24.02.2023 • TopstorySmart City

Smart City: Vereinbarkeit von Big Data und Datenschutz

Roundtable über die Chancen und Herausforderungen für unsere Städte.

Dietmar Bethke, comNet; Ulf Hüther, G2K Group; Jochen Sauer, Axis...
Dietmar Bethke, comNet; Ulf Hüther, G2K Group; Jochen Sauer, Axis Communications; Prof. Dr. Clemens Gause, VfS; Dr. Michael Gerz, Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie

Wer nach der Sicherheit unserer Städte fragt, muss die Vision der „Smart City“ unter anderem auf Fragen abklopfen, die sich um die Vereinbarkeit von Big Data und Datenschutz drehen. Wie verhält es sich mit Sicherheit und Nachhaltigkeit? Welche Vorteile kann die Erhebung und Vernetzung von Daten bieten? Axis Communications hatte Ende letzten Jahres zu einer Online-Diskussionsrunde mit dem Titel „Smart City: Vereinbarkeit von Big Data und Datenschutz“ eingeladen

Über Open Data nachdenken?

Smart heiße nicht automatisch nur digital, hob Dietmar Bethke von Comnet zum Einstieg des von Prof. Dr. Clemens Gause moderierten Gesprächs hervor. Smart habe auch mit Strukturen, Wandel, Prozessen und Arbeitsweisen in Städten zu tun. Heute gebe es daher bereits einige smarte Lösungen in deutschen Städten. Der entscheidende Punkt sei: Es hat schon immer Daten in Städten gegeben – nicht nur im kommunalen Bereich, sondern auch über Geoinformationssysteme. Jetzt gelte es, sich stärker zu öffnen und auch über Open Data nachzudenken. Es gehe darum, der Community in der Stadt Daten zur Verfügung zu stellen und künftig die gesamte Gesellschaft an der Realisierung smarter Lösungen teilhaben zu lassen. Dafür gebe es bereits gute Beispiele, aber „definitiv noch Luft nach oben“.

Der unzufriedene Einwohner wandert ab

Deutschland spreche bei diesem Thema bereits in Europa schon sehr gut mit, meinte Ulf Hüther von der G2K Group. Eine der größten Herausforderungen sei derzeit, die Open-Data-Thematik in die Masse zu treiben. Damit dies gelinge, müsse man nach dem Investitionsnutzen für eine Stadt fragen: Es sei der zufriedene Einwohner, der nicht zu einer konkurrierenden Stadt abwandere. Die Datentöpfe seien in Städten zum Großteil bereits vorhanden. Aber man könne sie noch nicht vollständig nutzen.

Deutschland ist ein Auto-Land: Verkehr und Transportmittel

Clemens Gause leitete über zu der Thematik des „Modal Shifts“, womit die Verkehrsverlagerung auf umweltfreundliche Verkehrsmittel gemeint ist. Eine zentrale Herausforderung liege hierbei in der Vielzahl der Beteiligten, sagte Dietmar Bethke.  Verkehrs- und Transportmittel könnten nicht aus einer Hand angeboten werden. Dadurch entstehe ein gewisses Wettbewerbsdenken und ein Mangel an Transparenz. Man könne nicht nur an Busse und Bahnen denken, sondern auch an alle „die Geld damit verdienen, dass noch Autos über die Straßen fahren“. Welche Verkehrsmittel zur Verfügung stünden, könne heute bereits über Apps abgebildet werden. Herausfordernder seien die begrenzten Flächen in den Städten. Man muss prüfen, wie viel Prozent der Fläche man etwa für Radwege habe. Anders als in anderen europäischen Ländern hätten bei uns die Autos noch das Sagen.

Zur Frage, ob die Verkehrsverlagerung mit Smart-City-Konzepten vorangetrieben könnte, hob Jochen Sauer von Axis hervor, dass man sich zunächst mehr Gedanken darüber machen müsse, wann wir den Verkehr am besten nutzen. Dafür brauche man valide Daten, doch falle es teilweise noch schwer, diese zu erheben. „Wenn wir uns zum Beispiel auf Daten von Google beschränken, liegen nur globale Informationen vor“, so Sauer. „Wir wissen also, dass wir während Corona weniger Staus gehabt haben, aber nicht, in welchem genauen Stadtteil – das der Fall war“. Hier gelte es, Ansätze für die lokale Datenerhebung zu finden. „Wir müssen Impulse geben, auch in Richtung der Politik, um im Bereich Smart City insgesamt mehr Interesse am Thema zu generieren.“

Mangelndes Interesse an Smart City beklagte auch Dietmar Bethke. Es gelte, die Bürger zu informieren und sie zu fragen, was ihnen wichtig ist. Entscheidend so ergänzte Jochen Sauer, sei, dass Bürger, die letztlich von Smart-City-Lösungen profitieren, verstünden, warum diese eingeführt werden. Smart-City-Sensoren seien Werkzeuge, die Daten erheben. Nicht mehr und nicht weniger. Wie die Daten weiterverarbeitet und intelligent verknüpft werden, sei erst der zweite Schritt.

