Stadion-Sicherheit: DFB-Leitfaden „Videotechnik & Datenschutz im Stadion“ ist in neuer Auflage erschienen
EXKLUSIV-INTERVIEW MIT DEN MACHERN | Mit seinem aktualisierten Leitfaden gibt der Deutsche Fußball-Bund (DFB) mit Unterstützung durch den Verband der Elektro- und Digitalindustrie ZVEI umfangreiche Empfehlungen für den Einsatz moderner Videotechnik in Stadien. Für die Neuauflage der erstmals 2013 erschienenen Praxishilfe wurden der technologische Fortschritt sowie die Weiterentwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen berücksichtigt.
Diesen sowie weitere spannende Berichte mit Machern für Sicherheit lesen Sie auch in der gedruckten und der e-Ausgabe der GIT SICHERHEIT Nr. 12/2021 (erhältlich als e-Version, Seite 18 - gedruckte Ausgabe ab 10.12.21).
Der Ratgeber „Videotechnik & Datenschutz im Stadion“ entstand durch Zusammenarbeit des ZVEI-Fachkreises Videosysteme und den DFB-Stadionbeauftragten Christian Delp und Gerhard Kißlinger. Ein zentraler Aspekt für die Überarbeitung des Leitfadens war u. a. die seit 2018 geltende Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). GIT SICHERHEIT sprach mit Fabian Stegmaier, Manager Safety & Security Technologies beim ZVEI und Christian Delp, Stadionbeauftragter beim DFB.
GIT SICHERHEIT: Herr Stegmaier, der DFB-Leitfaden „Videotechnik & Datenschutz im Stadion“ ist gerade in Zusammenarbeit mit dem ZVEI-Fachkreis Videosysteme für eine Neuauflage aktualisiert worden. Die Berücksichtigung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) war ein wesentlicher Grund dafür. Was sind von Ihrer Warte aus gesehen die wichtigsten Änderungen seit der Erstauflage 2013?
Fabian Stegmaier: Die seit 2018 geltenden europäischen Datenschutzbestimmungen einzubeziehen, war uns bei der Überarbeitung ein zentrales Anliegen. Das im Leitfaden enthaltene umfangreiche Rohkonzept für das Stadion und das Stadionumfeld berücksichtigt deshalb explizit die DSGVO und sich daraus ergebende Anforderungen an den Datenschutz. Damit wollen wir die Stadionverantwortlichen bei der rechtssicheren Umsetzung von Videosystemen unterstützen. Gleichzeitig wird so die Wahrung der Persönlichkeitsrechte von Fans und Besuchern sichergestellt. Denn ein Mehr an Sicherheit durch Videotechnik kann nur im Einklang mit dem Schutz persönlicher Daten bestehen.
Notwendig wurde zudem die Aktualisierung der technischen Anforderungen auf Grundlage der aktuell geltenden Normenreihe DIN EN 62676, da sich die Erstauflage des Leitfadens noch an der mittlerweile zurückgezogenen DIN EN 50132 orientierte. Das betrifft unter anderem die Definition der Bildqualität im Hinblick auf konkrete Beobachtungs- und Schutzziele, die nun mit entsprechenden Abbildungen anschaulicher dargestellt ist. Zudem wurden die Ausführungen zu den Anwendungsbereichen (Prävention, Schützen, Reagieren, Dokumentation) überarbeitet. Generell haben wir wieder den Ansatz verfolgt, den Stand der Technik und normative Grundlagen am Beispiel Stadion anwendbar zu machen.
Abgesehen von der Übersicht zu den geltenden Normen befasst sich der Leitfaden auch mit dem Stand der Technik. Die Videotechnik ist ja in der Tat ein sehr innovatives und veränderungsstarkes Gewerk der Sicherheitstechnik insgesamt. Welche Entwicklungen sind aus der Sicht des Stadionbetreibers besonders wichtig gewesen?
