17.10.2023 • TopstoryLöschmittel

Fluorfrei löschen: Welche Beschränkungen kommen auf die Branche zu?

Was steckt genau hinter dem Verbot von organischen Fluorverbindungen? Wie geht die Branche mit der PFAS-Verbotsverordnung um? Wie verbreitet sind sie in Löschmitteln derzeit? GIT SICHERHEIT sprach darüber mit Dr. Thomas Leonhardt, Leiter der Fachgruppe Löschmittel-Hersteller im Bundesverband Technischer Brandschutz.

Dr. Thomas Leonhardt, Leiter der Fachgruppe Löschmittel-Hersteller im Bvfa –...
Dr. Thomas Leonhardt, Leiter der Fachgruppe Löschmittel-Hersteller im Bvfa – Bundesverband Technischer Brandschutz. ©bvfa

GIT SICHERHEIT: Herr Dr. Leonhardt, das neue Merkblatt „Was ist drin im Schaum – Bestimmung von PFAS in Schaumlöschmitteln“ richtet sich an alle, die von fluorhaltigen auf fluorfreie Löschmittel umsteigen wollen – ist das richtig?

Dr. Thomas Leonhardt: Das ist korrekt. Natürlich informiert das bvfa-Merkblatt aber auch all die, die überhaupt mit dem Themenkomplex Schaumlöschmittel/fluorfrei befasst oder betroffen sind. Erfahrungsgemäß können das z. B. Mitarbeiter der unteren Überwachungsbehörden sein, Einsatzkräfte, Liegenschaftseigner, etc. Es geht ja gerade darum, diesen überaus schwierigen Zusammenhang so darzustellen, dass die Problematik der Fluor-Analytik erkennbar wird, aber auch, worauf man achten sollte, bzw. welche Fallstricke es gibt.

 

Der Umstieg muss rechtssicher dokumentiert werden – aber gerade dies ist offenbar gar nicht so einfach?

Dr. Thomas Leonhardt:
Das wäre Stand heute tatsächlich der Fall, wenn der Verordnungsentwurf, so wie zuletzt durch die ECHA (SEAC) auf deren Webseite veröffentlicht, in Kraft träte: Danach hätte man nachzuweisen, dass ein bestimmter Gehalt von PFAS nicht überschritten wird – eine technische Unmöglichkeit! Der Bundesverband Technischer Brandschutz e. V. und auch die europäische Dachorganisation Eurofeu haben die Gremien der ECHA mehrfach in Sitzungen und schriftlich darauf hingewiesen, dass eine Bestimmung des Analyten „PFAS“ nicht möglich ist, weil es sich nicht um eine bestimmbare Substanz handelt, sondern um eine riesige Stofffamilie mit vielen Tausend Einzelstoffen. Zwar hat man in dem Gesetzgebungsvorhaben zum Verbot von PFAS in allen Anwendungen diesen Punkt aufgegriffen und ist um Lösung bemüht, in dem zuletzt veröffentlichten Dokument des SEAC war jedoch nach wie vor der ursprüngliche und für ungeeignet gehaltene Text enthalten.

 

Was steckt genau hinter dem Verbot von organischen Fluorverbindungen? Was macht sie überhaupt gefährlich?

Dr. Thomas Leonhardt:
Organische Fluorverbindungen sind einzigartig, weil die Bindung von Fluor zu Kohlenstoff zu den stabilsten in der Chemie zählt. Das macht diese Stoffe so unglaublich stabil gegenüber allen möglichen Angriffen, seien das chemische, Temperatur oder Strahlung. Leider sorgt diese enorme Stabilität aber auch dafür, dass diese Stoffe in der Umwelt nicht abgebaut werden können. Das führt zu einer Anreicherung in der Umwelt. Das für sich genommen mag der Eine oder Andere noch nicht als das Riesenproblem sehen, wenn aber – wie man das von einigen Vertretern der organischen Fluorverbindungen mittlerweile weiß – Fluororganika mit dem menschlichen, tierischen oder pflanzlichen Stoffwechsel in negative Wechselwirkung treten, dann entsteht daraus eine Gefahr, die nicht rückgängig gemacht werden kann. Das wollen Gesetzgeber weltweit verhindern.

 

Wie verbreitet sind sie in Löschmitteln derzeit?

Dr. Thomas Leonhardt:
Tatsächlich ist die Verbreitung in Löschmitteln in Europa mittlerweile deutlich rückläufig, soweit es Neuverkäufe angeht. Jeder der kann ist auch dabei, aus der Fluortechnologie bei Löschmitteln auszusteigen. Allerdings ist das ein sehr komplexer Vorgang, der weit entfernt ist von dem vergleichsweise einfachen Austausch der sogenannten C8-Löschmittel gegen die (damals für besser gehaltenen) C6-Löschmittel. Fluorfreie Löschmittel unterscheiden sich sehr stark von AFFF oder alkoholbeständigen AFFF, was insbesondere bei bestehenden Löschanlagen einen Umstieg zu einer diffizilen Sache macht, bei der man im Grunde alle Facetten des Brandschutzkonzeptes betrachten und ggf. auch anfassen muss.

