Bildeffekte haben mitunter großen Unterhaltungswert. Mithilfe der Trickkiste gängiger Bildbearbeitungsprogramme lassen sich Motive nach Bedarf verschönern oder verfremden, so dass sie gelegentlich gar Zweifel an ihrer wirklichkeitsgetreuen Wiedergabe wecken. Nicht durch Bildbearbeitung, sondern direkt im Kamerasensor entsteht ein Effekt, der bei bewegten Aufnahmen nicht nur für ungläubiges Staunen sorgt, sondern störend wirkt und sogar problematisch werden kann: der Rolling-Shutter-Effekt.
Was zunächst nach dem Herunterlassen eines Rollladens klingt, ist ein Belichtungsverfahren, das bei Kameras mit CMOS-Sensoren tatsächlich mit der Funktionsweise eines Rollladens vergleichbar ist. Vereinfacht ausgedrückt ist jedes Bild aus horizontalen Zeilen aufgebaut. Jede Zeile wiederum setzt sich - je nach Auflösung - aus einer unterschiedlichen Anzahl von kleinsten Feldern, den Pixeln, zusammen. Beim Drücken des Auslösers passiert folgendes: Das Bild wird, ähnlich wie bei einem Flachbettscanner, von der ersten bis zur letzten Zeile belichtet. Die Belichtung all dieser Zeilen dauert, abhängig von der eingestellten Belichtungszeit, unterschiedlich lange. Je nach Belichtungsdauer kann es dabei zu teilweise erheblichen Überlappungen kommen. Ist die letzte Zeile von Bild 1 vollständig belichtet, beginnt der nächste Bildeinzug wieder bei der ersten Zeile.
Dieser Fachbeitrag ist eine exklusive Vorab-Veröffentlichung aus GIT SICHERHEIT Nr. 9/2012
Schnelle Bewegung verursacht Verzerrungen
Während dieser Zeit, also vom Beginn der ersten Zeile bis zum Ende der letzten Zeile, bewegt sich das abgebildete Motiv oder - je nach Anwendung - die Kamera weiter. Bedingt durch diese zeitliche Verzögerung kommt es beim Zusammenfügen der einzelnen Zeilen zum Gesamtbild zu manchmal grotesken Verzerrungen. Dieses Phänomen, genannt Rolling-Shutter-Effekt, ist nicht nur im Bereich der Industriekameras relevant, es kann unter bestimmten Umständen auch Anwender im Consumer-Kameramarkt betreffen. Die eingestellte Belichtungszeit muss nur kurz genug und die Bewegung schnell genug sein. Aufgrund der in diesem Segment gängigen relativ lichtschwachen Objektive und den damit verbundenen längeren Belichtungszeiten gibt es hier im Allgemeinen keine nennenswerten Einschränkungen. Dennoch hat der Rolling- Shutter-Effekt auch hier Relevanz: Fotografiert man beispielsweise mit dem Mobiltelefon ein unbewegliches Bauwerk aus einem fahrenden Auto heraus, kann es zu einer Verzerrung aufgrund der Bewegung des Autos kommen. Steht man selbst still und fotografiert dabei ein sich schnell bewegendes Objekt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, ein ähnlich deformiertes Ergebnis zu erzielen.
Zusätzlich zur Belichtungszeit spielt auch die Geschwindigkeit des Sensors eine Rolle: sie bestimmt, wie schnell die Zeilen öffnen und wieder schließen. Bei einem schnellen Sensor mit einer Bildrate von maximal 60 Bildern pro Sekunde ist der Effekt geringer, als bei einem langsamen Sensor mit zum Beispiel maximal 15 Bildern pro Sekunde.
Kritisch werden die Auswirkungen des Rolling-Shutter-Effekts in bestimmten Anwendungen in der IP-Überwachung und in der industriellen Bildverarbeitung. Auch hier gibt es jedoch Unterschiede, was die Eignungskriterien der eingesetzten Kameralösung anbelangt. Nicht für jede bewegte Anwendung ist eine CMOS-basierte Lösung von vornherein ungeeignet, und nicht für jeden Nutzer ist ein eventuell auftretender Rolling-Shutter-Effekt gleich ein Ausschlusskriterium. Für manche Anwendung ist es schlichtweg irrelevant, ob und in welcher Ausprägung dieser Effekt auftritt.
