Brandschutzkonzept für stationäre Lithium-Ionen-Batterie-Energiespeichersysteme
Batteriespeicher ermöglichen es, die Produktion erneuerbarer Energien zeitlich von deren Verbrauch zu entkoppeln. Sie spielen damit eine Schlüsselrolle auf dem Weg zur Energiewende. Dementsprechend steigen Zahl und Größe entsprechender Systeme seit Jahren an – und damit die Gefahr elektrisch verursachter Brände. Wie diesen charakteristischen Brandrisiken speziell in Bezug auf stationäre Lithium-Ionen-Batterie-Energiespeichersysteme wirkungsvoll begegnet werden kann, zeigt Siemens mit einem aktuell entwickelten Brandschutzkonzept.
Wenn es um den Klimaschutz geht, leisten erneuerbaren Energien einen wichtigen Beitrag: Sie helfen dabei klimaschädliche CO2-Emissionen zu senken. Um die Energieversorgung dennoch sicherzustellen, sind Speichertechnologien von großer Bedeutung, da Stromproduktion und Stromnachfrage im Zeitverlauf schwanken. Denn Batteriespeicher ermöglichen es, Strom aus erneuerbaren Energien zu speichern und später bedarfsgerecht zu nutzen. Darüber hinaus stabilisieren und entlasten sie das Stromnetz durch eine flexible Verbrauchssteuerung.
Nicht umsonst steigen Anzahl und Größe entsprechender Anlagen immer weiter an. So arbeiten in Smart Grids bereits stationäre Energiespeicher mit bis zu 10.000 einzelnen Batteriezellen und einer Leistung bis 25 GW.
Lithium-Ionen-Batterien
Die meisten Hersteller von stationären Energiespeichern verwenden Lithium-Ionen-Batterien, denn sie besitzen eine hohe Energiedichte auf kleinem Raum. Jede Lithium-Ionen-Batteriezelle besteht aus zwei Elektroden, der negativen Anode und der positiven Kathode. Sie sind durch einen Separator getrennt. Ein weiterer wichtiger Bestandteil ist das ionenleitende Elektrolyt.
Allerdings birgt dieses Funktionsprinzip einige bauartbedingte Risken:
- die Batteriezellen enthalten eine große Menge an chemischer Energie auf kleinstem Raum
- der sehr geringe Abstand zwischen den Elektroden (Separatorschicht typisch ≈ 30 µm)
- die eingesetzten Elektrolyten sind typischerweise brennbar bzw. leicht entzündlich
Ein Batteriemanagementsystem (BMS) übernimmt deshalb neben der Steuerung und Überwachung des Ladezustands auf Zellen- und Systemebene auch das Temperaturmanagement beim Laden und Entladen. So soll sichergestellt werden, dass die Zelle im definierten sicheren Betriebsbereich gehalten wird.
Thermal Runaway als Gefahrenszenario
Wird der sichere Temperaturbereich überschritten, kann es zu einem thermischen Druchgehen, dem so genannten Thermal Runaway kommen. Bei einem Runaway wird in der Batterie gespeicherte Energie schlagartig freigesetzt und die Temperatur steigt innerhalb von Millisekunden auf mehrere hundert Grad an. Das Elektrolyt entzündet sich bzw. das Elektrolytgas explodiert.
Im Zuge der Entwicklung eines Thermal Runaways verdampft das Elektrolyt mit ansteigender Temperatur sukzessive. Dadurch baut sich der Innendruck in der Zelle immer weiter auf, bis der Elektrolytdampf entweder über ein Überdruckventil oder durch das Bersten der Hülle freigesetzt wird. Ohne Gegenmaßnahmen wird dabei ein explosives Gas-Luft-Gemisch entstehen. Eine Zündquelle reicht dann aus, um eine explosionsartige Verbrennung herbeizuführen. Zudem kann sich ein Thermal Runaway in einem Batteriesystem von Zelle zu Zelle ausbreiten und so zu einem Großbrand führen.
