Mit dem System Engineering Tool von Schmersal zur komplexen Verdrahtung
Wie lang dürfen die Kabel zwischen einem Verteiler und einem Gerät sein? Wann fällt die Versorgungsspannung unter den Mindestwert von 20,4 Volt? Kann ich eine Maschine überhaupt wie geplant mit Sicherheitszuhaltungen, Sicherheitssensoren oder Bedienfeldern versehen? Spannungsabfälle zu berechnen kann bei der Planung einer Anlage schnell zu einer komplexen Angelegenheit werden.
Gerade bei vernetzten Anlagen mit langen Wegen ist das zumeist der Fall. Schmersal, der Wuppertaler Hersteller von Sicherheitssystemen, hat auf diese Herausforderung reagiert und ein rein browserbasiertes System Engineering Tool entwickelt. Hier können Anwender einfach per Drag & Drop die gewünschten Verteiler und Endgeräte zusammenstellen und die Auslegung der geplanten Leitungsinstallation überprüfen. Das vereinfacht die Planung von Maschinen und Anlagen enorm und hilft zugleich dabei, ein höheres Maß an Planungssicherheit zu schaffen.
Wie das System Engineering Tool tatsächlich funktioniert, welche Möglichkeiten es genau bietet, für welche Anwendungsfälle es besonders geeignet ist und noch einiges mehr, wollte GIT SICHERHEIT im Interview mit Udo Weber, Produktmanager, Schmersal Safety Installationssysteme und Dirk Plastwich, Key Account Manager, Schmersal System- und Lösungsvertrieb herausfinden.
GIT SICHERHEIT: Herr Weber, sie standen bei der Entwicklung des System Engineering Tool Pate. Was war aus Ihrer Sicht der eigentliche Anlass für die Entwicklung dieses Tools und welche Zielgruppen hatten sie dabei im Auge?
Udo Weber: Es war jedenfalls nicht Corona, obwohl die Entwicklung neuer digitaler Tools aus naheliegenden Gründen gerade während der Pandemie stark zugenommen hat. Aber tatsächlich hatten wir schon einige Zeit vor Corona die Idee, ein solches Instrument zu entwickeln, einfach aus einer technischen Notwendigkeit heraus. Denn auch viele Konstrukteure im Maschinenbau stehen unter Zeitdruck. Daher macht es Sinn, schon frühzeitig zu prüfen, ob die Leitungsinstallationen, so wie sie vom Konstrukteur geplant wurden, überhaupt funktionieren. Denn wenn er erst spät im Konstruktionsprozess feststellt, dass etwa der Spannungsabfall zu hoch ist, können die notwendigen Korrekturen sehr zeit- und kostenaufwendig werden. Insofern ist unser Tool eine gute Hilfestellung für Konstrukteure, die ihre Anlage auslegen und optimieren möchten.
In welchem Stadium der Planung einer Maschine, kommt das Tool Ihrer Erfahrung nach normalerweise zur Anwendung? Und welche Bedeutung hat es für Ihren Vertrieb?
Udo Weber: Laut Maschinenrichtlinie muss der Konstrukteur schon in der ersten Planungsphase einer Maschine eine „inhärent sichere Konstruktion“ anstreben, und dort, wo dies nicht möglich ist, geeignete technische Schutzmaßnahmen vorsehen. Das heißt, er muss sich frühzeitig Gedanken machen, wo an der Anlage Schutztüren, Klappen oder Hauben erforderlich sind und mit welchen Schaltgeräten er diese absichern möchte. In dieser Phase der Grobkonzeption hilft ihm das System Engineering Tool, Leitungslängen und Spannungsabfälle zu berechnen und bereits eine erste Stückliste zu erstellen. Anhand der Stückliste kann unser Vertriebsaußendienst dann ein Angebot machen. Auch für unseren Vertrieb ist das Tool eine Unterstützung, weil es den Prozess der Angebotserstellung vereinfacht und der Vertriebler damit z. B. die gewünschte Konfiguration und das Angebot mit topologischen Abbildungen visualisieren kann.
Sicher interessiert unsere Leser auch, auf welcher technischen Grundlage die Entwicklung des System Engineering Tools erfolgte. Können sie uns hierzu und zu den besonderen Herausforderungen bei der Entwicklung etwas sagen?
