Ein kritischer Blick auf die Praxis des Brandschutzes – Teil 2
Brandschutzfachplaner fordern gelegentlich eher das teure Maximum als das Optimum. Dies geschieht aus Unsicherheit oder dient dazu, sich selbst abzusichern – sagt Dr. Wolfgang J. Friedl, Ingenieurbüro Sicherheitstechnik aus München in seinem zweiteiligen kritischen Beitrag zur Praxis des Brandschutzes. Im ersten Teil widmete sich der Autor unter anderem dem Einsatz von Sprinkleranlagen und dem Thema Rauchmelder. Im folgenden zweiten Teil schließt der Autor mit Anmerkungen zu Handfeuerlöschern, Löschspraydosen und Fluchtwegbeschilderungen ab.
Ein kritischer Blick auf die Praxis des Brandschutzes – Teil 1
Wie alle technischen Regeln erlaubt die ASR A 2.2 ausdrücklich Abweichungen. Doch davon wird meist kein Gebrauch gemacht. So sagt die ASR beispielsweise, dass bei 1.200 m² 42 LE nötig sind, wo hingegen ein Büro mit lediglich 100 m² 9 LE benötigt und eines mit 300 m² schon 15 LE. Somit könnte man in dem Großraumbüro also 4 AB-Schaumlöscher à 10 LE oder fünf Wasserlöscher à 9 LE anbringen und jeweils noch einen Kohlendioxid-Handfeuerlöscher mit 5 LE: im ersten Fall kämen wir auf 45 LE, im zweiten Fall auf 41 LE – hier bräuchten wir also noch eine – heute übrigens ministeriell erlaubte – Lösch-Spraydose mit 2 LE, um mit 43 die geforderte Zahl von 42 nicht zu unterbieten.
Doch nun erlaubt diese ASR ja, dass unterschiedliche Firmen auf einer Ebene Handfeuerlöscher gemeinsam nutzen können. Das ist auch sinnvoll, denn es wird nicht zeitglich bei A und B aus jeweils unterschiedlichen Gründen brennen – und wenn doch (z. B. Brand vieler Geräte wegen eines Blitzeinschlags), dann handelt es sich nicht mehr um einen Entstehungsbrand und die Flucht aller steht im Vordergrund.
Zurück zum genannten Beispiel: vier Firmen A, B, C und D nutzen jetzt je zu 25 % diese offene Bürofläche von 1.200 m², jede mit 300 m². Somit wäre es lt. ASR A 2.2 akzeptabel, wenn man 15 LE anbringt und nicht 42 LE! Da kein Unterschied besteht, ob die Bürofläche von A, B, C und D oder lediglich von A gesamt genutzt wird, kann man also immer nur 15 LE bereitstellen, ohne dass ein brandschutztechnischer Nachteil entsteht. Und 15 LE bekommt man mit einem Schaumlöscher à 10 LE und einem CO2-Löscher mit 5 LE hin. Wer mir hier einen Fehler nachweisen kann, möge sich bitte melden; das gilt auch für all diejenigen, die hier eine Erhöhung der Brandgefährdung erkennen wollen.
Bleiben wir noch in dem offenen Großraumbüro mit 1.200 m², was übrigens baurechtlich grundsätzlich erlaubt ist. Die Frage muss kritisch und ehrlich beantwortet werden, ob denn auf 100, 300 oder 1.200 m² Bürofläche die Brandgefahr größer wird und ob deshalb mehr Handfeuerlöscher nötig sind. Natürlich ist die Brandschadenhäufigkeit größer bei 50 PCs als bei einem PC – aber warum deshalb mehr Handfeuerlöscher?
Wer wirklich weiß, wie leistungsfähig eine Löschspraydose mit bereits 2 LE ist, der weiß auch, dass ein Löscher mit 9 LE ein Volumen von 756 l, das zu 50 % mit Luft und zu den verbleibenden 50 % mit Holz gefüllt ist, löschen kann. 756 l Volumen – ein Papierkorb hat 10 l und somit kann der Löscher also knapp 76 volle und brennende Papierkörbe löschen. Man erkennt sehr schnell, dass eigentlich eine Löschspraydose hierfür im Büro ausreicht. Denn Brandschutz-Amateure müssen ja lediglich kleine und noch harmlose Entstehungsbrände löschen können. Auch hier ist es so, dass von vielen Seiten (Fachfirma, Brandschutzbeauftragter, Bereichsleitung, Firmenchefs) kein Interesse an einer Optimierung besteht.
