i-Pro: Mit Start-up-Mentalität ins KI-Zeitalter
Der japanische Kameraentwickler und -hersteller i-Pro lud im November Vertreter der internationalen Fachpresse in sein Headquarter nach Japan ein. Dort wurde ihnen ein tiefer Einblick in die Kultur und Arbeitsweise des auf Edge-KI-Kameras spezialisierten Unternehmens gewährt, dessen Wurzeln beim Technikgiganten Panasonic liegen. Seit 2019 agiert i-Pro als selbstständiges Unternehmen am Markt. Matthias Erler von der GIT SICHERHEIT-Redaktion war dabei und sprach unter anderem exklusiv mit Masato Nakao, Representative Director of the Board und CEO von i-Pro.
Freiheit beflügelt. Dies kann erleben, wer einen Blick in die Entwicklungsabteilung des Videokameraherstellers i-Pro ins südwestjapanische Fukuoka wirft und sich mit dem inspirierenden CEO Masato Nakao unterhält. Der in Japan und den USA ausgebildete Ingenieur und MBA-Absolvent Nakao san, wie er auf gut Japanisch und respektvoll angesprochen wird, ist Visionär und erfahrender Manager in der Industrie. Als im Jahr 2019 i-Pro gegründet wurde, übernahm Masato Nakao die Aufgabe des Chief Executive Officer. Damals löste sich das Unternehmen vom Technikgiganten Panasonic, wo die Marke zum Geschäftsbereich Security Systems gehörte. Unter der Führung von Nakao hat i-Pro, getragen vom Selbstverständnis eines hochdynamischen Start-ups, seitdem eine ausgesprochen positive Entwicklung genommen.
Fruchtbarer Abschied
Die Trennung von Japans industriellem Supertanker Panasonic bedeutete zunächst, dass der 2022 angenommene Firmenname i-Pro – statt anfangs noch „Panasonic i-Pro Sensing Solutions“ – sich auf dem Markt etablieren musste. Wie gut dies dem jungen und zugleich traditionsreichen Unternehmen allerdings von Anfang an gelang, berichtete Masato Nakao der internationalen Fachpresse: Zu Panasonic-Zeiten fiel der Umsatz im Vergleich mit dem Wettbewerb Jahr um Jahr zurück. Mit der Gründung eines unabhängigen Unternehmens und einem Bündel strategischer Entscheidungen hat i-Pro diese Entwicklung höchst erfolgreich gedreht.
Lagen die Entwicklungszyklen in der alten Panasonic-Welt noch bei 20 bis 30 Monaten, so hat man sie nun auf 10 bis 12 Monate verkürzt, berichtet Masato Nakao. Gleichzeitig sei die Zahl der neu auf den Markt gebrachten Produkte förmlich explodiert – von 15 bis 30 Modellen zu Panasonic-Zeiten auf jährlich 50 bis 100 Modelle bei i-Pro – eine drastische Erhöhung, die sich anhand eines beeindruckenden Line-ups, der Produktübersicht, deutlich zeigt.
Ähnlich deutlich haben sich die Produktionszeiten entwickelt: Lag die gewöhnliche „Leadtime“ früher noch bei 30 bis 90 Tagen, hat sich diese seit der Eigenständigkeit auf 3 bis 21 Tage verkürzt. Dass die Strategie aufgeht, zeigt eine weitere Kennzahl, der Cash Conversion Cycle, der grob gesagt deutlich macht, wie lange es dauert, bis sich der Verkauf von Waren beim Cash-flow bemerkbar macht. Dauerte dies früher 90 bis 100 Tage, so liege man heute bei 70 bis 80 Tagen.
Bündel von Erfolgsstrategien
Das Siegel „made in Japan“ steht für Masato Nakao für höchste Qualität, Zuverlässigkeit und Langlebigkeit. Für einen entsprechenden Standard sei nicht nur schon Panasonic, sondern Japan insgesamt bekannt – dies möchte man bei i-Pro nutzen. Mit einer üppig bemessenen Garantiezeit von sieben Jahren unterstreicht man selbstbewusst diese Überzeugung.
