Prozesse und Strukturen ständig im Blick
Seit Januar 2016 ist Hans-Hilmar Rischke Chief Security Officer (CSO) der Deutschen Bahn. Er folgt auf Prof. Gerd Neubeck, der zum Sonderbeauftragten für europäische Reisendensiche...
Seit Januar 2016 ist Hans-Hilmar Rischke Chief Security Officer (CSO) der Deutschen Bahn. Er folgt auf Prof. Gerd Neubeck, der zum Sonderbeauftragten für europäische Reisendensicherheit ernannt wurde. Der neue CSO ist seit 1992 in der Sicherheitsorganisation der Bahn, zuletzt über ein Jahrzehnt verantwortlich für Personen-, Objekt- und Veranstaltungsschutz, Geheim- und Sabotageschutz sowie Informationsschutz im DB-Konzern. Unser wissenschaftlicher Schriftleiter Heiner Jerofsky sprach mit Hans-Hilmar Rischke über seine Aufgaben, Tätigkeiten und die Sicherheitsphilosophie der Deutschen Bahn.
Die Verantwortung für die Sicherheit von täglich 7,5 Millionen Kunden in Deutschland sowie 300.000 Mitarbeitern in 150 Ländern ist eine enorme Herausforderung – nicht erst, seit die Sorge vor Terroranschlägen zunimmt. Die aktuelle Sicherheitslage liefert zahlreiche Herausforderungen für die Konzernsicherheit der DB sowie ihr Tochterunternehmen DB Sicherheit, das als Auftragnehmer und Partner für die operative Sicherheit und Ordnung in Objekten und Anlagen sowie in Zügen der Deutschen Bahn AG zuständig ist. Neben 5.000 Beamten der Bundespolizei sind aktuell rund 3.700 Sicherheitskräfte im Einsatz für die Sicherheit von Bahnkunden und Mitarbeitern. Der DB-Konzern gibt jährlich 160 Millionen Euro für Sicherheit aus.
GIT SICHERHEIT: Seit fast einem Dreivierteljahr verantworten Sie die Sicherheit von Kunden und Mitarbeitern der DB. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Sicherheitslage und den Erwartungen der Menschen keine leichte Aufgabe. Wie gehen Sie an diese Aufgabe heran?
Hans-Hilmar Rischke: Verantwortung für Sicherheit können Sie nur dann übernehmen, wenn Sie Tag für Tag hinterfragen, wie die Sicherheit in Ihrem Verantwortungsbereich weiterentwickelt werden kann. Sie müssen Prozesse und Strukturen ständig im Blick haben und auf aktuelle Entwicklungen reagieren. Sicherheit ist nichts Statisches, sondern mehr denn je immer in Bewegung. Das gilt für die Deutsche Bahn umso mehr, weil wir mit mehr als 300.000 Mitarbeitern in mehr als 150 Ländern der Welt aktiv sind.
Wie gewährleisten Sie Sicherheit für die Kunden, Mitarbeiter und Geschäfte der Bahn? Wie sieht die Sicherheitsstrategie der Deutschen Bahn aus?
Hans-Hilmar Rischke: Unsere Sicherheitsstrategie hat mehrere Säulen. An erster Stelle steht für mich die ganz enge Abstimmung mit den Sicherheitsbehörden. Die Bahn ist ein offenes System. Alles, was in der Öffentlichkeit passiert, passiert auch in Zügen und Bahnhöfen. Nur wenn wir im engen Austausch mit den Sicherheitsbehörden das behördliche Lagebild mit unseren Erkenntnissen komplettieren und umgekehrt behördlichen Bewertungen der Aspekte mit Bahnbezug kennen, können wir wirksam für die Sicherheit von Kunden und Mitarbeitern sorgen. Dazu brauchen wir die zweite Säule: das sind hochqualifizierte und motivierte Mitarbeiter. Die dritte Säule ist die Technik, mit der wir unsere Mitarbeiter unterstützen und leistungsfähiger machen. Und wenn ich „unterstützen“ sage, meine ich ausdrücklich nicht „ersetzen“. Sicherheit ist die Summe aus Mensch und Technik. Das eine kann nicht ohne das andere. Jedes technische Alarmsystem ist nur dann sinnvoll, wenn Interventionskräfte unmittelbar eingreifen können. Dafür brauchen wir Menschen. Die Menschen sind effizienter, erfolgreicher und schlagkräftiger, wenn sie intelligente Sicherheitstechnik anwenden können.
Für Besucher und Fahrgäste ist das Thema Sicherheit ein Grundbedürfnis und kann entscheidend sein, ob ein Verkehrsmittel genutzt oder einen Bahnhof betreten wird. Wie und durch welche Maßnahmen erreichen Sie spürbare Verbesserungen des Sicherheitsempfindens von Reisenden?