Löschsprays
„Wenn alle Firmen mit Löschspraydosen ausgestattet sind, kann ich drei meiner fünf Leute entlassen“ – das sagte mir ein Inhaber eines Handfeuerlöscher verkaufenden Unternehmens. Dort werden dann Kunden a) nicht auf die Möglichkeit des Einsatzes dieser Löschgeräte hingewiesen und b) werden diese sinnvollen, hochwertigen Produkte von dem Unternehmen auch nicht angeboten.
Die ASR A 2.2 erlaubt, anders als der Vorläufer BGR 133 auch die Prüfung der Handfeuerlöscher individuell zu sehen. Also nicht alle zwei Jahre, sondern nach drei oder vier Jahren oder noch länger. Eine Firma bietet sogar Handfeuerlöscher an, die zehn Jahre wartungsfrei bleiben können – dann aber ausgetauscht werden müssen und nicht prüfbar sind.
Vielleicht der wichtigste Punkt: in Küchen mit Pfannen und Fritteusen sind geeignete Fettbrand-Löscher sinnvoll und wirksam. CO2-Löscher sind uneffektiv, Pulver ist zerstörend, Schaumlöscher mit Kartusche ggf. tödlich und Wasserlöscher auch. Löschdecken bei Küchenbränden sind seit dem Jahr 2000 nicht mehr zulässig in Küchen (vgl. BGN, Mitteilung 9.14). Doch man findet die falschen Löscher und Löschdecken selbst heute noch von Brandschutz-„Profis“ empfohlen.
Löschsprays werden sich durchsetzen – sie sind 1998 erstmalig auf den Markt gekommen wurden polemisch bekämpft und setzen sich nach einem viertel Jahrhundert erst (zu langsam) durch: tragisch für ein modernes Industrieland!
DIN-Beschilderungen
Insbesondere Berufsgenossenschaften kritisieren bei den Begehungen in Unternehmen häufig sogenannte Mischbeschilderungen. Das sind DIN-gerechte Schilder, die in den Piktogrammen untereinander marginal abweichen. Über Jahre und Jahrzehnte ändern sich minimal die Farben, die Formen und die Gestaltung, doch ist für jede Person auch auf alten Schildern deren Bedeutung erkennbar. Daraus ein sicherheitstechnisches Problem zu machen ist schon etwas Besonderes. Blicken wir als fähige Fachleute also bitte auf das Wesentliche, das Relevante und verzetteln wir uns nicht in kleingeistigen, völlig unbedeutenden Streitereien.
Fluchtwege sind auszuschildern, so sie nicht eindeutig erkennbar sind. Ob dann ein Pfeil, eine Tür und ein Strichmännchen in weiß auf einem grünen Rechteck abgebildet sind, oder ob das Strichmännchen grün in der weiterhin weißen Tür abgebildet ist, sollte kein Thema sein, das uns Fachleute tatsächlich beschäftigt.
Abschlusskommentar
Erkennen wir, was wirklich wichtig ist. Jede Entscheidung erfordert Fachwissen und die Fähigkeit, Wertungen vorzunehmen. So kommt man zu optimalem und nicht maximalem Brandschutz – bezahlbar, effektiv und effizient: Eine Mischung aus baulichen, anlagentechnischen, abwehrenden und – meist am wichtigsten – vielen organisatorischen Brandschutzmaßnahmen.
Sowohl die ASR A 2.2 als auch die TRGS 800 enthalten viele stichpunktartig aufgeführte Hinweise, welche Methoden angeboten werden. Weitere sind den Bauordnungen, der VdS 2038 oder der DGUV Vorschrift 1 zu entnehmen. Wir brauchen keine neuen Bestimmungen. Wir müssen die vorhandenen einfach kennen und anwenden.
Sind die aufgeführten Situationen denn die Probleme, die uns ernsthaft bewegen – und wenn wir uns daran halten, wird die Welt wirklich sicherer (und nicht einfach nur teurer)? Ich habe manchmal das Gefühl, dass wir uns im Brandschutz, aber auch in der Gesellschaft und in der Politik mit Nebensächlichkeiten beschäftigen und den Blick für die eigenen, realen Probleme verlieren.
Glücklicherweise sind wir Techniker und Ingenieure mit einem erlernten Beruf. Wir sind in der Lage, objektiv und konstruktiv miteinander und nicht übereinander zu sprechen. Wir können Situationen werten und uns eine fachlich fundierte Meinung bilden. Machen wir davon Gebrauch!