IP-Video-Technologie im Transportwesen: Interview mit Jan Engelschalt
Das Transportwesen hält komplexe Anforderungen an die Sicherheitstechnik bereit - im Öffentlichen Personennahverkehr genauso wie im Luft- und Seeverkehr. Insbesondere die IP-Vid...
Das Transportwesen hält komplexe Anforderungen an die Sicherheitstechnik bereit - im Öffentlichen Personennahverkehr genauso wie im Luft- und Seeverkehr. Insbesondere die IP-Video-Technik macht den Weg frei für eine sichere Transportumgebung und eine effiziente Überwachung mit kurzen Reaktionszeiten. Matthias Erler von GIT-SICHERHEIT.de sprach mit Jan Engelschalt, Business Development Manager Transportation bei Axis Communications.
GIT-SICHERHEIT.de: Herr Engelschalt, Sie sind Business Development Manager Transport bei Axis. Könnten Sie uns zum Einstieg einmal ein paar Beispiele nennen für große Transport-Projekte, die gerade mit Axis-Systemen realisiert werden?
Jan Engelschalt: Beispiele für solche großen Projekte im Transportbereich gibt es reichlich - ich nenne nur die Fraport am Flughafen Frankfurt, wo schon seit vielen Jahren Axis-Kameras verwendet werden - jetzt auch wieder am neuen Terminal A-Plus, wo einige Hundert Kameras eingesetzt werden. Andere aktuelle Beispiele sind die U-Bahn Stationen der Berliner Verkehrsbetriebe BVG oder die Münchner Verkehrsgesellschaft MVG, wo U- und Straßenbahn mit unseren Kameras ausgestattet sind. Dabei handelt es sich übrigens um das größte mobile IP-Projekt in ganz Deutschland. Auch für die Deutsche Bahn arbeiten wir zusammen im Rahmen des Projekts OpEx.
Im Transportsektor hat man es ja häufig mit großen und komplexen Projekten zu tun. Unterscheidet sich das Geschäft in diesem Punkt wesentlich von anderen Bereichen - oder sehen Sie andere wichtige strukturelle Unterschiede im Vergleich zu anderen Märkten?
Jan Engelschalt: Generell darf man jedes Projekt mit mehr als hundert Kameras als durchaus groß bezeichnen - das gibt es natürlich auch etwa im Retail-Bereich. In der Größe an sich unterscheidet sich ein Transportation-Projekt also nicht grundsätzlich von anderen Bereichen. Allerdings sind die Anforderungen an die Produkte hier wesentlich höher.
Welche sind das?
Jan Engelschalt: Das betrifft beispielsweise die benötigten Zertifikate und die langfristige Lieferverfügbarkeit. Es gibt umfangreiche EN-Normen die erfüllt sein müssen. Spezielle Brandschutznormen schreiben beispielsweise vor, dass in Züge oder andere Fahrzeuge eingebaute Produkte bei einem Brand nicht rauchen oder tropfen dürfen, und dadurch Fahrgäste gefährden. Hersteller wie etwa Bombardier und Siemens fordern, mindestens für 15 Jahre eine „form and function fit"-Garantie abzugeben. Das bedeutet, dass innerhalb dieses Zeitraums Produkte jederzeit durch ein äquivalentes neues Produkt ersetzt werden können müssen - sollte dies erforderlich sein.
Unterscheiden sich Transportation-Projekte nicht auch hinsichtlich der Komplexität bei der Realisierung - immerhin geht es ja um so riesige Unternehmen wie Bahn- und Flugverkehr.
Jan Engelschalt: Die Lösungen sind in der Tat relativ komplex, vor allem in dem Sinne, dass sie Gewerke übergreifend integriert sind - etwa in Zügen, Stationen und verschiedenen Subsystemen. Man kann hier nicht ohne weiteres ein einzelnes System herausnehmen und ersetzen. Alles hat Rückwirkungen auf andere Systeme, wie etwa Personeninformationssysteme, Fahrzielanzeiger oder Notrufsysteme.
Was sind eigentlich für Axis die wichtigsten Geschäftsbereiche innerhalb des Transport-Sektors?
