vorhandenen Netzwerks an funktechnisch günstigen Standorten aufgebaut werden, ohne zusätzliche Verkabelung zu installieren. Das Leitsystem Transport Control der GS Fleetcontrol zur Steuerung der As wurde in der virtuellen Umgebung des MECS installiert und kommuniziert auf dem gesamten Betriebsgelände über das LTE-Campusnetz mit den fahrerlos fahrenden AGVs. Weiterhin wird das System zur videobasierten Teleoperation von durch Götting automatisierten Schwerlastfahrzeugen, z B. Radladern, verwendet. Hier spielt LTE seinen Vorteil gegenüber WLAN durch die deterministisch geringen Latenzen aus - was für eine möglichst verzögerungsfreie Bildübertragung und zuverlässige Steuerung der Fahrzeuge Voraussetzung ist.
Ein Grund für den Einsatz des Systems war die Abstrahierung der LTE Kernnetzfunktionalität zu einem benutzerfreundlichen browserbasierten GUI (Graphical User Interface), wodurch sich die Einrichtung im einfachsten Fall auf die Provisionierung der Endgeräte (UEs) beschränkt.
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