Hochwasserkonzepte auf dem Prüfstand
Im September standen die Ereignisse und Schlussfolgerungen des diesjährigen Hochwassers gleich mehrfach im Fokus von Unternehmen, Forschungsinstituten und Verbänden. Erstmals set...
Im September standen die Ereignisse und Schlussfolgerungen des diesjährigen Hochwassers gleich mehrfach im Fokus von Unternehmen, Forschungsinstituten und Verbänden. Erstmals setzte der Feuerwehrverband zum Bundesfachkongress den Fokus auf Themen rund ums Hochwasser und zog Bilanz. Auch die Sonder - Umweltministerkonferenz Anfang September befasste sich mit der Thematik. Anlass für GIT-SICHERHEIT.de, aktuelle Herausforderungen und neue technische Trends aufzuspüren.
Während das Hochwasserschutzgesetz vorbeugende Maßnahmen zur Verbesserung des Hochwasserschutzes regelt, können diese als aktive Maßnahme nur mittel-bis langfristig Erfolge erzielen. Ein nationales Hochwasserschutz-Programm soll jetzt künftig bessere Rahmenbedingungen für mehr Vorsorgestrategien der Länder und gemeinsame Schutzprojekte schaffen, so die Ergebnisse der Sonder - Umweltministerkonferenz Anfang September.
Es muss nun vorrangig den Flüssen mehr Raum gegeben werden, wobei zur Kappung der Hochwasserspitzen steuerbare Flutpolder besonders effektiv sind, bestätigt Johannes Lohaus, Bundesgeschäftsführer, Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA), die politischen Rahmenbedingungen. „Dieser zusätzliche Raum kann aber nur im Schulterschluss mit der Landwirtschaft zur Verfügung gestellt werden und dies wiederum wird nur mit finanziellen Anreizen gelingen. Auch halte ich es für prioritär bei dem Ersatz zerstörter Gebäude und Betriebe zu prüfen, ob nicht eine Verlagerung außerhalb der Überflutungsbereiche möglich ist. Auf der Umweltministerkonferenz wurden die zentralen Punkte aufgegriffen und soweit wir es derzeit abschätzen können, auch die richtigen Weichen gestellt. Die Beschlüsse decken sich weitgehend mit den Positionen, die die DWA im Vorfeld der Umweltministerkonferenz formuliert hat. Nun kommt es darauf an, den Worten Taten folgen zu lassen, z.B. bei der Optimierung von Genehmigungsverfahren für Hochwasserschutz-Projekte", ergänzt Lohaus.
Hochwassereinsatz in Berlin
Noch frisch in der Verarbeitung der Ereignisse zog es mehr als 140 Teilnehmer zum Hochwasser-Spezial des 3. DFV- Bundesfachkongresses (Deutscher Feuerwehrverband) am 13. und 14. September nach Berlin. Die Themenbreite ging von Führungsorganisation über Kommunikation und Warnung der Anwohner bis hin zu technischen Lösungsansätzen.
Am Einsatz gegen das Hochwasser wurden bundesweit mehr als 75.000 Feuerwehrfrauen und -männer eingesetzt. Der Deutsche Feuerwehrverband (DFV) hat eine Gesamtzahl von 75.205 ehren- und hauptamtlichen Kräften ermittelt, fasste DFV-Präsident Hans-Peter Kröger den Hochwassereinsatz bereits im Juni zusammen. „Besonders die Anstrengungen in der Überlandhilfe sind für die Feuerwehren einmalig. 4.236 Feuerwehrleute aus nicht betroffenen Regionen waren mit geschlossenen Verbänden in den Katastrophengebieten tätig - das ist angesichts der kommunalen Struktur unserer Feuerwehren eine solide logistische Leistung", führt Kröger weiter aus.
Über Fakten zur Flut , deren Ursachen und die Rolle des Klimawandels berichtete Meteorologe Thomas Globig und versuchte dabei die teilweise dramatischen Diskussionen zum Klimawandel zu versachlichen.
„Im Vergleich zum Jahr 2002, hier lag eine gänzlich andere Witterungsvorgeschichte vor, trafen bei dem diesjährigen Hochwasser gleich mehrere meteorologische Besonderheiten zusammen. Der Regen traf im Frühjahr auf die noch stark gesättigten Böden und es wollte sich keine Hochdruckwetterlage einstellen. Hinzu kam die Ausbildung einer kreisenden Zentraltieflage, die dann auch den Starkregen im Mai brachte. Spitzenreiter der Wassermassen waren hier Aschau -Stein (Bayern) mit 404 l/m² in nur 96 Stunden oder Stützengrün - Hundshübel (Sachsen) mit 229 l/m². Vorhersagen für die Zukunft lassen sich trotz milliardenschwerer Klimaforschung nicht machen. Verlässliche Aussagen sind und bleiben nahezu unmöglich", ist sich der Meteorologe aus dreißig Jahren Erfahrung sicher.
