BSKI: Plattform für alle KRITIS-Sektoren
Der Schutz essenzieller Infrastrukturen – das ist das Ziel des Bundesverbands für den Schutz Kritischer Infrastrukturen (BSKI). Gegründet wurde er 2018 zur Schaffung einer zentralen Anlaufstelle für Entscheider aus Kritischen Infrastrukturen, um diese bei der Etablierung ganzheitlicher Schutzkonzepte zu unterstützen. Es gibt Schulungen und Fachpublikationen. Außerdem ist der Verband im Austausch mit Wissenschaft und Politik. GIT SICHERHEIT sprach mit dem Stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden Dr. Hans-Walter Borries.
GIT SICHERHEIT: Herr Dr. Borries, der Bundesverband für den Schutz Kritischer Infrastrukturen, dem Sie vorsitzen ist noch recht jung. 2018 wurde er gegründet. Könnten Sie einmal kurz nachzeichnen, welche Gründe und welcher Bedarf hinter dieser Neugründung standen?
Hans-Walter Borries: Die Gründungsmitglieder, u. a. mein Institut, wollten das wichtige Thema des Schutzes Kritischer Infrastrukturen umfassend und für alle KRITIS-Sektoren gleichberechtigt behandeln. Es ging uns darum, eine breite Akzeptanz dieses wichtigen Themas zu fördern – für die Öffentliche Hand, die „Blaulichtorganisationen“ sowie Industrie und Handel und für Hochschulen und Universitäten. Dazu bot der Verband sich als politisch unabhängige und neutrale Plattform aller KRITIS-Sektoren an, um zum einen die Bevölkerung stärker zu sensibilisieren und zum anderen erste Lösungen zur Stärkung der Resilienz von allen KRITIS-Sektoren aufzuzeigen und zu diskutieren. Die von Anfang an hohe Bereitschaft, neue Mitglieder zu suchen und auch zu finden sowie die Anteilnahme aus allen Bereichen der Öffentlichkeit zeigten uns schon frühzeitig, dass wir mit dem Bundesverband den richtigen Weg beschritten hatten.
Wie sieht Ihre Mitgliederstruktur aus? Das sind nicht die Kritischen Infrastrukturen selbst, sondern Unternehmen, die Lösungen, Produkte und Dienstleistungen für solche anbieten?
Hans-Walter Borries: Die Mitgliederlandschaft ist von Beginn an breit gefächert gewesen. Neben Vertretern von Hochschulen und Instituten kommen die Mitglieder aus unterschiedlichen Bereichen, wie etwa Unternehmen aus der Sicherheitsbranche mit KRITIS-Bezug. Es haben sich aber auch einzelne interessierte Bürger zur Verfügung gestellt und ihre breite Kompetenz eingebracht. Hinzu kommen Vertreter von benachbarten Verbänden, z. B. dem Deutschen Expertenrat für Besuchersicherheit DEB, die als assoziierte Partner eine enge Kooperation anstreben.
Der Verband hat es sich zur Aufgabe gemacht, Sicherheitsrisiken für KRITIS früh zu erkennen und Konzepte für den Umgang damit zu entwickeln. Wie ist das angelegt und wie sind hier die Informationsflüsse?
Hans-Walter Borries: Der BSKI untersucht alle KRITIS-Sektoren und deren Bestandteile nach Gefahrenlagen und zur Stärkung deren Resilienz. Von Anfang an lag dabei der Blickwinkel nicht nur auf den sehr wichtigen Cyber- und IT-Gefahren. Es wurden auch die mit den neuen Vorlagen des KRITIS-Dachgesetzes – zum Beispiel im zweiten Referentenentwurf – erst heute genannten physischen Gefahrenlagen näher untersucht und die Wechselwirkungen von Gefahrenlagen als „kaskadierende Gefahren“ auf KRITIS-Sektoren überprüft. Im Grunde genommen war und ist es ein BCM-Modell für alle KRITIS-Sektoren und das Aufzeigen von ersten Lösungsansätzen zur Steigerung der Resilienz einzelner KRITIS-Bereiche. Dieser aus damaliger Sicht moderne und wegweisende Ansatz einer umfassenden Betrachtung der KRITIS-Thematik scheint der Erfolgsfaktor des Verbandes zu sein. Wir untersuchen und behandeln wertneutral und vorurteilsfrei die einzelnen KRITIS-Sektoren und versuchen, auf Fachkongressen und -messen mit aktuellen Vortragsthemen den Besuchern und Interessierten gerecht zu werden.
Geben Sie uns das eine oder andere aktuelle Beispiel?