Stau-Verursacher Müllfahrzeug: Müllmanagement nicht smart genug

Ulf Hüther berichtete, dass viele Projekte in der Praxis bereits im Keim erstickt würden, weil sie eine viel zu lange Laufzeit hätten, die Budgets nicht vorhanden seien oder die Aufklärung nach außen fehle. Gerade wenn es um Daten und Datenschutz gehe, sei es essenziell, aufzuzeigen, was genau mit solchen Daten passiert. Hüther: „Jeder ist sicherlich schon einmal hinter einem Müllfahrzeug hinterhergefahren, das einen kilometerlangen Stau verursacht hat. In einem solchen Fall ist das Müllmanagement nicht intelligent genug. Man könnte Müllmanagement heute so betreiben, dass nur noch Tonnen abgeholt werden, die wirklich voll sind“. Über eine App könne man bei Bedarf Müllfahrzeuge bestellen damit nur noch für das bezahlen, was man auch wirklich an Müll produziere. Für die Abholung könnten Müllfahrzeuge mithilfe von Daten zur Verkehrslage die beste Route vorgegeben werden, um Staus zu vermeiden. Das wäre effektiv und smart.

Jochen Sauer berichtete von einem Beispiel aus dem niederländischen Almere: Dort seien Gaststätten wegen zu hoher Kriminalität in der Innenstadt nicht ausgelastet gewesen. „Der Zusammenschluss verschiedener Interessensvertreter ist dabei essenziell, um Lösungen zu finden, die auch wirklich funktionieren. So unterstützt Videosicherheitstechnik in Almere die Polizei inzwischen dabei, Hot-Spots für Aggression einzusehen“. Mithilfe akustischer Sensoren könnten Aggressionen im ersten Schritt erkannt werden. Eine Kamera schwenke dann zu der entsprechenden Situation und die Polizei werde über intelligente Kommunikationseinheiten über die Lage informiert, bevor zum Beispiel eine Massenschlägerei entstehe. Das mache eine Stadt intelligenter. Und es entsteht ein Benefit, indem beispielsweise Umsätze in Restaurants hochgehen, weil Besucher sich wieder wohlfühlen.“

Interoperabilität

Dr. Michael Gerz vom Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie: „Interoperabilität ist hier ein wichtiges Stichwort. Wir müssen sicherstellen, dass verschiedene Systeme miteinander Informationen austauschen können – und zwar so, dass beide Systeme dabei das gleiche Verständnis der Daten haben“. Es fehlten städteübergreifende Lösungen. Er sei – so sein Beispiel – kürzlich in einer mittelgroßen Stadt zu einer Großveranstaltung gefahren und habe allein 45 Minuten gebraucht, einen Parkplatz zu finden. In der Stadt habe es kein Verkehrsleitsystem gegeben. Man brauche daher, so Michael Gerz weiter, Interoperabilitäts-Lösungen, „die auch Personen, die nicht in dieser Stadt wohnen oder die nicht tagtäglich mit dieser Art von Services umgehen, nutzen können. Hier sehe ich einen großen Handlungsbedarf. Wir dürfen nicht zulassen, dass Insellösungen, sogenannte Datensilos entstehen, sondern müssen uns für übergreifende Lösungen einsetzen. Dabei ist es wichtig, dass die Städte Herr über die Daten bleiben – im Sinne von Datensouveränität – und zu gemeinsamen Lösungen kommen. Gerade in einem föderalen System ist das natürlich nicht einfach.“

 Nachhaltigkeit

In der Planstadt Neu-Kairo, berichtete Ulf Hüther, „in der es Wasser nicht einfach an jeder Ecke gibt, werden zum Beispiel Flächen nicht bewässert, ohne vorher die Wettervorhersage kontrolliert zu haben, um zu prüfen, ob es eventuell bald regnet. Auch Licht wird hier nicht in Übermaß angeboten. Über Smart Poles kann die Stadtverwaltung Licht in Zeiten, in denen an den Masten nur wenig Aktivität gemessen wird, dimmen. Bewohner können Lichtmasten über eine App zudem selbst einschalten“. Bei uns sei ein solches Energiemanagement auf kommunaler Ebene noch nicht vorhanden.  Nachhaltigkeit könne ein großes Thema für Städte sein, wenn sie es richtig anpacken, die richtigen Daten erheben und die richtigen Rückschlüsse daraus ziehen.  