Vor allem aber ist es eine Reihe strategischer Säulen, die diese positive Entwicklung seit Firmengründung trägt, wie Masato Nakao erläutert. Wichtig war vor allem die Abkehr vom Closed-shop-Modell hin zu offenen, modularen Systemen. Als Anbieter für KI-Edge-Geräte arbeitet das Unternehmen verstärkt mit Technologie-Partnern zusammen. Dazu kommt die entschieden verfolgte Strategie der „Time-based competition“, also des zeitbasierten Wettbewerbs. Im Kern positioniert sich i-Pro zunächst einmal als Anbieter von Hardware mit Spezialisierung auf Videokameras – innerhalb eines Marktes, dessen fortschreitende Veränderung stark mit Software zusammenhängt. Die Künstliche Intelligenz beschleunigt diese Dynamik zusätzlich.
Eben hier spielt die stark vorangetriebene Zusammenarbeit mit Partnern eine entscheidende Rolle: Zu Panasonic-Zeiten hatte man noch auf vertikale Branchenlösungen aus einer Hand gesetzt. Damit hatte man sich in den Wettbewerb mit einer ganzen Reihe spezialisierter Unternehmen gebracht, was immer weniger Erfolg versprach: Man konkurrierte gleichzeitig mit Entwicklern von Videomanagementsoftware (VMS), intelligenter Bild- und Videoanalyse mit ihren immer weiter verfeinerten Funktionalitäten, aber auch mit Systemintegratoren.
Stattdessen, so Masato Nakao, hat sich i-Pro einem horizontalen Ansatz verschrieben, bei der sich das Unternehmen als Anbieter sicherer, KI-getriebener Edge-Geräte für das IoT versteht, am Schnittpunkt also der realen Welt mit der virtuellen eines Netzwerks. Hier wird das massive Datenaufkommen schon vor Ort weitgehend verarbeitet und analysiert – ein effizienter, kostensparender Weg zur Entlastung der Cloud, der gleichzeitig präzisere Ergebnisse ermöglicht. Kameras ohne solche analytischen Fähigkeiten werden es künftig schwer haben auf dem Markt, so die Einschätzung des i-Pro-Managements.
Wachstumsmarkt Künstliche Intelligenz
Künstliche Intelligenz ist nach Einschätzung von Masato Nakao Wachstumsmotor Nummer Eins. Dabei setzt i-Pro eben nicht auf die KI auf dem Server, sondern auf KI an der Edge. Hier spielt nach seiner Auffassung die Musik – auch deshalb, weil viele Kameras den Einsatz vieler verschieden spezialisierter Arten von KI ermöglicht, statt nur einer KI-Version auf dem Server. i-Pro vergleicht sein Geschäft mit der App-basierten Entwicklung bei Smartphones. Die Kamera braucht nicht ausgetauscht zu werden, nur weil die auf ihr arbeitende Technologie sich rasant weiterentwickelt. i-Pro bietet deshalb eine große Bandbreite KI-kompatibler Hardware – das ermöglicht weitgehende Standardisierung und gleichzeitig, hochindividuellen Anforderungen zu genügen.
Dabei hat i-Pro auch den Bestand im Auge – etwa mit der X-Serie, die auch die Jury des GIT SECURITY AWARD überzeugen konnte. Mit der 16 Modelle umfassenden Serie kann man nämlich normale Kameras um KI-Funktionalitäten erweitern. Das funktioniert so, dass – dank eines Chips von Ambarella – eine Kamera der X-Serie noch bis zu drei weitere Videostreams von nicht-KI-fähigen Kameras mitverarbeiten kann. Und noch eine weitere zentrale Eigenschaft von Künstlicher Intelligenz wird bei dieser Serie sichtbar – nämlich die Fähigkeit zu lernen: So lernen die Kameras ihren jeweiligen konkreten Einsatzort, zu beobachtende Objekte, etc. näher kennen, die für die Überwachungsarbeit dort wichtig sind.