Hans-Walter Borries: Wir haben die Komplexität und die kaskadierende Wirkung eines lang anhaltenden Stromausfalles mit seinen Wirkungen auf die jeweiligen KRITIS-Sektoren untersucht. Ohne Strom fällt nach weniger als 120 Minuten die Telekommunikation weitgehend aus, innerhalb der nächsten Stunden trifft es die Wasserversorgung und letztendlich auch die Abwasserentsorgung. Wie stark die Auswirkungen auf die Bevölkerung sind, hängt davon ab, ob dieses Szenario im kalten Winter oder im heißen Sommer auftritt. Die Erfahrungen meines Institutes aus der Analyse des Schneechaos im westlichen Münsterland im November 2005 haben uns frühzeitig die Dimension einer solchen Schadenslage für weite Regionen und ganzer Bundesländer abschätzen lassen. Mit diesen Praxiserfahrungen und mit der Teilnahme an Forschungsvorhaben konnten wir das KRITIS-Thema aus unterschiedlichen Sichtweisen betrachten. Aktuell haben Untersuchungen aus den Jahren 2022 und 2023, unter anderem zur Resilienzstärkung einzelner BOS-Organisationen, zum Beispiel dem ASB Mitteldeutschland wertvolle Erkenntnisse in der Umsetzung einer Mangellage wie dem Ausfall der Gasversorgung erbracht.
Was sind derzeit besonders wichtige Projekte, die Sie verfolgen?
Hans-Walter Borries: Aktuell sind wir vor allem als Plattform aktiv für so wichtige Themen wie beispielsweise die Gefahr von Drohnen für KRITIS-Einrichtungen, einschließlich der Schutzmöglichkeiten. Ein weiteres Thema ist das Siedlungsabfallwesen und die Abwasserentsorgung bei Ausfall einer Stromversorgung. Bei dem Forschungsvorhaben „Naumburger-Modell“ geht es um die Vernetzung einzelner Einrichtungen im Sinne von Gebäuden und Liegenschaften zu einem Kommunikations- und Entscheidungssystem zur Bewältigung von Krisenlagen. Natürlich betrachten wir die aktuellen Cyber- und IT-Gefahren und schauen erwartungsvoll auf das hoffentlich bald kommende KRITIS-Dachgesetz und seine Anbindung an europäische Richtlinien und Verordnungen (EU-NI-S und EU CERT).
Die Pflichten für Kritische Infrastrukturen werden mit dem KRITIS-Dachgesetz und auch durch NIS 2 – beides Umsetzungen von EU-Richtlinien – erweitert. Ihr Verband ist ja auch lobbyistisch tätig – welche Aktivitäten und Ziele verfolgen Sie diesbezüglich?
Hans-Walter Borries: Zuerst einmal sind wir froh darüber, dass ein rechtsverbindliches KRITIS-Gesetz 2024 kommen wird. Wir hätten es uns schon für Ende 2023 gewünscht, aber die Beratung zu den Inhalten, etwa bezüglich der Sektoren und Größenklassen, haben diesen Aufschub bewirkt. Skeptisch sind wir, weil ein KRITIS-Bereich „Medien und Kultur“, u. a. Archive von Bund-, Ländern und Stadt-/Kreisen sowie Sendeanstalten nicht mehr KRITIS-Sektoren sein sollen. Gerade diese haben eine wichtige Aufgabe in der Kriseninformation und Kommunikation. Spannend wird auch sein, wie ein Abgleich zwischen EU-NIS-2 mit 18 KRITIS-Sektoren auf nunmehr nur noch neun Sektoren im KRITIS-Dachgesetz erfolgen kann. Gewünscht hätten wir uns, dass die Größenklassen für Nutzer und Verbraucher sowie die Umsatzklassen kleiner ausfallen würden. Ebenfalls hatten wir uns erhofft, dass die Vorstände und die Geschäftsführungsebene sowie im öffentlichen Bereich die „Hauptverwaltungsbeamten“ (Landräte, Ober-Bürgermeister und Bürgermeister) in eine persönliche Haftungspflicht genommen werden, um die Umsetzung der Gesetzesvorlagen sicherzustellen.
Für wie vielversprechend hinsichtlich ihrer Wirksamkeit halten Sie die neuen Pflichten, die diese Normen vorsehen?
