Großes Update am Stadtrand

Man könnte ihn auch gleich „Stadtgrenze“ nennen: Der Perimeter des VW-Werks Wolfsburg ist nämlich 14,5 Kilometer lang und hat u. a. fünf Tore für Fahrzeuge und neun Drehkreuze für Fußgänger. Im Rahmen eines neuen Konzepts zur Sicherung der Außengrenze wurde unter anderem rechtlichen Vorgaben genüge getan. Sie folgen etwa aus den Anforderungen des AEO-Zertifikats (Authorized Economic Operator bzw. Zugelassener Wirtschaftsbeteiligter). Die Technik zur Perimeterabsicherung wird auf die ebenfalls erneuerte Integrierte Sicherheitsleitstelle aufgeschaltet, wo sie über eine einheitliche Oberfläche bedient wird. Im Vorfeld der Fachmesse Perimeter Protection in Nürnberg haben wir das VW-Werksgelände in Wolfsburg besucht. Matthias Erler von GIT SICHERHEIT befragte den Leiter Objektschutz bei Volkswagen, Andreas Fietze.

GIT SICHERHEIT: Herr Fietze, ich hatte ja kürzlich die Gelegenheit, das Volkswagen-Werk in Wolfsburg zu besichtigen. Die schiere Größe des stadtartig ausgebauten Stammwerks ist natürlich beeindruckend. Von welchen Flächen reden wir hier?

Andreas Fietze: Das Werk Wolfsburg umfasst eine Fläche von mehr als sechs Quadratkilometern, vergleichbar mit der Größe von Gibraltar oder auch über 900 Fußballfeldern, mit einem Straßennetz von 75 Kilometern und einem Schienennetz von 60 Kilometern. Der umlaufende Zaun am Standort ist 14,6 Kilometer lang. Für die Zufahrt auf das Werkgelände betreiben wir insgesamt fünf Fahrzeugtore sowie neun Personenzugänge über Drehkreuzanlagen.

Mit welchem Anspruch geht man angesichts dieser Größe an den Perimeterschutz heran?

Andreas Fietze: Die Sicherheitsstandards des Konzerns sind Basis für unseren neu aufgebauten Perimeterschutz. Die Maßnahmen aus den Bereichen Detektion, mechanische Barrieren und Videotechnik haben wir dem Sicherheitshandbuch entnommen. Um diesen Sicherheitsstandards gerecht zu werden, bedienen wir uns eines großen Produktportfolios innovativer Technologien. Es ist unser Anspruch, immer zu wissen, wer sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf dem Werkgelände aufhält. Das erfordert natürlich, jeden unberechtigten Zutrittsversuch umgehend zu erkennen und zu verfolgen. Dabei ist zu beachten, dass ein Produktions- oder Entwicklungsgelände eine andere Absicherung als ein Ausstellungs- oder Eventbereich benötigt.

Könnten Sie einmal die Grundlinien Ihres Außensicherheitskonzepts umreißen?

Andreas Fietze: Damit der Perimeterschutz am Standort seine zentrale Präventionsaufgabe erfüllen kann, bedarf es vor allem einer Lösung, die unserem Sicherheitsanspruch gerecht wird. Wir sprechen hier von verschiedenen Szenarien. Von einfachen Diebstahlhandlungen bis zu Taten, die der organisierten Kriminalität zuzuschreiben sind. Daher besteht die Notwendigkeit, die äußere Umgrenzung des Standortes zu schützen und den Zugang nur berechtigten Personen zu gestatten. Natürlich ergeben sich auch Anforderungen aus Zollzertifikaten, Arbeitssicherheit und Versicherungsanforderungen, die wir erfüllen wollen und müssen.

Das Gelände hat sich ja seit den Anfängen, die noch in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts liegen, ständig verändert. Gab es überhaupt gleich so etwas wie Perimeterschutz? Gab es Phasen und wichtige Schübe?

