Haut- und Handschutz im betrieblichen Alltag

Ein großer Teil der Hauterkrankungen und Handverletzungen könnte verhindert werden. Dazu gehören u.a. eine sachgemäße Gefährdungsermittlung, Auswahl von Schutzprodukten und Unterwe...

Frank Zuther ist Gründer und Geschäftsführer des Bundesverbands Hautschutz
Frank Zuther ist Gründer und Geschäftsführer des Bundesverbands Hautschutz

Ein großer Teil der Hauterkrankungen und Handverletzungen könnte verhindert werden. Dazu gehören u.a. eine sachgemäße Gefährdungsermittlung, Auswahl von Schutz­produkten und Unterweisung. In der betrieblichen Praxis gibt es aber eine ganze Reihe von Schwachstellen, sagt Frank Zuther im Gespräch mit GIT SICHERHEIT. Frank Zuther ist ­Geschäftsführer des Bundesverbands Handschutz.

GIT SICHERHEIT: Herr Zuther, berufsbedingte Hauterkrankungen sind ausgesprochen häufig. Sie machen offenbar etwa die Hälfte aller Fälle aus, die man als Berufskrankheit bewertet, ganz abgesehen von einer nichterfassten Dunkelziffer. Arbeitsunfälle mit mindestens dreitägiger Arbeitsunfähigkeit betreffen zu einem Drittel die Hand – das sind jährlich mehr als 300.000 Fälle. Nun stehen wir ja, was Arbeitsschutz in Deutschland und Europa anbelangt, nicht am Anfang – wie kommen solche Zahlen zustande?

Frank Zuther: Die Haut wird im beruflichen wie auch im privaten Alltag vielfältig strapaziert. Das Gros aller Hauterkrankungen ist – wie die Statistiken ebenfalls zeigen –irritativ bedingt. Arbeitsstoffe, die wir als „harmlos“ empfinden, wie Wasser oder wässrige Reinigungslösungen, belasten die Haut mit der Zeit derart, dass selbst die widerstandfähigste Haut sich in den Ruhephasen nicht mehr erholen kann. Sie reagiert mit Rötungen, Schuppungen und schließlich mit einem Ekzem. Das muss nicht sein. Pflichten und Verantwortungen im Bereich des Arbeitsschutzes sind klar geregelt. Der Unternehmer ist verantwortlich. Er lässt sich durch Sicherheitsfachkräfte, Sicherheitsbeauftragte, Betriebs- und Werksärzte beraten. Unfallversicherungsträger unterstützen, wenn dies gewünscht wird oder bereits Hauterkrankungsfälle gemeldet wurden. Immer stellt die Gefährdungsbeurteilung die Grundlage für jegliche Arbeitsschutzmaßnahmen dar.

Gerade hier scheint es ja des Öfteren zu Fehleinschätzungen zu kommen?

Frank Zuther: Leider scheint sich die Gefährdungsbeurteilung zu oft auf Gefahrstoffe, d. h. kennzeichnungspflichtige Chemikalien zu beschränken. „Harmlose“ Substanzen, wie Wasser oder wässrige Tensidlösungen, wassergemischte Kühlschmierstoffe, aber auch mechanische und thermische Beanspruchungen oder auch die Art und Häufigkeit des Händewaschens, bleiben außen vor. Die wiederkehrenden Auswirkungen dieser Stoffe auf die Haut werden, obwohl sie Hauptverursacher von Hauterkrankungen sind, zu wenig beachtet und deutlich unterschätzt. Die Gefährdungen werden verharmlost. Zu berücksichtigen wären auch die individuellen Ansprüche der Mitarbeiter. Wer anlagebedingt beispielsweise unter chronisch trockener Haut oder atopischem Ekzem leidet, wird sehr schnell eine Verschlechterung des Hautzustandes im Beruf beobachten.

Welche Schwachstellen sehen Sie noch, was die Belastung der Haut betrifft?

