Wie Unternehmen und Polizei zusammenarbeiten

Julia Vincke leitet seit 2022 die Unternehmenssicherheit der BASF in Ludwigshafen und Bettina ­Rommelfanger arbeitet seit vielen Jahren als Polizeibeamtin und war international in einer Vielzahl von Projekten präventiver Polizeiarbeit tätig. Beide kennen sich seit ­langem persönlich – und teilen viele Schnittstellen ihrer jeweiligen Interessen und Tätigkeitsfelder. GIT SICHERHEIT sprach mit ihnen über ihre aktuell drängendsten Herausforderungen und ins­besondere über die Zusammen­arbeit zwischen Polizeibehörden und Unternehmen.

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Julia Vincke (r.), Leiterin der Unternehmens­sicherheit der BASF in Ludwigshafen, und Bettina Rommelfanger, Polizeivollzugsbeamtin beim Landes­kriminalamt Baden-Württemberg (LKA BW)
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GIT SICHERHEIT: Frau Vincke, Frau Rommelfanger, wir möchten heute ein paar aktuelle Fragen­komplexe der Sicherheit um­kreisen, die insbesondere die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Polizeibehörden betreffen. Vielleicht können wir mit einer kleinen Vorstellungsrunde starten...?

Julia Vincke: Ich bin studierte Kriminologin und habe in den vergangenen 25 Jahren umfassende Erfahrungen in verschiedenen Führungsfunktionen innerhalb der niedersächsischen Polizei, bei Auslandseinsätzen für die Europäische Union in Afghanistan und Libyen sowie in mehreren Wirtschaftsunternehmen, gesammelt. Seit 2022 leite ich die Unternehmenssicherheit der BASF in Ludwigshafen, an die seit Oktober 2023 auch die Task Force gegen sexuelle Belästigung und Diskriminierung angegliedert ist. Zudem engagiere ich mich stark für das Thema „Frauen in der Sicherheit“ und bin Vorstandsmitglied in der ISMA, einer internationalen Sicherheitsvereinigung. 

Bettina Rommelfanger: Ich bin seit 25 Jahren Polizeivollzugsbeamtin und blicke auf 15 Jahre Führungserfahrung in verschiedenen Bereichen zurück, von der Leitung eines Polizeireviers über die Leitung der Landeskriminalprävention bis zur Stabsleitung im Landeskriminalamt Baden-Württemberg (LKA BW). In diesem Kontext unterstütze ich in zahlreichen internationalen Projekten die Entwicklung präventiver Polizeiarbeit u. a. auf dem Balkan und in Jordanien. Im Auftrag der Landesregierung habe ich seit Dezember 2021 eine Task Force gegen Hass und Hetze als eigenen Stabsbereich im LKA BW aufgebaut und die „Initiative Toleranz im Netz“ ins Leben gerufen (www.initiative-toleranz-im-netz.de). Im Fokus meiner Arbeit steht das Erkennen von Bedrohungen durch Hasskriminalität und Hassrede sowie das Initiieren und Umsetzen von Maßnahmen zur Steigerung der Medienkompetenz. Ich bin in dieser Funktion Teil eines europäischen Expertennetzwerks und Beiratsmitglied der Meldestelle „Respect!!“ sowie des Bundesprojekts „Kommunale Allianzen und Strategien gegen Rassismus und Hass“ (KommA).

Sie beschäftigen sich ja beide in Ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich mit den verschiedensten Fragen der Kriminalität bzw. Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Doch trotz dieser Schnittmenge sind, wenn es um Straftaten geht, Unternehmen und Polizeibehörden ja in ganz verschiedenen Rollen unterwegs...

Bettina Rommelfanger: Jeder Anfangsverdacht einer Straftat verpflichtet die Polizei gemäß § 163 Strafprozessordnung ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Ein Ermessensspielraum ist im Bereich der Gefahrenabwehr eingeräumt und gibt uns die Möglichkeit, unser Vorgehen an tatsächlichen Lebenssachverhalten zu orientieren. So können wir beispielsweise entscheiden, ob und wie wir vorgehen, wenn Gefahren abzuwehren sind, um dabei so schonend und angemessen, wie möglich in die Grundrechte Betroffener einzugreifen.

Frau Vincke, für einen Sicherheitsverantwortlichen in Wirtschaftsunternehmen gelten die verwaltungsrechtlichen Prinzipien wie sie für die Polizei gelten nicht. Dennoch haben Sie zum Beispiel bei BASF einen eigenen Ermittlungsdienst. Wie sieht das genau aus?