Löschfahrzeuge kann man in diesem Kontext durchaus als eine Art „vereinfachte Löschanlage“ betrachten, weil die nötigen Schritte für den Umstieg dem gleichen Strickmuster folgen. D. h., die Umstellung von Anlagen oder Fahrzeugen, die zuvor bereits mit AFFF in Kontakt waren, bedeutet eine längere Zeit der Außerbetriebnahme, um alle nötigen Reinigungs- und Umrüstarbeiten durchführen zu können. Das ist nicht immer einfach, weil die Systeme Bestandteil eines aktiven Brandschutzkonzeptes sind, auf dem die Brandsicherung des Betriebs oder der Gemeinde fußt. Dem ist geschuldet, dass es einen gewissen Zeitraum braucht, um alle Löschmittelvorräte auszutauschen. Bei Neuverkäufen liegen die fluorfreien Schaumlöschmittel mittlerweile deutlich vorne, bei Erstbefüllungen von Löschanlagen oder Fahrzeugen sogar schon nahe 100 %. Bei Bestandsanlagen und -fahrzeugen sieht die Sache anders aus, dort hängt der Umstieg sehr an den verfügbaren Ressourcen (Geld, Personal, Verfügbarkeit von externen Dienstleistungen, Genehmigungsverfahren, ...).

 

Welche Beschränkungen abgesehen von den bereits bestehenden kommen auf die Branche zu?

Dr. Thomas Leonhardt:
Man könnte versucht sein, zu glauben, dass mit dem Verbot der fluororganischen Verbindungen in Löschmitteln der Drops für die Branche gelutscht sei, doch dem ist nicht so: In einem weiteren Gesetzgebungsverfahren soll eine europäische Verordnung geschaffen werden, die jegliche fluororganischen Verbindungen in allen denkbaren Anwendungen verbietet oder massiv einschränkt. Dieses Verfahren befindet sich gerade in der Phase der ersten öffentlichen Beteiligung, die noch knapp vierzehn Tage läuft. Diese Verordnung beträfe dann zwar keine Schaumlöschmittel mehr, jedoch wären zum Beispiel sogenannte F-Gase (Halonersatzstoffe) oder auch Fluorpolymere wie PTFE (Polytetrafluorethylen – Teflon) oder ähnliche betroffen.

Das zieht natürlich gewaltige Kreise: Über die Verwendung fluorhaltiger Imprägnierungen zum Fleckschutz von Anzügen oder anderer Kleidung oder Ski-Wachs muss man nicht lange debattieren, aber wenn es um hoch chemikalienresistente Beschichtungen von Schutzkleidung, sterile Oberflächen, Membranen für Atemfiltermasken, Batterien oder hochfeste Schmierstoffe für Turbinen geht, ist die Situation anders. Entsprechend sind bereits jetzt bei der ECHA tausende und abertausende von Eingaben eingegangen, deren sachgerechte Bearbeitung mit dem wünschenswerten und auch erforderlichen Tiefgang nach Einschätzung vieler Experten innerhalb der Frist, die der ECHA für eine erste Sichtung zur Verfügung gestellt wird, praktisch ausgeschlossen.

Man darf also sehr gespannt sein, wie die Behörden hier verfahren werden – die Sorge ist natürlich, dass man versuchen wird, die Sichtung aller Dokumente z. B. durch deren thematische Bündelung und andere Vereinfachungstechniken zu vermeiden. Das würde die aufgelaufene Informationsmenge natürlich stark reduzieren mit dem Risiko, dass eventuell kritische Aspekte untergehen könnten.

Im Zusammenhang mit der Verbotsverordnung für PFAS in Schaumlöschmitteln haben wir die ECHA und ihre technischen Gremien RAC und SEAC als sehr besonnene und überlegt handelnde Einrichtung kennengelernt. Angesichts der herkulischen Aufgabe, mit dieser schieren Masse an Eingaben im Fall der universellen PFAS-Verbotsverordnung umzugehen, könnte es schwer werden, die Contenance zu wahren.

 

Wie man den Fluorgehalt und einzelne organische Fluorverbindungen bestimmt, wie die Vorgehensweise ist und was die Grenzen der Bestimmung sind, fasst die Fachgruppe Löschmittel-Hersteller im Bundesverband Technischer Brandschutz e. V. in ihrem Merkblatt zum Thema „Was ist drin im Schaum – Bestimmung von PFAS in Schaumlöschmitteln“.

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