Wenn das Gehirn rotiert - Warum ein effektiver Kopfschutz auch vor Rotationsenergie schützen sollte
Schutzhelme bieten im Allgemeinen nur unzureichenden Schutz vor schrägen Stößen. Das Mips-Sicherheitssystem wurde entwickelt, um die gefährlichen Rotationsbewegungen, die bei einem schrägen Aufprall auftreten, umzulenken. Die Mips-Technologie hat sich in vielen anderen Bereichen wie Radfahren, Skifahren und Motorsport seit Jahren bewährt.
Wenn einem etwas auf den Kopf fällt, dann trifft es selten direkt die Mitte des Kopfes. Der Aufprall erfolgt vielmehr zumeist außermittig oder in einem Winkel. Ein Schutzhelm schützt zwar vor linearen Kräften, aber ein Streifstoß kann auch tangentiale Kräfte zwischen Helm und Schädel verursachen, die den Kopf in eine Drehbewegung versetzen. Die Rotationsbewegung kann erhebliche Schäden verursachen, da das Gehirn empfindlich auf Rotationsbewegungen reagiert. Das Mips-Sicherheitssystem für Industrie-Sicherheitshelme soll hier zusätzlichen Schutz bieten. Welche Auswirkungen die Rotationsenergie auf das menschliche Gehirn haben kann, wie das Mips-Sicherheitssystem davor schützt und wie es Rotationsbewegungen vom Kopf umleitet, erläutert Max Strandwitz, Geschäftsführer von Mips, gegenüber GIT Sicherheit.
GIT SICHERHEIT: Herr Strandwitz, Mips ist ein Name, der vor allem im Reit-, Rad- und Motorsport seit langem bekannt und gesetzt ist. Zuletzt hat Mips in Kooperation mit Uvex erstmals auch Arbeitsschutzhelme für den deutschen Markt mit dem Mips Sicherheitssystem ausgestattet. Doch warum eignet sich das System gerade auch für den Arbeitsschutz?
Max Strandwitz: Das Helmtechnologieunternehmen Mips ist bekannt für seine Lösungen im Bereich Sport- und Motorradhelme und erfreut sich bei Skifahrern und Radfahrern großer Beliebtheit. Nun sind wir mit führenden PSA-Herstellern Partnerschaften eingegangen, um das Mips-Sicherheitssystem auch in Schutzhelme zu integrieren.
Ziel ist es, den Schutz des Kopfes zu verbessern, indem schädliche Rotationsbewegungen, die durch einen schrägen Aufprall verursacht werden, z. B. wenn ein Arbeiter stürzt oder von einem herabfallenden Objekt getroffen wird, umgeleitet werden. Dadurch soll das Risiko von Gehirnverletzungen verringert werden.
Wer viel Zeit auf einer Baustelle verbringt, weiß, dass Kopfverletzungen Teil der Arbeit sein können. Meistens handelt es sich dabei um kleinere Stöße, aber manchmal können es auch härtere Schläge sein. Häufige Unfälle sind Schläge gegen die Seite des Kopfes, herabfallende Gegenstände, Ausrutschen, Stolpern oder Stürze. Kopfstöße erfolgen nicht immer in einer linearen/geradlinigen Bewegung. Es handelt sich vielmehr oft um schräge Aufprallwinkel, die eine Rotationsbewegung des Kopfes verursachen können. Trotz der weit verbreiteten und meist obligatorischen Verwendung von Sicherheitshelmen besteht für Bau- und Industriearbeiter immer noch die Gefahr von Kopfverletzungen, einschließlich diffuser Axonverletzungen und Gehirnerschütterungen.
Deshalb ist es wichtig, Kopfverletzungen zu verstehen. Der Begriff “Kopfverletzung” umfasst eine Vielzahl von Verletzungen, die an der Kopfhaut, dem Schädel, dem Gehirn sowie dem darunter liegenden Gewebe und den Blutgefäßen im Kopf auftreten. Als Schädel-Hirn-Trauma (SHT) werden Verletzungen des Gehirns bezeichnet, die durch Unfälle oder physische Gewalt verursacht werden. Ein SHT kann durch einen Stoß, einen Schlag oder eine Erschütterung des Kopfes oder einen Treffer am Körper verursacht werden, der den Kopf und das Gehirn schnell hin und her bewegt.
Schädel-Hirn-Traumata treten in verschiedenen Formen auf. Die häufigste Form sind leichte Schädel-Hirn-Traumata oder Gehirnerschütterungen. Wenn man sich den Kopf an einer Schranktür stößt, stürzt oder sich beim Sport verletzt, kann dies zu einem dieser leichten Traumata führen. Die häufigste Art von Schädel-Hirn-Trauma ist die Gehirnerschütterung, die bis zu 75 % aller Schädel-Hirn-Trauma-Fälle ausmacht. Diese Verletzungen sind weitaus häufiger, als man denkt. 50 % der schweren Unfälle werden nicht diagnostiziert oder bleiben unentdeckt, und 90 % der diagnostizierten schweren Unfälle gehen nicht mit einem Bewusstseinsverlust einher.
Bei einem seitlichen Aufprall auf einen Sicherheitshelm, entsteht, wie sie gerade geschildert haben, Rotationsenergie. Wie wird diese übertragen und welche konkreten Auswirkungen hat sie auf das menschliche Gehirn?
