02.06.2023 • TopstoryUnternehmenssicherheit

Interview mit ASW-Vorstand Holger Baierlein

Holger Baierlein ist stellvertretender Leiter der Unternehmens­sicherheit bei Audi und vertritt im Vorstand der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft den BVSW. GIT SICHERHEIT hat mit ihm über die aktuelle Sicherheitslage gesprochen.

Holger Baierlein ist stellvertretender Leiter der Unternehmens­sicherheit bei...
Holger Baierlein ist stellvertretender Leiter der Unternehmens­sicherheit bei Audi – und vertritt im Vorstand der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft den BVSW. © BVSW

Am 3. Mai 2023 wurde Holger Baierlein, stellvertretender ­Leiter der Unternehmenssicherheit bei Audi AG, in den Vorstand der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW) gewählt. Im Rahmen dieser neuen Aufgabe vertritt er den Bayerischen Verband für Sicherheit in der Wirtschaft (BVSW), wo er ­Vorstandsmitglied sowie 2. stellvertretender Vorstands­vorsitzender ist. Wir haben mit ihm über die aktuelle Sicherheits­lage und über seine neue Aufgabe gesprochen.


GIT SICHERHEIT: Herr Baierlein, mehrere Krisen finden derzeit parallel statt: Wo sehen Sie im Moment die größten Risiken für Unternehmen?

Holger Baierlein: Die geopolitischen und sicherheitspolitischen Entwicklungen haben derzeit direkte Auswirkungen auf die Sicherheitslage von Unternehmen. Mit Blick auf bestehende Auslandsstandorte, die Zusammenarbeit mit ausländischen Partnerfirmen und zukünftige Investitionen im Ausland stehen wir vor neuen Herausforderungen. In Deutschland selbst beobachten wir u. a. Cyberattacken, die vermehrt von ausländischen, staatlichen Akteuren durchgeführt werden. Diese Aktionen richten sich dabei nicht nur gegen staatliche Institutionen, sondern auch gegen zentrale Wirtschaftsbereiche, sowie Unternehmen der kritischen Infrastruktur. Das Ziel dabei ist es, gesellschaftliche Kernelemente lahmzulegen.

Darüber hinaus gibt es aber nach wie vor Cyberkriminelle, die in die eigene Tasche wirtschaften. Seit einigen Monaten registrieren wir sehr realistisch ausgestaltete Phishing-Mails, die nur schwer als Betrugsversuch zu enttarnen sind. Außerdem sehen wir vermehrt gezielte Angriffe auf Schlüsselpersonen in den Unternehmen, wie z. B. aus dem Finanzbereich oder der Unternehmensführung.


Die Qualität der Cyberattacken nimmt also zu. Welche Rolle spielt hier die Künstliche Intelligenz?

Holger Baierlein: Das lässt sich im Moment noch nicht eindeutig sagen. Fest steht allerdings, dass beispielsweise ChatGPT perfekt dazu geeignet ist, Informationen zu verknüpfen, die sich an unterschiedlichen Stellen im Web finden lassen. Darüber lässt sich beispielsweise schnell feststellen, wer welche Funktionen im Unternehmen ausübt und welche Unternehmen oder Personen miteinander in Beziehung stehen. Mit diesem Wissen im Hintergrund, und natürlich auch mittels Deep Fake oder Voice Cloning, ist es dann wieder möglich, äußerst professionelle Angriffe durchzuführen. Letztendlich sind auch automatisierte Cyberattacken mittels KI denkbar.


Wie können Unternehmen diesen ­Herausforderungen am besten ­begegnen und welche Veränderungen in der Unternehmenssicherheit sind dafür erforderlich?

Holger Baierlein: Wichtig ist ein gesamtunternehmerischer Blick auf die Lage. Bei strategischen Entscheidungen sollten wirtschafts- und sicherheitspolitische Aspekte eine zentrale Rolle spielen, beispielsweise bei der Frage, wo ein neuer Standort eröffnet wird, oder mit welchen Lieferanten oder Partnern eine Zusammenarbeit in Frage kommt. Eine Unternehmenssicherheit, welche die sicherheitspolitische Lage analysiert und die Unternehmensleitung berät, könnte hier einen wesentlichen Beitrag für entsprechende Entscheidungen leisten. Kleinere Unternehmen haben die Möglichkeit, auf externe Berater zurückzugreifen.

