Chancen zur Entbürokratisierung im Brandschutz
Deutschland hat einen der höchsten Brandschutzstandards weltweit: Nur in den USA sowie in einigen EU-Staaten wie Österreich, Frankreich und den Niederlanden ist die mittlere Zahl der Brandtoten im Verhältnis zur Anzahl der Brände auf einem ähnlich niedrigen Niveau. Wo gibt es Potenzial für Vereinfachungen, ohne die Sicherheit im Brandfall zu vernachlässigen? In seinem Beitrag für GIT SICHERHEIT geht Axel Haas, Geschäftsführer beim Deutschen Institut für vorbeugenden Brandschutz dieser Frage nach.

des DIvB Deutsches Instituts für vorbeugenden Brandschutz
Hohe bauliche und anlagentechnische Anforderungen sowie die inzwischen von allen Bundesländern umgesetzte Rauchmelderpflicht in Wohngebäuden haben dafür gesorgt, dass die Zahl der Brandtoten seit dem Jahr 2000 um rund 40 Prozent gesunken ist. Laut amtlicher Statistik sind im Jahr 2023 in Deutschland 283 Menschen durch Brände um Leben gekommen. Brandschutzexperten sind sich darüber einig, dass eine weitere deutliche Senkung der Zahl der Brandverletzten und Brandtoten nur mit einem wesentlich höheren Aufwand erreichbar wäre.
Ein ähnliches Bild zeigen auch die Statistiken des Gesamtverbands der deutschen Versicherer (GDV): Die Schadenssummen durch Brände sind laut GDV trotz zunehmender Auflagen nur unwesentlich gesunken. Der Nutzen neuer zusätzlicher Brandschutzmaßnahmen ist daher gemessen am dafür erforderlichen Aufwand als vergleichsweise gering einzuschätzen. Bis zu vier Prozent der gesamten Baukosten entfallen mittlerweile auf den Brandschutz. Hinzu kommen oft noch teure Gutachten, die schnell fünfstellige Summen erreichen. Gerade für kleinere und mittlere Bauvorhaben können solche Kosten schnell das Aus bedeuten. Wenn ein Projekt bereits in der Planungsphase an bürokratischen Anforderungen scheitert, bleiben insbesondere dringend benötigte Wohnungen auf der Strecke.
Brandschutz mit Augenmaß
Die vorhandenen Brandschutzvorschriften können daher als angemessen gelten, wenngleich es Potenzial für Vereinfachungen und Vereinheitlichungen gibt, ohne die Sicherheit im Brandfall zu vernachlässigen. Dies gilt vor allem für den Wohnungsbau: Schätzungen zufolge sind hier je nach Projekt zwischen mehreren Tausend bis über 5.000 Gesetze, Verordnungen, Normen und Richtlinien relevant. Die damit verbundene Bürokratie ist derart ausgeufert, dass sie mittlerweile als ernstzunehmende Bremse für den dringend benötigten Wohnungsbau gilt.
Zur Erinnerung: Die vorherige Bundesregierung hat zwar bis zu ihrer Auflösung an dem Ziel von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr festgehalten, die Realität zeigt jedoch ein anderes Bild: Im Jahr 2024 wurden laut Statistischem Bundesamt 215.900 neue Wohnungen genehmigt – so wenig, wie seit 2010 nicht mehr und ein Rückgang um 16,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Neben steigenden Baukosten, gestiegenen Zinsen und Fachkräftemangel ist es vor allem die überbordende Bürokratie, die viele Bauprojekte zum Scheitern bringt.
Bürokratie als Bauverhinderer
Nach wie vor leistet sich jedes der 16 Bundesländer eine eigene Landesbauordnung (LBO), obwohl die Länder regelmäßig an der Überarbeitung der bundesweiten Musterbauordnung (MBO) mitwirken. Die Folge: Was in Bayern baurechtlich zulässig ist, kann in Niedersachsen scheitern. Völlig absurd wird es, wenn zum Beispiel an der Landesgrenze zwischen Berlin und Brandenburg zahlreiche Grundstücke an der Gartenseite aneinandergrenzen und der eine Eigentümer durch einen Anbau oder den Ausbau seines Dachgeschosses kostengünstig und schnell zusätzlichen Wohnraum schaffen kann, während dies seinem direkten Nachbarn verwehrt bleibt.
Diese Art Kleinstaaterei führt zu Planungsunsicherheit und erhöhten Kosten, da Architekten und Fachplaner für jedes Bundesland die Besonderheiten der jeweiligen LBO beachten müssen. Darüber hinaus existieren in Deutschland über 3.000 DIN-Normen betreffend die Konstruktion, Statik, Sicherheit, Energie, Schallschutz usw. die beim Wohnungsbau zwar direkt oder indirekt berücksichtigt werden müssen, aber nicht alle zwingend anzuwenden sind.
Regelungen der Länder und Kommunen
Zu den bundesweit gültigen Regeln kommen auf Landesebene Verordnungen für Sonderbauten wie etwa Geragenverordnungen und Denkmalschutzgesetze. Zu guter Letzt sind noch unzählige, stark variierende kommunale Vorschriften zu beachten. Diese finden ihren Niederschlag nicht nur in den Bebauungsplänen und deren ergänzenden Gestaltungssatzungen, sondern weiteren kommunalen Vorschriften wie: Erhaltungssatzungen, Baumschutzsatzungen, Stellplatzsatzungen etc.
