05.10.2022 • Topstory

B&R: Von adaptiven Maschinen und ihren Ansprüchen an die Safety

GIT SICHERHEIT befragte dazu Franz Kaufleitner, Produktmanager bei B&R Industrial Automation.

Franz Kaufleitner, Produktmanager bei B&R Industrial Automation. Bild: B&R...
Franz Kaufleitner, Produktmanager bei B&R Industrial Automation. Bild: B&R Industrie-Elektronik

In der Vergangenheit haben Maschinen jahrein, jahraus das gleiche Produkt gefertigt. Um auf Dauer wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen zukünftige Maschinen jedoch individuelle Produkte ermöglichen – und das geht weit über die Variantenvielflat hinaus, die etwa bei der Konfiguration eines neuen Autos besteht – nämlich hinunter bis zur „Losgröße 1“. Zudem verkürzen sich die Lebenszyklen von Produkten immer mehr – Stichwort Saisonware. Maschinen verändern sich dadurch: Sie werden „adaptiv“, denn sie müssen sich an das herzustellende Produkt anpassen. Und was folgt aus all dem für das Safety-System? GIT SICHERHEIT befragte dazu Franz Kaufleitner, Produktmanager bei B&R Industrial Automation.

GIT SICHERHEIT: Herr Kaufleitner, die Welt der Maschinen verändert sich schon immer in dem Maße, in dem sich die Welt um sie herum und deren Anforderungen verändern. Wenn allerdings von der „adaptiven Maschine“ die Rede ist, gehen wir noch einen Schritt weiter. Lassen Sie uns, um das besser zu verstehen, zunächst einmal von einer „herkömmlichen“ Maschine sprechen. Wie arbeitet sie – und warum kommt sie an ihre Grenzen?

Franz Kaufleitner: „Herkömmliche Maschi­nen“ sind für ein bestimmtes Produkt konzipiert. Sie sind in der Lage, ein exakt definiertes Produkt optimal zu fertigen. Im Rahmen bestimmter Grenzen lassen sich solche Maschinen meist umrüsten, um andere Produkte oder Produktvarianten herzustellen. Das Umrüsten erfolgt jedoch manuell und braucht viel Zeit. In dieser Zeit steht die Anlage still.

Das hat natürlich deutliche Auswirkungen auf die Produktivität...

Franz Kaufleitner: Dauert das Umrüsten zum Beispiel zehn Minuten und muss die Maschine einmal im Monat umgerüstet werden, so ist das kein Problem. Soll jedoch jede Stunde ein anderes Produkt gefertigt werden, sinkt die Verfügbarkeit allein durch das Umrüsten auf 83 %. Die damit erreichbare Produktivität ist auf Dauer nicht ausreichend, um auf dem Markt wettbewerbsfähig zu bleiben.

Die Maschine muss nun mit anderen Anforderungen klarkommen. Was hat sich genau geändert – Stichwort etwa „Losgröße 1“?

Franz Kaufleitner: Die Veränderungen ergeben sich in der Wechselwirkung von Technologie und Konsumverhalten. Nehmen wir das Beispiel eines Fotobuchs. Erst der Digitaldruck ermöglichte das Produkt „Fotobuch“ mit einer „Losgröße 1“. Mit dem klassischen Offset-Druck war das nicht möglich. Die Verfügbarkeit dieser personalisierten Produkte wiederum hat aber zur Folge, dass sich immer mehr Händler auf dieses Geschäftsmodell spezialisierten und damit der Bedarf an solchen Produkten explosionsartig steigt. Die adaptive Maschine ist die Antwort für die Produzenten, diesem Trend zu folgen.

Die adaptive Maschine passt sich dem zu produzierenden Produkt an. Bild: B&R...
Die adaptive Maschine passt sich dem zu produzierenden Produkt an. Bild: B&R Industrie-Elektronik

Was zeichnet so eine adaptive Maschine im Einzelnen aus?

Franz Kaufleitner: Eine adaptive Maschine passt sich wechselnden Arbeitsabläufen und Produktionsschritten an. Das geht sogar so weit, dass die Maschine Produkte fertigen kann, die zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme noch nicht einmal entwickelt waren. Die grundlegenden Technologien für solche Maschinen sind bereits verfügbar: Intelligente Track-Systeme, digitale Zwillinge, Roboter und integrierte Machine Vision. Auch die Sicherheitstechnik spielt dabei eine wichtige Rolle. Starre, hartverdrahtete Systeme sind mit ständig wechselnden Konfigurationen hoffnungslos überfordert. Deswegen ist ein intelligentes und netzwerkbasierendes Sicherheitssystem notwendig, um maximale Produktivität zu erreichen.