Julia Vincke: Nachdem das von der Bundesregierung geplante Verbandssanktionsgesetz nie in Kraft getreten ist, haben Wirtschaftsunternehmen keinen Strafverfolgungszwang. Unser interner Ermittlungsdienst handelt im Auftrag des Unternehmens, um Regelverstöße und strafbare Handlungen aufzuklären. In diesem Zusammenhang arbeiten wir eng mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen, dürfen aber personalpolitische Interessen nicht außer Acht lassen. Generell sind unsere Eingriffsbefugnisse eingeschränkter als die der Polizei, wir dürfen beispielsweise keine hoheitlichen Maßnahmen durchführen.

Was für Straftaten sind das? Entspricht das proportional der allgemeinen Kriminalitätsstatistik?

Julia Vincke: Unser Stammwerk in Ludwigshafen ist eine Stadt in der Stadt. Mit ca. 10 km² und über 38.000 Mitarbeitern bilden wir den Querschnitt der Gesellschaft, auch wenn es um die Begehung von Straftaten geht. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass sich fast alle außerhalb der Werksgrenzen begangenen Straftaten auch innerhalb unseres Werks ereignen. Dazu gehören Eigentumsdelikte, Verstöße gegen das Betäubungs- und Waffengesetz, Körperverletzung, Sachbeschädigung, sexuelle Belästigung und vieles mehr. Die aktuelle Kriminalstatistik deckt sich zudem ziemlich genau mit den Entwicklungen, die wir als Unternehmenssicherheit feststellen und untersuchen.

Wie arbeiten hier Unternehmen und Polizeibehörden zusammen? Gibt es bestimmte standardisierte Prozesse – seien diese gesetzlich geregelt oder zur Erleichterung der Praxis installiert?

Julia Vincke: Grundsätzlich pflegen wir eine sehr enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit allen Sicherheitsbehörden, natürlich unter Berücksichtigung von Geheimhaltungsbedarfen. Das gilt sowohl für die Verfolgung von Straftaten als auch für die Planung und Durchführung von Großveranstaltungen wie zum Beispiel unserer Jahreshauptversammlung und für Großschadenereignissen. Eine gesetzliche Regelung der Zusammenarbeit gibt es hier nicht. 

Bettina Rommelfanger: Planbare Einsätze, z. B. Großschadenslagen, werden grundsätzlich zwischen Polizei und Wirtschaftsunternehmen stabsmäßig vorbereitet, um im Ernstfall Örtlichkeit und Erreichbarkeiten zu kennen und lageangemessen einschreiten zu können.

Darüber hinaus wird die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und der Polizei anhand konkreter Einzelfälle und Bedarfe ausgerichtet. Das Landeskriminalamt ist zuständig für schwere und organisierte Kriminalität und arbeitet vor diesem Hintergrund mit betroffenen Firmen zusammen.

Im Falle von uns bekanntwerdenden Straftaten richten sich alle polizeilichen Maßnahmen grundsätzlich nach der Strafprozessordnung. So unterscheidet sich die Beweissicherung im Rahmen eines Strafverfahrens im Bereich der IT-Forensik im Kontext eines Cyberangriffes auf ein Unternehmen nicht wesentlich vom Vorgehen eines IT-Dienstleisters. Es bietet sich im Falle von Cyberkriminalität immer die Möglichkeit, arbeitsteilig und kollaborativ bei der Sicherung von Daten vorzugehen sowie die gesicherten Daten und daraus gewonnene Erkenntnisse zwischen Polizei, geschädigtem Unternehmen und ggf. von diesem beauftragten IT-Dienstleister auszutauschen. Das zeitnahe Einbinden der Polizei bietet daher den betroffenen Unternehmen auch eine Entlastung ihrer eigenen knappen Ressourcen – insbesondere in solchen Krisensituationen, wie einem Cyberangriff – und unterstützt einen zeitnahen Erkenntnisgewinn über das konkrete Vorgehen der Täter.

Frau Vincke, Sie haben bei BASF eine spezielle Task Force, die sich um den Diebstahl von Edel-und Buntmetallen wie Kupfer kümmert. Warum ist die so wichtig?

