Manipulation von Schutzeinrichtungen vorbeugen
Werden Schutzeinrichtungen an Maschinen außer Kraft gesetzt, steigt die Gefahr für Arbeitsunfälle. Insbesondere während der Instandhaltung beim Betreiber werden Schutzeinrichtungen an Maschinen häufig manipuliert, zum Beispiel wenn der bereitgestellte Funktionsumfang für bestimmte Tätigkeiten nicht ausreicht oder Schutzeinrichtungen als störend empfunden werden.
Die Artikel-Serie in Kooperation von VDMA Elektrische Automation und GIT SICHERHEIT beleuchtet Ursachen und Hintergründe. Sie zeigt die aktuellen gemeinsamen Anstrengungen von Maschinenherstellern und Automatisierungslieferanten im VDMA in enger Zusammenarbeit mit Maschinenbetreibern und Berufsgenossenschaften auf dem Weg zu praktikablen Lösungen für mehr Sicherheit bei weniger Engineering-Aufwand.
Ergebnisse der aktuellen IFA-Erhebung: „Manipulation von Schutzeinrichtungen“
Häufig sind es die an den Maschinen und Anlagen arbeitenden Personen selbst, die Schutzeinrichtungen manipulieren. Dabei sollen diese Schutzeinrichtungen eben genau jene Personen vor Gefährdungen schützen. Doch nicht selten werden Schutzeinrichtungen aus Sicht der Bediener in erster Linie als störend oder hinderlich bei der Bedienung wahrgenommen, weshalb sie überbrückt oder einfach gleich abmontiert werden. Um besser zu verstehen, wie verbreitet das Phänomen ist und wie genau es sich manifestiert, hat das Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA) zwischen den Jahren 2020 und 2022 eine Umfrage durchgeführt, an der sich über 840 Personen beteiligt haben – mehrheitlich Fachkräfte für Arbeitssicherheit. Stefan Otto, Prüfingenieur Funktionale Sicherheit im IFA und Leiter des Arbeitskreises Manipulation von Schutzeinrichtungen der DGUV, hat für uns die Ergebnisse der Umfrage zusammengefasst und erläutert.
Interview mit Stefan Otto
Stefan Otto ist Prüfingenieur für Funktionale Sicherheit im Institut für Arbeitsschutz (IFA) und Leiter des Arbeitskreises Manipulation von Schutzeinrichtungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV)
GIT SICHERHEIT: Herr Otto, Manipulation ist wahrscheinlich ein häufig unterschätztes Thema im Bereich Maschinen- und Anlagensicherheit. Daher würde mich vor allem zunächst interessieren, wie genau es zu dieser Umfrage kam und auf welche Hürden Sie dabei gestoßen sind?
Stefan Otto: Dass Schutzeinrichtungen an Maschinen manipuliert werden, ist nicht neu. Eine 2004 durch das BGIA (heute IFA) und Berufsgenossenschaften der metallverarbeitenden Industrie durchgeführte Studie belegte, dass in den damaligen metallverarbeitenden Betrieben rund 37 % aller Schutzeinrichtungen manipuliert werden. Schätzungen von Arbeitsschutzexperten zufolge werden hierdurch rund ein Viertel aller jährlich stattfindenden Arbeitsunfälle an Maschinen verursacht. Die Zahlen stellten einen Weckruf an Arbeitsschützer dar, sich eingehender mit der Thematik zu befassen. Seither hat das Thema zunehmend Eingang in Richtlinien, Verordnungen und Normen gefunden. Trotz dieser Fortschritte geschehen jedoch immer wieder auf die Manipulation von Schutzeinrichtungen zurückzuführende Arbeitsunfälle, und betriebliche wie berufsgenossenschaftliche Sicherheitsexperten berichten von einem anhaltendem Manipulationsgeschehen.
Aus diesem Grund, und um die Befunde der zurückliegenden Manipulationsstudie auf den aktuellen Stand zu bringen, hat das IFA eine Umfrage durchgeführt. Als Zielgruppe der Umfrage wurden vorrangig solche Personen definiert, die mit der Arbeitssicherheit in Industrie- und Handwerksbetrieben vertraut sind, da hier von der größten Dichte an Maschinen auszugehen ist. Dabei wurde im Gegensatz zu der genannten Studie von 2004 explizit auf eine darüber hinausgehende Branchenzugehörigkeit der Betriebe verzichtet, um ein übergreifendes Bild des aktuellen Manipulationsgeschehens zu erhalten. Der Fragebogen selbst wurde mit insgesamt 16 Fragen und einer geschätzten Bearbeitungsdauer von unter fünf Minuten absichtlich niederschwellig ausgeführt, um eine möglichst große Teilnahmebereitschaft zu erzeugen. Dennoch wurden erst nach wiederholten Bemühungen durch Verteilung auf Veranstaltungen, in Print- und Online-Magazinen, Newslettern und auf Social Media eine repräsentative Anzahl von Rückläufern erzielt. Die Rückläufer selbst zeigten dann allerdings, welche Brisanz das Thema auch aktuell besitzt.
Dann kommen wir doch einmal direkt zu den Ergebnissen: Bei welchen Arbeitsaufgaben und bei welcher Art von Schutzeinrichtung kommt es laut der Umfrage denn am häufigsten zu Manipulationen? Und spielt die Unternehmensgröße dabei eine Rolle?
