Sicherheit kann man nicht diktieren
Das Logistikunternehmen Trans-o-flex Express in Weinheim an der Bergstraße ist ein Dienstleister für den Transport von Paketen und Paletten. Neben der regulären Zustellung gehören ...
Das Logistikunternehmen Trans-o-flex Express in Weinheim an der Bergstraße ist ein Dienstleister für den Transport von Paketen und Paletten. Neben der regulären Zustellung gehören Sonderdienste zum Angebot – beispielsweise Gefahrguttransporte und Transporte mit aktiver Temperaturführung. Zur Zustellung in Europa wird auf das Eurodis-Netzwerk zurückgegriffen. Der Jahresumsatz der Gruppe, die rund 1.900 Mitarbeiter in Deutschland und Österreich beschäftigt, belief sich 2017 auf rund 459 Millionen Euro.
Unser wissenschaftlicher Schriftleiter Heiner Jerofsky sprach mit Manfred Selinger, Leiter Unternehmenssicherheit und Spezialist für Supply Chain Security bei Trans-o-flex.
GIT SICHERHEIT: Herr Selinger, können Sie unseren Lesern kurz Ihre Kernaufgaben und Arbeitsschwerpunkte bei Trans-o-flex beschreiben?
Manfred Selinger: In erster Linie schütze ich mit meinem Team durch präventive Maßnahmen die von unseren Kunden anvertrauten Waren gegen unberechtigten Zugriff. Seit Öffnung der EU-Grenzen liegt hier der Schwerpunkt in der Abwehr der organisierten Kriminalität insbesondere aus osteuropäischen Ländern, die immer mehr zunimmt. Dazu gehört die passende sicherheitstechnische Ausstattung unserer Standorte sowie die kontinuierliche Überprüfung und Anpassung unserer logistischen Prozesse.
Gibt es für Ihr Security-Management bestimmte Sicherheitsgrundsätze, die Sie im Rahmen eines Sicherheits-Qualitätsmanagements anwenden?
Manfred Selinger: Mein wichtigster Grundsatz ist: Sicherheit durch Qualität – Qualität durch Sicherheit. Das bedeutet, dass alle an der Supply-Chain beteiligten Menschen dazu gebracht werden müssen, Sicherheit zu leben, indem sie nicht nur alle Sicherheitsprozesse einhalten, sondern insgesamt alle QM-basierten Prozesse im Unternehmen. Was nützt zum Beispiel das beste Videomanagementsystem, wenn bei Adressumleitungen die vorgeschriebenen Prüfungskriterien nicht eingehalten werden. Sicherheit kann man nicht einfach diktieren. Deshalb muss sie im Detail so gestaltet werden, dass sie einfach und umsetzbar ist. Da wären wir dann schon bei meinem zweiten Grundsatz: Keep it short and simple!
Wo sehen Sie beim Transport von Waren von der Herstellung bis zum Endkunden derzeit vor allem Gefahren und Risiken?
Manfred Selinger: Nachdem sich die Gebäudesicherheit in der Transportkette vom Versender über unsere Logistikanlagen bis hin zum Empfänger deutlich verbessert hat, verlagert sich die organsierte Kriminalität immer mehr auf die Straße, also auf den Transport selbst. Dem müssen wir folgen. Gleichzeitig heißt das aber für uns: wenn ich an einer Stellschraube etwas verändere, muss ich die anderen immer genau im Auge behalten und erkennen, wann ich dort wieder zu justieren habe. Der ganze Sicherheitsapparat ist also immer in Bewegung und steht nie still. Deshalb verändern sich die Gefahren und Risiken immer wieder aufs Neue.
Wie hoch schätzen Sie als ehemaliger Logistiker die Warenverluste und Schadenssummen der Branche durch „Schwund“ oder kriminelle Handlungen ein?
Manfred Selinger: An solchen Schätzungen möchte ich mich nicht beteiligen. Das kann man branchenweit gar nicht genau sagen, weil die Statistiken der verschiedenen Verfasser ob BMI, Kriminalämter oder auch verschiedene Verbände und Unternehmen sehr löchrig sind. Bei den Kriminalitätsstatistiken der Behörden bin ich sehr vorsichtig, weil die verschiedenen Delikte nicht korrekt erfasst und wiedergegeben werden und es mit Sicherheit noch eine hohe Dunkelziffer gibt, die gar nicht auftaucht. Mich interessiert offen gestanden nur die Statistik meines Unternehmens, da ich diese exakt nachprüfen kann. Und da will ich einen deutlichen Trend nach unten sehen. Das ist mir bisher auch immer gelungen.
Wie erkennen Sie Prozess-Schwachstellen, Straftaten und Unregelmäßigkeiten? Gibt es eine Zusammenarbeit mit Ermittlungsbehörden?
Manfred Selinger: Dazu arbeiten wir mit speziellen Red Flags, die wir täglich überprüfen und auswerten. Bei Auffälligkeiten checken wir dann direkt am Ort des Geschehens. Natürlich arbeiten wir mit den Ermittlungsbehörden sehr eng zusammen. Aber aufgrund von deren hoher Auslastung und dem Personalmangel, müssen wir heutzutage sehr viel mehr selbst unternehmen, um ans Ziel zu kommen.
