Gemeinsam für mehr Sicherheit: Rückblick auf den 10. Bayerischen Sicherheitstag
Experten diskutieren über globale Politik, Wirtschaftsschutz und die Bekämpfung von Desinformation.
"Sind wir sicher?" titelt das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" in seiner Ausgabe Nr. 49 vom 29.11.2024 und stellt in seiner Titelgeschichte Analysen zum "Tatort Deutschland" an. Was los sei in diesem Land, so die Frage, angesichts der Rückkehr von Gewalt mit Messerangriffen, Raubüberfällen und Prügelattacken. Umso wichtiger ist es angesichts dieser Lage, aber auch vor dem Hintergrund der weltpolitischen Entwicklungen, dass sich Experten zusammentun und sich zum Thema Sicherheit austauschen und vernetzen. So fand der 10. Bayerische Sicherheitstag, organisiert vom Bayerischen Verband für Sicherheit in der Wirtschaft e. V. (BVSW) und dem Bundesverband der Sicherheitswirtschaft e. V. (BDSW), am 26. und 27. November 2024 im „Paulaner am Nockherberg“ in München statt. Die Veranstaltung bot eine Plattform für den Austausch und für die Vernetzung innerhalb der Sicherheitsbranche und beleuchtete aktuelle sicherheitspolitische Themen.
Innenminister Bayerns eröffnet
Der Bayerische Staatsminister des Innern, Joachim Herrmann, eröffnete den Sicherheitstag am Abend des 26. November mit einer Videobotschaft, in der er die Bedeutung der Zusammenarbeit in Krisenzeiten betonte. Im Anschluss gab es viel Gelegenheit für die mehr als hundert Teilnehmer, sich zu vernetzen und auszutauschen.
Caroline Eder, Geschäftsführerin des BVSW, und Radiomoderator Oliver Luxenburger führten am Folgetag durch das Programm und hoben dabei die aktuelle Sicherheitslage hervor. Luxenburger verwies darauf, dass Sicherheit zu einem zentralen Thema in der Gesellschaft geworden sei, wie nicht nur die Überlegungen zur Wiedereinführung von Bunkern in Wohnhäusern oder im öffentlichen Raum zeigten.
Inhalt:
- Wie sich die US-Wahl auf unsere Sicherheit auswirkt
- Warum Veranstaltungs- und Ordnungsdienste neu geordnet werden
- Talkrunde„Umsetzung der nationalen Wirtschaftsschutzstrategie“: Was es dafür braucht
- EURO 2024 in Deutschland: Rückblick auf Sicherheitsorganisation - und zwei Ärgernisse
- Podiumsdiskussion Fakten vs. Fake - gegen Hate Speech und Desinformation
- Fazit
Wie sich die US-Wahl auf unsere Sicherheit auswirkt
Julian Müller-Kaler, Programm-Leiter beim Thinktank The Stimson Center in Washington D.C. und Associate Fellow bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), hielt einen Vortrag über die globalen Auswirkungen der amerikanischen Politik. Er analysierte die Wiederwahl von Donald Trump und deren Implikationen für die internationalen Beziehungen.
Müller-Kaler betonte, dass die Technologieentwicklung und die Häufung von Krisen die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen nicht nur in den USA beschleunigt hätten. Er hob die Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft hervor und erläuterte, wie diese zu einer teilweisen Handlungsunfähigkeit der politischen Institutionen führe. Der Rückgang des Vertrauens in demokratische Institutionen habe "zur Wahl von Populisten wie Donald Trump geführt, was mehr Symptom als Ursache der aktuellen Entwicklungen" sei.
Müller-Kaler zog gar direkte Parallen der Wahl von Barrack Obama mit der Donald Trumps. Beide seien angetreten, als „Outsider“ die bestehenden Verhältnisse massiv zu verändern. Was wiederum auch Rückschlüsse auf die Gegenheiten hierzulande zulasse. So riet der Politik-Experte davon ab, populistische Parteien in Deutschland „lediglich als Nazis abzustempeln“. Stattdessen solle man anerkennen, wenn deren Problemanalyse bisweilen zutreffend sei, und dann gezielt nach konkreten Lösungsvorschlägen fragen. Auf diese Weise könne man Populisten in der Debatte besser herausfordern.
