Ein kritischer Blick auf die Praxis des Brandschutzes – Teil 1
Brandschutzfachplaner fordern gelegentlich Dinge, die als sinnloses (aber teures) Maximum und nicht als absicherndes Optimum einzustufen sind. Dies geschieht aus Unsicherheit oder dient dazu, sich selbst abzusichern – sagt Dr. Wolfgang J. Friedl, Ingenieurbüro Sicherheitstechnik aus München in seinem zweiteiligen kritischen Beitrag zur Praxis des Brandschutzes. Im folgenden ersten Teil widmet sich der Autor einer Reihe von Vorfragen, dem Einsatz von Sprinkleranlagen und dem Thema Rauchmelder.
Es gibt Brandschutz-Fachplaner, die diesen Beruf erlernen wollen. Dann blicken sie ein paar Jahre den erfahrenen Kollegen und Kolleginnen über die Schulter, um schließlich selbst verantwortungsbewusst zu eigenen Entscheidungen stehen zu können. Und dann gibt es die, die aus anderen Berufen kommen. Über ein paar Zusatzkurse wird man dann Brandschützer, ist aber von der Grundausbildung und im Herzen doch jemand anderes – auch wenn das natürlich nicht für alle gilt. So entstehen Brandschutzkonzepte, bei denen Qualität mit Quantität verwechselt wird. Dann werden pauschal automatische Brandmelder und eine Besprinklerung gefordert – egal ob das sinnvoll ist oder nicht. Optische Alarmierungssysteme werden im Detail ausgeklügelt für Gebäude, wo es sinnvollere Lösungen gäbe und selbstschließende Türen für Kopierräume gefordert – wohlwissend, dass der Schließhebel mit einer Wahrscheinlichkeit von 100 % im täglichen Betrieb inaktiviert wird.
Entscheidungskriterien
Brandschutztechnische Vorgaben für Gebäude sind oft sehr individuell – so wie sich auch ärztliche Ratschläge bei nahezu identischen Krankheitssymptomen unterscheiden. So wie Vorerkrankungen, Alter und Veranlagung bei den Medizinern mitentscheidend sind für die Therapiemethoden, so sind bei uns Brandschützern zum Beispiel folgende Punkte individuell zu berücksichtigen:
- Anzahl und Zustand der Personen
- Zustand des Bestands
- Vorgaben des Denkmalschutzes
- Vorgaben weiterer Behörden
- Dach mit PV-Anlage?
- Sprinklerschutz vorhanden?
- Notbeleuchtung vorhanden?
- Vorgaben lt. Gefährdungsbeurteilung
- Arbeitsschutzrechtliche Vorgaben
- Vorab erkennbare Problemstellungen
- Baugesetzliche Vorgaben
- Versicherungsrechtliche Vorgaben
- Ziele und Wünsche des Bauherrn und der Gebäudenutzer
- Landesrechtliche Vorgaben
- Qualität der Feuerwehr
- Löschwasserversorgung
- Vertikale Position der Personen
- Gefahrenpotentiale
- Erkennbare Mängel
- Subjektives, eigenes Gefühl
- Forderungen lt. TRGS 510, 800, …
- Bisherige Brandschäden
- Gefahr von der Nachbarschaft
- Gefahr für die Nachbarschaft
- Weitere Gebäudenutzung
- Anzahl der Nutzungseinheiten
- Ungeregelter Sonderbau?
- Ausbildung der zweiten Fluchtwege
- Ausbildung der Dachkonstruktion
- Quantität der Brandlasten
- Qualität der Brandlasten
- Brandabschnittsgrößen
- Gebäude- und Raumhöhen
Je nach Abwägung kommen solide Brandschutzfachplaner mit ausreichend Berufserfahrung und gutem Fachwissen dann auf die jeweils „richtigen“ Lösungen. Andere werden pauschale Lösungen favorisieren, in denen a) relevante arbeitsschutzrechtliche Vorgaben ebenso wenig Berücksichtigung finden wie b) die Inhalte verschiedener ASR, TRGS und TRBS oder c) örtliche Gegebenheiten.
