27.01.2010 • Topstory

Brandschutz in vollautomatischen Lagersystemen

Warum hat Brandschutz in der Logistik eine so große Bedeutung? Stellen hochmoderne, vollautomatische ­Lagersysteme besondere Anforderungen an den Brandschutz? Über diese Fragen spr...

Moderne ESFR-Sprinkler lösen besonders schnell aus und sorgen so für...
Moderne ESFR-Sprinkler lösen besonders schnell aus und sorgen so für effektiven Brandschutz

Warum hat Brandschutz in der Logistik eine so große Bedeutung? Stellen hochmoderne, vollautomatische ­Lagersysteme besondere Anforderungen an den Brandschutz? Über diese Fragen sprach GIT SICHERHEIT mit Ludger Tegeler. Er ist Ingenieur bei dem internationalen Industriesachversicherer FM Global und als Technical Manager und Chief Engineering Technical Specialist maßgeblich an der Entwicklung kundenorien­tierter Brandschutzkonzepte für die Logistik beteiligt.

GIT SICHERHEIT: Herr Tegeler, warum ist Brandschutz in der Logistik so wichtig?

L. Tegeler: Brandschutz ist immer wichtig. In der Logistik hat er eine besondere Bedeutung, da es hier heutzutage nicht mehr um das einfache Aufbewahren oder Transportieren von Gütern geht, sondern um präzise Liefertermintreue. Logistikdienstleistungen sind in unserer Welt in die Wertschöpfungsprozesse der Kunden voll eingebunden. Der Dienstleister muss nicht nur Rohmaterialien just in time anliefern. In seiner Verantwortung liegt es auch, Vorprodukte und Baugruppen anzufertigen und sowohl zu fest definierten Zeitpunkten als auch auf Zuruf an bestimmten Punkten der Produktionskette bereitzustellen. Es handelt sich dabei um minutengenau abgestimmte Abläufe. Wenn dieses komplexe Prozessnetzwerk durch einen Brand gestört wird, kann der Schaden ein Vielfaches des eigentlichen Brandschadens ausmachen. Logistik ist das Herz der industriellen Wertschöpfungskette. Leider werden hier die Gefahren häufig falsch oder als zu niedrig eingeschätzt.

Gibt es eine Art Leitsatz für den Brandschutz in der Logistik?

L. Tegeler: „Vorbeugen ist besser als Heilen" ist sicherlich ein Leitsatz, der die Philosophie von FM Global allgemein und nicht nur beim Brandschutz am besten umschreibt. Er gilt natürlich auch in der Logistik. Denn eine Investition in Schutzmaßnahmen zur Minimierung eines Schadenrisikos macht sich in dem Moment bezahlt, wenn eine Logistikkette oder eine Lagerhaltung aufrecht erhalten werden können, weil ein Schaden ausbleibt. Grade in der Logistik ist oft gar nicht der Schaden selbst das Problem, sondern es sind die Folgen. Damit sind vor allem Abweichungen von Lieferterminen und Produktionsunterbrechungen und die daraus folgenden Image- und Kundenverluste gemeint. Bitte fragen Sie sich selbst: Wie lange darf die Logistik unterbrochen werden, bis die Konsequenz katastrophale Folgen für mein Unternehmen hat: Monate, Wochen, Tage oder Stunden?

Welche Schutzmaßnahmen tragen denn zur Risikominimierung in der Logistik bei?

L. Tegeler: Da gibt es zwei Ansatzpunkte. Zum einen ist die Vorbeugung von großer Bedeutung. Es muss genau analysiert werden, welche Brandgefahren durch bestimmte Lageranordnungen entstehen und wie man ihnen begegnet. Welche Materialien und Gegenstände werden gelagert? Neigen sie zur schnellen Brandausbreitung bei steigender Temperatur? Welche Gefahren bergen die Verpackungsmaterialien? Nicht nur Pappe und Papier, auch Kunststofffolien und Plastikcontainer brennen gut und entwickeln schädliche Gase. Dies sind nur einige der Fragen, die zu klären sind, bevor ein Lagerkonzept entwickelt wird. Das Restrisiko ist der zweite Ansatzpunkt. Zu seinem Management werden nach eingehender Risiko-Analyse Sprinklersysteme eingerichtet. Das kann soweit führen, dass Gang- und Schachtsprinkler installiert werden

Spielt nicht auch die Form oder Größe der Sprinkler eine Rolle bei der Effektivität einer Sprinkleranlage?

L. Tegeler: Ja, auch. Von größerer Bedeutung ist aber die Antwortgeschwindigkeit, mit der die Sprinkler auslösen. Auf dem aktuellen Stand der Technik sind die sog. ESFR-Sprinkler, die besonders schnell auslösen. Bei ihrem Einsatz wird auf Regalsprinkler verzichtet, da ein Entstehungsbrand im Anfangsstadium rasch unterdrückt wird. Auch die Entfernung der Sprinkler von der Decke ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Je weiter der Sprinklerkopf von der Decke entfernt ist, desto größer ist die Verzögerung bei der Auslösung im Brandfall. Nur wenige Sekunden können hier einen wesentlichen Unterschied ausmachen.
Wichtig für die Wirksamkeit der Sprinkleranlage ist zudem, dass es keine Sprühbehinderungen gibt. Damit ist gemeint, dass das Sprühbild nicht durch Kabelpritschen, Rohre oder Lampen blockiert sein darf. Man sieht, obwohl Sprinkler einfache Technik darstellen, liegt die „Krux" im Detail.

