10.02.2025 • TopstoryArbeitsschutz

Cannabis am Arbeitsplatz: Was Unternehmen jetzt beachten müssen

Die Sicherheit am Arbeitsplatz ist ein zentrales Anliegen der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI). Mit der Legalisierung von Cannabis und den fortlaufenden Herausforderungen durch Alkoholmissbrauch am Arbeitsplatz stehen Unternehmen vor neuen Fragen und Anforderungen. Frau Dr. Juliane Falkenberg, Referentin der Präventionsabteilung Gesundheit-Medizin-Psychologie bei der BG RCI, bringt ihre Expertise als Arbeitsmedizinerin und Onkologin ein, um Unternehmen bei der Prävention und dem Umgang mit Suchtmitteln und krebserzeugenden Gefahrstoffen zu unterstützen. Im Interview erläutert sie die Unterschiede in der Handhabung von Alkohol und Cannabis, die Bedeutung präventiver Maßnahmen und die rechtlichen Rahmenbedingungen, die Unternehmen beachten müssen, um die Sicherheit und Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu gewährleisten.

GIT SICHERHEIT: Frau Dr. Falkenberg, seit dem 1. April 2024 ist der Konsum sowie der private Eigenanbau von Cannabis zum Eigenverbrauch unter bestimmten Bedingungen für Erwachsene legalisiert. Damit kommt neben Alkohol eine weitere Droge hinzu, deren Konsum eine Gefährdung am Arbeitsplatz bedeuten kann. Welche spezifischen Herausforderungen sehen Sie durch die Legalisierung von Cannabis für die Sicherheit am Arbeitsplatz?

Dr. Juliane Falkenberg: Zum einen ist die Reaktion auf THC (Tetrahydrocannabinol), dem psychotropen Wirkstoff der Cannabispflanze, sehr individuell und hängt von vielen Faktoren, wie der persönlichen Empfindlichkeit, Stimmungslage, Gesundheitszustand, Vorerfahrungen, der Konsumart, dem THC-Gehalt, der Konsumhäufigkeit sowie Misch- und Beikonsum ab. Zum anderen besteht kein linearer Abbau wie bei Alkohol. Nach dem Konsum von Alkoholika kann der erwartete stündliche Rückgang des Blutalkoholspiegels relativ verlässlich errechnet und der Beginn einer Tätigkeit mit einer Punktnüchternheit geplant werden. Dagegen findet nach dem Konsum von Cannabis im Rahmen der individuellen Verstoffwechselung eine starke Umverteilung im Körper sowie eine Wiederaufnahme in den Kreislauf statt. 

Somit sind valide Berechnungen zum persönlichen THC-Abbau derzeit nicht verlässlich möglich, auch wenn dies viele THC-Rechner im Internet suggerieren. Entsprechend gibt es gegenwärtig keinen eindeutig wissenschaftlich belegten zeitlichen Mindestabstand zwischen Konsum und Dienstbeginn, ab dem eine Beeinträchtigung der Arbeitsleistung gänzlich ausgeschlossen werden kann. Auch der Grenzwert des § 24a Straßenverkehrsgesetz (StVG) gibt dies nicht her. Es liegen aktuell keine THC-Grenzwerte oder Empfehlungen für eine sichere Arbeitsfähigkeit von Personen vor. Aufgrund dessen wird für die Arbeitssicherheit von den Berufsgenossenschaften und Unfallkassen, wie bei Alkohol auch, eine Null-Toleranzpolitik gefordert. 

Für den Arbeitsschutz spielt aber nicht nur die akute berauschende Wirkung, sondern auch die langfristige Auswirkung eine Rolle. Bei drogenbedingten Verhaltensänderungen, z. B. in Form einer zunehmenden Gleichgültigkeit, kann es zu Desinteresse und Ignoranz von Sicherheitsmaßnahmen kommen. Es könnten noch einige verhaltens- und kognitivbedingte Beispiele aufgeführt werden, die im Verlauf zu einem erhöhten Risiko für die Arbeitssicherheit führen können. Das heißt, Unternehmen müssen auch diese Anzeichen im Blick behalten. 
 

Welche Wirkung hat der Konsum von Cannabis auf den menschlichen ­Organismus?

Dr. Juliane Falkenberg: Wie bereits erwähnt, ist die Reaktion abhängig von vielen Faktoren, und es treten nicht nur die erhofften Wirkungen im gewünschten Rahmen und in der beabsichtigten Intensität auf. Cannabis kann sowohl sedierend als auch euphorisierend wirken. Der Konsum von Cannabis wirkt sich nicht nur akut aus, sondern kann auch für dauerhafte Schädigungen sorgen. Je regelmäßiger und intensiver der Cannabiskonsum, desto eher können sich körperliche und psychische Störungen entwickeln. 

Zu den möglichen akuten körperlichen Nebenwirkungen bei Cannabiskonsum zählen beispielsweise Veränderungen von Blutdruck und Sehvermögen, Schwindel, Lichtempfindlichkeit, gerötete Augen, verwaschene Sprache, ein trockener Mund, gesteigerter Appetit, Müdigkeit und Herzrasen. Außerdem kann es zu einer Intensivierung der Sinneseindrücke, zu Verzerrung der optischen und akustischen Wahrnehmung bis hin zu Halluzinationen und zu einer Veränderung des Zeit- und Raumgefühls kommen. Neben einer verlangsamten Reaktionsgeschwindigkeit und gestörter Koordinationsfähigkeit sind Gleichgültigkeit, Interessenverlust und Antriebsstörungen sowie Verschlechterung der kognitiven Funktionen möglich. Aber auch Angst- und Panikzustände können auftreten. 