Auslegung von Sprinkleranlagen
Eine Sprinkleranlage hat je konventionellem 360-Grad-Sprinklerkopf eine Wirkfläche von mindestens 12 m² (streng gerechnet). Somit kommt – so zwei Köpfe ausgelöst haben – an praktisch allen Stellen Wasser von zwei oder mehr Stellen in – das ist nun entscheidend – unterschiedlichen Winkeln von der Decke herunter. Deshalb liegt die Wahrscheinlichkeit des Löschens oder zumindest die der Brandbegrenzung auch bei über 98 %. Die knapp 2 % Versagen sind übrigens immer uns Menschen und nie der Technik zuzuschreiben, meist sind es gravierende Fehler der Betreiber.
Außerdem muss man sich fragen, was die Sprinkleranlage eigentlich bezwecken soll, außer die Prämie für die Versicherungen zu reduzieren. Mittel zum Zweck? Personenschutz? Sachwerteschutz? Sie soll Brände melden und im Idealfall umgehend löschen. Damit werden primär Sachwerte gerettet, nämlich Gebäude und deren Inhalte. Personenschutz steht bei Sprinkleranlagen nicht im Vordergrund, da gibt es andere, bessere Möglichkeiten. Selbst dies ist nicht jedem Fachplaner bekannt!
Während manuell zu bedienende Handfeuerlöscher zum Löschen von Entstehungsbränden geeignet sind, können automatisch funktionierende Sprinkleranlagen Brände von Flächen mit gut über 100 m² noch souverän beherrschen und dies 24/7 – eigentlich lassen Sprinkleranlagen so großflächige Brände schon gar nicht zu! Sie löschen also und rufen zeitglich die zuständige Feuerwehr – großartig!
Brand in der Kabine
Nun hat eine Versicherungsgesellschaft gesprinklerte Großraumbüros – und um dort auch kleine Rückzugsbereiche zu bieten, wurden mehrseitig verglaste Zellen aufgestellt: einmal 2 m² klein für eine Person zum Telefonieren – einmal doppelt so groß für akustisch abgeschirmte Besprechungen. Diese Wände sind fast komplett nichtbrennbar, die enthaltenen Möbel konventionell (d. h. brandlastarm) und außer einer Telefonleitung und einer Steckdose ist nichts enthalten. Brandschutztechnisch also völlig bedeutungslos: Durch die mehrseitige Vollverglasung kann man ein- und ausblicken und Alarme von außen auch sehen oder hören. Rauchmelder oder Sprinkler sind aus Gründen des Personen- und Sachwerteschutzes natürlich nicht nötig innerhalb der Kabinen, das verstehen auch Nicht-Fachleute!
Doch wo wären wir, wenn es nicht die Bedenkenträger gäbe: „Im Sprinklerwasser-Schatten einer Wand könne sich ein Brand entwickeln, der nicht gelöscht werden kann“, so die hilflose wie falsche Aussage eines Kollegen. Dass das subjektiv wie objektiv nicht der Fall sein kann, zeigt die Anordnung der vielen bei 68 °C auslösenden 360-Grad-Sprinklerköpfe oberhalb: die Schattenseite wäre vielleicht 1,5 m² und wird vom nächsten Sprinkler erreicht – und die Wirkfläche ist ca. hundert Mal so groß! Weder ein Brand innerhalb der Kabine, noch außerhalb könnte Menschen gefährden, denn die Fluchtwege sind alle baulich und mehrfach vorhanden, klar erkennbar und mit notstromversorgten Beschilderungen versehen. Also spricht nichts für einen Rückbau der Kabinen oder für die Installation eines Sprinklerkopfs innerhalb.