Die Automatisierung macht ja auch vor der Logistik nicht halt. Stellen vollautomatische Lagersysteme spezielle Anforderungen an den Brandschutz?

L. Tegeler: Die Verwendung genormter Lagercontainer muss unter dem Gesichtspunkt des Brandschutzes kritisch betrachtet werden. Gerade die für Kleinteile gerne verwendeten offenen Kunststoffbehälter (KLT) stellen für den effektiven Brandschutz eine Herausforderung dar. Im Brandfall wirken sie als Auffangbecken für das Sprinklerwasser und verhindern unter Umständen, dass es rechtzeitig in ausreichender Menge an den Brandherd gelangt. Auch Löcher im Boden helfen hier nicht. Gleichzeitig ist Kunststoff natürlich hervorragende Nahrung für große Feuer.
Nicht zuletzt ist die technische Programmierung automatischer Lagersysteme von großer Bedeutung. Vor dem Hintergrund einer konsequenten Brandprävention und Risikominimierung dürfen bestimmte Lagergüter nicht überall gelagert werden. Einige dürfen nur in den unteren Ebenen gelagert werden und andere müssen in bestimmten Regalreihen untergebracht werden. Eine dritte Gruppe darf überhaupt nicht eingelagert werden. Hier müssen bei der Programmierung der Steuerung und Lagersoftware Tags wie „Normal", „Erhöht", „Sondergefahr" und „Nicht einlagern" vergeben werden.
Zusätzliche Gefahr entsteht bei vollautomatischen Lagersystemen durch die eingesetzten Maschinen und Roboter. Jede Maschine kann durch Überlastung oder einen Defekt heiß laufen und Grossbrände verursachen. Diese Gefahr verlangt nach speziellen Überwachungs- und Schutzmaßnahmen.

Können Sie eine exemplarische Auswahl ­nennen?

L. Tegeler: Dies ist besonders schwierig. Eigentlich nicht. Praktische Lösungen zeigen dass viele Parameter berücksichtigt werden müssen und fast jedes Konzept einzigartig ist. Insbesondere die Vielfalt an Lagergütern mit ihren Gefahren muss analysiert werden. FM Global Ingenieure erarbeiten aus den Analysen dann ein ganzheitliches Konzept auf der Basis ihrer Datenblätter.

Das Baurecht gibt ja zahlreiche Richtlinien vor. Ist deren Einhaltung nicht ausreichend für einen effektiven Brandschutz?

L. Tegeler: Eindeutig nein. Die Zielrichtung des Baurechtes ist eine andere. Das Baurecht berücksichtigt die Sicherheit der Menschen. In der Industrie setzt man sich selbst rettende Personen voraus. Das heißt ein Gebäude muss im Brandfall solange bestehen, bis alle ­Personen das Gebäude verlassen haben. Das ist richtig und gut so. Betriebsunterbrechungen und Sachwertschutz spielen jedoch selten eine Rolle. Im Brandfall muss davon ausgegangen werden, dass Feuerwehren die Brandbekämpfung von innen nicht in Bereichen mit hohen Brandlasten riskieren sobald sichergestellt ist, dass alle Personen das Gebäude verlassen haben.
FM Global empfiehlt seinen Kunden weiterreichende Standards und hilft bei deren Umsetzung. Für uns steht die Vermeidung von Risiken im Fokus. Ein Brand, der gar nicht erst entsteht, kann weder Personen noch Sachwerte gefährden. Aus langjähriger Erfahrung wissen wir, dass Investitionen in den aktiven Brandschutz, wie z. B. in Sprinkleranlagen, sich früher oder später bezahlt machen.

Welche Erfahrung hat denn FM Global, um diese Behauptung aufstellen zu können?

L. Tegeler: FM Global kann auf über 175 Jahre Erfahrung in der Industrieversicherung zurückblicken. Seit 1966 sind wir auch in Deutschland vertreten. Statistisch können wir deutlich zeigen, dass Standorte, die mit komplettem Sprinklerschutz ausgerüstet sind und einen hohen Level organisatorischer Schutzmaßnahmen halten, von weniger Schadenereignissen betroffen werden und dass die Schadenereignisse erheblich geringer ausfallen als der industrielle Durchschnitt. Unsere langjährige Erfahrung wird durch unsere Forschung im eigenen Research Campus in den USA ergänzt und immer auf dem allerneusten Stand gehalten. Auf dem dortigen 648 Hektar großen Gelände lassen sich Großbrände, Staubexplosionen und Naturkatastrophen im Originalmaßstab nachstellen. Regelmäßig werden hier konkrete Fragestellungen aus dem Alltag unserer Kunden im Experiment nachgestellt, untersucht und geklärt. Derzeit wird die Anlage mit Investitionen von 38 Mio. US-$ auf zukünftige Anforderungen vorbereitet.

Herr Tegeler, wir danken herzlich für das Gespräch.

 

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