Weichen effizient stellen ... dank übertragbarer Software und PSS 4000-R von Pilz
Produktabkündigungen sorgten bei der von den Verkehrsbetrieben Zürich (VBZ) betriebenen Dolderbahn und der Rigi Bahnen AG für innovative Retrofits
Produktabkündigungen sorgten bei der von den Verkehrsbetrieben Zürich (VBZ) betriebenen Dolderbahn und der Rigi Bahnen AG für innovative Retrofits: Eine generische, nur einmalig zu zertifizierende Softwarelösung und die sicheren bahntauglichen Module des Automatisierungssystems PSS 4000-R von Pilz steuern und überwachen Weichen unterschiedlichen Typs. Das Automatisierungsunternehmen zeichnete dabei nicht nur für die Softwareentwicklung, sondern auch für die Projektleitung, Validierung, Inbetriebnahme und Dokumentation verantwortlich. Ein Komplettpaket, das Pilz aus Sicht des Auftraggebers VT Verkehrs- und Industrietechnik AG höchst professionell, mit fundierter Fachkenntnis und in kürzester Zeit erbracht hat.
Auf die Sekunde pünktlich verlässt die Dolderbahn die Talstation Römerhof östlich der Zürcher Altstadt. Etwa sechs Minuten benötigt die elektrisch angetriebene Zahnradbahn, um auf dem Meterspur-Gleis bei einer mittleren Steigung von 19 Prozent 160 Höhenmeter zu überwinden. Nach rund 600 Streckenmetern begegnet sie an einer Ausweichstelle der talwärts fahrenden Bahn. In einem Schaltkasten am Rande des Gleisfeldes sorgen PSSuniversal Steuerungs- und E/A-Module von Pilz seit April 2020 für die sichere Ansteuerung der beiden nicht alltäglichen Schwenkweichen. Betriebsstörungen aufgrund falsch gestellter Weichen sind dadurch ausgeschlossen.
Die eingesetzten Module sind Bestandteile des bewährten sicheren Automatisierungssystems PSS 4000-R für maßgeschneiderte und wirtschaftliche Lösungen in der Bahnindustrie. Diese sind, den CENELEC-Normen EN 50121, EN 50126, EN 50128, EN 50129, EN 50155 und EN 45545 entsprechend, grundsätzlich bis SIL-4-fähig. Das Automatisierungssystem ist modular aufgebaut und eignet sich selbst für knifflige digitale Steuerungs- und Retrofit-Aufgaben optimal.
Investitionen auf der richtigen Bahn
Ob Fernzüge, Regional-, Straßen- oder Bergbahnen: der Schienenverkehr in der Schweiz gilt als besonders zuverlässig, komfortabel und sicher. Die Schweizer Bahnbetreiber investieren kontinuierlich in ihre Infrastruktur sowie in das rollende Material. Mitunter geben die vom Gesetzgeber an einen sicheren Bahnbetrieb gestellten Anforderungen den Anstoß, innovative und zukunftsweisende Lösungen zu entwickeln.
Bei der Zürcher Dolderbahn wie auch bei den Rigi Bahnen am Vierwaldstätter See wurden im Jahr 2018 die für die Weichensteuerung eingesetzten Produktlösungen abgekündigt. Die Bahnbetreiber wandten sich an die Schweizer VT Verkehrs- und Industrietechnik AG (VT AG). Das Unternehmen mit Sitz in Neuenhof bietet ein breites Leistungsangebot sowie den dazu passenden Service in den Bereichen Oberbau, Sicherung und Depot für die gesamte Infrastruktur von Bahn, Nahverkehr und Industrie.
Eine Lösung für drei Weichentypen
Leistungsfähige effiziente Systeme, die die geltenden CENELEC-Normen erfüllen, sollten an die Stelle der abgekündigten Weichensteuerung treten. Die aus drei unterschiedlichen Weichentypen bestehenden acht Weichen mit divergierenden Anforderungen an die Steuerung erwiesen sich als echte Herausforderung. So werden die beiden Schwenkweichen der Dolderbahn (Typ 1) von einem übergeordneten Stellwerk angesteuert und verfügen über keine eigenen Gleisfreimelder. Die Anzeige der Weichenlage erfolgt im Stellwerk. Erreicht die Weiche ihre Endlage nicht, generiert das System einen Fehler: Das Bahnpersonal muss die Position der Weiche vor Ort kontrollieren und diese ggf. von Hand in die Endlage bringen, damit der Betrieb aufrechterhalten werden kann.
Der Weichentyp 2 (Rigi Bahnen) erhält den Stellbefehl primär per Funk. Zusätzlich ist eine Handbetätigung möglich. Die Weichen verfügen über eigene Gleisfreimelder und die Anzeige ihrer Lage erfolgt über einen Weichenlagemelder. Wird die Endlage nach dem Auslösen eines Stellbefehls nicht innerhalb eines definierten Zeitraumes erreicht, versucht die Steuerung die Weiche zurück in die Ausgangslage zu setzen. Weichentyp 3 verfügt zusätzlich über ein bewegliches Herzstück, das ebenfalls über die Weichensteuerung gestellt und überwacht wird.