Julia Vincke: Der Diebstahl von Edel- und Buntmetallen hat sich für viele Unternehmen zu einem Problem mit erheblichen finanziellen Auswirkungen entwickelt. Anreiz für Täter sind der hohe Marktwert von Metallen und die vergleichbar leichte Zugänglichkeit. Ziele sind Infrastruktur, Bauwesen und Industrie. Dieses Phänomen birgt nicht nur Sicherheitsrisiken wie Stromausfälle im öffentlichen Verkehr, sondern auch wirtschaftliche Verluste durch den Ersatz gestohlener Materialen sowie Betriebsunterbrechungen. Das betrifft auch unser Werk in Ludwigshafen. Im Jahr 2023 hatten es hier Tätergruppierungen besonders auf kupferhaltige Erdkabel abgesehen. Als Gegenpol haben wir eine neue Task Force eingerichtet, die bereits deutliche Erfolge vorzuweisen hat.

Woran arbeitet diese Task Force genau?

Julia Vincke: Unsere Task Force hat vielschichtige Maßnahmen zur Prävention, aber auch zur Identifizierung von Tätern ergriffen. Dazu gehören Sensibilisierungskampagnen, aber auch den Einsatz von Sicherheitstechnik, zentralisierte Lagerung, Markierung und Registrierung sowie die Zusammenarbeit mit Schrottplätzen. Zudem haben wir den Kontrolldruck in unserem Werk durch unsere Standortsicherheit erhöht.

Ein großes Problem ist zunehmend das große Feld der Organisierten Kriminalität. Laut Bundeslagebild des BKA war in Deutschland 2022 ein Schaden von 1,3 Milliarden Euro auf sie zurückzuführen. Dieses Lagebild weiß zudem von zunehmender Gewaltbereitschaft zu berichten – und von einem zunehmenden Bedrohungspotenzial, befeuert durch Migrationsbewegungen, Digitalisierung und Inflation. Wie nehmen Sie das bei BASF wahr?

Julia Vincke: Organisierte Kriminalität hat viele Gesichter und ist eine zunehmende Herausforderung für Sicherheitsbehörden und Wirtschaftsunternehmen. Sie reicht von klassischer Wirtschaftskriminalität, über Cyberkriminalität, Drogen- und Menschenhandel, Waffenschmuggel, Umweltdelikte und Industriespionage bis hin zu physischen Bedrohungsszenarien. Die Polizeibehörde Europol hat kürzlich mehr als 800 schwerkriminelle Netzwerke mit 25.000 Mitgliedern identifiziert, die die Sicherheit in der Europäischen Union bedrohen.

Organisierte Kriminalität stoppt weder vor Werksgrenzen noch vor Landes- oder Kontinentalgrenzen. In diesem Zusammenhang spricht man deswegen auch von einem transnationalen Phänomen. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass nicht nur Sicherheitsbehörden, sondern auch Wirtschaftsunternehmen Strategien entwickeln müssen, um organisierte Kriminalität zu bekämpfen. Das ist besonders herausfordernd, wenn sowohl die geopolitische Lage als auch die daraus resultierende Sicherheitslage sich zunehmend verschärfen und möglicherweise Sicherheitsvakuen entstehen, die von Netzwerken, der organisierten Kriminalität ausgenutzt werden.

Welche Strategien haben Sie insoweit installiert – und wie sind Sie hier organisatorisch aufgestellt?

Julia Vincke: Unsere Aufgabe als Unternehmenssicherheit ist es, unsere Mitarbeiter und unsere materiellen und immateriellen Unternehmenswerte zu schützen. Das ist eine große Verantwortung, die wir sehr ernst nehmen. Jedoch stellt organisierte Kriminalität Sicherheitsbehörden und auch uns vor vielseitige Herausforderung, da sie nicht immer gleich zu erkennen ist. Wir sitzen also im gleichen Boot.

Ein proaktiver und umfassender Ansatz des Risikomanagements ist unerlässlich, um diese Angriffe abzuwehren. Dazu gehören beispielweise der Einsatz von Sicherheitstechnologien, strenge Zugangskontrollen und sicherheitsüberprüftes Personal. Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Wirksamkeit von Compliance-Programmen, welche Ethikrichtlinien und Verhaltenskodizes beinhalten. Regelmäßige Schulungen unterstützen uns auch dabei, das Bewusstsein von Mitarbeitenden für Risiken zu schärfen und sie in die Lage zu versetzen, verdächtige Aktivitäten zu erkennen und zu melden. Wir arbeiten sehr eng mit unterschiedlichen Organisationseinheiten in der BASF zusammen, um uns breit aufzustellen und rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergreifen zu können.