Hans-Hilmar Rischke: Wir leben in einer Gesellschaft, die von Tag zu Tag weiter verroht. Die Hemmschwelle für Gewalt geht zurück, körperliche Konflikte sind an der Tagesordnung. Das passiert leider überall, nicht nur in Zügen und Bahnhöfen. Das können wir nicht ändern, wir müssen aber reagieren und unsere Mitarbeiter für diesen harten Alltag vorbereiten. Meine These dazu: Wenn wir kontinuierlich fortbilden, steigt die Motivation. Das muss viel mehr sein, als bisher üblich. Körperliche Fitness ist nicht Kür, sondern Pflicht. Die Bereitschaft in Konfliktsituationen hineinzugehen, steigt mit der eigenen Überzeugung, diese auch sicher zu beherrschen. Die Motivation der ganzen Mannschaft ist der Schlüssel für mehr Sicherheit im Bahnalltag. Wir haben bereits gute Erfahrungen mit der Spezialisierung so genannter Einsatz-Teams gemacht. Gemeinsam mit der Bundespolizei bilden wir eigene Mitarbeiter in bestimmten Deliktfeldern aus. Etwa im verdeckten Einsatz gegen Graffiti und Metalldiebstahl oder aktuell im Kampf gegen Taschendiebe. Damit verstärken wir die Präsenz an stark frequentierten Bahnhöfen, ermöglichen unseren Mitarbeitern das Erfolgserlebnis, Täter zu stellen und entlasten die Bundespolizei. Die weitere Behandlung von Straftätern bleibt dabei natürlich in der Hand der Bundespolizei.
Können Sie unseren Lesern die aktuellen Aufgaben der DB Sicherheit beschreiben?
Hans-Hilmar Rischke: Die Aufgabe der DB Sicherheit sind Securityleistungen für den DB-Konzern und seine Kunden. Kunden und Mitarbeiter sollen sich wohl und sicher fühlen. Dazu zählt die Verhinderung von Straftaten in Bahnhöfen, in Zügen und an der Strecke. Es geht um Präsenz an stark frequentierten Orten, an denen Konflikte entstehen, also große Bahnhöfe, aber auch die Begleitung des An- und Abreiseverkehr zu Sportveranstaltungen und Volksfesten sowie der Objektschutz für gut 6.000 Bahnhöfe, Werke und Abstellanlagen. Die DB Sicherheit ist seit 1. Juni im selben Ressort angesiedelt wie die Konzernsicherheit. Das heißt, Governance und Operative sind nicht mehr verschiedenen Vorständen unterstellt. Wir spüren jetzt schon, dass das weniger Reibungsverluste mit sich bringt. Ob Vertragsbeziehungen oder die Bewältigung von aktuellen Lagen: wir sind schneller und effizienter. Der DB-Vorstand hat mich beauftragt, die Securityorganisation des Konzerns weiter zu entwickeln. Noch in diesem Jahr werden neue Strukturen die Abläufe weiter verschlanken und beschleunigen. Für die DB Sicherheit bedeutet das, nicht wie bisher als Dienstleister Sicherheitsstunden nach Auftrag zu erbringen, sondern die vollständige operative Verantwortung für die Sicherheit von Kunden und Mitarbeitern zu übernehmen – ich umschreibe diese umfassende Verantwortlichkeit von der Fragestellung bis zur Erledigung gerne als „Problemlöser“. In der Fläche gibt es dann für alle externen und internen Partner nur noch jeweils einen Ansprechpartner in Sicherheitsfragen. Bisher waren für Konzept und operative Umsetzung stets mehrere Stellen beteiligt.
Wie ist das Verhältnis der Konzernsicherheit bzw. der DB Sicherheit zur Bundespolizei?
Hans-Hilmar Rischke: In erster Linie ein sehr pragmatisches. Uns allen geht es darum, Kunden, Mitarbeiter und Werte der Bahn zu schützen. Auf den zweiten Blick ist es aber auch ein sehr kollegiales Verhältnis. Die Bundespolizei weiß, was sie an den von der DB finanzierten 3.700 Sicherheitskräften hat. Und die DB kann sich auf die Leistung der 5.000 Bundespolizisten im Bahnbereich verlassen. Mit dem gemeinsam von DB und Bundespolizei betriebenen Sicherheitszentrum haben wir eine zentrale Stelle, an der alle Informationen zusammenlaufen. Künftig möchte ich den Gedanken der zentralen Leitstelle weiter ausbauen, weil es operativ einfach enorme Vorteile bietet, vollständige Lagebilder zu haben und Einsatzkräfte zu vernetzen. Ein weiteres Ziel ist es, Aus- und Weiterbildung von DB Sicherheit und Bundespolizei gemeinsam durchzuführen. Es gibt viele Überschneidungen, wo Bundespolizisten von DB-Sicherheitskräften lernen können, und umgekehrt. Das erleichtert die Zusammenarbeit auch auf persönlicher Ebene.