Ein weiterer Schwerpunkt seines Vortrags war die wirtschaftliche Entwicklung in den USA. Müller-Kaler wies darauf hin, dass die USA zunehmend protektionistische Maßnahmen ergriffen, um die heimische Produktion zu fördern, während gleichzeitig die Abhängigkeit vieler Länder der Erde von China wachse. Er prognostizierte das Ende der amerikanischen Hegemonie, insbesondere angesichts des Aufstiegs Chinas, und warnte, dass ein Rückzug der USA aus internationalen Konflikten wie in der Ukraine Europa zwingen könnte, mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit zu übernehmen.
Auf die Publikumsfrage nach dem zukünftigen Engagement der USA in Deutschland und den möglichen Abzug von Soldaten antwortete Müller-Kaler, dass die USA künftig verstärkt eigene Interessen im Vordergrund sähen und wirtschaftspolitische Faktoren sicherheitspolitische Zusagen beeinflussen könnten.
Müller-Kaler plädierte für eine ganzheitliche Betrachtung von Sicherheit, die wirtschaftliche und sicherheitspolitische Aspekte integriert.
Warum Veranstaltungs- und Ordnungsdienste neu geordnet werden
Polizeioberrat Thomas Hecht, Leiter der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Veranstaltungs- und Ordnungsdienste (BLAG VOD), berichtete über die Arbeit der Gruppe, die von der Innenministerkonferenz (IMK) beauftragt wurde. Ziel ist es, vollzugspraktische Problemstellungen zu identifizieren und Optimierungsansätze zu erarbeiten, die in einem Leitfaden münden sollen.
Die Planungsphase begann mit einer Bund-Länder-Abfrage. Beteiligt sind Polizeien, Sicherheits- und Genehmigungsbehörden, Zoll, IHK, Verbände, Veranstalter und die Privatwirtschaft.
Hecht zeigte Videos von kritischen Situationen bei Events und erläuterte Probleme wie heterogene Rechtsgrundlagen, fehlende gesetzliche Regelungen für Sicherheitskonzepte und Schwierigkeiten bei der Zuverlässigkeitsüberprüfung (ZVÜ). Der Entwurf des Sicherheitsgewerbegesetzes (SiGewG) ist noch nicht in Kraft.
Spezifische Probleme umfassen heterogene Organisationsstrukturen, mangelnde Expertise, unkoordinierte Kontrollen und lange Dauer der ZVÜ. Die Sicherheits- und Ordnungsdienste haben mit Personalmangel, Subunternehmerproblematik und Defiziten im Eventmanagement zu kämpfen.
Hecht betonte die Notwendigkeit von Leitfäden für Veranstalter, einer besseren Zusammenarbeit der Behörden und einer verbesserten Ausbildung.
Talkrunde„Umsetzung der nationalen Wirtschaftsschutzstrategie“: Was es dafür braucht
Eine der zentralen Diskussionsrunden des Sicherheitstags befasste sich mit der „Umsetzung der nationalen Wirtschaftsschutzstrategie“. Moderiert von Caroline Eder, sprachen Dr. Sabine Eilert-Blanc, Alexander Borgschulze und Andreas Osternig über die Fortschritte und Herausforderungen bei der Umsetzung dieser Strategie.
Dr. Sabine Eilert-Blanc, Referatsleiterin im Bundesministerium des Innern und für Heimat, hob die Fortschritte bei der Wirtschaftsschutzstrategie hervor. Sie betonte, dass es bereits ein gutes Zusammenwirken zwischen den verschiedenen Akteuren gebe und dass Sicherheitsbriefings mit vielen Unternehmen stattgefunden hätten. Eilert-Blanc wies jedoch auch auf die Notwendigkeit einer engeren Abstimmung zwischen den verschiedenen Ministerien wie dem BMI, BMWI, Verteidigungsministerium sowie dem Bildungs- und Forschungsministerium hin.