Wir bewegen uns generell weg von der Linienproduktion hin zur vernetzten und smarten Produktion. Könnten Sie uns etwas näher erläutern, wie sich Stellenwert und Funktion von Safety-Komponenten in diesem Zusammenhang ändern? Was muss Safety leisten für diese neuen Maschinenformen?

Franz Kaufleitner: Die Anforderungen an das Safety-System lassen sich, einfach gesagt, in drei Kategorien darstellen: Zunächst einmal wird eine programmierbare Sicherheitslogik benötigt, um auf wechselnde Arbeitsabläufe gezielt und optimiert reagieren zu können. Da es sich meist um größere Maschinen oder Anlagen handelt, ist ein netzwerkbasiertes System notwendig, um die verteilten Sensoren und Aktoren zu verbinden.

Das Zweite: Es muss möglich sein, dass Komponenten im laufenden Betrieb umgruppiert, aktiviert oder deaktiviert werden, ebenso müssen sich sichere Parameter, wie Speed- oder Positionslimits anpassen lassen. Solche Parameter sind üblicherweise direkt in den sicheren Antriebsystemen gespeichert, sodass die Komponenten ein flexibles Handling dieser Parameter unterstützen müssen.

Nicht zuletzt – das ist die dritte Kategorie – ist es sehr wichtig, dass die sichere Applikation überschaubar bleibt. Letztendlich muss mit der CE-Deklaration der adaptiven Maschine die Sicherheit in allen Zuständen und in allen Konfigurationsvarianten gegeben sein. Ein modularer Ansatz mit mehreren, kleineren Sicherheitssteuerungen, die im Verbund agieren, ist dabei deutlich einfacher handzuhaben als eine allumfassende Anwendung in einem einzigen zentralen Safety-Controller.

Automatisierungslösungen erfordern von Anfang bis Ende eine enge partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Kunden vor Ort. Wie sieht das genau aus?

Franz Kaufleitner: Das Wichtigste ist, dass der Kunde die Idee und das Konzept der „adaptiven“ Safety versteht und verinnerlicht. Nur so können Fehlanwendungen ausgeschlossen werden. Jedes Safety-Konzept muss außerdem an die individuellen Bedürfnisse des Kunden und der adaptiven Maschine angepasst werden. Manchmal ist es notwendig, dass Konfigurationsänderungen durch einen geschulten Anwender bestätigt werden, in anderen Fällen müssen sich diese Änderungen „automatisch“ quittieren. Sie können sich vorstellen, das letzteres aus sicherheitstechnischer Sicht eine wesentlich größere Herausforderung darstellt und wesentlich mehr Maßnahmen erfordert.

Zu Beginn von solchen Projekten sind wir bei B&R mit Experten aus dem Stammhaus oft mit eingebunden. Wichtig ist, dass die Grundsteine in solchen Projekten richtig gelegt werden und darauf achten wir. Im weiteren Projektverlauf kann der Kunde üblicherweise autark seine Entwicklungen vorantreiben. Dass es bei Bedarf den notwendigen Support durch B&R-Spezialisten vor Ort gibt, ist selbstverständlich.

Herr Kaufleitner, die Entwicklungen, die wir hier besprochen haben, sind natürlich sehr komplex und vielfältig. Wenn Sie in die Zukunft schauen – was wird sich hier noch wesentlich verändern? Könnten Sie einmal skizzieren, wohin aus Sicht von B&R die Reise noch weiter führt?

Franz Kaufleitner: Da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an: Solch eine adaptive Produktion wird tatsächlich schnell komplex. Wir bieten für unser System Werkzeuge und vorgefertigte Bausteine an, damit unsere Kunden trotzdem ohne zu großen Aufwand ans Ziel kommen. Das reicht aber auf Dauer nicht aus, denn in der Fabrikhalle stehen gewöhnlicherweise zahlreiche Maschinen unterschiedlicher Hersteller mit unterschiedlichen Steuerungssystemen. Eine adaptive Sicherheitslösung für solche Maschinenverbünde zu entwickeln, ist derzeit nicht möglich. Daher ist der nächste wichtige Schritt ein einheitliches, sicheres Kommunikationsprotokoll. Aus meiner Sicht kann das nur OPC UA Safety sein. Mit dieser Technologie werden wir den Schritt von einzelnen adaptiven Maschinen hin zu adaptiven Fertigungen schaffen. So kann die Industrie die geänderten Anforderungen der Konsumenten dauerhaft erfüllen.

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