Konzernsicherheit und Krisenmanagement bei Carl Zeiss
Zeiss fordert seit seiner Gründung 1846 die Grenzen der Vorstellungskraft heraus. Dieser Eigenanspruch des Pioniers der wissenschaftlichen Optik ist keineswegs übertrieben, gehört es doch zu den Pionieren auf diesem Gebiet. Zeiss-Produkte braucht man heute weltweit in der Forschung, bei der Herstellung von Mikrochips, in der Medizin und in vielen anderen Bereichen. Die rund 43.000 Mitarbeiter in rund 50 Ländern erwirtschaften einen Jahresumsatz von mehr als 10,1 Milliarden Euro (2022/23). 15 Prozent davon investiert das stiftungseigene Unternehmen wiederum in Wissenschaft, Forschung und Entwicklung. Für die Konzernsicherheit ist Sven Franke zuständig – GIT SICHERHEIT hat mit ihm gesprochen.
GIT SICHERHEIT: Herr Franke, Sie sind, knapp gesagt, Head of Security der Zeiss Gruppe. Könnten Sie uns zunächst einmal Ihren Verantwortungsbereich umreißen?
Sven Franke: Sehr gerne. Meine Verantwortung umfasst alle Themen der physischen Sicherheit. Das reicht von der Governance-Rolle der klassischen Site-Security über die Reise- und Veranstaltungssicherheit bis hin zur Ermittlungsarbeit. Es ist eine Corporate-Funktion, die globale Reichweite hat. Aber auch die strategische Koordination des konzernweiten Notfall- und Krisenmanagements sowie Business Continuity Managements gehören zu meinen Aufgaben.
Lassen Sie uns das Thema Krisenmanagement etwas stärker beleuchten. Wie ist das bei Zeiss strukturell und personell organisiert?
Sven Franke: Wir orientieren uns als Fundament mit unseren jeweiligen Richtlinien stark am ISO-Standard. Als global agierendes Unternehmen ist das immer unser Anspruch und macht die Schnittstellenarbeit, insbesondere zum Business Continuity Management, leichter. Einheitliche Führungszyklen und Begriffsdefinitionen bieten Struktur und Kontinuität. Ressourcen und regelmäßige Trainings formen die Leistungsfähigkeit. Personell sind wir bei Zeiss klassisch aufgestellt: Die Krisenstabsleitung wird je nach Szenario von Konzernfunktionen und Fachbereichen unterstützt. Dabei wächst insbesondere die Rolle der Corporate IT und Unternehmenskommunikation stetig.
Sie sind früher bei der hessischen Polizei tätig gewesen – dort sind Sie mit Aufgaben des Krisenmanagements bereits vertraut geworden. Themen waren hier etwa der Schutz hochrangiger Personen, Staatsgäste, etc.?
Sven Franke: Zum Glück ist Veranstaltungsschutz nicht gleichbedeutend mit Krisenmanagement. Zwar werden herausragende Lagen mit hochrangigen Schutzpersonen auch im Führungsstab bearbeitet, aber man unterscheidet grundsätzlich zwischen Sofort- und Sonderlagen. Sofortlagen sind zeitlich kritisch und bilden vergleichbar das Krisenmanagement in Industrie und Wirtschaft ab. Hoher Entscheidungsdruck auf Grundlage weniger, teils nicht belastbarer Informationen sind hier wie dort herausfordernd. Sonderlagen, also meistens sogenannte „Zeitlagen“, bringen in der Regel hohen Planungs- und Personalaufwand mit sich. Dazu zählen dann hohe Staatsbesuche wie kürzlich der protokollarische Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei Zeiss in Jena. Diese Einsätze erinnern mich dann doch sehr an meine Polizeivergangenheit.
Wie kamen und kommen Ihnen diese Erfahrungen nun im industriellen Kontext zugute?
Sven Franke: Das erlernte strategische Denken in Organisationsstrukturen hilft immer wieder ungemein: Stakeholdermanagement als äquivalent – wen brauchen wir im Prozess, wer braucht die Informationen und welches Ziel erreichen wir damit?
Wenn wir heute von Krisen reden, geht es oft um dauerhafte Bedrohungslagen. Wie nehmen Sie die Situation wahr?
Sven Franke: Aus meiner Sicht gilt es zu differenzieren. Welche Bedrohungslagen sehen wir uns gegenüber? Mit welchen Eintrittswahrscheinlichkeiten müssen wir rechnen und welchen Impact haben die Bedrohungen auf Zeiss. Wir brauchen den risikobasierten Ansatz, um Ressourcen zu schonen und Schwerpunkte zu setzen. Es ist unmöglich, sich auf alle Bedrohungen gleichermaßen vorzubereiten. Wer alles schützen will, schützt nichts.