 

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Wie sieht diesbezüglich die Zusammenarbeit mit den Polizei­behörden aus?

Julia Vincke: Die Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden ist in diesem Zusammenhang unerlässlich. Wir pflegen einen sehr engen Austausch mit allen Sicherheitsbehörden, auf Lokal-, Landes- und Bundesebene. In diesem Zusammenhang spielt auch der Informationsaustausch eine wichtige Rolle, von dem sowohl Sicherheitsbehörden als auch Wirtschaftsunternehmen nur profitieren und entsprechende Lagebilder erstellt werden können. 

Bettina Rommelfanger: Unter Organisierter Kriminalität wird im polizeilichen Bereich eine Vielzahl an kriminellen Handlungen verstanden und sie betrifft auch Wirtschaftsunternehmen. In allen zuvor aufgeführten Phänomenbereichen führt das LKA BW aktuelle Ermittlungen, aus denen ich natürlich nicht berichten kann. Die guten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen in Baden-Württemberg sind schlichtweg ein Anreiz für kriminelle Organisationen und werden für deren Aktivitäten genutzt. Im Bereich der Organisierten Kriminalität ist zudem das Schweigegebot ein wesentliches Merkmal und erschwert die Ermittlungen. Zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität sind wir daher neben technischen Möglichkeiten auch auf Hinweise aus den Unternehmen angewiesen.

Bei unserer Abteilung 3, die sich mit Wirtschaftskriminalität und Korruption befasst, wurde bereits 2012 das anonyme Hinweis­gebersystem BKMS (Incident Reporting System) eingerichtet. Mit dem Hinweisgebersystem besteht die Möglichkeit auf der Homepage der Polizei Baden-Württemberg (www.polizei-bw.de/#bkms) und garantiert anonym der Polizei Straftaten zur Kenntnis zu bringen. Ursprünglich wurde das BKMS zur Bekämpfung von Korruption und Wirtschaftskriminalität eingerichtet. Zwischenzeitlich wird es auch im Bereich des islamistischen Extremismus und Terrorismus, Linksextremismus und Antisemitismus eingesetzt. Das System wird durch das LKA BW betreut und bietet ein Höchstmaß an Anonymität und Datensicherheit – gerade denjenigen, die negative Auswirkungen auf ihre berufliche Situation oder persönliche Sicherheit befürchten, bietet es den notwendigen Schutz.

Können Sie das eine oder andere Beispiel nennen?

Julia Vincke: Wir arbeiten fast täglich mit Sicherheitsbehörden zusammen. Wie bereits beschrieben, unterscheidet sich unsere interne Kriminalstatistik nicht wesentlich von der behördlich veröffentlichten. Im Rahmen eines komplexen Ermittlungsverfahrens haben wir in der jüngsten Vergangenheit über ein Jahr in einem sehr engen Schulterschluss mit den lokalen Polizeibehörden zusammengearbeitet. Die chemische Industrie unterliegt strengen Regulierungen, zum Beispiel der Grundstoffüberwachung. Auch in diesem Zusammenhang ist eine Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden unverzichtbar. Gleiches gilt für die sehr aktuellen Entwicklungen im Bereich der Spionage und Sabotage.

Bettina Rommelfanger: Genau, gerade im Bereich der Grundstoffüberwachung besteht eine enge Zusammenarbeit zwischen der Polizei, dem Zoll und den Wirtschaftsunternehmen zum frühzeitigen Erkennen von potentiellen Gefahren und missbräuchlichen Verwendungen von sensiblen Chemikalien, welche entweder Drogenausgangsstoffe sind bzw. für die Synthese bestimmter Betäubungsmittel benötigt werden.

Im Rahmen einer engen Kooperation werden Bestellvorgänge solcher Chemikalien durch Privatpersonen oder Firmen bei Chemieunternehmen in Baden-Württemberg an das LKA BW übermittelt. Diese Bestellvorgänge werden umfangreich auf Plausibilität zur legalen Nutzung geprüft bzw. wird ergänzend eine Endverbleibserklärung beim Kunden angefordert. Anschließend erfolgt eine Rückmeldung an das beteiligte Unternehmen, ob eine Freigabe der Bestellung erfolgen kann.