Andreas Fietze: Aus den damaligen Werk-Darstellungen, die in unserem historischen Archiv gelagert sind, erkennt man, dass das Werk bereits zu frühen Anfängen von einem Zaun umgeben war. Natürlich gab es auch Phasen, in denen der Perimeterschutz mal kleiner geschrieben wurde. In den 90er Jahren zum Beispiel gab es Bestrebungen, den Perimeterschutz drastisch zu reduzieren, was sich im Rückbau sämtlicher Drehkreuze an mit Personal besetzten Toren zeigte. Dies war zum Glück nicht von langer Dauer. Manchmal waren es sogar einfache organisatorische Maßnahmen, die zu einer besseren Akzeptanz des Perimeterschutzes geführt haben, wie z. B. die Umbenennung der „Werkschutz-Wachen“ in „Werkschutz-Tore“. Ein wichtiger Meilenstein für ein neues Perimeterschutzkonzept war die Erfüllung der Anforderungen nach dem AEO-Zertifikat wie auch aus anderen internationalen Vorgaben. Hier ergaben sich durch die bestehende Offenheit neue Risiken wie z. B. der Verlust der ungehinderten Exportmöglichkeiten oder Auflagen als anerkannter Versender. So wurden 2013 von der Konzern-Sicherheit Anforderungen hinsichtlich einer durchgängigen Kontrolle des Zugangs zum Standort formuliert, die zur Erstellung eines neuen Perimeterschutzkonzepts geführt haben.

Was sind die jüngsten Modernisierungsmaßnahmen?

Andreas Fietze: Unter anderem haben wir die Zaunanlage in Wolfsburg komplett auf den neuesten Stand gebracht. Das Portfolio reicht von der rein mechanischen Version bis zum ruhestromüberwachten Zaun an den Stellen, wo es notwendig ist. Der gesamte Zaun ist detektiert und wird mittels Video und Thermaltechnik überwacht. In bestimmten Bereichen setzen wir die Thermaltechnik auch zur Detektion ein.

Sie haben unter anderem neue Zaunanlagen errichtet. Umfassen sie das ganze Areal? Worauf haben Sie hier wertgelegt?  

Andreas Fietze: Ja, mittlerweile haben wir die gesamte Zaunanlage am Standort gegen unseren Standardzaun getauscht. Besonders wichtig war uns dabei, dass wir eine einheitliche Technologie zum Einsatz bringen, die grundsätzlich konzernweit einsetzbar ist. Hier können wir über Rahmenverträge Kosten senken und z. B. einheitliche Zaundetektion einsetzen, ohne Anpassungen an der technischen Ausführung vornehmen zu müssen.

...dabei mussten Sie auch eine Lösung für die Besucher finden, deren Rundweg den Perimeter kreuzt, bevor sie zum Beispiel auf die Besucherbahn umsteigen. Wie haben Sie das gelöst?

Andreas Fietze: Das war schon eine Herausforderung. Seit Bestehen der Autostadt können deren Besucher eine Werkstour buchen und werden aktuell mit einem Schiff über den Mittellandkanal zum Werk gebracht. Hier gibt es eine manuelle, kameraüberwachte Schleuse im Zaun, die von den Mitarbeitern der Besucherdienste und der Autostadt betreut wird. Wann immer Schiffe anlegen, erreichen die Besucher einen Schleusenbereich, von wo sie nach der Kontrolle der Tickets direkt zur Besucherbahn geführt werden, um die Werkstour zu beginnen. Ein Verlassen der Besucherbahn ist erst wieder möglich, wenn die Bahn nach der Tour den Werkbereich wieder verlassen hat. Die Lösung ist simpel und einfach. Und für die Besucher entsteht nicht der Eindruck einer Zutrittskontrolle.

Wie sieht es mit dem Einsatz von Videokameras aus?