Verschiedene Ursachen können einen solchen Thermal Runaway hervorrufen. Extreme äußere Einflüsse, wie z. B. ein Gebäudebrand können dazu führen, dass die Temperatur in der Batterie über den tolerierbaren Wert steigt. Des Weiteren können mechanische Beschädigungen oder ein altersbedingter Ausfall des Separators durch Dendritenbildung, zu einem internen Kurzschluss bzw. thermischen Runaway führen.
Schutzkonzept zur Vermeidung einer Thermal-Runaway-Ausbreitung
Wie Versuche im Brandlabor von Siemens Smart Infrastructure in Altenrhein in der Schweiz an Lithium-Ionen-Batterien unterschiedlichster Zellchemien (getestet wurden u.a. Lithium-Kobalt-Oxid-, Lithium-Mangan-Oxid-, Lithium-Nickel-Mangan-Kobalt-Oxid- und Lithium-Eisenphosphat Zellen) gezeigt haben, kündigt sich ein Thermal Runaway schon vor dem eigentlichen thermischen Durchgehen an. Ein zuverlässiger Indikator ist das ausgasende Elektrolyt. Sobald also ein Elektrolytgas auftritt, ist mit einem Thermal Runaway zu rechnen. Es bleibt dann aber noch genügend Zeit, um automatisch geeignete Gegen- bzw. Löschmaßnahmen auszulösen. Das heißt zum einen: Löschmittel in ausreichender Konzentration in den Batterieraum einzubringen, bevor der Separator der ersten Batteriezelle ausfällt. Und zum anderen über das Batteriemanagementsystem Abschaltungen vorzunehmen, die die Entwicklung eines Runaways durch Überladung oder Überlast möglicherweise noch stoppen können.
Die schnelle Flutung des Batterieraums mit dem Löschmittel verhindert, dass große Mengen an explosivem Elektrolyt-Sauerstoff-Gemisch entstehen und dass die Ausprägung eines ersten Thermal Runaways verringert sowie das Übergreifen auf benachbarte Batteriezellen gehemmt wird. Sekundärbrände und – durch eine langanhaltende Inertisierung – auch Rückzündungen sind ausgeschlossen.
Schritt 1: Detektion durch Ansaugrauchmelder
Ein entsprechendes Schutzkonzept muss also im ersten Schritt nicht nur eine zuverlässige Detektion für entstehende Brände mit elektrischer Ursache gewährleisten, sondern frühestmöglich, auftretendes Elektrolytgas erkennen.
Diese Herausforderung erfüllen Ansaugrauchmelder mit der Dual-Wellentechnologie. Eine Kombination von Blau- und IR-Sensoren erkennt sowohl elektrische Brände als auch Elektrolytgase bzw. -dämpfe auch bei hohen Luftgeschwindigkeiten und geringen Gaskonzentrationen zuverlässig.
Ansaugrauchmelder (Aspirating Smoke Detectors; ASD) entnehmen kontinuierlich Luftproben aus den zu überwachenden Bereichen und überprüfen diese auf Rauch- und Gaspartikel. Die Luftproben werden über ein Ansaugrohrnetz mit definierten Ansaugöffnungen angesaugt und der patentierten Messkammer zugeführt. Dort erkennt eine Auswerteeinheit die Größe der Partikel und deren Konzentrationen. Dabei lassen sich auch geringste Mengen von Brand- und Elektrolytgasen detektieren.
Schritt 2: Löschung durch Inertgas
Haben die Ansaugrauchmelder einen Brand bzw. Elektrolytgas erkannt, muss umgehend eine automatische Löschung durch eine Löschanlage ausgelöst werden. Nicht nur, weil eine Löschung mit Wasser in elektrischen Systemen zu vermeiden ist, sondern auch weil verdeckte Brandherde mit Wasser nicht erreicht werden. Aufgrund der kompakten Bauweise des Speichersystems sind nur gasförmige Löschmittel geeignet, die auch verdeckte Brandquellen erreichen können.