Christian Delp: Aus Sicht der Stadionverantwortlichen war die Einführung des Leitfadens Videotechnik und Datenschutz im Stadion ein Meilenstein. Wir haben damit Handlungsanweisungen und Klarheit für dieses komplexe Themenfeld geschaffen, sodass alle Stadien von der Bundesliga bis zur 3. Liga nun über hochauflösende Kamerasysteme verfügen. Mittlerweile sind auch Begriffe wie Künstliche Intelligenz in diesem Bereich keine Fremdwörter mehr. So können unter anderem Kameras Personen erkennen, die sich ungewöhnlich verhalten. Ein Beispiel: Eine Person hat einen Herzinfarkt und fällt an einer Stelle um, wo sich gerade niemand anderes befindet. Dann können die Systeme Alarm schlagen und eine schnelle und gezielte Hilfe einleiten. Insbesondere die automatisierten Prozesse erhöhen auch Service und Komfort für die Besucherinnen und Besucher. Das reicht von der Regelung für Zufahrtsberechtigungen und Parkflächen bis zur Steuerung bei Warteschlangen. Die Bandbreite an solchen Maßnahmen ist groß und der dafür notwendige Personaleinsatz wird geringer. Natürlich wird jede Innovation streng auf ihre datenschutzrechtliche Konformität geprüft.
Wie kann man sich die Kooperation zwischen DFB und ZVEI vorstellen? Gibt es auch andere Themen und Projekte der Zusammenarbeit?
Fabian Stegmaier: Aus der ursprünglichen Idee eines ganzheitlichen Leitfadens hat sich eine stetige und konstruktive Zusammenarbeit entwickelt. Für die zweite Auflage haben wir in mehreren Sitzungen den Überarbeitungsbedarf erörtert und anschließend umgesetzt. Dabei setzen wir bewusst auf Synergien, die sich aus der verbändeübergreifenden Kooperation ergeben. So stellen die Erfahrungen aus der Praxis und Vorgaben seitens DFB sicher, dass der Leitfaden für Stadionbetreiber relevante Themen anspricht. Gleichzeitig können wir aus Perspektive der Hersteller technologisches und normatives Know-how beisteuern, um fundierte und passende Lösungen für Stadionbetreiber zu ermöglichen. Basierend auf den sehr guten Erfahrungen mit diesem Projekt sind wir zurzeit dabei, das Thema Beschallungstechnik in ähnlicher Weise zusammen aufzubereiten.
Der DFB-Leitfaden soll ja ein Konzept sein, das bei Investitionsentscheidungen bezüglich der Stadionsicherheit unterstützt. Wie ist das in der Praxis angenommen und realisiert worden – beim DFB und auch bei anderen Stadien und Stadienbetreibern?
Christian Delp: Das Konzept wurde in der Praxis sehr gut angenommen. Die hohe Anzahl an Nachfragen hinsichtlich der Aktualisierung unterstreicht das. Der Leitfaden hat vielen Entscheidungsträgern geholfen, die Thematik besser überblicken zu können. Die Gespräche mit diversen Anbietern konnten daher zielgerichteter geführt werden. Die stetige Beratungsleistung des DFB hat ihren Teil dazu beigetragen, dass die Stadionlandschaft mit praktikablen Lösungen ausgestattet wurde.
Welchen Anteil hat aus Ihrer Sicht eigentlich die Videosicherheit insgesamt an der Realisierung der Schutzziele der Stadionsicherheit?
Christian Delp: Videosysteme können, sofern richtig geplant, eingesetzt und angewendet, viel für die Vereine, Behörden und die Fans leisten. Insofern ist das Ziel zwischen DFB und ZVEI erreicht. Den Besucherinnen und Besuchern im Stadion bieten moderne Videosysteme in erster Linie zuverlässige technische Lösungsmöglichkeiten, um ein präventives Erkennen von Risiken sowie einen reibungslosen Verlauf der Veranstaltung zu ermöglichen. Die Videotechnik mit all ihren Möglichkeiten wird ständig weiterentwickelt, um ein sicheres und komfortables Stadionerlebnis zu gewährleisten.