Aus Sicht der Unternehmenssicherheit geht es dabei ja um die Themen Business Continuity, Lieferkettensicherheit, etc. Auch das ist bei Ihnen angesiedelt?
Sven Franke: Das Thema Prozessunterbrechung hat gerade durch die Bedrohungslagen und Krisensituationen der letzten Jahre enorm an Bedeutung gewonnen. Der Trend geht weg vom Single-sourcing hin zur Schaffung von Redundanzen und Workarounds. Unsere Aufgabe darin besteht aus der Bereitstellung des Frameworks. Wie kann die Prozessebene unterstützt werden, ihre zeitkritischen Prozesse zu härten? Wie lange können wir ohne jeweilige Ressourcen wie IT, Personal, Supply Chain und Facility auskommen und ab wann wird es existenzbedrohend für Zeiss? Eine sehr herausfordernde Aufgabe für das gesamte Unternehmen.
Es geht – auch bei der Reisesicherheit – um Risikobewertung. Könnten Sie einmal skizzieren, wie Sie dies organisieren? Welche Informationsquellen nehmen Sie in Anspruch? Bekommen Sie die Informationen, die Sie brauchen?
Sven Franke: Für die Lage- und Risikobewertung nehmen wir die Unterstützung eines professionellen Dienstleisters in Anspruch. Dieser übernimmt auch das Monitoring unserer Dienstreisenden. Wir unterstützen und beraten sie mit Länderinformationen und Aufklärung zu speziellen Risiken in den Reisegebieten. Zeiss ist in über 50 Ländern der Welt vertreten. Dementsprechend ist die Bandbreite der Risiken groß. Während die Kriminalitätsrate in Mexiko oder Brasilien vergleichsweise hoch ist und hier der Fokus auf Sicherheitsprävention liegt, muss in Indien mit erhöhten Gesundheitsgefahren gerechnet werden. Hier arbeiten wir eng mit dem internen Medical Service zusammen. Reisesicherheit mündet in Extremsituationen auch manchmal im Krisenmanagement. Die Evakuierung aus Krisengebieten wie bspw. Israel im vergangenen Oktober verlangte eine handlungsfähige Krisenreaktion.
Auf politischer Ebene ist bei all dem derzeit viel Bewegung – Stichwort etwa Wirtschaftsschutzstrategie. Wie schätzen Sie das ein und welche Erwartungen haben Sie in diese Richtung?
Sven Franke: Mir sind die Herausforderungen beider Interessensvertreter bekannt: Auf der einen Seite die Behörden mit oftmals knappen Ressourcen und dem Spagat zwischen Informationswillen und Quellenschutz, auf der anderen Seite meist dynamische Unternehmen mit Informationsdurst und dem Bedürfnis nach Unterstützung in der Lagebewertung. Diese Herausforderungen werden bleiben, wenngleich zumindest der politische Wille erkennbar ist, hier nachzubessern.
Welche anderen wichtigen Projekte verfolgen Sie derzeit oder in nächster Zeit in Ihrem Bereich?
Sven Franke: Zunächst einmal steht der Personal- und Kompetenzaufbau im Vordergrund. Wir sind ein junges Team, das gerade aufgebaut wird, aber gleichzeitig mit hoher Dynamik an die große Bandbreite der Themen herangeht. Es geht um wachsende Herausforderungen in der physischen Sicherheit. Hier müssen wir uns fragen: Wie können wir technische Errungenschaften für uns nutzen? Welche Chancen, aber auch Risiken birgt die Arbeit mit KI für Zeiss und wie kann uns das personell entlasten? Zeiss ist ein hochinnovatives und hochtechnologisches Unternehmen mit Weltmarktführung in exklusiven Bereichen. Diesen Vorsprung gilt es zu wahren. Das betrifft die physische, personelle Sicherheit genauso wie die Informationssicherheit.
Gerade fand die Security Messe in Essen statt. Informieren Sie oder Ihre Mitarbeiter sich dort über aktuelle technische Entwicklungen und Lösungen? Was ist Ihnen hier besonders wichtig?
Sven Franke: Vernetzung! Alle Kolleginnen und Kollegen besuchen regelmäßig einschlägige Messen und Netzwerktreffen. Anlaufstelle war u.a. kürzlich die Sicherheitsexpo in München. Weitere werden ganz sicher folgen.
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