Ganzheitliche Sicherheitskonzepte für Fahrerlose Transportsystem nach ISO 3691-4 und EU-Maschinenverordnung
Seit Juni 2023 liegt die aktualisierte Fassung der internationalen Norm ISO 3691-4 für fahrerlose Transportsysteme vor. Hersteller und Betreiber mobiler Plattformen müssen nun diese an den Stand der Technik angepasste Norm berücksichtigen und die neuen Anforderungen für ihre mobilen Plattformen umsetzen. Auch die neue EU-Maschinenverordnung macht diesbezüglich klare Vorgaben, die ab Januar 2027 einzuhalten sind.
Jürgen Bukowski, International Services Group Pilz Irland
Die ISO 3691-4, „Flurförderzeuge – Sicherheitstechnische Anforderungen und Verifizierung – Teil 4: Fahrerlose Flurförderzeuge und ihre Systeme“ ist die wichtigste internationale Norm für fahrerlose Transportfahrzeuge (FTF) und -systeme (FTS). Veröffentlicht 2020, gilt sie für Hersteller sowie Betreiber. Sie definiert u. a. die Anforderungen (Performance Levels) an die Sicherheitsfunktionen von FTF und FTS, wie die Einrichtungen für die Personenerkennung, Betriebsarten und Bremssystem. Darüber hinaus beschreibt sie das Vorgehen zur Risikominderung und Validierung der automatisierten Funktionen, um einen störungsfreien und sicheren Betrieb mobiler Plattformen in ihrer endgültigen Betriebsumgebung zu gewährleisten. Als C-Norm (für spezielle Maschinen oder Maschinengruppen) spielt auch die EN 1175 eine Rolle: Sie hat die Sicherheit von Flurförderzeugen mit Blick auf deren elektrische bzw. elektronische Anforderungen im Blick.
Normative Anforderung für Fahrerlose Transportsysteme: Gefährdungen ausschließen
Nach der Norm für Flurförderzeuge müssen Gefährdungen möglichst ausgeschlossen sein, die Verwendung des FTF muss „bestimmungsgemäß“ sein. Zu den signifikanten Anforderungen, die ein Transportsystem erfüllen muss, gehören neben der elektrischen Sicherheit und der Sicherheit für sicherheitsrelevante Teile des Steuerungssystems zum Beispiel auch das Thema Navigation und in diesem Zusammenhang die Kollisionsvermeidung. Zudem beschreibt die aktuelle Version der ISO 3691-4 die geltenden Rahmenbedingungen, um eine höhere Geschwindigkeit des Transportsystems in den so genannten eingeschränkten Bereichen zuzulassen. In diesem Fall werden eine detaillierte Analyse und Bewertung der Gefahren und die Umsetzung entsprechender zusätzlicher Maßnahmen erforderlich.
Was die EU-Maschinenverordnung für mobile Plattformen vorgibt
In der EU wird zudem ab Januar 2027 die Maschinenverordnung (Verordnung (EU) 2023/1230) die Anforderungen an autonome mobile Maschinen und Geräte erweitern – genauer: zur „Überwachung mobiler Plattformen aus der Ferne“. Um aus der Ferne Steuerungsaufgaben an einer Maschine zu ermöglichen, müssen autonome mobile Maschinen über eine Überwachungsfunktion verfügen. Diese soll sicherstellen, dass auch von Remote ein sicherer Stopp und Start der mobilen Plattform möglich ist. Ohne diese Funktion, darf die Maschine nicht betrieben werden. Daneben hat die Maschinenverordnung die mobile Plattform selbst im Blick: Beim Steuervorgang des FTF muss der Lenkvorgang – sowohl Richtung als auch Geschwindigkeit – eine Instabilität des Transportsystems und/oder der Ladung vermeiden. Auch ein Ausfall des Lenksystems darf keine Auswirkungen auf die Sicherheit haben.
Die Integration mobiler Plattformen in ihre Infrastruktur ist ebenfalls Thema der Maschinenverordnung: Um sicherzustellen, dass Gefahren durch den Einbau berücksichtigt und angemessen behandelt werden, sieht die Maschinenverordnung vor, dass eine Gesamtheit von Maschinen (verkettete Maschinen bzw. hier mobile Plattformen) wie eine Gesamtmaschine betrachtet werden und alle Anforderungen der Maschinenverordnung erfüllen muss. Praktisch betrachtet, sind die Maschinenmodule, sprich FTF, so funktional miteinander verknüpft, dass sich der Betrieb jedes Teilnehmers in der Flotte direkt auf den Betrieb eines anderen auswirkt. Darüber hinaus gibt es oft eine Verknüpfung mit anderen Maschinen, wie zum Beispiel Förderbändern. Das macht eine Risikobewertung für das gesamte mobile System erforderlich.