Frank Zuther: Neben der Gefährdungsbeurteilung, in der die Hautbelastungen oft nicht angemessen berücksichtigt werden, stellt die Auswahl geeigneter Schutzprodukte eine gravierende Schwachstelle dar. Es wird eine Vielzahl an persönlichen Schutzprodukten angeboten, mit deren zielgerechtem Einsatz mittlerweile fast jede Hautbelastung minimiert werden könnte. Experten stellen jedoch in Frage, dass hierbei alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Immer noch kommen allzu häufig Schutzprodukte zum Einsatz, deren Schutzwirkung für eine definierte Hautbelastung nicht ausreichend und das Schutzprodukt damit nicht geeignet ist. Resultierend aus den genannten Aspekten bildet die Unterweisung eine weitere Schwachstelle zur Vermeidung von Hauterkrankungen. Wird die Hautgefährdung in der Gefährdungsbeurteilung nicht ausreichend berücksichtigt, und werden nicht die geeigneten Schutzprodukte ausgewählt, so kann die Unterweisung nicht angemessen sein. Anwender werden über Hautgefährdungen und deren Vermeidung zu wenig informiert. Folglich kann auch die betriebliche Umsetzung der Schutzmaßnahmen nicht bedarfsgerecht sein. Experten sind sich einig, dass ein Großteil der Hauterkrankungen und Handverletzungen verhindert werden könnten. Eine Gefährdungsermittlung unter Berücksichtigung von hautgefährdenden Stoffen, gekoppelt mit der Auswahl geeigneter Schutzprodukte, einer gezielten, regelmäßigen Unterweisung und der Verfolgung der Umsetzung im Betrieb wäre ein Fortschritt. Es gibt gute Beratungsmöglichkeiten. Wenn diese dann auch gezielt beansprucht würden, wäre das sehr hilfreich, um die Entstehung von Hauterkrankungen einzudämmen.

Was empfehlen Sie für die betriebliche Praxis?

Frank Zuther: Ich wünsche mir eine bessere Primarprävention und gute Erfolge in der Sekundarprävention – so etwas geht. Die häufigsten Fehlschlüsse sind: „Es gibt keinen Handlungsbedarf“. „Bei uns im Betrieb ist alles Bestens“. „PSA ist hinderlich und kann nicht immer verwendet werden“. Alles ist eine Frage der Kompetenz und der Prioritäten. Theorie ist gut, aber Erfahrung, Praxis und gute Kommunikation sind der Schlüssel zur Reduzierung von Hauterkrankungen und Handverletzungen.

Herr Zuther, Sie beobachten ja im Bundesverband Handschutz den Markt seit langem sehr genau – als Herstellerverband sitzen Sie ja auch in der Tat an der Quelle. Welche technischen Verbesserungen zugunsten eines effektiveren Handschutzes haben wir in der letzten Dekade bzw. in den letzten Jahren gesehen?

Frank Zuther: Neue Erkenntnisse, neue Materialien und neue Fertigungstechniken haben die Aussicht sehr vergrößert, die Verletzungen und Hauterkrankungen zurückzuführen. Die Verbesserung des Tragekomforts, der Feinfühligkeit und der Griffsicherheit unter gleicher oder verbesserter Leistung sind in den Vordergrund gerückt. Die optimalen (auch neuen) Produkte im effizienten Einsatz würden sicher positive Wirkungen zeigen. Den Möglichkeiten eines effektiven Schutzes mit moderner PSA sollte mehr Beachtung geschenkt werden.

Was hat sich speziell bei Handschuhen getan?

Frank Zuther: Schaut man sich die aktuellen Kollektionen der Handschuhhersteller bewusst an und probiert sie aus, so erkennt man rasch, dass ein leistungsstarkes Produkt im Einsatz nicht hinderlich sein muss. Im Bereich des Tragekomforts und der Passform haben sich durch die Verwendung neuer Materialien und Materialkombinationen große Fortschritte ergeben. Selbst für die filigransten Tätigkeiten gibt es heutzutage geeignete Handschuhe, die das Arbeiten nicht gravierend beeinträchtigen. Die Unterschiede ähnlich aussehender Handschuhmodelle lassen sich auf einem Bild nicht erkennen. Man muss sie tragen und in der Praxis erleben.

Der Komfort ist ja immer stärker verbessert worden?

Frank Zuther: Natürlich. Letztlich will niemand ein störendes technisches Schutzprodukt. Man will Sicherheit. Nur wenn die geeignete PSA auch konsequent verwendet wird, bringt das den gewünschten Erfolg. Schutz – sicher, aber bitte der Gefährdung angemessen und mit einem Höchstmaß an Komfort. Nur das bewirkt eine hohe Tragebereitschaft. Überdimensionierte PSA bringt letztlich keinen Schutz, weil sie nicht getragen wird. Schutz in Verbindung mit Komfort ist machbar. Diese Produkte gibt es.