Stefan Otto: Wie zu erwarten war, stellen Aufgaben, die einen manuellen Eingriff in den Gefahrenbereich der Maschine erfordern, die Hauptursache für das Umgehen von Schutzeinrichtungen dar. Dies kann darauf hindeuten, dass die Maschinen über keine geeigneten Betriebsarten für solche Tätigkeiten verfügen oder die Schutzeinrichtungen die Durchführung der Tätigkeit erheblich behindern. Beispiele hierfür sind die Störungssuche, das Einrichten oder Tätigkeiten für die Instandhaltung von Maschinen. Manipuliert werden überwiegend abschrankende, trennende Schutzeinrichtungen wie Zäune oder Schutztüren, da diese im Arbeitsablauf am ehesten als Einschränkung wahrgenommen werden.
Was die Unternehmensgröße anbelangt, so schneiden kleinere Betriebe in der Umfrage tatsächlich schlechter ab als größere. Gemäß der Umfrage zeigen Kleinst- und Kleinbetriebe (1 bis 49 Beschäftigte) gegenüber Großbetrieben (ab 250 Beschäftigte)
- eine um 13,7 % erhöhte Manipulationshäufigkeit
- eine um 14,7 % erhöhte Duldung der Manipulation durch Vorgesetzte
- eine um 7,8 % verringerte Berücksichtigung des Themas in Schulungen und Unterweisungen
- eine um 31,2 % verringerte Berücksichtigung des Themas bei der Beschaffung von Maschinen
Gründe für diese Auffälligkeit sind neben einer flacheren Hierarchie und größeren Sichtbarkeit solcher Vorfälle sicher auch in den geringeren finanziellen wie personellen Ressourcen zu finden.
Welches Ergebnis hat Sie denn persönlich am meisten überrascht?
Stefan Otto: Zunächst muss die positive Tendenz der Zahlen hervorgehoben werden: So gaben 57,3 Prozent der Befragten an, dass heute weniger Schutzeinrichtungen von Maschinen in Betrieben manipuliert werden als noch vor zehn Jahren. Dennoch ist der Anteil der ständig oder vorübergehend manipulierten Maschinen mit 27,2 Prozent natürlich zu hoch. Das gleiche gilt für die damit einhergehende, mit nahezu 50 % erschreckend hohe Anzahl an Rückläufern, die von Unfällen oder Beinahe-Unfällen an manipulierten Maschinen berichten. Ebenfalls überrascht hat mich der rund 50-prozentige Anteil an Rückmeldungen, in denen die Befragten von der Kenntnis eines Vorgesetzten von einer durchgeführten Manipulation berichten.
Letzteres muss nicht notgedrungen als Hinweis darauf interpretiert werden, dass in solchen Betrieben Manipulationen an Maschinen oder Schutzeinrichtungen generell geduldet werden. Jedoch zeigt der Zusammenhang solcher Fälle – und seien es Einzelfälle – mit der einhergehenden Manipulationshäufigkeit in solchen Unternehmen den immensen Einfluss des Führungskräfteverhaltens auf die betriebliche Arbeitssicherheit. So zeigen Betriebe, in denen Manipulation – auch in Einzelfällen – von Führungskräften geduldet wird, gegenüber anderen Betrieben
- eine um 10,1 % erhöhte Manipulationshäufigkeit
- ein um 18 % erhöhtes Unfallgeschehen
Doch die Umfrage zeigt auch positive Tendenzen. So ist das Thema Manipulation in den meisten Betrieben mittlerweile fester Bestandteil in Schulungen und Unterweisungen und wird dort in 60 % der Fälle regelmäßig, in 30 % der Fälle zumindest selten aufgegriffen. Bei der Beschaffung von Maschinen wird das Thema in 56,7 % der Fälle mitberücksichtigt.
Wie beurteilen Sie die Ergebnisse? Was müsste sich z. B. ändern, um Manipulation weiter einzuschränken? Und gibt es diesbezüglich bereits Ansätze?
Stefan Otto: Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass Präventionsarbeit auch an der in einem Betrieb gelebten Führungs- und Sicherheitskultur ansetzen muss. Die Sicherheit der Angestellten muss in Unternehmen immer an erster Stelle stehen. Dies kann nur geschehen, wenn dies auch von den Vorgesetzten im Unternehmen vorgelebt und propagiert wird. Sichere, in den Arbeitsablauf integrierte Schutzeinrichtungen leisten einen weiteren Beitrag.
Die Wichtigkeit der Führungskultur wird in auch in den Betrieben erkannt. Dies zeigen die Antworten auf die Frage, welche Maßnahmen besonders zur Verhinderung von Manipulation beitragen. Die dahinterliegende Sicherheitskultur rückt indes bereits seit einigen Jahren mit Präventionskampagnen wie Vision Zero immer mehr in den Fokus der berufsgenossenschaftlichen Präventionsarbeit. Gleichzeitig muss die Präventionsarbeit der Unfallversicherungsträger mehr darauf ausgerichtet werden, dass auch kleine Betriebe erreicht werden. Die Umfrage zeigt, dass hier Nachholbedarf besteht.
Weiterführende Hinweise: https://stop-defeating.org
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