Weltweites Partnernetzwerk
Zur Umsetzung dieser Strategie hat sich i-Pro mit Unternehmen wie dem Visualisierungsspezialisten Ambarella oder Morpho, dem japanischen Anbieter digitaler Bildverarbeitungstechnologie und KI-Spezialisten zusammengetan. Auch der Videoanalyseentwickler Vaxtor, der sich vor allem mit der Kennzeichenerkennung befasst, gehört zum Partnernetzwerk dazu.
Dass letzteres durchaus eine höchst anspruchsvolle Sache ist, die man am besten einem spezialisierten Partner überlässt, konnten sich die Pressevertreter im Showroom von Huey (Hiroshi) Sekiguchi in Aktion vorführen lassen. Er ist Chief Product Ambassador und Vice President of Strategic Partnership und führt vor, wie Kameras, die mit dieser Technologie ausgestattet sind, blitzschnell die exotischsten und auch verwaschensten Nummernschilder aus aller Welt erfassen. Damit bringt i-Pro „erstmals eine Anwendung eines Drittanbieters als Bundle mit leistungsstarken Edge-Computing-Kameras auf den Markt“, so Chief Product Officer Gerard Figols, und fügt anlässlich der Markteinführung im November hinzu: „Die native Integration von Vaxtor in i-Pro Active Guard zeigt, wie unsere Hardware und Drittanbieter-Softwarepartner einen unvergleichlichen Mehrwert für sicherheitskritische Anwendungen bieten.“
Auch die Welt der Videomanagementanalyse zeigt, dass man mit den wichtigen Playern zusammenarbeitet: Milestone, Genetec und Eagle Eye Networks gehören zu den Partnern. In Deutschland ist Mobotix zu nennen. Das Unternehmen arbeitet bereits seit 2020 bei der Entwicklung von Kameras mit i-Pro zusammen. In dieser strategischen Kooperation setzt Mobotix ausgewählte Hochleistungs-Kamerahardware von i-Pro ein. Auch Mobotix sieht bei der Datennutzung einen zentralen Fokus der Videotechnologie und will seinerseits auf Basis offener Partnerschaften sein vertikales Lösungsangebot stärken.
Zeitbasierter Wettbewerb
Die „Time based competition“, bringt den Faktor Zeit als wesentliches Erfolgskriterium in den Blick, wie Masato Nakao hervorhebt. Dabei gestalten Unternehmen speziell die Prozesse zwischen der Bestellung und der Auslieferung eines Produktes möglichst effizient, indem man die Reaktionsfähigkeit etwa durch den verbesserten Informationsaustausch zwischen den involvierten Stellen im Unternehmen erhöht .
Für i-Pro führte diese Strategie zur Entscheidung, weitgehend von der Herstellung fertiger Produkte abzusehen, von denen man sich einen bestimmten Absatz verspricht. Stattdessen setzt das Unternehmen auf die Herstellung verschieden einsetzbarer Module, halbfertiger Produkte also, die jederzeit in großen Mengen am Lager sind. Deren unterschiedliche Verwendbarkeit wiederum verkürzt die Entwicklungszeit aller Produkte, in der diese Module eingesetzt werden können. Dadurch kann man auf Bestellungen besonders schnell reagieren.
Realisiert wird das bei i-Pro auch durch die organisatorische Nähe von Vertrieb, Fertigung und Entwicklung. Insbesondere Entwicklung und Fertigung arbeiten auch räumlich eng zusammen. Auch dies ist ein Vorteil, den i-Pro nicht hatte, als es noch ein Zahnrad im riesigen Panasonic-Gefüge war. Jetzt kann das Unternehmen sehr zeitnah agieren und Vorlaufzeiten reduzieren. Dies kommt den Kunden entgegen und sichert gleichzeitig profitables Wachstum.
