Interview mit Dipl.-Ing. Uwe Wiemer: Safety Services in der Praxis
Die Schmersal Gruppe hat ihre „Safety Services" neu strukturiert. Den Kunden sowohl im Maschinenbau als auch unter den Anwendern von Maschinen und Anlagen steht ein breites Angebot...
Die Schmersal Gruppe hat ihre „Safety Services" neu strukturiert. Den Kunden sowohl im Maschinenbau als auch unter den Anwendern von Maschinen und Anlagen steht ein breites Angebot an qualifizierten Dienstleistungen rund um die Maschinensicherheit zur Verfügung. Dipl.-Ing. Uwe Wiemer, Leiter Strategische Marktentwicklung bei K.A. Schmersal, erläutert im Gespräch mit GIT Sicherheit + Management die neuen Consulting- und Engineering-Dienstleistungen.
GIT SICHERHEIT: Täuscht der Eindruck, dass im Bereich der Maschinensicherheit Dienstleistungen zurzeit stark gefragt sind - nicht nur bei Schmersal? Wenn ja: Wie erklären Sie sich diesen Trend?
Uwe Wiemer: Ihr Eindruck ist vollkommen richtig. Hauptgrund für diesen Trend ist nach unserer Einschätzung, dass sich im Maschinen- und Anlagenbau die Art der Zusammenarbeit zwischen Herstellern und Zulieferern verändert. Jedes Unternehmen konzentriert sich heute auf seine Kernkompetenzen und ist offener für Kooperationen mit Spezialisten auf anderen Feldern. Einfach ausgedrückt: Jeder macht das, was er am besten kann, und das gründlich.
Was bedeutet das für Sie in der Praxis?
Uwe Wiemer: Unsere Kunden beziehen von uns zwar weiterhin, wie gewohnt, Sicherheits-Schaltgeräte und komplette Systemlösungen der Maschinensicherheit. Sie wünschen aber im Vorfeld intensivere Beratung z. B. bei der normenkonformen Auswahl der Sicherheits-Schaltgeräte.
Außerdem differenziert sich der Markt immer weiter aus: Viele Kunden wünschen individuelle Lösungen, die exakt auf die jeweiligen Anforderungen zugeschnitten sind. Das gilt für die Hardware, d.h. für die Sicherheits-Schaltgeräte, die wir dann in kundenspezifischer Ausführung fertigen. Es gilt aber in ebenso starkem und deutlich zunehmendem Maße auch für die Software, die immer größere Bedeutung in der Maschinensicherheit hat.
Können Sie hierfür Beispiele nennen?
Uwe Wiemer: Ein Beispiel für die Hardware: Für Kunden in der Verpackungstechnik fertigen wir unsere „berührungslose" Sicherheitszuhaltung MZM 100 in einer Variante, bei der die elektromagnetische Zuhaltung nur den Prozessschutz übernimmt, also nicht in den Sicherheitskreis integriert ist. Sie verhindert, dass der Prozess durch Öffnen der Schutztür unterbrochen wird, und erhöht damit die Produktivität der Anlage.
Auf der Software-Ebene programmieren unsere „Application Engineers" u. a. unterschiedlichste Software-Bausteine für die Sicherheitssteuerung Protect PSC. Hier bietet die Elektronik den Vorteil, dass sich die Sicherheitstechnik im Sinne einer Gesamtlösung perfekt in die Prozesse einpassen lässt.
Mit den neuen Normen, vor allem mit der EN 13849-1, ist das Auswählen bzw. Konfigurieren von Schutzeinrichtungen anspruchsvoller geworden. Ist dies ein Aufgabenfeld für Ihre Kollegen?
Uwe Wiemer: Auf jeden Fall. Im Rahmen des Application Consulting unterstützen wir unsere Kunden z. B. bei der Risikobeurteilung nach EN 13849-1 und bei der CE-Konformitätsbewertung - und das weltweit. Oft werden wir aber schon im Vorfeld, d.h. zu Beginn der Konstruktionsarbeiten, hinzugezogen. Das führt aus Sicht sowohl des Maschinenbauers als auch des Anwenders zu guten Ergebnissen, weil sich die Sicherheitstechnik dann optimal in die Prozesse einbinden lässt.