Hans-Walter Borries: Das wird Umsetzung des KRITIS-Dachgesetzes bis Mitte 2026 zeigen. Das ist knapp kalkuliert – und darin sehen wir eine Gefahr insbesondere für neue Unternehmen, die in die Verordnung und den Größenklassen fallen. Sie müssen sich zuerst – vergleichbar mit einer BCM-Standortanalyse – ihrer Stärken und Schwächen hinsichtlich Bedrohungs- und Gefahrenlagen bewusst werden, um daraus Handlungsmuster für ein geordnetes Krisen- und Notfallmanagement abzuleiten. Das in nur knapp zwei Jahren neu zu bewältigen, ist sicherlich eine fordernde Aufgabe, die mit Mut und Entscheidungsfreude angegangen werden sollte.
Wie stellt sich in diesem Zusammenhang die Lage auf dem Markt der Fachkräfte dar?
Hans-Walter Borries: Wir erleben derzeit, dass die Hochschul- und Universitätslandschaft mit zahlreichen Studiengängen im Bereich des Krisen- und Notfallmanagements sowie des Bevölkerungsschutzes und der Katastrophenhilfe eine wichtige Aufgabe übernimmt. Seit etwa fünf bis acht Jahren gibt es erste Bachelor- und Masterarbeiten, vereinzelt auch schon Promotionen. Neu werden auch einzelnen Segmente des KRITIS-Sektorenwesen und Lösungen in Studiengängen behandelt, sodass man vielversprechende junge und gut ausgebildete Krisen- und Notfallmanager mit KRITIS-Bezug in den nächsten Jahren erwarten darf, die der Markt auch dringend braucht. Es wird darauf ankommen, dass ein Gleichgewicht zwischen dem Werben aus dem Öffentlichen Dienst den höher dotieren Angeboten aus der freien Wirtschaft, hier den KRITIS-Unternehmen, standhält. Ich bin aber sicher, dass die Kräfte des Marktes dies regeln werden.
Herr Dr. Borries, Sie sind auch in der Lehre tätig – nämlich an der Universität Witten-Herdecke. Dort befassen Sie sich etwa mit Strom- und Gasmangelsicherheit, aber auch um Wassermangel. Hier sind Sie mittelbar mit den derzeit prominentesten Problemen beschäftigt – der russischen Aggression und deren Folgen sowie dem Klimawandel.
Hans-Walter Borries: Ich habe zu den genannten Themen unter anderem von 2010 bis 2022 an der Universität Witten/Herdecke diverse Lehraufträge gehabt und interessante Seminare mit hoch motivierten Studenten gehabt. Seit April 2022 habe ich einen Ruf an die Hochschule Magdeburg-Stendal angenommen und lehre dort Energieversorgung, Blackout-Resilienz und Krisenmanagement-Themen im Rahmen des Masterstudienganges Sicherheit, Gefahrenabwehr und Brandschutz (SGA). Dieser richtet sich an Studenten, die vielfach schon in einzelnen BOS-Organisation erste Berufserfahrungen gesammelt haben und die sich für Aufgaben des Höheren Dienstes bzw. als Sicherheitsverantwortliche von Unternehmen qualifizieren und später bewerben wollen.
Die von mir betreuten Seminararbeiten decken alle KRITIS-Themen und Sektoren ab. Für erwartbare Hitzesommer wurden Untersuchungen zur Wasserversorgung für Städte und Gemeinden angefertigt. Sie zeigen, dass Städte mit mehr als 200.000 Einwohnern im Hitzesommer bei Ausfall der Wasserversorgung große Versorgungsprobleme bekommen werden. Wir arbeiten an Lösungen. Wir untersuchen auch, inwiefern ein neuer und angepasster Zivilschutz in den nächsten Jahren notwendig ist. Er ist eine Folge der täglich von russischen Machthabern geäußerten Drohungen mit (Hyper-)Schallraketen und Atomsprengköpfen auf eine unvorbereitete Zivilbevölkerung. Wir hoffen, erste praktikable Lösungen zeitnah aufzuzeigen.
Sie arbeiten gerade auch an einem neuen Studiengang?
Hans-Walter Borries: Zusammen mit der Hochschule FOM und meinem geschätzten Kollegen Prof. Dr. Henning Goersch habe ich in den letzten Monaten das Curriculum für einen Studiengang KRITIS im Rahmen des klassischen Studiengangs des Bevölkerungsschutzes mitgearbeitet, der zum Wintersemester 2024/25 dann in seine Anwendung und Umsetzung gehen. Ich bin darauf sehr gespannt und sicher, dass dieses wichtige und weiterhin aktuelle Thema auf das große Interesse der Studenten und Studentinnen treffen wird und dass wichtige Grundlagenarbeiten hier eine Anwendung finden werden.