In jeder Ausgabe Ihrer GIT SICHERHEIT bitten wir wichtige Personen, Entscheider, Menschen aus der Sicherheitsbranche, zum VIP-Interview.
Im Interview unserer November-Ausgabe:
Dr. Gerhard Conrad, ehemaliger BND-Agent und Vorstandsmitglied des GKND
- Geboren 1954 in Freiburg/Breisgau
- Promotion in Islamwissenschaften
- 1981–2006 als Reserveoffizier Wehrübungen, als Lagestabsoffizier Nah-/Mittelost im Bundesministerium der Verteidigung
- 1990–2019 Karriere im Bundesnachrichtendienst: Auswertung und Operationen Nah-/Mittelost, Beauftragung mit geheimen humanitären Vermittlungsmissionen zwischen Israel und Hizballah im Auftrag der VN-Generalsekretäre Kofi Annan und Ban KI-moon, später auch mit Hamas
- 2009–2012 Leiter des präsidialen Leitungsstabs im BND, bis 2015 Resident in London und 2016–2019 als Europabeamter Direktor des European Union Intelligence Analysis and Situation Center (INTCEN) in Brüssel
- Intelligence Advisor der Munich Security Conference
- Vorstandsmitglied Gesprächskreis Nachrichtendienste in Deutschland e.V. (GKND)
- Dozent im Masterstudiengang Intelligence and Security an der HS Bund Berlin
- Visiting Professor am King’s College London und an Sciences Po, Paris
- Autor von „Keine Lizenz zum Töten. 30 Jahre als BND-Mann und Geheimdiplomat.“
Ihr Berufswunsch mit 20 war:
Diplomat.
Was hat Sie dazu bewogen, eine Aufgabe im Bereich Sicherheit zu übernehmen?
Die Arbeit als junger Reserveoffizier im Bundesverteidigungsministerium hat mir die Bedeutung vor Augen geführt, die eine zeitgerechte und qualitätsvolle Information der Bundesregierung sowohl in militärischen als auch in außen- und sicherheitspolitischen Handlungsfeldern hat. Eine Anfrage des BND im Jahr 1989 habe ich daher positiv aufgegriffen und bin nach einem einjährigen Sicherheitsüberprüfungs- und Einstellungsverfahren im Sommer 1990 als Beamter im höheren Dienst übernommen worden.
Welche sicherheitspolitische Entscheidung oder welches Projekt sollte Ihrer Meinung nach schon längst umgesetzt sein?
Zweifellos ein Nationaler Sicherheitsrat, der ressortübergreifend kontinuierlich die nationale Sicherheitslage feststellt und bewertet, um so der Bundesregierung eine fundierte umfassende Entscheidungsgrundlage zur Verfügung zu stellen. Fachlich ist diese Forderung seit spätestens 2008 unstrittig, scheitert jedoch immer wieder an partei- und ressortpolitischen Egoismen.
Ein Erfolg, den Sie kürzlich errungen haben, war:
Eine signifikante Statusverbesserung des Europäischen Intelligence Analysis Center (EU INTCEN) in Brüssel als Beratungsinstrument des Hohen Vertreters für Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (2019) und der EU-Mitgliedstaaten, wie sie im Strategischen Kompass der Union 2022 zum Ausdruck gekommen ist. Nach meiner Pensionierung eine allmähliche Versachlichung des öffentlichen Diskurses zu Nachrichtendiensten in Deutschland, nicht zuletzt unter dem Eindruck der Zeitenwende.
Welche Reform bewundern Sie am meisten?
Im Fall ihres Gelingens die wirksame und nachhaltige Transformation und Ertüchtigung der deutschen Sicherheitsarchitektur unter Einbeziehung der Bundeswehr als maßgeblicher Pfeiler der Landes- und Bündnisverteidigung, der Nachrichtendienste als effektive Frühwarn- und Lageinstrumente in allen Bereichen nationaler Sicherheit und der Strukturen für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz in Bund und Ländern.
Wer hat Ihrer Meinung nach eine Auszeichnung verdient?
Aktuell Bundesverteidigungsminister Pistorius und sein Team für eine eindrucksvolle Veränderung des öffentlichen Diskurses zur Bundeswehr und die breit angelegte Einleitung eines dynamischen und pragmatischen Ertüchtigungsprozesses nach jahrzehntelanger Unterfinanzierung und administrativer wie politischer Stagnation und Verkrustung.
Worüber können Sie sich freuen?
Über gelingende Projekte im persönlichen wie beruflichen Umfeld. Ich bin verliebt ins Gelingen.
Welchen Urlaubsort können Sie empfehlen?
Korfu (in Abwesenheit der Kreuzfahrtschiffe und ohne Waldbrände).
Wie würde ein guter Freund Sie charakterisieren?
Humorvoll, zugewandt, gelassen, zuverlässig und tatkräftig, wo nötig, ohne großes Aufhebens.
Welche Zeitschriften lesen Sie regelmäßig?
Tagesspiegel, FAZ, SZ, ZEIT, Spiegel – Als Pensionär schafft man das, wenngleich bei weitem nicht in ausreichendem Maße.
Die GIT SICHERHEIT ist für mich wichtig, weil…
sie existenzielle Themen der Sicherheit im 21. Jahrhundert kompakt und kompetent aufgreift.
Welche Musik hören Sie am liebsten?
Klassik, insbesondere Bach, Händel und Mozart, Beethoven, Schubert, Schumann und Mendelssohn-Bartholdy. Was motiviert Sie? Die Einsicht in Notwendiges und die Verheißung sich abzeichnender Handlungsoptionen.
Worüber machen Sie sich Sorgen?
Über Selbstbezogenheit, Kurzsichtigkeit und Realitätsverweigerung mit den sich hieraus ergebenden Tendenzen gesellschaftlicher wie politischer Radikalisierung, Polarisierung, Gesprächs- und Lösungsunfähigkeit.
Die beste Erfindung im Bereich Sicherheit ist Ihrer Meinung nach:
Alle technischen und organisatorischen Befähigungen zu Real Time All Sources Intelligence Fusion and Comprehensive Situational Awareness für alle Entscheidungsprozesse von Politik, Militär und Sicherheit.
Ihre gegenwärtige Geistesverfassung ist:
Gelassen, zielgerichtet und immer noch engagiert.