Gibt es für die Logistikbranche spezielle Sicherheitsanalysen und angepasste Sicherheitskonzepte oder Präventionsmodelle, um Risiken und damit die wirtschaftlichen Verluste zu minimieren?
Manfred Selinger: Für mich gibt es zwei Grundlagen, mit denen ich seit jeher sehr erfolgreich bin. Meine Sicherheitskonzepte basieren auf den TAPA-Security-Standards FSR und TSR, da sie optimal für die Logistik sind. Meine Security-Strategie basiert auf meinem eigenen Security-Quality-Management-Model, das ich in Anlehnung an das EFQM-Model erarbeitet habe.
Welchen Einfluss haben Versicherungen auf die Sicherheitskonzepte in der Logistik?
Manfred Selinger: Im Prinzip ist das genau anders herum. Ein erfolgreiches Sicherheitskonzept hat Einfluss auf die Versicherung. Bei sinkenden Schäden sinken irgendwann auch die Versicherungsbeiträge.
Beim Zusammenspiel von Mensch und Technik sind Überprüfungen von Abläufen, Planungen und das richtige Verhalten des Personals Voraussetzung für die Logistiksicherheit. Welche Kontrollmechanismen helfen Ihnen bei dieser Aufgabe?
Manfred Selinger: Im Mittelpunkt unseres Handelns steht immer der Faktor Mensch. Wir haben zwar bestimmte Kontrollmechanismen, aber dadurch entsteht noch lange keine gute Unternehmens- oder auch Sicherheitskultur. Diese schaffen wir nur durch sinnvolle und für die Menschen leicht umsetzbare Sicherheitsvorgaben, die exakt zum operativen Tagesgeschäft passen müssen. Das ist zwar mühsame Kleinarbeit, zahlt sich aber immer aus, da die Konzepte verständlich und glaubwürdig sind. Und nur dann werden diese auch umgesetzt und eingehalten. Dazu gehört natürlich auch eine gute Führungskultur im gesamten Unternehmen, damit sich die Menschen wohlfühlen und hinter dem Unternehmen stehen. Sicherlich kennen auch Sie Menschen, denen ihre Arbeit keinen Spaß mehr macht, weil etwa ein negatives Betriebsklima herrscht. Da können Sie keine Sicherheit und Qualität erwarten. Nochmal, die gesamte Führungskultur, also wie ich mit den Menschen umgehe, ist entscheidend für Qualität und Sicherheit. Die kann man nicht diktieren.
Welche Erfahrungen haben Sie mit unterschiedlichen technischen Systemlösungen zur Überwachung der Logistikkette gemacht?
Manfred Selinger: Dass diese nur optimal funktionieren, wenn sie wie ein Uhrwerk aufeinander abgestimmt sind. Daher muss die Technik vorher bis ins Detail genau geplant werden.
Welche Anwendungsfelder sehen Sie für Videotechnik in Logistikprozessen?
Manfred Selinger: Es gibt tatsächlich noch Leute, die der Meinung sind, ein Videosystem wäre nur dazu da, um Menschen zu überwachen. Das ist – auch dank des technischen Fortschritts – längst überholt. Der Sinn eines modernen Videomanagementsystems ist einzig und allein die Prozessvisualisierung oder, einfach gesagt, die Paketverfolgung. Bei Unregelmäßigkeiten müssen wir im Eigeninteresse und auch für den Kunden genau feststellen können, was mit dem betreffenden Packstück passiert ist. Meine Erfahrung zeigt, dass über 80 Prozent aller Verluste keinen kriminellen Hintergrund haben, sondern Prozessfehler beim Kunden oder beim Logistiker sind, die es aufzudecken und abzustellen gilt. Das ist im Prinzip auch unser größter Zeitaufwand in der Unternehmenssicherheit. Und schon sind wir wieder am Anfang unseres Gesprächs: Sicherheit durch Qualität – Qualität durch Sicherheit.
Wie kann der Logistikunternehmer die Realisierung der Prozessvisualisierung auf der Grundlage der EU-DSGVO schaffen?
Manfred Selinger: Genau wie vorher auch, nur jetzt mit mehr Aushängen und Dokumentationen. An die Grundsätze des Datenschutzes und der Persönlichkeitsrechte halte ich mich schon immer sehr streng und völlig überzeugt.
Welche strategischen und operativen Erkenntnisse haben Sie bei der Umsetzung von optimaler Logistikplanung?
Manfred Selinger: Aus meiner früheren Zeit als Logistik-Manager habe ich einen ganz einfachen Satz mitgenommen: Mach´s gleich richtig! Bis heute ist das auch mein Motto. Wenn ich also einen Prozess plane, habe ich immer die betreffenden Fachleute aus der Fläche mit am Tisch, denn die haben durch ihr Tagesgeschäft einen hohen Erfahrungsschatz und können Abläufe direkt bewerten. So läuft die Umsetzung auch rund, einfach weil es passt. Prozesse, die nur am grünen Tisch gemacht werden ohne diese Fachleute, müssen zu oft korrigiert werden und die Teams, die das Ganze umsetzen sollen, stehen nicht dahinter. Was meinen sie, wie viele Unternehmensberater ich schon erlebt habe, die auf diese Weise ihr Projekt an die Wand gefahren haben und einen Haufen Geld dafür bekamen.
Business Partner
trans-o-flex Express GmbHHertzstraße 10
69469 Weinheim
Deutschland
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