Bei hochdosiertem Langzeitkonsum treten häufig Persönlichkeitsveränderungen auf und das Risiko für ein vorzeitiges Eintreten einer psychischen Erkrankung steigt. Viele langfristige Veränderungen beginnen schleichend und werden selbst oft nicht wahrgenommen. Ein früher Beginn des Cannabiskonsums ist besonders kritisch, da das Gehirn bis zum 25. Lebensjahr einen Reifungsprozess vollzieht. Im Allgemeinen ist bei einem dauerhaften und regelmäßigen Cannabiskonsum eine Abnahme der geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit erwartbar.

Alkoholmissbrauch am Arbeitsplatz lässt sich, wie im Straßenverkehr auch, seit Jahrzehnten einfach und sicher nachweisen bzw. bestimmen. Wie stellt sich dies bei Cannabis dar?

Dr. Juliane Falkenberg: Bei Alkohol besteht bei gewöhnlichem Konsum ein gut voraussagbarer Effekt auf den Organismus. Diese eindeutige Analogie gibt es bei Cannabis nicht. Dies liegt an den bereits geschilderten Faktoren und individuellen Gegebenheiten. 

Zudem sind der Nachweis und insbesondere die Interpretation von Cannabistests komplexer als bei den etablierten Alkoholtests. Cannabistests können über Urin, Blut, Stuhl, Haare und Mundsekret (sogenannte Speicheltests) erfolgen. Dabei werden je nach Test verschiedene Substanzen und ihre Abbauprodukte gemessen. Der Abbau von THC im Körper erfolgt über verschiedene Stoffwechselzwischenprodukte (Metabolite), die teilweise auch das Bewusstsein beeinflussen, bis hin zur THC-Carbonsäure (THC-COOH), die selbst keine psychoaktive Wirkung mehr entfaltet. Die aktiven Metabolite sind im Gegensatz zur THC-Carbonsäure nur in einem vergleichsweise kurzen Zeitfenster ermittelbar. Daher ist es wichtig zu wissen, was mit dem jeweiligen Test genau gemessen wird. Zudem spielt es auch eine Rolle, ob mit der Methode nur ein positives bzw. negatives Ergebnis detektiert oder auch eine Quantifizierung, d. h. ein Messwert, generiert werden kann. Den psychoaktiven Wirkstoff verlässlich messen können in der Regel nur Bluttests. Der Nachteil dabei ist, dass das Ergebnis nicht unmittelbar vorliegt und der Aufwand für eine Blutserumprobe hoch ist.

Grundlage vieler Tests ist die THC-Carbonsäure. Sie ist aber als Messparameter nur bedingt geeignet, da dieser Metabolit nicht mehr psychoaktiv wirksam ist und relativ lange nachgewiesen werden kann. Bei seltenem/gelegentlichem Cannabiskonsum liegt in der Regel der Messwert nach einem Tag unter der Nachweisgrenze und die Person kann somit als negativ bewertet werden. Bei häufigem/regelmäßigem Konsum kommt es zur Speicherung von THC-Carbonsäure im Fettgewebe und damit zu einer langfristigen Ausscheidung, respektive Detektierbarkeit. Dies bedeutet nicht unbedingt, dass die Person aktuell unter einem psychotropen Effekt von Cannabis steht. Somit lässt sich in solchen Fällen mit diesem Parameter nicht ableiten, ob die letzte Einnahme von Cannabis lange genug zurückliegt bzw. ob eine bewusstseinsbeeinträchtigende Wirkung mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. 

Ließen sich die aktuellen Regelungen, die in Hinsicht auf Cannabis für den Straßenverkehr bestehen, auch für den Arbeitsschutz nutzen?

Dr. Juliane Falkenberg: Im Straßenverkehrsrecht stehen gesellschaftliche Abwägungsinteressen im Mittelpunkt. Dagegen steht im Unternehmen der betriebliche Arbeitsschutz mit der Vermeidung von Gefährdungen für alle Mitarbeitenden an erster Stelle. Im Straßenverkehrsrecht sind zu Alkohol und anderen Drogen entsprechende Regelungen verankert, dagegen bestehen im Arbeitsrecht keine festgelegten Grenzwerte. Hier müssen die Unternehmen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit selbst tätig werden. 

Unfallversicherungsträger fordern seit jeher eine Null-Toleranz-Politik in Bezug auf Alkohol und andere Drogen. Dies galt und gilt trotz der seit langem bestehenden Regelungen zu Promille-Grenzen von Blutalkohol im Straßenverkehrsrecht. Laut wissenschaftlichem Beirat, der aktuell die Bundesregierung zum Grenzwert im Straßenverkehrsgesetz beraten hat, wird bei einem Cannabis-Grenzwert von 3,5 ng/ml Blutserum eine Beeinträchtigung entsprechend einer Blutalkoholkonzentration von etwa 0,2 Promille im Mittel vermutet. Dabei bestehen wegen der individuellen Auswirkungen und Verstoffwechselung von Cannabis entsprechende Schwankungsbreiten, die zu bedenken sind. Aus sicherheitstechnischer und präventiver Sicht ist die folgerichtige Konsequenz, Cannabis genauso wie Alkohol im Betrieb zu behandeln. Mit einer eindeutigen Position und einem definierten Grenzwert von Null im Betrieb besteht Klarheit für die Belegschaft. Auch kann Führungskräften nicht zugemutet werden zwischen Personen, die „leicht bekifft“ oder heute vielleicht doch zu sehr „zugedröhnt“ sind, zu unterscheiden, um sie am Kran oder anderen sicherheitsrelevanten Bereichen arbeiten zu lassen. 

Weitere Informationen erhalten Sie in der Kurz & Bündig Broschüre „Cannabis“ 

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