Offenbar gibt es heute eine regelrechte Explosion sehr ausdifferenzierter Produkte. Wie kann der Einkäufer hier zu mehr Überblick kommen? Was muss aus Ihrer Sicht geschehen, um die richtigen Produkte für die jeweiligen Zwecke an den Mann kommen?

Frank Zuther: Zunächst muss betont werden, dass der Gesetzgeber den Einkäufer für die Auswahl einer geeigneten persönlichen Schutzausrüstung nicht vorgesehen hat. Der Einkauf kann und soll genau die PSA beschaffen, die die Sicherheitsfachkraft, bzw. der zuständige Werks- oder Betriebsarzt basierend auf der Gefährdungsbeurteilung auswählte, die sich im Praxistest bewährte und die den Mitarbeitern vermittelt wurde. Es besteht eine Dokumentationspflicht und daher sollte der Einkauf über geeignete Informationen über den Schutzhandschuh und dessen Leistungsprofil verfügen, der sich im Praxistest als geeignet schützend bewährt hat. So steht der Beschaffung der geeignet schützenden PSA nichts mehr im Wege.

Wo es Hersteller gibt, die Produkte mit hohem Aufwand an Entwicklung und Qualitätsmanagement herstellen, gibt es immer auch Nachahmer. Wie lässt sich für den Einkäufer Qualität erkennen?

Frank Zuther: Dringend rate ich, PSA dort zu beschaffen, wo eine qualifizierte Beratung gegeben ist. Niemand braucht „irgendeinen“ Handschuh. Es ist entscheidend, dass nach den vorrangigen Schutzmaßnahmen (S-T-O-P Regel: erst Substitution, dann Technische Maßnahmen, dann Organisatorische Maßnahmen, dann Persönliche Schutzmaßnahmen) ein geeigneter Handschuh leistungsgerecht zum Einsatz kommt, der die Gefährdungen weiter minimiert. Immer müssen auch die Hinweise der Benutzerinformation, die sich obligatorisch beim Produkt befindet, beachtet werden. Der Einkäufer ist nicht in der Position, zu bewerten und zu entscheiden, welche PSA zu verwenden ist. Allerdings sollte er aktiv in den Auswahlprozess mit eingebunden sein – wie auch die potentiellen Anwender des Schutzhandschuhs.

Wir stehen gerade vor umfangreichen Neuerungen, was die u.a. für den Handschutz relevanten Normen betrifft. Geben Sie uns einen kleinen Überblick über die wichtigsten Veränderungen?

Frank Zuther: Seit Jahrzehnten gibt es DIN EN (ISO) Normen für Schutzhandschuhe. Diese werden regelmäßig von den Experten in den Gremien bei den nationalen Normeninstituten (DIN) und in Arbeitsgruppen der sogenannten TCs überprüft und auf aktuellen, gesicherten Kenntnisstand gehalten. Dies erfolgt im Konsensprinzip aller interessierten Kreise. Auf dem Norm-Entwurfs-Portal des DIN kann jeder aktiv teilhaben. Die angepassten EN Normen wurden, bzw. werden zeitnah dort zur Verfügung gestellt. Es wird bedeutende Änderungen geben. Auch der BVH wird seine Informationen rasch überarbeiten und aktuelle Informationen mit Kommentaren bereitstellen. Qualifizierte Hersteller von Schutzhandschuhen sind in der Normung aktiv und sichern eine rasche Umsetzung zu. Sie unterstützen den geeigneten Einsatz ihrer Schutzprodukte durch geschultes Personal und Service.

Welche Folgen werden für den Anwender und die Praxis am meisten spürbar sein?

Frank Zuther: Mit den Normen wird der Vermutungstatbestand des Produktsicherheitsgesetzes (Konformität mit der Richtlinie 89/686/EWG, demnächst ersetzt durch die Verordnung über persönliche Schutzausrüstungen) ausgelöst. Mit den Normen kann der Hersteller die Leistung seiner PSA beschreiben. Dem Anwender geben sie vergleichbare Hinweise zur Schutzleistung. Die aktuellen Normen optimieren die Informationen und unterstützen eine optimale Auswahl. Allerdings geben qualifizierte Hersteller weitere gezielte Informationen zu Ihren spezifischen Produkten, um den effizienten Einsatz zu unterstützen. Immer bedeutender werden die potenzielle Unschädlichkeit für den Anwender, der Komfort und die Einsatzzeit. Ohne die Beratung von Experten ist eine optimale Auswahl und Verwendung von komplexer PSA kaum vorstellbar.

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