H.264-Videokompression für CCTV-Zwecke
Verfahren zur Videokompression wie H.264 werden oft einseitig als Mittel zur Kostenreduktion angesehen. Dass diese Kostenreduktion nicht selten mit erheblichen funktionalen Nachtei...
Verfahren zur Videokompression wie H.264 werden oft einseitig als Mittel zur Kostenreduktion angesehen. Dass diese Kostenreduktion nicht selten mit erheblichen funktionalen Nachteilen erkauft wird, ist vielen nicht bekannt. Dabei kann Sparsamkeit um jeden Preis durchaus zu unbrauchbaren Systemen führen. Ein auf den ersten Blick Kosten sparendes Verfahren kann durch seine Inflexibilität sogar zum eigentlichen Kostentreiber werden. Dr. Matthias G. Döring von Geutebrück beleuchtet in seinem Beitrag die Nachteile differentieller Video-Kompressionsverfahren wie H.264 beim Einsatz für CCTV-Zwecke.
Dank der Suggestionskraft marketinggetriebener Slogans unterliegen viele Anwender von Video-Kompressions-Produkten einem weit verbreiteten Irrtum: Gerne glaubt man, H.264 sei H.264 und MPEG-2 sei MPEG-2, etc. - unabhängig vom Anwendungsbereich. Dabei sind die Unterschiede teils gravierend - vor allem bei konträren Zielen wie etwa bei Multimedia- und CCTV-Anwendungen. Stattdessen suggeriert so manche verkürzende Werbebotschaft eine Vergleichbarkeit bezüglich Kosten, Qualität und Flexibilität. Im Ergebnis widerspricht dies aber dem Sinn eines Standards. Denn Standards lassen eben erhebliche Freiheiten für das Design von Produkten - ähnlich wie bei Bauvorschriften im Verhältnis zur Freiheit des Architekten gilt dies auch für den H.264-Standard und seiner konkreten Anwendung. Nun scheuen viele Hersteller aus Kostengründen Neuentwicklungen für den kleinen CCTV-Markt und greifen auf billige Lösungen aus dem Multimedia-Umfeld zurück. Der Einsatz für Ziele, für die diese Produkte nicht gedacht waren, erzeugt eine Reihe von Kompromissen, die bis zur Unbrauchbarkeit führen können.
CCTV-Probleme der differentiellen Videokompression
Was passiert, wenn die Anforderungen von CCTV beim Design von Kompressionsprodukten nicht berücksichtigt werden, lässt sich - als ein Beispiel unter vielen - anhand des so genannten P-Kettenproblems erläutern: Die Video-Kompression wird in Einzelbildverfahren wie MJPEG, und differentielle Verfahren wie MPEG-2, MPEG-4 und H.264 eingeteilt. MJPEG z.B. komprimiert jedes einzelne Bild einer Sequenz unabhängig von allen anderen Bildern. Differentielle Verfahren berücksichtigen nur die Änderungen zwischen einem Bild und vorausgegangenen oder auch nachfolgenden Bildern. Da die Änderungen von Bild zu Bild meist klein sind, erzeugen differentielle Verfahren kleinere Datenmengen als Einzelbildverfahren und reduzieren damit Kosten für Speicherung und Übertragung. Dies erkauft man sich aber mit erheblichen Nachteilen. Für die Rekonstruktion eines Bildes reicht nicht mehr das Bild selbst, wie bei MJPEG. Da nur die Differenz-Information verfügbar ist, müssen alle Bilder, die zur Bildung dieser Differenz bei der Kompression verwendet wurden, bei der Dekompression bekannt sein. Dies treibt die Dekompressions-Kosten in die Höhe. Geht eines der Bilder, auf die sich ein aktuelles Bild bezieht, verloren, so kann es nicht mehr fehlerfrei dekomprimiert werden.
Bei Multimedia-Anwendungen sind die damit verbundenen Kompromisse meist nur ärgerlich. Schneller Vor- und Rücklauf von DVD-Playern ist nur mit größeren Bild-Sprüngen möglich. Gestörte Fernsehübertragungen mit Bildverlusten führen zu Fehlern in folgenden Bildern. Das Zappen von Kanal zu Kanal bei digitalen Übertragungen ist mit relativ großen Wartezeiten verbunden. Multimedia kennt kein echtes Live bei TV-Übertragungen, weil die Kompressions-Verfahren Verzögerungen von mehreren Sekunden erzeugen. Was bei Multimedia-Anwendungen nur ein Ärgernis ist, kann bei CCTV den Nutzen der gesamten Sicherheitsanlage in Frage stellen.