Wie entwickelt sich das Verkehrsaufkommen der Deutschen Bahn im Verhältnis zu dem von DB und Bundespolizei registrierte Straftatenaufkommen und der Schadensbilanz in den letzten Jahren?
Hans-Hilmar Rischke: Wir registrieren aktuell stark ansteigende Reisendenzahlen. Dennoch bleibt die Zahl der Straftaten insgesamt nahezu konstant – anders als im öffentlichen Raum. Der jährliche Sicherheitsbericht, den wir seit 2010 jedes Jahr veröffentlichen, bestätigt unsere Strategie. Wir sind in der Fläche präsent, fokussieren uns aber zunehmend auf Schwerpunkte: stark frequentierte Stationen ebenso wie Stationen, die nur am Wochenende oder bei Veranstaltungen und Volksfesten genutzt werden. Wir bekämpfen gezielt Phänomene wie etwa den Metalldiebstahl. Nach mehr als 3.000 Fällen im Jahr 2012 haben wir im letzten Jahr nur noch gut 1.000 Fälle registriert. Gezielte Bestreifung, enge Zusammenarbeit mit der Bundespolizei, künstliche DNA zur Markierung von Metallteilen und die enge Zusammenarbeit mit Metallhändlern im In- und Ausland haben das Risiko für Täter massiv erhöht. Die Fallzahlen gehen zurück. So fokussieren wir jetzt auch das im letzten Jahr massiv angestiegen Phänomen von Taschendiebstählen an. Das ist kein Bahnthema, das passiert überall, wo viele Menschen sind. Wir wollen mit unseren eignen Spezialisten dafür sorgen, dass Bahnhöfe für Taschendiebe unattraktiv werden. Damit sich unsere Kunden sicher fühlen können.
Sicheres Reisen ist für Ihre Kunden besonders wichtig. Was tut die Deutsche Bahn in ihren Zügen technisch und personell, um das zu gewährleisten?
Hans-Hilmar Rischke: Seit den Terroranschlägen in Paris, Brüssel und im Thalys spielt Sicherheit eine immer wichtigere Rolle. Der Amoklauf von Würzburg – der ja in einem Zug stattfand – hat die Diskussion zusätzlich angeheizt, weil plötzlich solche Ereignisse direkt bei uns stattfinden. Alle diese Fälle haben aber auch gezeigt, dass es eine absolute Sicherheit nicht geben kann. Videoüberwachung, Gepäck- und Personenkontrollen oder Personalpräsenz und sogar Train-Marshalls können einen fanatischen Einzeltäter nicht abhalten, das offene System Bahn und seine Nutzer anzugreifen. Deshalb können wir hier nur mit den Erkenntnissen der Behörden und eigenen Beobachtungen sensibilisieren. In der Praxis heißt das für unsere Mitarbeiter und Kunden, auffällige Personen, Bewegungen und Gepäckstücke zu erkennen. Lieber ist es uns natürlich, wenn die Aktivitäten der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste es gar nicht so weit kommen lassen, dass die Gefahr in Zügen oder Bahnhöfen sichtbar wird. Der Amoklauf von Würzburg hat aber gezeigt, dass das eben nicht alles zu verhindern ist.
Die Deutsche Bahn baut die Videoüberwachung in Bahnhöfen und Zügen weiterhin aus. Welchen Umfang und Bedeutung hat die Erweiterung und Modernisierung dieser Überwachungstechnik? Über welches Sicherheitsbudget können Sie dafür verfügen?