Optimierungsbedarf an der Schnittstelle Wasserwirtschaft und Feuerwehr
sieht Jörg Lotz, Vorstandsvorsitzender der Lotz AG Ingenieure. „Die Schnittstelle zwischen Wasserwirtschaft und Katastrophenschutz kann verbessert werden. Im Einsatzfall gibt es andere Erfordernisse als in wasserwirtschaftlichen Genehmigungsverfahren. Notmaßnahmen können oft helfen, doch die Risiken müssen durch andere Einsatzmaßnahmen abgemildert werden. Die Fachinformationen aus der Wasserwirtschaft müssen so übersetzt werden, dass Einsatzleiter vor Ort damit umgehen können. Im Hochwasserfall gibt es nicht genug Wasserwirtschaftler die jeder Einsatzstelle permanent betreuen können. Feuerwehren kommen häufig mit Hochwasser in Berührung, im Vergleich hierzu ist der Umfang der Ausbildung zu gering. Ein gutes Werkzeug zur Verbesserung der Schnittstelle sind Hochwassereinsatzpläne die in Analogie zu Feuerwehreinsatzplänen bei Gebäuden einen schnellen Überblick für den Einsatzleiter liefern. Unerlässlich für den Katastrophenschutz ist die flächendeckende Ermittlung des maximal möglichen Hochwasserereignisses, hier ist die Wasserwirtschaft gefordert. „
Welchen Stellenwert vorbeugender Hochwasserschutz durch Flutungspolder, Talsperren und Deichrückverlegungen hat, beschrieb Bodo Schwiegk vom Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz und zeigte am Beispiel der Wehrgruppe Quitzöbel wie die gesteuerte Flutung der Havelniederung zur Entlastung führte.
Über die Besonderheiten der zivil-militärischen Zusammenarbeit sprach Oberstleutnant Uwe Ried, vom Landeskommando Sachsen-Anhalt.
Die zivile Unterstützung beim diesjährigen Hochwasser stellte neue Rekorde auf. Über 10.000 Freiwillige ergänzten die bis zu 8.000 Einsatzkräfte der Bundeswehr. Die erfolgreiche Zusammenarbeit aller Beteiligten konnte Schlimmeres verhindern. Dennoch gibt es für den Einsatz immer etwas zu verbessern, zieht Ried Bilanz.
Ereignisse wie diese stellen alle Beteiligten vor immense Herausforderungen. Das beginnt unter anderem bei der Kräfteanforderung, Informationsaustausch zur Lage vor Ort bis hin zur Abstimmung der Führungskompetenzen zwischen Bund, Land und Kommune. Die Katastrophengesetzregelung sieht bei Szenarien dieser Art vorerst den Einsatz ziviler Kräfte vor. Bis zur Einsatzanforderung der Bundeswehr, die nur subsidiär tätig werden darf,können durch die Kompetenzabstimmungen daher oftmals Tage vergehen. „Vor Ort angekommen galt es die Kommunikation unserer Führungskräfte mit digitalem Funk, wie bei der Feuerwehr verwendet, sicher zu stellen. Für vorübergehende Irritation sorgte während des Einsatzes in Magdeburg der Fund von drei Plastikrohren, die in einen Deich gerammt waren. Hier bestand zuerst der Verdacht der Sabotage. Der anfängliche Verdacht, dass es sich hier vielleicht um einen geplanten Anschlag auf den Deich handeln könnte, konnte im Rahmen der Ermittlungen des Landeskriminalamtes nicht bestätigt werden. Da Hochwasserereignisse nicht auf der Tagesordnung sind, jedoch verheerende Schäden verursachen,könnten gemeinsame Ausbildung und Übung der Führungskräfte von Feuerwehr, THW und der Bundeswehr die Beteiligten noch besser auf derartige Szenarien vorbereiten und die Zusammenarbeit sowie das gemeinsame Verständnis verbessern", ergänzt Ried.
Hochwasserschutz: Treiber für mehr Sicherheit
Für die meisten Einsatzkräfte von Feuerwehr und Katastrophenschutz steht der Hochwasserschutz erfahrungsgemäß nicht an erster Stelle, so Prof. Jürgen Jensen, Forschungsschwerpunktleiter Zivile Sicherheit an der Universität Siegen am Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik.
„Dennoch ist das Gefährdungspotential beträchtlich wie das letzte Hochwasser zeigte. Bis auf die Risikoregionen sind die Helfer meistens unzureichend auf die Situationen vorbereitet, so die Erfahrungen. Schäden verursacht durch Naturereignisse oder gar terroristischen Ursprungs, ein Anschlag an einer Talsperre kann ganze Landstriche und somit die aufgebaute Infrastruktur komplett zerstören, fordern nachhaltige Lösungen und Rettungsabläufe", so Jensen.
Der Münchner Zukunftsforscher Thomas Strobel geht einen Schritt weiter und will nach der Flut die Flut von Überlegungen für ein wirksameres Hochwasser-Risikomanagement in einer Zukunftslandkarte bündeln. Kern seiner Forderung an die Politik ist ein Rückhaltebeckenplanungsundgenehmigungsbeschleunigungsgesetz, das wie entsprechende Vorranggesetze zum Bau von Verkehrswegen und Stromtrassen eine radikale Änderung der Hochwasserprävention einleiten soll.