P-Ketten
Die normalerweise eingesetzte Variante der differentiellen Videokompression arbeitet mit so genannten P-Ketten. Die Bilder einer Sequenz bilden eine Kette. Diese beginnt mit einem Referenzbild, einem so genannten I-Bild, welches unabhängig von anderen Bildern ist. Die P-Bilder der Kette werden als Differenz komprimiert. Mit Erzeugen eines neuen I-Bildes startet eine neue Kette. Die P-Bilder formen dadurch eine Kette, weil sie durch Differenzbildung zum jeweils vorhergehenden Bild berechnet werden. Genau hier liegt einer der zentralen Kritikpunkte für die Anwendung dieses Verfahrens für CCTV. Um ein P-Bild einer solchen Kette dekomprimieren zu können, müssen alle vorhergehenden P-Bilder inklusive des I-Bildes dekomprimiert werden. Wird die Kette durch Verlust eines Bildes unterbrochen, so können alle folgenden Bilder nur fehlerhaft dekomprimiert werden. Man spricht in diesem Fall von Dekompressions-Fehlern bzw. Artefakten. Je nach Bildrate und Anzahl der Bilder in einer Kette können damit Lücken im Bilder-Strom von mehreren Sekunden auftreten. Bei CCTV-Anwendungen hat diese inflexible Kettenstruktur ganz erhebliche negative Auswirkungen. Im Gegensatz zu Multimedia ist die Möglichkeit des Weglassens von Bildern einer Sequenz ohne Artefakte in den Folgebildern von zentraler Bedeutung für CCTV. Ist dies nicht möglich, sind viele CCTV-typische Funktionen und Lösungen nur eingeschränkt betreibbar.
Adäquate CCTV-Kompression
Es gibt Möglichkeiten, auch die differentielle Kompression optimal an die Anforderungen von CCTV anzupassen. Der H.264 Standard erlaubt derartige Strukturen. Sie werden aber nicht genutzt, da die Vorgehensweise zu einer Reduktion der Kompressionseffizienz führt. Das Ergebnis sind höhere Bitraten und damit Übertragungs- oder Speicherkosten. Bei CCTV wird dieser Nachteil jedoch durch den Gewinn an Flexibilität und alternative Verfahren zur Kostenreduktion wie der Time-Lapse Aufzeichnung bei weitem aufgewogen. Ideal ist ein Kompressions-Produkt welches die Freiheit lässt zwischen den gegensätzlichen Zielen Flexibilität und Kompressions-Effizienz zu wählen. Derartige Produkte gibt es mittlerweile. Beispiele sind das schon 2005 von Geutebrück eingeführte MPEG4CCTV- und das aktuelle H.264CCTV-Verfahren oder der H.264 Kompressor der Firma Stretch. Basler entwickelte eine Megapixel-IP-Kamera, die einen H.264 Kompressor nutzt, der ebenfalls diese Möglichkeiten bietet.
Balance zwischen Kosten und Flexibilität
Für heutige Speicher- und Übertragungstechniken stellen selbst die gewaltigen Datenlasten von Megapixel-CCTV-Systemen kein Problem mehr dar. Gigabit-Ethernet und Terabyte-Festplatten erlauben eine Rückbesinnung auf die eigentlichen Ziele von CCTV. Während in den vergangenen Jahren der Kostenaspekt im Fokus stand, ist die Situation heutiger Technik erheblich entspannter. Welchen Sinn hat es, 10% Bandbreite bei der Kompression einzusparen, wenn dies zu einem Dauerbetrieb einer Anlage mit unnötig hohen Bildraten oder Auflösungen zwingt oder wenn die unzureichende Flexibilität des Bildzugriffs den Nutzen der Systeme stark reduziert? Das Ziel von CCTV ist nicht minimale Bitrate sondern die qualitativ hochwertige Erfassung sicherheitsrelevanter Information. Entsprechend modifizierte CCTV-Kompressionsprodukte sind denen überlegen, die lediglich aus dem Multimedia-Umfeld übernommen wurden: Sie erlauben eine erheblich bessere Balance zwischen Kosten und Flexibilität.