Bleibt die Frage nach dem geeigneten Löschmittel. Zur Vermeidung von gefährlichen Löschmittel-Zersetzungsprodukte dürfen nur natürliche Gase verwendet werden. Dieses bringt versteckte Brandquellen zum Erlöschen, indem es den für den Brand notwendigen Sauerstoff verdrängt.
Damit bleiben die natürlichen Löschgase Stickstoff (N2), Kohlenstoffdioxid (CO2) und Argon (Ar) als mögliche Alternativen.
Diese unterscheiden sich im Detail. So wird das im Vergleich teure Edelgas Argon nur für spezielle Anwendungen wie etwa Metallbrände eingesetzt. Kohlenstoffdioxid, das effektivste unter den vorgenannten Löschmitteln, ist primär für nicht begehbare Bereiche oder Objektschutzsysteme vorgesehen, da es in der benötigten Löschkonzentration für Menschen gefährlich ist. Vor diesem Hintergrund wird reiner Stickstoff als Löschmittel verwendet, der auch für Lithium-Ionen-Batteriespeicher sehr gute Ergebnisse bringt und in unserer Atmosphäre zu ca. 80 % bereits vorhanden ist. Es ermöglicht zusätzlich eine lange Haltezeit der löschfähigen Konzentration.
Fazit
Lithium-Ionen-Batterien bergen charakteristische Brandrisiken. Ein anwendungsspezifisches Brandschutzkonzept kombiniert frühestmögliche Branderkennung mit leistungsfähigen Ansaugrauchmeldern und Inertgaslöschanlagen. Eine sehr frühe Flutung mit dem Löschmittel verhindert die Bildung großer Mengen explosiver Elektrolyt-Sauerstoff-Gemische, reduziert die Ausprägung eines ersten Thermal Runaways, hemmt das Übergreifen solcher Runaways auf andere Batterien und vermeidet Sekundärbrände sowie Rückzündungen. Mit dem Schutzkonzept beschreiben wir, Batterietyp unabhängig, die Vorgehensweise zur frühzeitigen Erkennung eines Elektrolytgasaustrittes bzw. eines thermischen Durchgehens (Runaway). Durch den Einsatz des Schutzkonzeptes, sind stationäre Lithium-Ionen-Batteriespeichersysteme ein beherrschbares Risiko. Das von Siemens entwickelte „Schutzkonzept für stationäre Lithium-Ionen-Batterie-Energiespeichersysteme“ hat im Dezember 2019 als erstes und bisher einziges Brandschutzkonzept die VdS-Anerkennung (VdS Nr. S 619002) erhalten.
Weitere Informationen zu Siemens Smart Infrastructure finden interessierte Leser unter: www.siemens.com/smart-infrastructure/de
Spezielle Infos zu Brandschutzkonzepten von Lithium-Ion-Batteriespeicher gibt es unter siemens.de/lithium-ionen-ess
Meist gelesen
Coded Processing: Funktionale Sicherheit ohne spezielle Hardware ermöglichen
Im Interview mit GIT SICHERHEIT erläutern Claudio Gregorio (Innotec) und Martin Süßkraut (Silistra Systems) wie die Technologie funktioniert.
Vieles ist noch ungeklärt: Justizvollzug als Bestandteil der kritischen Infrastruktur
Ein Beitrag von Wilfried Joswig, Geschäftsführer beim Verband für Sicherheitstechnik VfS.
General Product Safety Regulation (GPSR): Was regelt sie und welche Akteure müssen sich damit befassen?
Neue EU-Produktsicherheitsverordnung (GPSR) ab 13.12.2024: Wichtige Änderungen und Anforderungen für Verbraucherprodukte
Konzernsicherheit und Krisenmanagement bei Carl Zeiss
Risikobasierter Sicherheitsansatz: "Wer alles schützen will, schützt nichts." GIT SICHERHEIT im Interview mit Sven Franke, Head of Security, Crisis Management & BCM bei Carl Zeiss.
Gesundheit von Pferden mit KI überwachen
Mit einer Kombination von Videotechnologie und KI geht der Hersteller Novostable neue Wege bei der Gesundheitsüberwachung von Pferden.