Aus Gelsenkirchen berichtete dazu ergänzend Dietmar Bethke: Dort setze man auf eine Art Guerillataktik, um in der Stadt auch neue Kommunikationswege zu etablieren. Digitalisierung sei immer eine Querschnittsaufgabe. Sie könne in einer Verwaltung, die in Silos organisiert ist, nicht vorangetrieben werden. „Im ersten Schritt bauen wir daher Netzwerke auf und versuchen zu verstehen, was wir an Menschen und Funktionalitäten in einer Verwaltung brauchen, um technische Projekte umsetzen zu können“. In Gelsenkirchen „haben wir ein Wettermessnetz etabliert, weil es keine Wettermessstationen des Deutschen Wetterdienstes und damit kein zuverlässiges engmaschiges Wetternetzwerk in der Stadt gab. Mikroklima ist für Städte jedoch sehr wichtig. In heißen Sommern gibt es zum Beispiel Plätze, auf denen man sich aufgrund von Hitze nicht aufhalten kann. In einer Nebenstraße wäre es hingegen viel kühler. Diese Dinge gilt es auch für die Stadtplanung zu erfassen. Wir haben daher rund 30 Wettermessstationen verbaut und wollen dies demnächst auf etwa 60 Stationen ausbauen“.

Michael Gerz ergänzt: „Wenn wir uns im FKIE mit Führungssystemen beschäftigen, dann interessieren uns auch bestimmte offene Daten, die wir in das System integrieren, um ein gesamtes Lagebild zu erhalten. Einige Kommunen und Städte bieten hier beispielsweise Informationen über den Verkehrsfluss. Mithilfe dieser lässt sich erkennen, wo Staus sind. Mit entsprechenden Analysen kann man zudem herausfinden, ob es bestimmte Tage, bestimmte Uhrzeiten oder bestimmte andere Faktoren gibt, zu denen immer wieder Staus auftreten. Man kann aber auch noch einen Schritt weitergehen und die Ist-Lage mit der Lage, die einem vom System prognostiziert wurde, vergleichen. So könnte man zum Beispiel Staus zu einer Zeit feststellen, zu der diese nicht typisch sind. Dieser Rückschluss kann verdeutlichen, dass irgendetwas passiert ist, sei es eine Demonstration, ein Verkehrsunfall oder ein anderes besonderes Ereignis.“

Crowdsensing

Mit dem „Crowdsensing“ brachte Michael Gerz ein weiteres Stichwort ins Spiel: Bei Wetterdaten gebe es beispielsweise verschiedene Anbieter, die Daten von privaten Wetterstationen sammeln und zur Verfügung stellen. „Daten werden also nicht mehr nur von lokalen Behörden, Verwaltungen oder vom Deutschen Wetterdienst erfasst, sondern auch von Personen, die zu Hause eigene kleine Wetterstationen betreiben. Die Frage der Datensouveränität spielt hier daher ebenfalls eine zentrale Rolle. Wir haben auf der einen Seite unterschiedliche Stakeholder, die Daten erfassen, analysieren und zur Verfügung stellen und wir haben auf der anderen Seite auch unterschiedliche Nutzer. Wenn wir über Big Data sprechen, müssen wir daher immer im Hinterkopf behalten, dass es hier nicht um einen großen Topf geht, in den wir alle Daten hineinwerfen. Stattdessen herrschen sehr heterogene Strukturen und unterschiedlichste Player vor, die alle auf kleinen Daten-Töpfen sitzen. Wir müssen daher sicherstellen, dass jeder die richtigen Daten zur richtigen Zeit und zum richtigen Zweck erhält.“