Die Installation von Videotechnik in Stadien ist schon von der Zahl der einzubeziehenden Beteiligten – vom Verein über Polizei bis qualifizierte Sicherheitsdienste – ein komplexer Vorgang. Auch Maßnahmen baulicher Art, Beleuchtungstechnik müssen bedacht, geplant und realisiert werden. Das erfordert eine gewisse Spezialisierung und die Einbeziehung von Beratern – wie sieht das in der Praxis des Sicherheitsverantwortlichen aus?
Christian Delp: Ein Stadion ist ein komplexes Gebilde aus mehreren Gewerken, die wiederum alle in sich vielschichtig sind. Jedes dieser Gewerke trägt zum sicheren Stadionerlebnis für die Zuschauer bei. Der DFB beschäftigt für das Thema Stadion und Infrastruktur mit dem Kollegen Gerhard Kißlinger und mir zwei Diplom-Ingenieure als Stadionbeauftragte, die in vielen Themenfeldern wie zum Beispiel Brandschutz, Lärmschutz und Sicherheit spezialisiert und ausgebildet sind. Wir sind unter anderem im Normenausschuss der DIN EN 13200 und dem dazugehörigen CEN-Komitee vertreten. Hier werden die normativen Grundlagen für den Stadionbau gelegt.
Welchen Service erbringt der DFB auf diesem Weg?
Christian Delp: Angesichts der vorhandenen Erfahrung und insbesondere durch die Erstellung des Leitfadens sowie dem kontinuierlichen Austausch mit weiteren Fachexperten kann eine solide Beratungsleistung für die Vereine angeboten werden. Darüber hinaus sind die DFB- Stadionbeauftragten eine Prüfinstanz. Wir müssen die jeweiligen Systeme und Gewerke abnehmen, um den Spielbetrieb zu gewährleisten. Diese Leistungen durch den DFB sind für alle Klubs kostenlos und werden auch regelmäßig in Anspruch genommen. In der Beratungsleistung sind auch Treffen mit den jeweiligen Stakeholdern inkludiert. Der jeweilige Klub erhält also Unterstützung, damit tragfähige, aber auch kosteneffiziente Systeme installiert werden können.
Wie sieht das bei den Klubs der 3. Liga aus?
Christian Delp: Die Klubs der 3. Liga müssen durch ein eigens entwickeltes Protokoll zur Videotechnik die Einsatzfähigkeit der Videotechnikanlage im jährlichen Zulassungsverfahren nachweisen. An allen Standorten konnten im Einvernehmen mit den Sicherheitsträgern einsatzfähige Lösungen installiert werden. Durch die ganzheitliche Beratung werden nicht nur punktuell Lösungen gefunden, sie werden auch in Einklang mit anderen Themen wie VStättVO, Blitzschutz, Lärmschutz, Inklusion oder Nachhaltigkeit gebracht. Wir sind dazu aufgerufen, uns in einem vielseitigen Bereich weiterzuentwickeln. Hier steht der DFB im nationalen und internationalen Austausch.
Gab es im Bereich Stadionsicherheit vergleichsweise Entwicklungen, die zu mehr Sicherheit im Stadion beitragen, auch in anderen Gewerken – etwa im Brandschutz?
Fabian Stegmaier: Die Gewerke der elektronischen Sicherheitstechnik haben sich in den vergangenen Jahren stetig weiterentwickelt, was sich für Betreiber in neuen und verbesserten Anwendungen, Systemen und Services bemerkbar macht. Die Digitalisierung hat beispielsweise im Bereich der elektronischen Zutritts-/Schließsystemen oder brandschutztechnischen Anlagen neue Möglichkeiten eröffnet, die zur Sicherheit im Stadion beitragen. Wir sehen dadurch zudem vermehrt eine Vernetzung der Technik untereinander, was Mehrwert schafft und Prozesse beschleunigt. Die Gewährleistung der Cybersicherheit ist für all dies Voraussetzung, weshalb wir diesen Aspekt im Leitfaden explizit thematisieren.
Den DFB-Leitfaden Videotechnik können Sie hier kostenfrei herunterladen
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