Eine Frage der Anforderungen
Im Bereich der IP-Überwachung beispielsweise liefern verzerrte Bilder keine verwertbare Grundlage für eine stichhaltige und beweissichere Überwachung. Kameraüberwachung ist heute ein integrierter Bestandteil unseres Alltags: Banken, öffentliche Gebäude und Einrichtungen, Großveranstaltungen, Kasinos, Verkehrsüberwachung - wo viele Menschen aufeinandertreffen, steigt das Bedürfnis, für ein sicheres Umfeld zu sorgen. Die Zielobjekte, ob Menschen oder Fahrzeuge, bewegen sich dabei unterschiedlich schnell. Je langsamer sich die überwachten Objekte bewegen, desto kleiner ist die Wahrscheinlichkeit eines Rolling-Shutter-Effekts. Wie langsam konkret und ab wann schnell nun zu schnell wird, ist in diesem Zusammenhang eine Frage von Bildrate und Belichtungszeit. Kartentricks im Kasino beispielsweise lassen sich durch Überwachungssysteme, die mittels hoher Bildrate und kurzen Belichtungszeiten schnell aufeinanderfolgende Bildsequenzen aneinander reihen, erkennen und nachverfolgen. Schwierig dagegen wird es bei der Verkehrsüberwachung. Abhängig von verschiedenen Faktoren, wie zum Beispiel der Position der Kamera in Relation zum Objekt, ihrer Bildrate und Belichtungszeit, kann es problematisch werden, den auftretenden Rolling-Shutter-Effekt in tolerierbarem Rahmen zu halten. Die Zeit, die Sensor und Kamera brauchen, um das Bild Zeile für Zeile zu belichten, reicht eventuell nicht aus, um mit der Bewegung des Autos Schritt zu halten. Verzerrungen wären hier die Folge und müssten bei der Auswertung des Bildmaterials berücksichtigt werden.
Ins rechte Licht gerückt
Das Bewegungstempo des Objekts oder der Kamera ist ein Faktor; für Anwendungen im Außenbereich oder bei schlechter Beleuchtung im Innenraum spielt zusätzlich das Thema Licht eine entscheidende Rolle. Bei hellem Tageslicht kommt die Kamera mit kürzeren Belichtungszeiten aus als in der Dämmerung oder gar Dunkelheit. Dies gilt es vor allem bei der Videoüberwachung von Außengeländen und dunklen Innenräumen zu berücksichtigen. Das Ergebnis sind Verzerrungen, die eine eindeutige und deutliche Identifikation von Menschen und Objekten nicht mehr zulassen. Im Gegensatz zu Anwendungen in der industriellen Bildverarbeitung, bei denen mitunter auch im Grenzbereich zwischen hell und dunkel gearbeitet wird, kann im Außenbereich kein Blitz zur punktgenauen Verbesserung der Ausleuchtung eingesetzt werden; das Ergebnis wären hier dunkle Balken am oberen und unteren Bildverlauf. Um also eine durchgängig hohe Bildqualität bei bewegungsintensiven Anwendungen unter schlechten Lichtbedingungen zu gewährleisten, empfehlen sich in Einzelfällen Alternativlösungen mit CCD-Sensoren. Diese Sensoren arbeiten mit einer anderen Verfahrensweise der Belichtung. Anstatt das Bild zeilenweise von oben nach unten zu belichten, wird in einer Art Momentaufnahme das Objekt abgebildet. Die gesamte Bildfläche wird vom Sensor gleichzeitig belichtet, verarbeitet und in den Speicher übertragen, Verzerrungen treten hierbei nicht auf.
Wie lässt sich der Rolling-Shutter-Effekt vermeiden?
Um die Produktvorteile des CMOS-Sensors dennoch nutzen zu können, kann durch eine Veränderung der Belichtungszeit und bei Bedarf und Eignung durch den Einsatz von Blitz dem Rolling-Shutter-Effekt gezielt gegengesteuert werden. Dazu wird die Belichtungszeit soweit vergrößert, dass sich die Belichtungen der Einzelzeilen um die gewünschte Blitzdauer überlappen. Genau in diese Überlappung wird ein Blitz gelegt. Manche Kameras verfügen hierzu über einen digitalen Ausgang, über den ein Signal an einen externen Blitz gesendet werden kann. Auch hier gibt es jedoch Einschränkungen: Der Einsatz von Blitz bei Überwachungskameras funktioniert nicht bei Fremdlicht, wie zum Beispiel Tageslicht. Lediglich nachts und unter Einsatz von IR-Licht und IR-Pass können solche unterstützenden Belichtungsmaßnahmen eventuell Abhilfe schaffen und Rolling-Shutter-Effekten vorbeugen.
Fazit
Da die Mehrzahl der heute im Einsatz befindlichen CMOS-Sensoren mit einem Rolling Shutter ausgestattet ist, bieten sich wenige geeignete Alternativen. Abhängig von der jeweiligen Anwendung lässt sich der Intensität eines auftretenden Rolling-Shutter-Effekts in vielen Fällen durch gezielte Maßnahmen, wie zum Beispiel durch Verlängern der Belichtungszeit, entgegenwirken. Aufgrund der hohen Qualität der Sensoren und ihres guten Preis-Leistungs-Verhältnisses stellen sie trotz des beschriebenen, in Einzelsituationen auftretenden Effekts eine passende Lösung für den Großteil aller Anwendungen in der IP- Überwachung dar.