Darüber hinaus besteht ein enger Kontakt zum BKA in Wiesbaden, das örtlich für die BASF zuständig ist, welches seinerseits enge Kontakte zu entsprechenden Wirtschaftsunternehmen im Bundesgebiet pflegt und vorliegende Erkenntnisse zu verdächtigen Chemikalienbestellungen sowie dem Versand von Grundstoffen mit Bezug nach Baden-Württemberg an hiesige Dienststelle übermittelt.

Im Bereich der Bekämpfung von organisierter Cyberkriminalität bestehen in Baden-Württemberg vielfältige Formen der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Unsere Zentrale Ansprechstelle Cybercrime (ZAC) für Wirtschaftsunternehmen führt in Zusammenarbeit mit Kammern und Unternehmensverbänden unterschiedliche Präventionsveranstaltungen durch, welche über Vorträge zu aktuellen Phänomenen, dem Vorgehen der Täter und entsprechende Schutzmaßnahmen bis hin zur Durchführung von Cyberkrisenplanspielen reichen.

Neben Kooperationen mit anderen Landeskriminalämtern und dem BITKOM-Verband ist die wichtigste „Kooperationsform“ zur effektiven Bekämpfung der Cyberkriminalität zwischen Wirtschaftsunternehmen und Polizei die niederschwellige und zeitnahe Meldung von Cyberangriffen über die ZAC.

Kriminalität dieser Art kommt massiv aus Ländern wie Russland und China. Dann gibt es auch radikalisierte Aktivisten. Solche Dinge kann man nur im großen Maßstab – also auf Bundes- und Europaebene angehen. Wie ist Ihre Sichtweise diesbezüglich? Wird hier genug getan? Was sind hier Ihre Forderungen und Vorstellungen aus Sicht der Unternehmenssicherheit?

Julia Vincke: Die Sicherheit in Deutschland und der Wirtschaftsschutz sind für BASF ein wichtiges Anliegen. In den letzten Monaten haben wir uns, in enger Zusammenarbeit mit anderen Sicherheitsverantwortlichen aus der Wirtschaft und dem Bundesinnenministerium, stark bei der Entwicklung von Eckpunkten der ersten deutschen Wirtschaftsschutzstrategie engagiert. Diese Eckpunkte wurden im Februar im Rahmen der Münchener Sicherheitskonferenz vorgestellt. In den Eckpunkten geht es auch um den Schutz Kritischer Infrastrukturen vor Sabotage, Wirtschaftsspionage oder linksextremistischen Angriffen. In diesem Zusammenhang haben wir alle sowohl die jüngsten Angriffe auf die Automobil- und Rüstungsindustrie als auch den Skandal um die sogenannten Vulkan Files und steigende Festnahmen chinesischer Spione vor Augen.

Deswegen ist es jetzt Zeit zu handeln und die Eckpunkte in eine umfassende Strategie zu überführen. Es reicht nicht, das Thema Wirtschaftsschutz nur temporär auf die Agenda zu rufen und dann wieder in einer Schublade verschwinden zu lassen. Wir brauchen eine nachhaltige Strategie. Um es noch deutlicher zu sagen, hier wird noch nicht genug getan und ich wünsche mir ein größeres Engagement seitens der Bundesregierung.

Frau Rommelfanger, Sie leiten eine Task Force zum Thema Hass und Hetze – das ist ebenfalls ein Thema, das Polizeibehörden und Unternehmen gleichermaßen beschäftigt. Können Sie uns einmal auf den Punkt bringen, wie die Situation hier ist, ab welcher Schwelle es kriminell wird und wie die Task Force arbeitet?

Bettina Rommelfanger: Zunehmende Hasskriminalität und Hassrede betrifft sowohl Einzelpersonen als auch Unternehmen und stellt eine Herausforderung für unsere Gesellschaft dar. Dies belegen auch die aktuellen Zahlen, die seit fünf Jahren kontinuierlich ansteigen. Im Jahr 2023 haben wir in Baden-Württemberg mit insgesamt 1.514 Fällen von Hasskriminalität einen absoluten Höchststand und eine Steigerung um fast 100 % zum Vorjahr erfasst und das ist nur das Hellfeld. Studienergebnisse belegen, dass fast die Hälfte der Internetnutzer bereits einen beleidigenden Kommentar erhielten und drei von vier Befragten fürchten, der Hass aus dem Netz beeinflusse nicht nur den offenen Diskurs, sondern könne sich auch in realweltlicher Gewalt realisieren.

