Gefährlich gut informiert! Zur Überwindung von Sicherheitstechnik
Im Mittelalter war der Informationsaustausch zwischen Tätern deutlich entschleunigter als heute. Wurde ein neues sichereres Schloss für eine Schatzkammer hergestellt, so hatte man meist viele Jahre Ruhe, bis Täter einen Weg fanden, dieses Schloss zu knacken… Das lag auch daran, dass sich Täter untereinander nur sehr eingeschränkt austauschen konnten.
In seinem Beitrag für GIT SICHERHEIT befasst sich Sascha Puppel, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Sicherheitstechnik und Sicherheitskonzepte, nach einem historischen Rückblick mit der Frage, wie Täter Sicherheitstechnik heute in der Regel überwinden – und wie man sich dagegen am besten wappnet.
Der Erfahrungsaustausch über Einbruchsmaschen – erfolgreiche oder weniger erfolgreiche Überwindungsarten von baulichen und insbesondere mechanischen Sicherungsmaßnahmen – erfolgte bis etwa zur Jahrtausendwende im Wesentlichen in Kerkern, Gefängnissen. Heute geschieht das in den JVAs. Mit der Entwicklung, Patentierung und Vermarktung von elektronischen Einbruchmeldeanlagen ab Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgte auch hierzu ein reger Informationsaustausch.
Jedoch war zu dieser Zeit der Informationsaustausch zu allen Arten der Sicherheitstechnik und deren Überwindungsarten noch sehr träge. Daraus resultierend war die „Halbwertzeit“ von Sicherheitstechnik noch recht hoch. Das Zeitfenster zwischen der Entwicklung neuer Technik sowie der damit verbundenen Anpassung von Anwendungs- und Gerätenormen bzw. VdS-Richtlinien und der späteren Überwindung von Sicherheitstechnik war noch verhältnismäßig groß.
Als beispielsweise vor über 20 Jahren Täter erkannten, dass Infrarot-Bewegungsmelder durch Besprühen mit Klarlack oder Haarspray leicht außer Funktion gesetzt werden können, hatte der VdS (VdS Schadenverhütung) genügend Zeit, die Richtlinien für Bewegungsmelder hinsichtlich der Abdecküberwachung zu ergänzen und Hersteller entwickelten die entsprechenden Melder dazu.
Die Zeitintervalle im Wettrüsten mit den Tätern, also von der Normierung bzw. Entwicklung bis zur Überwindung, hat sich in den vergangenen wenigen Jahren deutlich verkürzt. Somit wird die Sicherheitsbranche immer mehr dazu genötigt, weniger zukunftsorientiert agieren zu können, sondern immer mehr reagieren zu müssen.
Von Darknet bis Youtube
Die typischen Täterkreise sind heute nicht mehr auf den Informationsaustausch hinter Gittern angewiesen. Hierzu bedarf es auch nicht den Weg ins Darknet, also dem teilweise verruchten Teil des Internets, welches auch für kriminelle Machenschaften genutzt wird. Oftmals findet man bereits mit den typischen Suchmaschinen nach wenigen Minuten im Internet diverse Informationen hinsichtlich der potentiellen Überwindungsarten von Einbruchmeldeanlagen inkl. Absicherung von Kunstgegenständen oder der Überlistung von Perimeter-Überwachungssystemen. Auch auf Youtube findet man leicht unterschiedlichste Beiträge hierzu.
In den vergangenen wenigen Jahren, insbesondere seit etwa fünf Jahren, ist ein deutlicher Anstieg von Einbrüchen mit professioneller Überwindung von Bewegungsmeldern, massiven Angriffen auf Einbruchmelderzentralen und intelligenter Sabotage von Übertragungswegen feststellbar. Neben diesen Überwindungen sind auch immer professionellere Arten zur Überlistung von Freilandsicherungen erkennbar.
Mit den nachfolgenden Praxistipps, welche aus meiner langjährigen Erfahrung aus Schaden- und Gerichtsfällen resultieren, soll hier für bestimmte Tätervorgehensweisen in Verbindung mit Bewegungsmeldern sensibilisiert und auch alarmiert werden.
Planungs- und Montagefehler
In der Praxis wird den Tätern oftmals, aufgrund von Planungs- und Montagefehlern, die Überwindung von Sicherheitstechnik sehr leicht gemacht. Typische Gründe für Überwindungen von Einbruchmeldeanlagen, insbesondere im Bereich der Bewegungsmelder sind, dass Geräte:
1. nicht oder falsch angeschlossen sind
2. nicht oder falsch programmiert sind
3. falsch positioniert sind
4. falsch ausgerichtet sind oder die
5. falsche bzw. ungeeignete Melderart gewählt wurde
Nicht selten sind bei Einbrüchen auch Melder durch Einrichtungsgegenstände, Möbel, Verkaufsständer, Lagerwaren etc. verdeckt oder im Blickfeld dermaßen stark eingeschränkt, so dass Täter leichtes Spiel haben.