Die Erfahrung zeigt außerdem: Jeder neue Paragraf, jede zusätzliche Vorschrift führt zu höheren Kosten, längeren Planungszeiten und immer neuen Hürden für private und auch öffentliche Bauherren. – Ein Wunder, dass Architekten, Planer und Baubehörden angesichts der Flut an Gesetzen, Verordnungen und Regelungen überhaupt noch Bauanträge korrekt stellen, sachgerecht bearbeiten und rechtskonform genehmigen können.
Verwaltungshandeln berücksichtigen
Möglicherweise ist die Fülle der zu beachtenden Regelungen ein Grund für ein von Bauherren, Architekten und Planern in letzter Zeit immer häufiger beobachtetes Verhalten der Verwaltungen: Gemeint ist die sogenannte „Rücknahmefiktion“, die von den Bauämtern aus § 69 Abs. 2 der MBO bzw. der ähnlich lauteten Regelungen der LBOs abgeleitet wird. Sie entwickelt sich mehr und mehr zu einem Symbol für bürokratische Willkür und die Entrechtung der Bürger. Der genannte Paragraf erlaubt es den Bauämtern, nach eigener Anschauung unvollständige Anträge als „zurückgenommen“ zu bewerten. Da der Bauantrag in solchen Fällen nicht formell abgelehnt wird, hat der Bauherr keine Möglichkeit Rechtsmittel einzulegen und diese De-facto-Ablehnung der Behörde gerichtlich überprüfen zu lassen.
Wohnungsbau wird erschwert
Die Anwendung der Rücknahmefiktion wird vor allem dort immer häufiger beobachtet, wo der Bedarf am größten ist: im Wohnungsbau. Dabei gilt für die Errichtung oder Änderung von Wohngebäuden, die keine Sonderbauten sind – also die allermeisten Wohnbauvorhaben – das so genannte vereinfachte Verfahren. Dafür ist bundesweit in allen LBOs auf ähnliche Weise festgelegt, dass die Bauaufsichtsbehörde nur einen Teil der baurechtlichen Vorschriften prüft und die Bauherrschaft und weitere Fachleute wie Architekten und Brandschutzplaner für die Einhaltung der behördlich nicht geprüften Vorschriften verantwortlich sind. Das hält einige Bauämter aber nicht davon ab, selbst im vereinfachten Verfahren die Prüfungen zum Beispiel auf den Brandschutz bestehender Gebäude auszuweiten und/oder Nachweise einzufordern, die nur bei Sonderbauten erforderlich sind, also bauliche Anlagen und Einrichtungen, die wegen ihrer Größe, ihrer Nutzungsart oder hoher Besucherzahlen ein erhöhtes Gefahrenrisiko aufweisen.
Bauvorhaben bleiben auf der Strecke
Fehlt beispielsweise ein von der Behörde eingeforderter Nachweis oder werden zusätzliche Maßnahmen gefordert – selbst wenn dafür keine zwingend vorgeschriebene Rechtsgrundlage existiert – wird der Antrag als vom Antragsteller zurückgenommen eingestuft. Entspricht der Antragsteller den Auflagen des Bauamts nicht innerhalb der vorgegebenen Frist, muss er den gesamten Genehmigungsprozess von vorne beginnen, verbunden mit erneuten Kosten und monatelangen Verzögerungen.
In vielen Fällen ist das geplante Bauprojekt dadurch für den Bauherren zum Beispiel aus zeitlichen oder finanziellen Gründen nicht mehr attraktiv und ein erneuter Bauantrag erfolgt nicht. Ob das geschilderte Verwaltungshandeln tatsächlich aus Unsicherheit angesichts der Vielzahl der Bauvorschriften resultiert, ist nicht bekannt. Bekannt ist aber, dass es in diesem Zusammenhang im Grunde fast nie zu einer Haftung einer Baubehörde oder einzelner Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeitern gekommen ist. Im Ergebnis aber bleibt festzuhalten, dass die Schaffung dringend benötigten, preiswerten Wohnraums durch diese Verwaltungspraxis erschwert wird.
Was sich ändern muss
Das Deutsche Institut für vorbeugenden Brandschutz (DIvB) fordert daher die Abschaffung oder zumindest eine deutliche Entschärfung der sogenannte „Rücknahmefiktion“ nach § 69 Abs. 2 MBO. Statt Bauanträge als „zurückgenommen“ einzustufen und damit zu stoppen, müssen Bauämter den Bauherren Gelegenheit geben, fehlende Unterlagen nachzureichen. Werden sich Bauherr und Bauamt nicht einig, muss der Bauantrag abgelehnt werden. Damit bekommt der Bauherr die Möglichkeit zurück, sein Baurecht – das Recht zu bauen – gerichtlich überprüfen zu lassen. Darüber hinaus setzt sich das DIvB seit vielen Jahren für bundesweit einheitliche Regelungen für den baulichen Brandschutz und eine entsprechende Vereinheitlichung der LBOs ein. Nur so können nicht nur im Wohnungsbau klare Standards, Kostensicherheit und Planungsstabilität geschaffen werden.
Fazit
Die bestehenden Vorschriften gewährleisten ein hohes Brandschutzniveau und ein hohes Maß an Sicherheit für die Bevölkerung. Der Brandschutz darf aber weder durch neue hinzukommende Regelungen noch die Verwaltungspraxis zum Instrument der Bauverhinderung werden. Das aktuelle Maß an Bürokratisierung schadet nicht nur aktuellen und künftigen Bauvorhaben, sondern auch dem Vertrauen in unsere demokratischen staatlichen Strukturen.