Retrofit nach Fahrplan
„Allein schon aus Zeit- und Kostengründen – der Umbau respektive die Installation musste ja teilweise parallel zum laufenden Betrieb erfolgen – dachten wir an eine weitgehend standardisierte Hard- und Softwarelösung, die für alle Weichentypen gleichermaßen anwendbar sein sollte“, betont Daniel Rufener, Projektleiter bei der VT AG.
Die VT AG schrieb das Projekt aus, Pilz erhielt den Zuschlag. „Mit Pilz pflegen wir seit Jahren eine enge Partnerschaft. Das Unternehmen genießt nicht nur in Schweizer Bahnkreisen einen exzellenten Ruf. Darüber hinaus bietet Pilz mit den Rail-Modulen des Automatisierungssystems PSS 4000-R Komponenten „off the shelf“, die sich in der Bahnpraxis bewährt haben“, begründet Daniel Rufener die Wahl. Diese sind gegenüber den im Bahnumfeld oftmals eingesetzten proprietären Steuerungslösungen sowohl bei den Anschaffungs- als auch bei den Unterhaltungskosten deutlich günstiger. „Sehr überzeugend fanden wir, dass Pilz die Entwicklung einer so genannten generischen Software vorschlug“, so Daniel Rufener. „Die erfüllt die geforderte CENELEC-Norm EN50128 sowie die SIL-2 Anforderung, muss aber nur einmal zertifiziert werden und ist in der Folge auf sämtliche Weichentypen übertragbar.“
Steuert mehr als die Weichen
Die von Pilz entwickelte Steuerungslösung erfüllt unterschiedliche Aufgaben und Funktionen: Beim Weichentyp 1 ist sie ausschließlich für die Umstellung der Weiche respektive für die Ansteuerung der Hydraulik zuständig. Die Stellbefehle hingegen kommen von einer übergeordneten Steuerung im Stellwerk. Die Stelltechnik der Dolderbahn entspricht nun dem Stand der Technik, weichentypbedingt muss der Lokführer nach wie vor per Augenschein überprüfen, ob die Stellung der Weiche korrekt ist.
Bei Typ 2 und Typ 3 (Rigi Bahnen) übernimmt das Automatisierungssystems PSS 4000-R zusätzlich die Aufgabe einer übergeordneten Steuerung respektive die eines Stellwerks. D. h. es steuert sowohl die Hydraulik als auch die elektrischen Komponenten zur Umstellung der Weiche. Das Automatisierungssystem von Pilz überprüft darüber hinaus Stellbefehle, die per Funk oder von Hand gegeben werden, sowie die Weichenlage und Gleisfreimelder und verarbeitet die Informationen in der Software ziel- und sicherheitsgerichtet. „Jede einzelne Weichensteuerung musste dabei umgebaut und anschließend geprüft werden, da ein Test der Software mit der alten Steuerung nicht durchgeführt werden konnte“, erläutert Daniel Rufener.
Logikfehler ausgeschlossen
Vorteil der generischen Lösung ist, dass die Hardware für alle drei Weichentypen identisch ist: „Die Auswahl des Weichentyps erfolgt durch einen spezifischen Hardwareeingang, der beim Aufstarten der Steuerung eingelesen wird. Die Steuerung überprüft anschließend alle nicht verwendeten Eingänge auf deren Signal und meldet automatisch, falls der falsche Typ ausgewählt wurde oder ein falsches Signal anliegt“, erläutert Marco Biasca, Teamleiter Systemintegration bei Pilz.
Gemeinsam mit Kollegen Bernd Maier und Christian Korupp von Pilz war er neben der umfangreichen Software-Entwicklung für die Erstellen des Sourcecode, Inbetriebnahme, Validierung, den Ablauf des V-Models nach EN 50128 sowie für die komplette Dokumentation verantwortlich. „Wir sehen nicht alle Tage eine so sauber aufbereitete Projektdokumentierung“, lobt der Gutachter André Rüegg von der Schweizerische Südostbahn (SOB).
Eine nur einmal zu zertifizierende generische Steuerungslösung bietet mehrere Vorteile: Installation und Inbetriebnahme beanspruchen weniger Zeit als konventionelle Lösungen. Das ist überall dort von Vorteil, wo ein Retrofit zumindest teilweise während des laufenden Betriebes erfolgen muss. Darüber hinaus lässt sich die Lösung einfach und zeitsparend auch auf künftig anstehende Weichensteuerungs-Retrofits übertragen.
Bei der Schweizer Verkehrs- und Industrietechnik AG stehen absehbar weitere Bahnprojekte und Retrofits an. „Von unserer Seite wollen wir auch in Zukunft weder auf die fachliche Kompetenz noch auf die ausgeprägten Normen-Kenntnisse und den angenehmen persönlichen Kontakt mit Pilz verzichten“, fasst Daniel Rufener zusammen.
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