Hatten die Täter kein „Glück“ mit den vorgenannten Planungs- und Installationsfehlern, so treten diese immer professioneller und mit immer umfassenderen Fachkenntnissen im Bereich der Sicherheitstechnik auf. Insbesondere die Überwindung von Bewegungsmeldern boomt in den vergangenen Jahren massiv. Diese und auch andere Überwindungsarten sind nicht mehr nur bei Banken, Juwelieren, Museen oder ähnlichen Objekten mit höheren Sicherheitsanforderungen zu finden, sondern mittlerweile selbst bei relativ normalen Privatobjekten, Einzelhandel (z. B. Textilhandel) und Gewerbeobjekten zu finden.
Abgedeckte Bewegungsmelder
In Täterkreisen ist meist bekannt, dass Bewegungsmelder leicht durch den Täter selbst oder deren Gehilfen (Insider etc.) abgedeckt oder im Sichtfeld eingeschränkt werden können. Nicht selten werden Täter durch Mitarbeiter oder anderen Personen mit Insider-Kenntnissen aus den Objekten unterstützt. Hier werden dann beispielsweise in Speditionslägern für Smartphones, Tablets etc. Bewegungsmelder tagsüber zur Betriebszeit abgedeckt. Verfügen solche Bewegungsmelder dann nicht über eine Abdecküberwachung gemäß VdS-Klasse „C“ bzw. gemäß Grad 3 der DIN EN 50131-1 und DIN EN 50131-2-2, so haben die Täter leichtes Spiel.
Aber selbst hier ist es versierten Täter bekannt, dass die Abdecküberwachung nur im direkten Nahbereich vor dem Melder funktioniert. Größere Hindernisse und Gegenstände, wie Platten etc. in einem Abstand von über einem Meter, werden von den Meldern nicht erkannt. Die meisten Abdecküberwachungen funktionieren in einem Bereich von bis zu ca. einem halben Meter oder weniger vor dem Melder.
Täter oder Gehilfen der Täter decken Bewegungsmelder oftmals in u.a. diesen Arten Melder ab bzw. schotten die eigene Körperoberflächentemperatur vor dem Melder ab:
1. Klarlack
2. Haarspray
3. Silikon (dünne Schicht transparentes Silikon)
4. Styrodurplatten
5. Styroporplatten
6. Softshell-Kleidung, Funktionsbekleidung, Sweatshirts mit Kapuzen
7. dicke lange Winterbekleidung mit Kapuzen
8. Hitzeschutzanzüge
Hitzeschutzanzüge werden teilweise auch von den Tätern bei Feuerwehr- und THW-Einheiten entwendet.
Bei einem Vergleichstest mit Infrarot-Bewegungsmeldern unterschiedlicher Hersteller und Typen, welche gemäß DIN EN 50131-2-2 oder VdS-Richtlinie 2312 zertifiziert sind, stellt man hinsichtlich der Detektionsschnelligkeit und Detektionssicherheit eine große Bandbreite fest. Die entsprechenden Prüfnormen lassen hier eine gewisse Bandbreite zu. Hinsichtlich der aktuell beliebten Überwindungsarten, wie dem langsamen Kriechen über dem Boden, ist der zertifizierte EN-Grad bzw. die VdS-Klasse von wesentlicher Bedeutung. Ein gemäß Grad 1 der EN-Norm bzw. VdS-Klasse A zertifizierter Bewegungsmelder muss nicht so gut langsamere und schnellere Bewegungen oder einen kriechenden Täter detektieren; ein EN-Grad 3 bzw. VdS-C Melder schon. Hier ist also nicht allein die Abdecküberwachung von EN-Grad 3 bzw. VdS-C Meldern das wesentliche Unterscheidungsmerkmal.
Zudem ergibt sich ein weiterer Einflussfaktor auf die Detektions- und Überwindungssicherheit durch die weitere Leistungsfähigkeit des Melder-Herstellers. Viele Bewegungsmelder erfüllen nur die Anforderungen aus den Regelwerken, jedoch verfügen zahlreiche andere Melder auch über deutlich höhere Leistungsmerkmale. Hierzu gehört insbesondere die notwendige Temperaturdifferenz zwischen der Referenzfläche, wie Wände, Boden etc. und dem sich bewegenden Objekt.
Feinmaschigkeit der Detektionszonen
Ein weiterer wesentlicher Einflussfaktor für die Detektions- und Überwindungssicherheit stellen die Überwachungsbereiche und insbesondere die Feinmaschigkeit der einzelnen Detektionszonen (siehe Bild 1 und 2) dar. Dieser Faktor ist besonders bei einer größeren Entfernung vom Infrarot-Bewegungsmelder von wesentlicher Bedeutung, da hier auch die Breite der Detektionszonen zunimmt. Je breiter die Detektionszone ist, um so größer muss die Querbewegung zum Melder sein, damit es zu einer sicheren Auslösung des Melders kommt. Auch hier gibt es bei den am Markt verfügbaren Meldern eine sehr große Bandbreite.