Jan Engelschalt: Das ist global gesehen durchaus überall unterschiedlich. Man kann aber im Groben sagen, dass hier in DACH das Segment Public Transport an erster Stelle steht, dann folgen Flughäfen und Logistik. Das werden wir auch auf der Innotrans in Berlin demonstrieren - neben der Essener Security eine weitere Messe im September. Weltweit gesehen stehen eher die Flughäfen vorne, danach kommen Public Transport und Logistik als unsere wichtigsten Märkte innerhalb des Geschäftsbereiches Transportation. Wichtiger wird künftig übrigens noch der Traffic-Bereich, also das Thema Verkehrsüberwachung. Das wird ein wichtiges Thema für uns auf der ITS World im Oktober in Wien.
Wie wird sich die Bedeutung des Public-Transport-Sektors künftig noch weiterentwickeln aus Ihrer Sicht?
Jan Engelschalt: Wir stellen in Deutschland einen klaren Trend zum verstärkten Videoeinsatz im Öffentlichen Personennahverkehr fest. Einer der Gründe ist sicherlich die zunehmende Gewalt und Vandalismus in unseren OPNV Systemen - und hier kann die IP-Technologie ganz neue Maßstäbe setzen. Heute ist die Livebildübertragung mit 25 Bildern pro Sekunde von HDTV-Bildern möglich. Mit den immer weiter ausgebauten IP-Netzen lassen sich die Vorkommnisse nicht nur speichern, sondern auch in sehr hoher Qualität und Auflösung über sehr große Entfernungen in Echtzeit übertragen. So kann man einer angegriffenen Person heute viel schneller zur Hilfe kommen und Vandalismus lässt sich erheblich reduzieren, da Einsatzkräfte besser geleitet werden können und so schneller eingreifen können. Die Live-Video-Technik optimiert generell solche Prozesse
Lassen Sie uns zu Ihren Produkten im Transportation-Bereich kommen. Geben Sie uns einen Überblick?
Jan Engelschalt: Zunächst einmal ist es so, dass wir mit unserem Produktportfolio Lösungen für den ganzen Transportbereich abdecken. Ein Teil dieser Produkte eignet sich dabei aber auch für andere Segmente wie Critical Infrastructure oder Gouvernement-Anwendungen. Speziell die Axis M 31 14-R ist zwar für die mobilen Überwachung entwickelt worden, also für den Einsatz in Zügen, Straßenbahnen und Bussen- sie wird aber auch teils für stationäre Anwendungen eingesetzt, etwa im People-Counting-Bereich. Der Zusatz „-R" steht dabei für „ruggedized", kennzeichnet also die Eignung der Kamera für raue Bedingungen und extreme Temperaturen.
Welche weiteren Kameras sind hier noch zu nennen?
Jan Engelschalt: Wichtig vor allem für den Perimeterschutz sind unsere Wärmebildkameras - sogenannte Thermalkameras. Die Kameras
liefern Wärmebilder, wodurch Benutzer in der Lage sind, Personen, Objekte und Vorfälle bei komplett Dunkelheit und unter schwierigen Lichtbedienungen zu detektieren kann. Sie dienen z. B. zur Überwachung von Gleisanlagen. In den Niederlanden ist diese aber auch in einem großen Zugdepot im Einsatz. Unser Top-Seller ist die P33-Serie. Wir haben sie vor allem für die rauen Bedingungen auf ÖPNV-Stationen entwickelt. Sie ist staubgeschützt, vandalismusresistent und leicht zu installieren.
Werfen wir noch mal einen näheren Blick auf den Öffentlichen Bahnverkehr. Wo liegen hier die wichtigsten Sicherheitsprobleme, für welche die Videotechnologie Lösungen bieten kann?
Jan Engelschalt: Ganz vorne steht hier sicherlich der Schutz der Fahrgäste. Kein Verkehrsmittel auf der Welt ist sicherer als die des Öffentlichen Personenverkehrs - dieser Standard muss aufrechterhalten werden. Videotechnologie ist hierbei ein sehr wichtiges Mittel der Prävention. Zumindest in unseren Breitengraden erhöht sie die Hemmschwelle für Delikte deutlich. Mit Moderner IP-Kameratechnik können hochauflösende Bilder gespeichert werden, die gegenüber analogen Kameras ein Vielfaches von Pixeln haben. Gängige Auflösungen von IP-Kameras liegen heute bei 1,3 MP bis 5 MP. Dadurch lassen sich Aufnahmen mit einer hohen Detailhaltigkeit erstellen, die den Ermittlungsbehörden für die Strafverfolgung bessere Möglichkeiten zur Täterermittlung zu Verfügung stellen. Wichtig ist auch der Beitrag, den die Videotechnologie für den reibungslosen Ablauf des Verkehrs beisteuert. Natürlich sind hier Kontakte eine technische Möglichkeit. Aber das Visuelle verschafft einem eben doch eine viel bessereVorstellung: Sind die Gleise im Tunnel frei? Ist der Bahnsteig leer oder voll, so dass ich ihn eventuell langsamer ansteuern sollte?