Wie sieht es mit Ihren Dienstleistungen auf „Shopfloor"-Ebene, d. h. bei den Anwendern der Maschine aus? Gibt es hier ebenfalls Bedarf?
Uwe Wiemer: Hier gibt es großen Bedarf in ganz unterschiedlichen Bereichen, und das weltweit. Unsere Ingenieure übernehmen hier u.a. die sicherheitstechnische Analyse vorhandener Maschine und beraten die Anwender bei der Modernisierung von Maschinen und Anlagen. Auch die Nachlaufzeitmessung von elektronischen Schutzeinrichtungen ist eine Dienstleistung, die stark nachgefragt wird.
Maschinensicherheit ist ein komplexes Aufgabenfeld. Der Beratungsbedarf Ihrer Kunden wird oft sehr spezifielle Themen betreffen. Kann man das - auch als großes Unternehmen - mit eigenen Mitteln abdecken?
Uwe Wiemer: Das kann man nicht, und diesen Anspruch haben wir auch nicht. Vielmehr haben wir schon vor Jahren das CE-Netzwerk ins Leben gerufen: ein Netzwerk von neun Ingenieurbüros, die sich jeweils auf einzelne Bereiche der Maschinensicherheit spezialisiert haben und untereinander kooperieren. Wenn also der Kunde sehr speziellen Beratungsbedarf hat - z. B. zur Normenlage in Exportmärkten, zum Explosionsschutz oder zur Technischen Dokumentation -, können wir einen Kontakt vermitteln.
Ganz abgesehen von den Richtlinien und Normen wird auch das Thema Manipulationssicherheit viel diskutiert. Wie sehen Sie dieses Aufgabenfeld - gibt es Beratungsbedarf?
Uwe Wiemer: Dieses Thema ist nicht zu unterschätzen. Untersuchungen haben gezeigt, dass es in rund einem Drittel der Produktionsbetriebe manipulierte Maschinen und Anlagen gibt. Wir sind hier zum einen auf der Produktseite aktiv - mit Sicherheits-Schaltgeräten, die besonders manipulationssicher sind oder mit neuen Generationen von elektronischen Geräten, die wir in verschiedenen Graden der Codierung liefern können. Wir bieten aber auch Schulungen zum sicherheitsgerichteten Konstruieren an, in denen wir das Thema gezielt ansprechen.
Stichwort Schulungen: Wie wichtig ist dieser Bereich der Dienstleistungen für Schmersal?
Uwe Wiemer: Mir persönlich ist das ein großes Anliegen, weil ich bis vor wenigen Monaten Leiter unseres Schulungszentrums tec.nicum war. Aber - was viel wichtiger ist - auch unsere Kunden schätzen unser Schulungsangebot in Wuppertal und Bietigheim-Bissingen sowie als In-house-Veranstaltung oder als „tec.nicum on tour" vor Ort.
Wenn Sie einen Blick in die Zukunft werden: Was wird in fünf bis zehn Jahren die Hauptaufgabe des Geschäftsfelds „Safety Services" sein?
Uwe Wiemer: Unsere Kunden werden uns mit kompletten „Entwicklungspaketen" und Systemlösungen für die Absicherung eines Gefahrenbereichs bzw. einer Gefahrstelle beauftragen - einschließlich der Berücksichtigung aller Normen und Richtlinien, unter Einbeziehung der CE-Konformitätserklärung und einschließlich der Lieferung von allen nötigen Systemkomponenten, von denen nicht alle notwendigerweise zu unserem Portfolio gehören. Wir entwickeln uns also zum Systemanbieter für Maschinensicherheit - Engineering inklusive.
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Ein Beitrag von Wilfried Joswig, Geschäftsführer beim Verband für Sicherheitstechnik VfS.