Was steckt Ihrer Erfahrung nach dahinter?

Bettina Rommelfanger: Motive dieser gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, die wir als Hasskriminalität, bzw. als politisch motivierte Kriminalität einstufen und durch den polizeilichen Staatsschutz verfolgen, reichen von Neid, über Unsicherheit im realen Leben, die durch eine vermeintliche Selbstwirksamkeit im Netz verdrängt wird bis hin zur Ablehnung, Abwertung im Kontext eigener Überhöhung.

Die Abgrenzung zur grundgesetzlich geschützten Meinungsfreiheit dürfte nicht ganz einfach sein...?

Bettina Rommelfanger: Die Faustformel lautet: wenn die sachliche Botschaft von dem Beweggrund, andere abzuwerten deutlich überdeckt wird, handelt es sich um eine Straftat und nicht um eine freie Meinungsäußerung, die der Artikel 5 Grundgesetz zwar garantiert, aber eben nicht unbeschränkt. Eingesetzt vom Kabinettsausschuss der baden-württembergischen Landesregierung und gemeinsam mit unseren staatlichen und zivilgesellschaftlichen Partnern, vom Demokratiezentrum über die Landeszentrale für politische Bildung bis zu Hate Aid und dem Weißen Ring, stellt sich die Task Force gegen Hass und Hetze diesen Entwicklungen entgegen. Eine unserer ersten und wichtigsten Maßnahmen war es, mit einem gemeinsamen Onlineportal Betroffenen einfachen Zugang zu Meldestellen und Hilfsangeboten zu ermöglichen sowie Bildungsangebote aller Partner zusammengefasst und über eine Filterfunktion direkt und individuellen Bedarfen angepasst, buchbar zu machen. Hierzu gründeten wir die Initiative Toleranz im Netz #aktivgegenhassundhetze sowie die gleichnamige Website (www.initiative-toleranz-im-netz.de). Zudem agieren wir mit sensibilisierenden Kampagnen und Aktionen, um klarzustellen, dass Hass jeden und jede treffen kann, aber niemand schuld ist, der Hass erfährt und wir niemanden damit allein lassen. Wir ermitteln auch bei anonymen Accounts in zwei von drei Hassstraftaten den oder die Täter. Unsere Arbeit wirkt auch innerhalb der Polizei. Unsere Botschaft hier ist ganz klar: Das Netz ist kein rechtsfreier Raum.

 

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Welche Schnittstellen gibt es hier zu Unternehmen wie der BASF?

Bettina Rommelfanger: Unternehmen wie die BASF verfolgen oft das gleiche Ziel wie wir: Hass und Hetze, Rassismus und Diskriminierung entschieden entgegenzutreten. Deshalb ist der Aufbau eines interdisziplinären Netzwerks ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit der Task Force gegen Hass und Hetze. Durch die Zusammenarbeit mit Unternehmen wie der BASF bündeln wir unsere Kompetenzen und erhöhen die Reichweite und Effektivität unserer Maßnahmen und Botschaften. 

Julia Vincke: Ich habe ja eingangs schon unsere neu gegründete Task Force gegen sexuelle Belästigung und Diskriminierung erwähnt, die auch von unserer Unternehmensführung und dem Betriebsrat stark unterstützt wird. Sexuelle Belästigung und Diskriminierung sind keine Kavaliersdelikte und auch in keinem Fall salonfähig. Sie sind nach wie vor ein weit verbreitetes Phänomen, das hochsensibel und mit Scham behaftet ist. Mit dem Ziel, wirksame Strategien zu entwickeln und umzusetzen, um Diskriminierung und Belästigung zu verhindern und dagegen vorzugehen, starteten wir im Oktober 2023 am Standort Ludwigshafen eine Initiative. Das Ziel ist, ein sicheres und respektvolles Arbeitsumfeld für alle zu fördern, unabhängig von Geschlecht, kulturellem Hintergrund, sexueller Orientierung, Religion oder anderen persönlichen Merkmalen. Seitdem arbeitet ein fachübergreifendes Team aus Arbeitsrechtlern, Compliance, Unternehmenssicherheit, Kommunikation und Sozial- und Lebensberatern an Konzepten für eine Kommunikationskampagne und ein umfassendes Präventions- und Betreuungskonzept für betroffene Kollegen und deren Einheiten. Anfang Juni ist unsere Kommunikationskampagne live gegangen und wurde super angenommen. Darauf sind wir sehr stolz. 

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