Infrarot-Bewegungsmelder mit einer Vorhangoptik, welche – wie der Name schon sagt – nur einen schmalen Detektionsbereich haben, sind oftmals deutlich feinmaschiger und können somit kleinere Bewegungen detektieren. Eine solche Überwachung auf Durchstieg ist insbesondere bei langsam auf dem Boden kriechenden oder gebückt gehenden Tätern von wesentlicher Bedeutung. Hinzu kommt, dass Infrarot-Meldern mit Vorhangoptik meistgeringere Detektionsbreiten, also schmale Bereiche zwischen z. B. Fenstern und Regalreihen (siehe Bild 3) oder zwischen Verkaufsständern etc., ausreichen.
Infrarot, Ultraschall, Mikrowelle
Oftmals werden zur Erhöhung der Falschalarmsicherheit Dual-Bewegungsmelder eingesetzt, welche aus einer Kombination von Infrarot- mit Ultraschall- oder Mikrowellen-Bewegungsmeldern bestehen. Bei den meisten am Markt vorhandenen Dual-Bewegungsmeldern besteht zwischen den beiden Sensorteilen im Melder eine harte Und-Verknüpfung. Wenige Melder können wahlweise zwischen Und- / Oder-Verknüpfung umgeschaltet werden. Andere Melder haben laut Aussage der Hersteller eine „intelligente“ Verknüpfung.
Je nach Melderart, Verknüpfungsart und Leistungsfähigkeit ist ein Dual-Melder leichter überwindbar als ein reiner Infrarot-Bewegungsmelder. Der Infrarotteil eines Dualmelders benötigt für eine schnelle Detektion eine Querbewegung zum Melder. Ultraschall- und Mikrowellenmelder benötigen jedoch aufgrund der Sensortechnologie für eine schnelle Detektion eine Bewegung auf den Melder zu bzw. vom Melder weg. Durch eine harte Und-Verknüpfung der beiden Sensorarten in einem Dualmelder ist die Positionierung eines solchen Melders von wesentlicher Bedeutung, da für eine sichere Detektion eine Mischung aus Quer- und auf den Melder Zu- oder Weg-Bewegung erforderlich ist.
Diese Besonderheiten sind auch versierten Tätern bekannt, welche zum Teil sogar die Melderart, den Hersteller und Typ leicht erkennen können. Die leichte Auffindbarkeit der technischen Datenblätter von den meisten Meldern im Internet, erleichtert den Tätern hier die Arbeit. Hier sind oftmals leicht die wichtigen Informationen zum Temperaturunterschied und zur notwendigen Bewegungsgeschwindigkeit zu finden. Aus diesem Grund wurden in der aktuellen DIN VDE 0833-3 vom Oktober 2020 hierzu zahlreiche Hinweise aufgenommen.
Fazit
Eine intelligente Auswahl des richtigen Bewegungsmelders für den jeweiligen Einsatzbereich ist von steigender Bedeutung. Man kann und darf an dieser Stelle nicht alle Bewegungsmelder über einen Kamm scheren, da die Leistungsfähigkeit der einzelnen Hersteller und Typen hier zum Teil stark variiert.
Bei der Planung und Projektierung einer Einbruchmeldeanlage sollten mehrstufige Überwachungsmaßnahmen (Stichwort: Gürtel und Hosenträger) realisiert werden. Zu den erforderlichen Bewegungsmeldern sollten weitere Fallensicherungen umgesetzt werden. Hier ist beispielsweise die Überwachung von Innentüren – welche eigentlich nicht überwacht werden müssten – mittels Magnetkontakten als weitere Fallensicherung sinnvoll.
Besondere Vorsicht ist bei Meldern mit „Kleintierimmunität“ geboten, da dies teilweise – je nach Umsetzung durch den Hersteller – zu einer verminderten Detektionsempfindlichkeit am Boden führt. Dies ist bei einem auf dem Boden kriechenden Täter von besonderer Bedeutung.
Insbesondere abschirmende Regale, Verkaufsständer, Einrichtungsgegenstände etc. sind bei der Planung zu berücksichtigen. Gegebenenfalls sind hier feinmaschige Infrarot-Bewegungsmelder mit Vorhangoptik für die Überwachung auf Durchstieg von Vorteil. Dies gilt insbesondere, wenn nicht ausreichende Detektionsbreiten für Melder mit Flächenoptik vorhanden sind.
Auch die Raumtemperatur ist in die Auswahl der Überwachungstechnologie einzubeziehen, da eine höhere Raumtemperatur, wie z. B. in Schwimmbädern etc. zu einer verminderten Detektionssicherheit führen kann.
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