Für die Unternehmenssicherheit g­ewinnt auch ein eigenes Risikomanagement an Bedeutung. Es gilt, die Kernrisiken zu benennen und sich dynamisch darauf einzustellen. Außerdem sollten Unternehmen in der Lage sein, mehrere Krisenteams aufzubauen. Zum Thema Cyberangriffe wäre es bei Awareness-Maßnahmen wichtig, noch individueller auf die unterschiedlichen Zielgruppen im Unternehmen einzugehen.


Reicht das Tempo, mit dem sich die deutsche Wirtschaft auf die aktuelle Bedrohungslage einstellt?

Holger Baierlein: Auf jeden Fall müssen wir der Tatsache gerecht werden, dass sich die Bedrohungsszenarien mittlerweile sehr viel schneller verändern. Derzeit arbeitet die Unternehmenssicherheit eher reaktiv. Das Ziel muss jedoch sein, wieder vor die Lage zukommen, anstatt den Ereignissen hinterher zu eilen.  Das kann nur gelingen, wenn bei langfristigen und strategischen Unternehmensentscheidungen auch Sicherheitsrisiken berücksichtigt werden.


Wie können Unternehmen und Sicherheitsbehörden bei der Bewältigung der Herausforderungen am besten zusammenwirken?

Holger Baierlein: Zusammenwirken ist ein gutes Stichwort, denn viel zu oft gibt es Kompetenzstreitigkeiten – bei den Behörden ebenso wie in den Unternehmen. Bei dieser Art von Inseldenken gehen wertvolle Synergien verloren. Um den Herausforderungen angemessen zu begegnen ist es wichtig, an einem Strang zu ziehen, um die vorhandenen Ressourcen zu bündeln. Die Angreifer orientieren sich nicht an Kompetenzen oder Zuständigkeiten, sie nutzen jede vorhandene Sicherheitslücke.


Warum ist die Arbeit der Sicherheitsverbände aus Ihrer Sicht so wichtig für die Wirtschaft und die Unternehmen?

Holger Baierlein: Die Verbände fördern den Austausch zwischen Politik, Behörden und Unternehmen und diese Zusammenarbeit aller Akteure wird in der Sicherheit dringend gebraucht.

Der BVSW hat schon einige Formate für eine konstruktive Zusammenarbeit geschaffen: Mit dem BVSW-Sicherheitsforum für Polizei und Industrie beispielsweise bringen wir Unternehmen und Behörden in Kontakt und bieten mit dieser Plattform eine Möglichkeit, sich regelmäßig und persönlich abzustimmen.

Gleichzeitig wirken wir dem Fachkräftemangel in unserer Branche entgegen. Der BVSW engagiert sich schon seit vielen Jahren für die Aus- und Weiterbildung in der Sicherheit. Für die Ausbildung von Sicherheitsexperten, die den steigenden Anforderungen in diesem Bereich gewachsen sind, haben wir den Studiengang Sicherheitsmanagement an der TH Deggendorf gestartet, der sich mittlerweile gut etabliert hat. Auch hier arbeiten Dozenten von Behörden und Unternehmen gemeinsam, um die angehenden Führungskräfte auf ihre Aufgaben vorzubereiten.


Mit vielen Jahren Vorstandserfahrung beim BVSW im Hintergrund treten Sie jetzt dem Vorstand des Bundesverbandes ASW bei. Mit welchen Zielen ­starten Sie in das neue Amt?

Holger Baierlein: In der ASW kooperieren die Landesverbände und bündeln ihre Kräfte, um ihre Ideen bei der Bundespolitik anbringen zu können. Gemeinsam können wir alle mehr erreichen und die Herausforderungen der Zukunft meistern. Als ASW-Vorstand will ich deshalb dazu beitragen, eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zu fördern.

Darüber hinaus ist es aus meiner Sicht wichtig, kleinen und mittleren Unternehmen mehr Unterstützung zu bieten und zwar auf Landes- sowie auf Bundesebene. Deutschland hat viele Hidden Champions, die immer öfter ins Visier von Kriminellen und Nachrichtendiensten geraten. Auch hier möchte ich gemeinsam mit den Vertretern der Landesverbände an entsprechenden Strategien arbeiten.

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