Alexander Borgschulze, Vorstandsvorsitzender des ASW Bundesverbands und Präsident des BDLS, Bundesverband der Luftsicherheitsunternehmen, bewertete die Zusammenarbeit zwischen BDI, BDSW und ASW als positiv, wies jedoch auch darauf hin, dass es noch viele Partikularinteressen gebe, die einer effektiven Zusammenarbeit im Wege stünden. Er betonte, dass die Verbände selbstkritisch sein müssten und ihre Abstimmungsprozesse verbessern sollten, um die von ihnen geforderte Geschwindigkeit auch selbst zu erreichen. Borgschulze hob zudem die Notwendigkeit regelmäßiger Austausche mit Behörden und die Schaffung von Informationsplattformen hervor.
Andreas Osternig, Global Head of Corporate Security & Chief Security Officer bei Daimler Truck AG, erläuterte aus Unternehmenssicht die Bedeutung der Wirtschaftsschutzstrategie. Er betonte, dass es bereits Fortschritte im Austausch mit den Behörden gebe, aber noch viel zu tun sei. Osternig bewertete die Geschwindigkeit der Umsetzung als kritisch und wies darauf hin, dass in den USA und im östlichen Ausland vieles schneller gehe. Er betonte, dass eine zu lange administrative Bearbeitung dazu führen könne, dass es „irgendwann zu spät“ sei. Osternig hob auch die Bedeutung von Zertifizierungen (wie TISAX im Automobilbereich) und die Einbindung von kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU) in die Wirtschaftsschutzstrategie hervor. Er wies darauf hin, dass viele KMU aufgrund von Unkenntnis oder Verharmlosung bislang wenig beteiligt seien.
Dr. Eilert-Blanc ergänzte, dass KMU und der Mittelstand im Aktionsplan des BMI berücksichtigt seien und regelmäßige Workshops sowie Initiativen wie Social Media Streetwork durchgeführt würden, um den Mittelstand aktiv zu erreichen. Sie erwähnte auch das Projekt DIN-Spec, das darauf abziele, Sicherheitsstandards zu definieren. Auf die Frage nach der physischen und Cybersicherheit erklärte Dr. Eilert-Blanc, dass das BMI den All-Gefahren-Ansatz verfolge und einen engen Austausch mit dem BSI pflege.
Borgschulze betonte, dass in Unternehmen oft noch siloartig gedacht werde und eine ganzheitliche Betrachtung notwendig sei. Osternig erläuterte, dass bei Daimler Truck zwar getrennte Abteilungen für physische und Cybersicherheit existieren, diese jedoch in einem gemeinsamen Lagezentrum zusammenarbeiten und sich regelmäßig austauschen.
Auf die Frage nach dem Sicherheitsgewerbegesetz antwortete Dr. Eilert-Blanc, dass dieses aufgrund der Beendigung der Legislaturperiode derzeit nicht weiterverfolgt werden könne – es andererseits nach wie vor wichtig sei.
Eine Frage aus dem Publikum bezog sich auf die Zusammenarbeit und den Austausch zwischen Behörden und Unternehmen. Dr. Eilert-Blanc betonte, dass Hospitationen wertvoll sein können, um gegenseitiges Verständnis zu fördern, jedoch auch die Einhaltung der Regeln zur Begünstigung von Behördenvertretern berücksichtigt werden müsse. Borgschulze unterstrich die Bedeutung von Hospitationen und Austausch, und Osternig bot an, dass Behördenvertreter bei Daimler Truck künftig hospitieren könnten, um Einblicke in die Unternehmenssicherheit und deren Anforderungen zu erhalten. Unisono betonte man zudem die Bedeutung eines Bundes-Beauftragten für den Wirtschaftsschutz, der die verschiedenen Initiativen koordinieren sollte.
Im GIT-Gespräch mit Besuchern wurde zudem von etlichen Seiten der Wunsch und die Notwendigkeit geäußert, dass bei einem künftigen Koalitionsvertrag das Thema Sicherheit noch deutlicher und konkreter Eingang finden solle.