Angesichts des Teilversagens von Politik und Gesellschaft verlangt er eine klare Kehrtwende bei der Renaturierung von Flussläufen einzuleiten - durch den flussnahen Besiedlungsboom stehen den Hauptwasserläufen nur noch 20 Prozent ihrer natürlichen Überschwemmungsgebiete zur Verfügung - regt der 49-Jährige ein konzertiertes, länderübergreifendes Konzept an. Dafür sollten Klimafolgen- und Zukunftsforscher ebenso Gehör finden wie Wasserwirtschaftler, Umweltschützer, Stadtplaner, Bürger und Behörden. „Wegen langwieriger Einsprüche und Gerichtsverfahren für den Straßenbau gibt es ein Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz, für Flüsse aber weder ein Verbot bei der Ausweisung von Wohngebieten in Überschwemmungszonen noch ein Rückhaltebeckenplanungsundgenehmigungsbeschleunigungsgesetz", gibt der der Ex-Siemens-Mann zu bedenken."
Potential für mobile Systeme
Um deutlich mehr Objekte in hochwasser- oder starkregengefährdeten Bereichen zu schützen, können kostengünstige und leichte mobile Hochwasserschutzsysteme -kurz mHWS-Systeme- den Schutz optimieren. Entsprechend der Vorwarnzeit schnell und einfach auf- und abgebaut, ergänzen die Systeme zunehmend den dezentralen Hochwasserschutz.
Auch Schweizer Eidgenossen müssen sich mit den Folgen sintflutartiger Hochwasserereignisse auseinander setzen. Ein Grund für Bruno Sager, Entwickler des Bravoo - Hochwasserschutzsystems, nach einfachen und kostengünstigen Lösungen zu suchen. „Durch zahlreiche Optimierungen des Systems konnten wir in den letzten Jahren den Schutz zahlreicher Objekte sicherstellen. Dabei kommen mit wassergefüllte Schläuche zum Einsatz, die in kürzester Zeit an jedem beliebigen Ort mit minimalem Aufwand aufgestellt werden können", beschreibt Sager, Geschäftsführer der Acquaalta Schutzsysteme GmbH aus Basel die Motivation für seine Entwicklungen.
Zur Befüllung, Entlüftung und Entleerung werden die an beiden Schlauchenden frei zugänglichen Strorzanschlüsse genutzt. Ein Damm besteht aus zwei parallel nebeneinander liegenden Schläuchen aus speziellem, strapazierfähigem Planenmaterial. Mit einem einfachen Seilverschluss verbunden, erlauben die Systeme eine einfache und an die örtlichen Gegebenheiten anpassbare Schutzbarriere, die sich auch im Falle von Kontaminierungen oder Ölkatastrophen einsetzen lassen. „Das System findet neben Anwendern in Europa und der Schweiz auch in Deutschland immer mehr Anklang. Weitere Entwicklungen werden folgen, verspricht Sager.
Eine weitere Lösung, die AquaWand aus Münster, lässt sich bereits beim Strassenbau in einem Betonkanal in den Kanaluntergrund vorinstalliert oder als Teile eines Bürgersteiges schnell an örtliche Gegebenheiten anpassen und aufbauen. Als eine Stahl-Netz-Folienkonstruktion, ist sie bei einem Hochwassereinsatz in extrem kurzer Zeit funktionstüchtig und kann nach dem Einsatz wieder im Betonkanal verstaut werden. Das System erlaubt einen modularen Aufbau mit Mehrwertnutzung als Boden-oder Bodenwandaufbau.
„Gerade im urbanen Raum können durch den Einbau der getesteten AquaWände neben der Schadensreduzierung eine Wertsteigerung und besseren Investitionsschutz der Immobilie erreicht werden", ist sich Hartmut Wibbeler als Entwickler und Patentinhaber sicher. Die Projektentwicklungen starteten bereits im Jahr 2006, erinnert er sich an die ersten Schritte als Gründer und Firmeninhaber des Unternehmens AquaBurg Hochwasserschutz. „Im letzten Jahr konnte sich dann die mobile Wand nach letzten Optimierungen im Dauertest bei der Technische Universität Hamburg-Harburg bewähren und zeigte auch im Winter hohe Beständigkeit gegen ankommendes Treibgut im Aufbau und Leckagen. Heute steht die AquaWand als einfach zu montierende Systemlösung für Hochwasserschutz, die nicht nur finanzierbar ist, sondern auch einen schnellen Aufbau mit nur zwei Personen ermöglicht. Als ein dauerhaft installiertes System unterstützt es gleichzeitig die Entwässerung, die zeitweise zu einem benötigten Hochwasserschutz herausgezogen wird. Dank der Unterstützung durch die DBU (Deutsche Bundesstiftung Umwelt) ist es uns möglich eine praktische Lösung vorzustellen, die nach vorheriger Risikoanalyse vor Ort Stauhöhen bis zu 1,80 Meter bewältigen kann," so Wibbeler weiter.
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