Hans-Hilmar Rischke: Bereits heute sind weit über 5.000 Kameras an 700 Bahnhöfen im Einsatz. Damit erfassen wir bereits über 80 Prozent der Reisendenströme. Kürzlich haben wir Aufzeichnungsfunktion von 600 Kameras an 70 Berliner S-Bahnhöfen in Betrieb genommen. Wir bauen also kontinuierlich aus. Aber eine flächendeckende Videoüberwachung wird es nicht geben. Das lässt der Datenschutz nicht zu. Unser Konzept lautet daher Videoüberwachung mit Augenmaß – dort, wo sie erforderlich ist. Rund 27.000 Kameras sind in Nahverkehrs- und S-Bahnzügen eingebaut – etwa die Hälfte unserer Flotte verfügt damit über Videoaufzeichnungstechnik. Den Zugriff auf alle Aufzeichnungen hat nur die Bundespolizei. Bis 2023 geben wir gemeinsam mit dem Bund 85 Millionen Euro für die Modernisierung und Ausweitung der Videotechnik an großen Bahnhöfen aus. Hier geht es vor allem darum, moderne Qualitätsstandards zu erfüllen, um der Bundespolizei zuverlässig Videomaterial zur Unterstützung von Ermittlungen bereitstellen zu können. In Berlin testen wir übrigens zunächst bis Jahresende Bodycams an unseren Sicherheitskräften. Die Polizei hat ja schon sehr gute Erfahrungen damit gemacht. Mir persönlich gefällt am besten die Möglichkeit, einen Angreifer dadurch abzuschrecken, dass er sein Verhalten auf einem kleinen Monitor live mit ansehen muss – und die entsprechende Aufzeichnung als rechtssicheres Beweismaterial genutzt werden kann.
Leider gibt es immer wieder hässliche Schlagzeilen über Vandalismus, Körperverletzungen, Sachbeschädigungen, Graffiti und Sexualstraftaten in den Zügen und Bahnhöfen der DB. Welche Präventionskonzepte setzen Sie dem entgegen?
Hans-Hilmar Rischke: Bahnhöfe und Züge sind quasi öffentlicher Raum. Die Menschen hier sind ein Abbild der gesamten Gesellschaft. Deshalb gibt es in Zügen und Bahnhöfen alle diese Phänomene, von denen wir nicht jedes verstehen. Hier hilft nur die Kombination aus Mensch und Technik. Präsenz ist wichtig, doch lückenlose Präsenz ist einfach nicht möglich. Videoüberwachung schreckt nicht unbedingt ab, erleichtert aber die Strafverfolgung. Leider beobachten wir aber auch, dass immer öfter Straftaten am helllichten Tag und vor den Augen des Publikums begangen werden. Es kann doch nicht wahr sein, dass alle immer wegschauen! Selbst wenn man sich nicht direkt einmischen möchte, kann man gemeinsam mit umstehenden sehr wohl einem Täter Einhalt gebieten. Auch dass Straftaten mit dem Handy gefilmt und ins Internet gestellt werden, anstatt mit dem selben Gerät die Polizei zu rufen, macht mich wütend. Mit einer weiter verstärkten Präsenz und unseren neuen Ausbildungskonzepten wollen wir einen Rückgang dieser allgemeinen Kriminalität erreichen.
Wie bekämpfen Sie Leistungserschleichung, Betrug mit Fahrkarten, Kredit- und Bankkarten?
Hans-Hilmar Rischke: Die Cyberkriminalität fordert uns und die Behörden zunehmend. Wie in vielen Bereichen der Kriminalität erleben wir, dass sich die Täter immer schneller darauf einstellen, Sicherheitsmaßnahmen zu überwinden. Allerdings gibt es gerade beim Online-Fahrkartenbetrug immer wieder beachtliche Fahndungserfolge und zum Glück auch empfindliche Verurteilungen mit teils langjährigen Haftstrafen. Zur Prävention setzen wir auf Sicherheitssysteme im Bezahlvorgang. Die Mehrzahl der Taten wird mit illegal erlangten Kreditkartentaten begangen. Hier gilt es allerdings auch, Augenmaß zu wahren, die Online-Kundschaft reagiert sensibel auf alles, was den Buchungsvorgang verlängert. Der klassische Betrug mit manipulierten oder gefälschten Fahrkarten ist zwar durch moderne Technik handwerklich einfacher geworden, doch machen immer neue Sicherheitsmerkmale an den Blankofahrkarten es schwer, wirklich überzeugend zu fälschen. Die Entwicklung ist ähnlich wie bei gefälschten Banknoten.
Verraten Sie uns zum Abschluss noch ein Projekt, das Ihnen besonders am Herzen liegt?
Hans-Hilmar Rischke: Ganz klar das Thema Nachwuchs und Ausbildung. Ich möchte sicher sein, dass Mitarbeiter, die wir in einen rauen Alltag schicken, den Herausforderungen in jeder Situation souverän gewachsen sind. Deshalb arbeiten wir – in vielen Bereichen gemeinsam mit der Bundespolizei – an neuen Aus- und Weiterbildungskonzepten. Wir wollen die Arbeit im Sicherheitsbereich attraktiv machen, um motivierte Mitarbeiter zu gewinnen. In diesem Jahr bilden wir erstmals junge Leute aus, die erst 16 sind. Wir bieten eine abwechslungsreiche Vollausbildung und schaffen damit einen sicheren, attraktiven Berufseinstieg.
Vielen Dank für das offene und informative Gespräch
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