Andreas Fietze: Wir nutzen Videotechnik für die Sicherung unserer Perimeterschutzanlagen am Zaun wie auch an den Toren und Drehkreuzen. In erste Linie nutzen wir eine Kombination aus Tag-/ Nachtkameras und Thermalkameras, die gemeinsam auf einem Mast installiert sind und parallel geführt werden. Sie ermöglichen stets den gleichen Blickwinkel mit unterschiedlichen Technologien. Das ermöglicht uns, jederzeit den Bildmodus zu wechseln und somit den Kollegen in der Leitstelle ein optimales Bild zur Alarmidentifizierung zu liefern.

Inwieweit nutzen Sie die Möglichkeiten von Videoanalyse-Tools?

Andreas Fietze: Videodetektion gehört natürlich auch zu unserem Portfolio an Sicherheitstechnik. Insbesondere dort, wo wir aus rechtlichen oder baulichen Gründen nicht mit einer Zaundetektion arbeiten können, nutzen wir die Videobildanalyse zur Alarmierung. Dort setzen wir Thermalkameras für die Detektion ein und unterstützen mit parallel angeschalteten Tag-/Nachtkameras.

Die Detektion und die Abwehr von Drohnen sind ein zunehmendes Sicherheitsthema für gewerbliche und industrielle Anlagen und kritischen Infrastrukturen jeder Größe. Wie schätzen Sie die Gefährdung für das Volkswagen-Werk ein? Gab es Vorfälle?

Andreas Fietze: Den Medien konnten wir in den letzten Wochen und Monaten ja immer wieder entnehmen, dass es überall auf der Welt zu rechtswidrigen Handlungen mit Drohnen kommt. Sicherlich sind viele Vorkommnisse der Unwissenheit der Piloten zuzuschreiben. Aber halt nicht alle. Schauen Sie auf Gatwick vor einem Jahr. Diese vorsätzlichen Vorfälle haben unterschiedlichste Hintergründe. Angefangen bei der Ausspähung bis hin zur professionellen Wirtschaftsspionage. Diese Risiken sehen wir auch im Umfeld der Volkswagen AG. Um dieser Gefahr zu begegnen, haben wir uns sehr früh mit dem Thema auseinandergesetzt.

Wie sieht Ihr Sicherheitskonzept im Umgang mit Drohnen aus?

Andreas Fietze: Wir konzentrieren uns voll und ganz auf das Thema der Drohnendetektion. Hierbei ist uns wichtig, dass wir nicht nur die technischen Möglichkeiten und Hilfsmittel betrachten, sondern den gesamten Prozess – von der Prävention durch Beschilderung bis hin zur Nachverfolgung durch die Polizei. Das Thema Drohnenabwehr wird bei uns im Haus aus rechtlichen Gründen nicht in Betracht gezogen.

Könnten Sie Ihr Leitstellenkonzept einmal skizzieren?

Andreas Fietze: Die Integrierte Sicherheitsleitstelle im Werk Wolfsburg ist ein Verbund aus Werkschutz, Brandschutz und Rettungsdienst. Alle Alarme werden an einer zentralen Leitstelle zusammengebracht, aufgenommen, analysiert, bewertet und an die zuständige operative Einsatzkraft geleitet. Mit der Integrierten Sicherheitsleitstelle wurde die Leitstellentechnik für den Standort Wolfsburg auf den neusten Stand gebracht und der Grundstein für eine zukunftsorienteierte Ausrichtung gelegt. Die auf höchste Verfügbarkeit ausgelegte Leitstellentechnik und Infrastruktur, welche sich an der Volkswagen-Konzern-IT orientiert, ist für den stetig wachsenden Bedarf an Sicherheitstechnik im Bereich des Objektschutzes ausgelegt. Natürlich bildet das Aufschalten der gesetzlich vorgeschriebenen Brandmeldetechnik in den Werkhallen mit rund 150.000 Datenpunkten den Großteil des Volumens ab, aber auch die neuste Technik der Perimeterabsicherung wird über eine einheitliche Oberfläche durch den Disponenten bedient.

Sie haben erwähnt, dass Sie praktisch keine externen Sicherheitsdienstleister in Anspruch nehmen – warum nicht?