Dazu gehört auch ein prompter Service für die Systemintegratoren, denen man jederzeit zur Seite steht. Ein eigenes geschultes Team unterstützt sie bei der Installation und Integration von Produkten und auch deren Auswahl.
Strategie für den deutschen und europäischen Markt
Der europäische Markt sei einer der am stärksten entwickelten Märkte, sagte Masato Nakao im Exklusivgespräch mit GIT SICHERHEIT – darin ähnele er dem amerikanischen Markt. An diesem Umstand wolle i-Pro seine Strategie ausrichten. Allerdings seien innerhalb Europas die Wettbewerbslandschaften von Land zu Land ganz unterschiedlich. Was insbesondere den deutschen Markt betreffe, so ähnele dieser dem japanischen. Die einheimischen deutschen Hersteller wie etwa Bosch und Siemens seien sehr stark, genauso wie dies in Japan mit Panasonic, Sony oder Hitachi der Fall sei. Dies erschwere den Markteintritt für ausländische Unternehmen.
Für i-Pro, so Nakao, sei es deshalb wichtig, mit deutschen Unternehmen zusammenzuarbeiten – ein Beispiel dafür sei die Kooperation mit Mobotix. Man wolle sich auf die Endnutzer, aber auch die OEMs in Deutschland konzentrieren. Einen ähnlichen Weg gehe das Unternehmen mit Siemens. Auch langfristig verfolge man die Strategie, die wichtigen Marken in Deutschland zu nutzen.
Weltweit im Fokus, so Masato Nakao, stehen für i-Pro die sogenannten „mission critical verticals“, was insbesondere die Kritischen Infrastrukturen umfasst sowie alle Bereiche, in den sich viele Menschen treffen und der Ausfall der Technik keine Option sei. i-Pro wolle hier seine KI-Technologien einsetzen, um Unfälle, Verbrechen oder ähnliche Ereignisse zu verhindern bzw. rasches Reagieren von Einsatzkräften zu ermöglichen. Das Ziel sei es, die Verantwortlichen vor Ort bei der Entscheidungsfindung zu helfen.
Insbesondere die KI könne nicht nur helfen, wenn schon etwas passiert sei, wie etwa in dem Fall, dass im Nachhinein die Datenbanken beispielsweise auf eine Person mit roter Jacke durchforstet würden. Die Idee sei, Vorgänge zu stoppen, bevor sie gefährlich würden. Es gehe darum, Künstliche Intelligenz zunehmend zur Verhinderung von Unfällen oder Verbrechen einzusetzen. Aus seiner Sicht führe kein Weg daran vorbei, sich mit dieser Technologie zu beschäftigen – nur so könne man sie für die gute Sache nutzbar machen.
i-Pro habe in diesem Zusammenhang hauseigene Richtlinien für den ethischen Einsatz von Künstlicher Intelligenz aufgestellt, so Nakao. Flankiert wird dies mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen zu deren Einhaltung innerhalb des Unternehmens. Dazu gehören etwa entsprechende Schulungsprogramme, Besprechungen mit den Entwicklern und die ständige Überprüfung, ob die Richtlinien eingehalten werden. Nakao selbst sitzt einem i-Pro-internen Lenkungsausschuss zu diesem Thema vor und bereitet derzeit eine ISO-Zertifizierung vor.
Was die Themen Datenschutz und Datensicherheit angehe, sei nach seiner Wahrnehmung nicht nur Deutschland, sondern Europa insgesamt sehr sensibel, sagt Masato Nakao. i-Pro richte sich entsprechend auf die Einhaltung der KI-Verordnung der EU ein. Außerdem sei sein Unternehmen dem Global Digital Compact der Vereinten Nationen verpflichtet. Ohne all diese Maßnahmen könne man auf dem europäischen Markt nicht mitspielen.
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