Oft werden mobile Plattformen zu bestehenden Maschinen bzw. in eine bereits vorhandene Infrastruktur integriert. Inwieweit diese Integration dann als Neumaschine betrachten werden muss, ist eine gesetzliche Grauzone. Die Maschinenverordnung versucht diese durch neue Details zu einer wesentlichen Veränderung zu klären. Ist die Sicherheit jedoch durch den Einbau erheblich beeinträchtigt, muss zwingend eine neue CE-Kennzeichnung des mobilen Systems durchgeführt werden.
FTS-Sicherheit Komplettlösung: Produkte, Beratung, Komformitäts- und Abnahmeprüfung, Schulungsangebote
Betreiber von Intralogistik-Anwendungen stehen vor der Aufgabe, die normativen und gesetzlichen Anforderungen mit ihrer individuellen Applikation unter Erreichung einer größtmöglichen Produktivität der Anwendung in Einklang zu bringen. Unterstützung finden sie etwa beim Anbieter sicherer Automatisierungslösungen Pilz, der die Sicherheit für die Intralogistik im Blick hat. Aufbauend auf jahrelanger Erfahrung in der Industrie begleiten die Safety-Experten Anwender rund um die Sicherheit von FTS-Applikationen bis hin zur Internationalen Konformitätsbewertung.
Ein spezielles Dienstleistungsangebot für die Sicherheit mobiler Plattformen wie das von Pilz umfasst neben umfangreichen Beratungsleistungen für den sicheren Betrieb auch eine Konformitäts- und Abnahmeprüfung des FTS sowie auf Wunsch auch ein Schulungsangebot. Im ersten Schritt unterstützen die Experten bei der Risikobeurteilung und führen bei Bedarf beim Hersteller eine Werksabnahme des FTF durch. Beim Anwender schließt sich die finale Risikobeurteilung des FTS unter Berücksichtigung der gesamten Umgebung der Anwendung vor Ort an. Bei der folgenden Sicherheitsvalidierung liegt der Fokus auf Installation und Integration von Sicherheitskomponenten für das FTF wie Scanner oder Encoder oder die Absicherung der Umgebung des FTS durch weitere Schutzeinrichtungen. Pilz berät und begleitet bis hin zur Prüfung der Konformität mit den gesetzlichen Anforderungen wie die CE-Kennzeichnung für die gesamte Applikation.
Für die Umsetzung der Bewegungs- und Bereichsabsicherung mobiler Maschinen ist der Einsatz von Laserscannern und Steuerungen zur Personen-/ Hinderniserkennung sinnvoll. Anwender müssen dabei berücksichtigen, ob ihre FTF spurgebunden oder frei navigierend unterwegs sind. Einfache, spurgebundene FTF folgen auf ihrem Weg Markierungen. Sind Hindernisse auf der Spur, müssen diese laut ISO 3691-4 entsprechend ihrer Geschwindigkeit definierte Warn- und Sicherheitszonen einhalten. Für die Überwachung der Zonen übernehmen Sicherheits-Laserscanner, wie zum Beispiel PSENscan von Pilz, die Absicherung und leisten eine barrierefreie und produktivere Flächenüberwachung für den Kollisionsschutz. Frei navigierende mobile Plattformen können um Hindernisse oder Personen herumfahren, ohne zu stoppen. Die benötigten Sicherheitsfunktionen sind daher komplexer, gerade bei Kurvenfahrten. Auch hier unterstützen Sicherheits-Laserscanner, die die Umgebung permanent erfassen, damit sich die Navigation frei umsetzen lässt.
Was aber, wenn Manipulationen an FTS wichtige Sicherheitsfunktionen außer Kraft setzen würden? Mit einem umfassenden Zugriffs- und Zugangsmanagement können Security-Vorfälle verhindert werden – auch zu diesem Thema stellt die neue Maschinenverordnung Anforderungen und sorgt damit für eine umfassende Sicherheit mobiler Anwendungen!
Services von Pilz rund um FTS
Vor der ersten Inbetriebnahme und später mindestens einmal jährlich muss eine Überprüfung des ordnungsgemäßen Zustandes und der sicheren Funktion der FTF inklusive aller Sicherheitseinrichtungen durchgeführt werden. Auch das übernimmt Pilz im Rahmen seines Komplettpakets. Für den nachhaltigen Wissensaufbau können Anwender zudem Schulungen über den sicheren Betrieb einer FTS-Anwendung nutzen. Neben den normativen Grundlagen zählen auch die verschiedenen Sicherheitseinrichtungen oder die technischen Funktionen eines FTS zu den Inhalten. Die Pilz GmbH & Co. KG unterhält eine von DAkks akkreditierte Inspektionsstelle gemäß ISO/IEC 17020.