Andreas Fietze: In den Sicherheitsorganisationen des Volkswagen-Konzerns werden durchaus auch Sicherheitsdienstleister für Werk- und sogar Brandschutztätigkeiten eingesetzt. In unseren sechs inländischen westdeutschen Werken gibt es allerdings nur interne Mitarbeiter. Im Bereich Brandschutz haben wir 2016 damit begonnen, Werksfeuerwehrleute in der Berufsausbildung selbst auszubilden. Auch eine Berufsschulklasse haben wir für diesen Ausbildungsberuf in Wolfsburg etabliert. Wir bilden in diesem sensiblen Bereich unsere Mitarbeiter selbst aus, da wir als Unternehmen Wert darauf legen, auf Sicherheitsereignisse in unseren Produktionsstätten schnell reagieren zu können. Die Kernaufgaben im Werkschutz unserer sechs inländischen Werke werden ebenfalls durch eigene Mitarbeiter abgedeckt. Gemeinsam mit Personalwesen und Arbeitnehmervertretern schaffen wir auf diese Weise eine Möglichkeit, dass wir neben Sicherheitsfachkräften auch Produktionsmitarbeitern einen sinnvollen Arbeitsplatz im Unternehmen gewähren, denen die teils körperlich fordernde Arbeit nicht mehr möglich ist. Diese Art der sozialen Verantwortung ist fest in der Unternehmenskultur von Volkswagen verankert. Als einen weiteren Vorteil von eigenem Werkschutzpersonal sehe ich die Identifikation der Mitarbeiter mit unserem Unternehmen. Zudem können wir auf diesem Wege jederzeit direkten Einfluss auf die Personalauswahl und -entwicklung nehmen.

Im Januar fand die Messe Perimeter Protection in Nürnberg statt. Welche Neuerungen, Techniken oder Produkte sind aus dem Bereich Perimeterschutz für Sie interessant?

Andreas Fietze: Ich denke, das Thema Einsatz von Multicoptern oder Drohnen wird sicherlich eines der Zukunftsthemen sein. Da ist noch viel Potential für den Einsatz im Bereich der Sicherheit, z. B. bei der Unterstützung des Werkschutzes bei der Überwachung großer Fahrzeugabstellplätze. Auch Themen wie Robotertechnologie und smarte Kleidung zum Schutz der Mitarbeiter sind Neuerungen, auf die ich auch über die Messe hinaus gespannt bin.

Herr Fietze, gibt es eigentlich einen Austausch mit den anderen Volkswagen-Werken? Gibt es hier ein einheitliches oder zumindest abgestimmtes Vorgehen?

Andreas Fietze: Oh ja, gerade in diesem Jahr haben wir die Konzernrichtlinie zum Thema Sicherheit im Konzern umgesetzt. Dadurch stellen wir sicher, dass wir im Konzern über ein einheitliches Sicherheitsniveau sprechen. Über Mindeststandards setzen wir weltweit die gleichen Akzente. In gemeinsamen Arbeitskreisen werden Standards erarbeitet und Best-Practice-Beispiele vorgestellt. So gibt die Konzern-Sicherheit den Marken und Gesellschaften Vorgaben, aber auch Bespiele für Sicherheitskonzepte, Technologien und Prozesse und schaffen Synergien in der Sicherheit. Wir wollen das Rad ja nicht zweimal erfinden.

Welche wichtigen Vorhaben planen Sie im neuen Jahr oder in nächster Zeit?

Andreas Fietze: Unsere Vision ist der autonome Drohnenflug nach Alarmauslösung. Im Jahr 2020 planen wir Pilotstellungen, um die Technik zu prüfen und um zu schauen, wo wir Prozessschritte in der Sicherheit technisch unterstützen können. Dasselbe planen wir auch beim Thema Robotertechnologie zur Unterstützung von Sicherheitsaufgaben.

Herr Fietze, ganz herzlichen Dank für dieses informative Gespräch.

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