Max Strandwitz: Das menschliche Gehirn ist ein faszinierendes Gebilde – aber empfindlich, vor allem gegenüber Rotationsbewegungen. Fast alle Kopfstöße erzeugen aber eine Drehbewegungen, die das Hirngewebe belasten und zu leichten oder schweren Hirnverletzungen führen können.Das Gehirn und der Liquor (Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit) füllen den größten Teil des Schädels aus. Sowohl das Hirngewebe als auch die Flüssigkeit sind nahezu inkompressibel, so dass sich das Gehirn bei einem geraden Aufprall nicht viel bewegt. Eine Drehbewegung des Kopfes jedoch kann eine Rotation des Gehirns im Schädel bewirken. Dies kann zu einer Relativbewegung zwischen dem Schädel und dem Gehirn führen, da die Schersteifigkeit von Gehirn und Gehirnflüssigkeit gering ist, was entweder zu einer Verletzung des Hirngewebes oder einem Riss der Blutgefäße führen kann, was wiederum ein Schädel-Hirn-Trauma verursachen kann.
Im Arbeitsschutz existieren seit langem Normen, die ein Arbeitsschutzhelm in verschiedenen Anwendungen erfüllen sollte. Zu nenne sind hier u. a. die EN397 für industriellen Kopfschutz, die EN12492 für Kletterhelme sowie die EN14052 für Hochleistungs-Industrie-Schutzhelme. Greifen diese Normen Ihres Erachtens zu kurz und wenn ja warum?
Max Strandwitz: Herkömmliche Schutzhelme wurden für gerade Stöße entwickelt und getestet und schützen vor Verletzungen wie Schädelbrüchen. Sie sind jedoch oft nicht für Drehbewegungen ausgelegt, die bei einem schrägen Aufprall entstehen. Studien haben gezeigt, dass das Gehirn auf Drehbewegungen (schräge Stöße) empfindlicher reagiert als auf lineare Bewegungen (gerade Stöße). Leider gibt es derzeit keine Rotationstests im Rahmen der Industriehelm-Norm EN397. Dennoch sollten sich die Helmträger darüber im Klaren sein, dass die Norm nur die Mindestanforderung darstellt. Wie der Aufpralltest nach EN397 zeigt, sind Schutzhelme relativ gut in der Lage, lineare Stöße zu absorbieren. Das Problem entsteht, wenn man einen Aufprall hat und eine Rotationsbeschleunigung erfährt.
Der Helm erfasst dann den Kopf bzw. Schädel, wenn er sich dreht und dreht ihn mit der Richtungskraft des Aufpralls. Das passiert nicht nur beim Ausrutschen, Stolpern oder bei Stürze von der gleichen oder einer höheren Ebene, sondern auch durch Schläge von herabfallenden Gegenständen. Dazu können auch seitliche Schläge von Maschinen gehören. Die Normen EN12492 für Kletterhelme und EN14052 für Hochleistungs-Industrieschutzhelme bieten zusätzlichen Schutz, da diese auch auf seitliche, frontale oder rückseitige Stöße geprüft werden. Dennoch erfolgen diese Stöße immer linear durch die Mitte des Kopfes. Zudem ist die Kopfform bei den Tests starr montiert, so dass keine Drehung des Kopfes möglich ist, weshalb mit dieser Prüfmethode der Rotationsschutz nicht gemessen werden.
Das Mips-Sicherheitssystem soll hier einen deutlich verbesserten Schutz bieten! Wie genau funktioniert das?
Max Strandwitz: Das Mips-Sicherheitssystem besteht aus einer reibungsarmen Schicht im Inneren des Helms, die bei bestimmten schrägen Stößen eine multidirektionale Bewegung von 10 – 15 mm ermöglicht. Bei einem Unfall und einen Stoß auf den Kopf soll das Mips-Sicherheitssystem dazu beitragen, die Rotationsbewegung bestimmter Stöße, die sonst auf den Kopf übertragen werden könnten, umzulenken. Dadurch wird das Risiko von Gehirnverletzungen verringert. Schutzhelme, die mit dem Mips-Sicherheitssystem ausgestattet sind, bieten ihren Trägern also zusätzliche Sicherheit über die Norm hinaus.
Angenommen, ich möchte einen Arbeitsschutzhelm mit Mips Sicherheitssystem entwickeln. Wie genau sähe die Zusammenarbeit aus? Und wie stellt Mips die Funktionalität sicher?
Max Strandwitz: Da alle Mips-Lösungen auf das jeweilige Helmmodell und die Helmgröße zugeschnitten sind, müssen Sie sich direkt an Mips wenden, damit wir gemeinsam besprechen können, wie die Lösung am besten in den jeweiligen Helm integriert werden kann.
Abschließend wäre es interessant zu erfahren, für welche Anwendungsbereiche im Arbeitsschutz sie das größte Anwendungspotential sehen?
Max Strandwitz: Baugewerbe, Öl- und Gasindustrie, Bergbau, eigentlich in allen Berufen, in denen die Gefahr eines schrägen Aufpralls auf den Kopf besteht. Jeder, der einen Schutzhelm als Teil seiner persönlichen Schutzausrüstung (PSA) tragen sollte oder muss, kann potenziell in einem schrägen Winkel getroffen werden, und das Mips-System kann daher eine wichtige Rolle spielen.