Fluchtwegepläne
Natürlich gibt es hier auch Fluchtwegepläne, die – ohne Sinn zu machen – zweijährlich überprüft werden. Die ArbStättV fordert solche Pläne nur dann, wenn es Lage, Ausdehnung oder Art der Nutzung erforderlich machen – oder eben die Bauordnung (z. B. Hochhäuser, Versammlungsstätten, große Kaufhäuser). Hier sind diese Pläne so unnötig und sinnlos wie ein fahrbarer ABC-Pulverlöscher mit 50 kg Löschmittel. Denn wer sucht im Brandfall in seinem Bürogebäude schon nach Fluchtwegeplänen, wenn er die vorhandenen Fluchtwege kennt und deren grünweiße DIN-Beschilderungen klar vor Augen hat?
Rauchmelder
Gehen wir eine Baustelle im Brandschutz weiter. Sowohl eine Armbanduhr, als auch ein Handfeuerlöscher, ein Kraftfahrzeug oder ein Rauchmelder können viele Jahre funktionieren und sicher betrieben werden. Doch es profitieren Firmen davon, wenn man – übrigens wenig ökologisch nachhaltig! – diese häufiger entsorgt, um praktisch identische Produkte neu anzuschaffen.
Eine Abänderung in der DIN 14675 empfiehlt seit Jahren den Austausch von Rauchmeldern nach acht Jahren. Empfiehlt, nicht fordert! Das Geschäft mit der Angst läuft recht gut, man erläutert, dass Versicherungen Probleme machen könn(t)en, man also auf dünnem Eis stehe und deshalb besser alle acht Jahre größere fünfstellige Beträge ausgebe, als sich vor Gericht im Klinsch mit dem Versicherer zu sehen. Dass das noch nie passiert ist und dass es Dinge gibt, die deutlich größere Bedeutungen haben, weiß jede fachlich gebildete Person.
Doch es gibt von DIN-Normen und Technischen Regeln ja Ausnahmen und davon trauen sich viele ängstliche Kollegen nicht Gebrauch zu machen. Die DIN schreibt nämlich: „Wird bei der jährlichen Überprüfung der Funktionsfähigkeit eines Brandmelders ein vom Hersteller vorgegebenes Prüfverfahren verwendet, mit welchem das (…) festgelegte Ansprechverhalten überprüft und nachgewiesen werden kann, so kann der Brandmelder bis zu dem Zeitpunkt im Einsatz bleiben, bei dem eine nicht zulässige Abweichung festgestellt wird.“ Davon empfehle ich Gebrauch zu machen und zwar in allen Bereichen, wo die Rauchmelder nicht oder kaum klimatischen Extrembedingungen ausgesetzt sind.
Wissen muss man, dass Rauchmelder über die Zeit eher nicht träge bzw. blind werden, sondern – wenn überhaupt – leicht vermehrt mal einen unerwünschten Alarm absetzen. Doch durch die Melder-Einzelerkennung sowie die automatisch ablaufenden Diagnoseprogramme ist selbst dies ein Problem der Vergangenheit.
Zudem sind DIN-Vorgaben privatrechtlicher Natur und unverbindlich. Ihre Aussagen sind oft intelligent, wichtig und richtig und man sollte sich im eigenen Interesse oftmals (aber eben nicht immer) an sie halten. DIN-Empfehlungen sind manchmal die Grundlage für Technische Regeln (TRGS, TRBS, ASR u. a. m.). Unternehmen müssen sich an diese Regeln (so, oder alternativ) halten, nicht aber an DIN.
Der Bundesgerichtshof hat bereits 1998 dazu Stellung genommen: DIN-Normen seien keine Rechtsnormen, sondern private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter. Also freiwillige Standards, deren Zweck doch nicht sein kann, Unternehmen zu gängeln und bei Nichteinhaltung juristisch zu belangen. Primär geht es aus meiner Sicht um standardisierte Maße. In diesem Sinne fordere ich alle fähigen Brandschützer auf, guten und somit menschengerechten Brandschutz zu betrieben – aber nicht unnötig die Kassen anderer zu füllen.
Ein kritischer Blick auf die Praxis des Brandschutzes – Teil 2