Sind die Fahrzeuge selbst zunehmend mit Videotechnik ausgestattet?
Jan Engelschalt: Videotechnik gibt es schon seit über zehn Jahren in Fahrzeugen und neue Fahrzeuge werden heutzutage kaum noch ohne ausgeliefert. Speziell in Regionalzügen und U-Bahnen ist die IP-Technologie klar auf dem Vormarsch, gerade in diesen Fahrzeugen können IP Kameras durch bessere Auflösung und preiswertere Kostenstruktur in der Gesamtlage punkten. Aber auch hier wird in naher Zukunft die Livebild-Übertragung immer öfters Anforderungen der Betreiber. Dadurch ist die Leitstelle dann in der Lage direkt ins Fahrzeug zu schauen und potentiale Gefahren Situationen realistischer einzuschätzen und angemessen zu reagieren.
Sie haben auch Verkehrsüberwachungslösungen im Programm. Könnten Sie uns Ihre Systeme einmal beschreiben?
Jan Engelschalt: Dieses Thema steht für uns derzeit weltweit verstärkt im Fokus des Business Developments. Wir arbeiten hier mit einer Reihe von Partnern zusammen, mit denen wir Lösungen mit Axis-Kameras designen. Mit der belgischen Firma Trafficon entwickeln wir die Software für die Videoanalytik, bei der die Rauchdetektion in Tunneln, Bahnhöfen und im Inneren von Fahrzeugen die direkt auf der Kamera ausgeführt wird.
Sie erwähnten gerade die Videoanalyse - wie wichtig ist sie im Transportbereich?
Jan Engelschalt: Wir sehen hier eine sehr starke Tendenz insbesondere der dezentralisierten, kamerabasierten Videoanalytik. Schon vor einiger Zeit haben wir damit angefangen, die Intelligenz in die Kameras zu integrieren. Server sind hier schnell limitiert - und wenn er ausfällt, fallen immer gleich viele Kameras auf einmal aus. Dezentralisierung durch Integration in die Kameras ist deshalb der von vielen bevorzugter Weg. Axis bietet mit der „ACAP-Plattform" die Möglichkeit, Videoanalytikmodule auf die Kameras hochzuladen und auszuführen. Wir arbeiten in diesem Zusammenhang eng mit Firmen zusammen, die sich auf das Thema Videoanalytik spezialisiert haben und ihre Analytikalgorithmen auf die ACAP-Schnittstelle adaptieren. Somit stehen heute schon eine große Anzahl von unterschiedlichen Videoanalytikmodulen zur Verfügung und weitere Module zukünftig zu erwarten sind.
Welche weiteren technischen Neuentwicklungen haben Sie aktuell zu bieten?
Jan Engelschalt: Axis hat sich in den letzten Jahren immer mit Verbesserung der Bildqualität beschäftigt. Das Resultat dieser Anstrengungen kann man heutzutage beispielsweise in der Q1602 mit unserer Lightfinder-Technologie finden. Diese Technik macht es möglich, fast im Dunkeln noch zu sehen. Durch ihre hervorragende Lichtempfindlichkeit liefert sie Farbbilder auch bei schlechten Lichtbedingungen. Gegenlicht ist nicht nur für Fotografen ein Problem - auch in der Videotechnik haben wir öfter mit dieser Problematik zu tun. Die Axis Q1604 mit ihrem „WDR-dynamic capture mode" bietet einen sehr großen Dynamikbereich, so dass man auch bei starkem Gegenlicht sehr gute Bilder bekommt. Das ist besonders beim Blick aus einem Tunnel Richtung Tunnelausgang sehr eindrucksvoll.
Herr Engelschalt, besten Dank für das Gespräch.
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