EURO 2024 in Deutschland: Rückblick auf Sicherheitsorganisation - und zwei Ärgernisse
Timo Seibert, verantwortlich für die Sicherheit bei der EURO 2024 und Geschäftsführer der Proteus.one GmbH, gab Einblicke in das Sicherheitskonzept der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland. Er berichtete von den Herausforderungen bei der Umsetzung eines neuen Sicherheitskonzepts, das unter anderem den Verzicht auf Zäune zwischen Fan-Lagern und ein neues Ticketing-System umfasste.
Seibert betonte die Bedeutung der Zusammenarbeit mit verschiedenen Netzwerkpartnern wie Stadien, Behörden und Dienstleistern. Er hob hervor, dass 40 Millionen Euro in die Sicherheit investiert wurden und dass die Maßnahmen erfolgreich gewesen seien, wie unter anderem auch die friedliche Durchführung des Holland Fan-Walks mit 600.000 Fans zeigte.
Aus Sicht der Sicherheitsverantwortlichen ärgerlich seien lediglich der Vorfall eines „Roofers“ bei einem Spiel in Dortmund sowie das „Fake-Maskottchen“ beim Eröffnungsspiel in München gewesen. Roofer klettern ohne Sicherung auf Gebäude oder neuerdings Stadiondächer, um Videos davon auf Social Media zu verbreiten. In Dortmund sei der Mann wohl Tage zuvor aufs Stadiongelände gelangt. Für den SEK-Einsatz sei er demnach zwar belangt worden – das Strafmaß sei mit wohl rund 1500 Euro jedoch dem Anlass gemäß zu niedrig angesetzt. Der Youtuber Marvin Wildhage hingegen schleuste sich zum Eröffnungsspiel als Maskottchen getarnt ins Stadion ein. Zwar ein harmloser Vorfall, der dennoch zeige, dass weiter an Konzepten und deren Umsetzung gearbeitet werden müsse.
Insgesamt war die EURO 2024 friedlich verlaufen – auch dank des im Ganzen funktionierenden Sicherheitskonzeptes.
Podiumsdiskussion Fakten vs. Fake - gegen Hate Speech und Desinformation
Eine Podiumsdiskussion zum Thema „Fakten vs. Fake: Der Kampf gegen Hate Speech und Desinformation“ beleuchtete die Herausforderungen im Umgang mit Hassrede und Desinformation. Staatsanwältin Charlotte Ruf (Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus, Generalstaatsanwaltschaft München), Hinrich Weimann (Chief Compliance Officer bei der Versicherungskammer Bayern), Michael George (Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz) und Annette Kraus (Chief Compliance Officer bei Siemens AG) diskutierten über die Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Demokratie.
Ruf betonte, dass immer weniger Menschen bereit seien, öffentliche Ämter zu übernehmen, aus Angst vor Hate Speech im Netz. Kraus wies auf die Herausforderungen hin, die durch die Flut problematischer Posts in sozialen Netzwerken entstehen, insbesondere nach dem 7. Oktober und dem Beginn der Auseinandersetzungen in Nahost.
Weimann erläuterte die Schwierigkeiten bei der Moderation von Kommentaren und die Notwendigkeit, bestimmte Äußerungen bis hin zur Entlassung von Mitarbeitern zu sanktionieren. George betonte die zunehmende Zahl von Desinformationskampagnen und die Notwendigkeit, die Gesellschaft darüber aufzuklären.
Die Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass „klare Ansagen durch das Management“, Investitionen in Schulungen und ein glaubwürdiges Verhalten entscheidend seien, um Hate Speech und Desinformation nicht nur auf Unternehmensseite entgegenzuwirken.
Fazit
Der 10. Bayerische Sicherheitstag bot wertvolle Einblicke und Impulse für die Sicherheitsbranche. Die Veranstaltung unterstrich die Bedeutung der Zusammenarbeit und des Austauschs, um den Herausforderungen der heutigen Sicherheitslage zu begegnen. Die Vorträge und Diskussionen zeigten, dass Sicherheit ein vielschichtiges Thema ist, das sowohl politische, wirtschaftliche als auch gesellschaftliche Aspekte umfasst. Für Profis in Sachen Sicherheit ist der Bayerische Sicherheitstag damit ein echtes Muss im Terminkalender.
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