Datensilos auflösen

Dass smarte Städte geradezu mit Sensoren gepflastert werden müssten, hält Dietmar Bethke für überflüssig. „Erstmal sollten wir prüfen, was schon an guten, verlässlichen Daten vorliegt. Hat man die Daten gefunden und bewertet, ist der nächste Schritt, sie in einem Open Data Space transparent zur Verfügung stellen – wie in einer Bibliothek. Eine urbane Daten-Plattform sollte der Ort sein, wo alle städtischen Daten möglichst offen jedermann zur Verfügung stehen. Um Ideen im Smart-City-Kontext zu entwickeln, muss man das freie Spiel zulassen.“

Für Jochen Sauer ist die Definition der Zweckbindung entscheidend, um gemeinsam mit allen Stakeholdern den richtigen Weg in Richtung Datenschutz einzuschlagen. Zudem müsse sichergestellt sein, dass große Datenmengen für alle beteiligten Stakeholder derart nutzerspezifisch aufbereitet werden, dass sie den Zweck, zu dem sie erhoben wurden, auch erfüllen können. „Wenn eine Stadt es seinen Bürgern also mithilfe von Daten ermöglichen will, Staus zu umfahren, dürfen Daten auch nur zu diesem Zweck erhoben und entsprechend analysiert werden. Wenn auf einem Kinderspielplatz DSGVO-konform sichergestellt werden soll, dass sich nachts keiner dort aufhält, ist eine optische Sicherheitstechnik nicht geeignet. Stattdessen wäre Radartechnik zum Beispiel ein intelligentes Werkzeug.“

Nachhaltigkeit, Verkehr, Sicherheit 

Am meisten vorangetrieben wird in deutschen Städten derzeit vor allem das Thema Umwelt – so sieht es Dietmar Bethke: Wenn ein Müllfahrzeug für Stau sorge, sei das eben weder nachhaltig noch gut für die Umwelt. Darüber hinaus gebe es, gerade nach dem letzten Sommer, keine deutsche Stadt mehr, die sich nicht in irgendeiner Form mit den Themen Bodenfeuchte oder Grundwasserspiegel auseinandersetze. Ein zweites wichtiges Thema sei die Sicherheit. Dabei gehe es zum Beispiel um Schutz vor Unfällen, die Sicherheit von Besucher bei Großveranstaltungen oder auch die Sicherheit auf Schulhöfen und Kinderspielplätzen.

Datenmüll?

Schließlich schnitt Moderator Clemens Gause die Frage des Datenmülls an. Diesen könne man vermeiden, so Ulf Hüther: „Wenn man die Daten, die bereits erhoben wurden, mit den Daten, die aktuell gebraucht werden, in Einklang bringt, vermeidet man Datenmüll. Wenn ich Daten sauber in einem Kontext zusammenführe, wird das sicherlich dazu beitragen, weniger Datenmüll zu produzieren.“

Die Zweckbindung im Sinne der DSGVO, so Jochen Sauer, helfe ebenfalls dabei, keinen Datenmüll zu produzieren. Im Bereich der Videosicherheitstechnik werde beispielsweise an Tankstellen strikt festgelegt, dass Daten, also Videoaufzeichnungen, drei Tage vorzuhalten sind. Nach drei Tagen müsse das System die Daten löschen und überschreiben.

„Datenqualität ist ebenfalls ein wichtiger Punkt“, ergänzt Michael Gerz: „Es muss sichergestellt werden, dass Daten in der richtigen Qualität erfasst werden. Entscheidend ist auch ein guter Daten-Mix. Beispiel Wetterdaten: Es sind Daten aus unterschiedlichen Stadtteilen und unterschiedlicher Höhe vonnöten, um letztlich repräsentative Daten zu erhalten. Bei der Community, die sich mit Datenauswertung beschäftigt, ist diese Thematik bekannt. Andere Stakeholder müssen entsprechend sensibilisiert werden.“

Die Beteiligten waren sich insgesamt darin einig, dass es zum erfolgreichen Vorantreiben von Smart-City-Konzepten vermehrt der Aufklärung bedarf. Der Nutzen intelligenter Technologien für die Stadt müsse deutlich vermittelt werden.

 

Sprecher des Podiums:

  • Dietmar Bethke, Leiter Neue Technologien und Smart City, comNet GmbH
     
  • Dr. Michael Gerz, Leiter der Abteilung „Informationstechnik für Führungssysteme“ (ITF), Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie (FKIE)
     
  • Ulf Hüther, Director Smart City Europe, G2K Group
     
  • Jochen Sauer, Architect & Engineering Manager, Axis Communications
     
  • Moderation: Prof. Dr. Clemens Gause, Geschäftsführer Verband für Sicherheitstechnik e.V. (VfS)

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