24.03.2011 • NewsFreie Universität Berlin

Einflussnahmen des Ministeriums für Staatssicherheit auf West-Berliner Polizei

Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR hat einer Studie der Freien Universität Berlin zufolge in den 50er und 60er Jahren mit immensem Aufwand versucht, alles über die ...

Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR hat einer Studie der Freien Universität Berlin zufolge in den 50er und 60er Jahren mit immensem Aufwand versucht, alles über die personelle, räumliche und sächliche Ausstattung der West-Berliner Polizei in Erfahrung zu bringen. Wie die Untersuchung des Forschungsverbundes SED-Staat der Freien Universität im Auftrag der Polizei weiter ergab, war das durch MfS-Informanten gesammelte Detailwissen enorm, es blieb aber angesichts der Größe und Struktur der Institution Polizei lückenhaft.

Darüber hinaus gelang es dem Ministerium für Staatssicherheit nicht, in die Leitungsebene der West-Berliner Polizei einzudringen. Auch die angestrebte Infiltration der Kriminalpolizei misslang, wie die Studie ergab.

Die Beschaffung von Informationen aus dem Staatsschutz durch den ehemaligen West-Berliner Kriminalbeamten Karl Heinz Kurras, der im Mai 2009 als inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums enttarnt wurde, war demzufolge ein Ausnahmeerfolg des DDR-Staatssicherheitsdienstes. In der Propaganda gegen die West-Berliner Polizei konnten MfS und Volkspolizei im Berichtszeitraum (1959 - 1972) zwar wiederholt Falschinformationen platzieren, diese blieben jedoch bis zur Entstehung der Außerparlamentarischen Opposition in der Bundesrepublik ohne nachhaltige Folgen. Das MfS sei im Berichtszeitraum bis 1972 nicht in der Lage gewesen, in seinem Sinne Einfluss auf das Dienstgeschehen oder gar auf Entscheidungsvorgänge innerhalb der West-Berliner Polizei auszuüben, hieß es in dem Bericht.

Polizeipräsident Dieter Glietsch dankte Professor Dr. Klaus Schroeder und Dr. Jochen Staadt vom Forschungsverbund SED-Staat für ihre Arbeit.
Glietsch erklärte, es sei davon auszugehen, dass das MfS sein Interesse an der West-Berliner Polizei bis zum Zusammenbruch der DDR im Jahr 1989 nicht verloren habe. Er erteilte dem Forschungsverbund daher heute einen Ergänzungsauftrag, um eine vollständige Aufklärung der MfS-Tätigkeit gegen die West-Berliner Polizei bis zum Ende der DDR zu erreichen.

Nach der Wiedervereinigung wurden durch die Berliner Polizeibehörde ca. 9000 Angehörige der ehemaligen Deutschen Volkspolizei übernommen. Zugleich wurde eine Überprüfung hinsichtlich möglicher Tätigkeiten für das Ministerium der Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit bei dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) in Auftrag gegeben.

Bei insgesamt 7611 durch die Polizeibehörde gestellten Anfragen konnte in
1168 Fällen eine Belastung durch Tätigkeiten für das MfS/Amt für Nationale Sicherheit festgestellt werden, die zu Kündigungsverfahren führte. Darüber hinaus erfolgte aufgrund eines Senatsbeschlusses vom 1. Dezember 1992 eine Überprüfung der Dienstkräfte der West-Berliner Polizei. Die Senatsverwaltung legte den Personenkreis aufgaben- bzw.
funktionsorientiert fest. Er umfasste 2968 Personen, denen in keinem Fall eine Tätigkeit für das MfS nachgewiesen werden konnte.

In diesem Zusammenhang und auch im Rahmen der Ermittlungen der Zentralen Ermittlungsstelle Regierungs- und Vereinigungskriminalität (ZERV), die von 1994 bis Ende 2000 eng mit der BStU zur strafrechtlichen Aufarbeitung der SED-/DDR-Vergangenheit und der Vereinigungskriminalität kooperierte, blieb der Polizei die Existenz eines Objektvorganges "West-Berliner Polizei" des Ministeriums für Staatssicherheit bei der BStU unbekannt.

Im Mai 2009 wurde für alle überraschend die Tätigkeit des ehemaligen Westberliner Kriminalbeamten Karl Heinz Kurras als inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit aufgedeckt, 39 Jahre nach seinem Freispruch vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung des Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967.

Im Zuge der dadurch ausgelösten Debatte um eine möglicherweise notwendige Neubewertung seiner Tat und ihrer Folgen hat Polizeipräsident Dieter Glietsch durch Äußerungen der damaligen Leiterin der Stasi- Unterlagenbehörde, Marianne Birthler, in einer Fernsehsendung im Juni 2009 von der Existenz der in ihrer Behörde vorhandenen 180 Aktenbände des sog. Objektvorgangs über die West-Berliner-Polizei erfahren.

Danach war es selbstverständlich, die Inhalte der 180 Aktenbände auswerten zu lassen, um die Einflussnahme des Ministeriums für Staatssicherheit auf die West-Berliner-Polizei umfassend aufzuklären.

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