Dirk Plastwich: Die Implementierung des System Engineering Tools erfolgte in HTML/Javascript. Diese Basis ist mittlerweile sehr weit verbreitet und alle üblichen Webbrowser bieten vergleichbare Funktionalitäten. Zudem stehen für Javascript eine Vielzahl an Erweiterungen und Bibliotheken zur Verfügung. Im System Engineering Tool werden zum Beispiel jQuery für die HTML-Manipulation und Ereignisverarbeitung und Knockout für Teile der Lokalisierung genutzt. Der gesamte Sourcecode inklusive Lokalisierung – es gibt derzeit Übersetzungen in neun Sprachen – benötigt lediglich ca. 500 MB. Dazu kommen Ressourcen wie Plugins/Bibliotheken, Grafiken und CSS-Dateien, mit denen die gesamte Applikation um knapp 20 MB wächst. Den größten Anteil da-ran hat die PDF-Erweiterung „pdfmake“ mit gut 15 MB, vorwiegend bedingt durch eingebettete PDF-Zeichensätze. Pdfmake wird genutzt, um Stücklisten in druckbarer und speicherbarer Form zu erzeugen.
Die größte Herausforderung bei der Entwicklung des System Engineering Tools lag darin, die Anforderungen zu erfassen und so aufzubereiten, dass eine Umsetzung in Programmcode möglich wird. Dazu musste ein Teil des technischen Know-hows der Firma Schmersal so aufbereitet werden, dass die Zusammenhänge für die Softwareentwickler verständlich werden.
Auf ihrer Homepage bezeichnen Sie das System Engineering Tool als „einfaches Werkzeug zur Auslegung der Leitungsinstallation für Sicherheitsschaltgeräte an Maschinen und Anlagen“. Wie genau funktioniert das Tool und welche Parameter bei der Planung können darin berücksichtigt werden?
Dirk Plastwich: Auf einem PC-Bildschirm können einfach per Drag & Drop die ausgewählten Installationssysteme, die gewünschten Sicherheitsschaltgeräte – wie z. B. Sicherheitszuhaltungen, Sicherheitssensoren, Bedienfelder etc. – und die verwendeten Leitungen herangezogen und zu einem virtuellen Aufbau zusammengestellt werden. Das System Engineering Tool berechnet dann die Versorgungsspannung, in Abhängigkeit von Stromaufnahme, Leitungslänge und -querschnitt, die an jedem Gerät noch ankommt und bewertet diese nach einem Ampelsystem. Fällt beispielsweise die Versorgungsspannung unter den Mindestwert von 20,4 Volt, schaltet die Anzeige von Grün auf Gelb, und wenn sie kleiner ist als 19,5 Volt auf Rot. Rot bedeutet, dass die Auslegung so nicht funktionsfähig ist. Das System macht dann Vorschläge wie „Reduzieren Sie die Kabellänge“ oder „Erhöhen Sie die Spannung“.
Wenn man innerhalb des System Engineering Tool durch die Auswahl an Geräten surft, die mit den Verteilern verbunden werden können, fallen einem auch zwei Auswahl-Button mit den Bezeichnungen „Universell mechanisch“ und „Universell elektronisch“ auf. Können sie uns kurz erläutern, was es damit auf sich hat?
Udo Weber: Die Anwender können an unsere Installationssysteme in gewissen Grenzen auch Schaltgeräte anderer Hersteller anschließen. Dafür haben wir bei der Programmierung des Tools die Bezeichnungen „universell elektronisch“ und „universell (elektro-)mechanisch“ gewählt. Es müssen dann noch ggf. Angaben zum Stromverbrauch eingetragen werden, die wir ja nicht kennen können. Aber ansonsten können wir auch für diese Geräte Leitungslängen und die Versorgungspannung berechnen.
Man kann die eigene Planung nicht nur bearbeiten und speichern. Das Tool liefert einem Anwender, wenn gewünscht, auch gleich eine Stückliste mit den für die Umsetzung erforderlichen Verteilern, Kabeln und Geräten. Diese lassen sich dann beispielsweise direkt über Ihren Webshop bestellen, der Ihren Kunden seit ca. einem Jahr zur Verfügung steht. Warum gibt es keine direkte Weiterleitung der Stückliste in den Webshop?
Udo Weber: Das wäre im Prinzip natürlich möglich – würde aber praktisch die Planungsfreiheit des Anwenders einschränken und erschweren. Denn wir haben bei vielen Komponenten, wie z. B. bei der Sicherheitszuhaltung AZM201, über 100 Gerätevarianten. Die Variante müsste der Konstrukteur schon genau definieren, um eine automatische Bestellung auslösen zu können. Das ist aber in dieser Phase der Grobplanung noch gar nicht nötig. Hier geht es ja erst mal darum zu ermitteln, welche Komponenten in welcher Stückzahl erforderlich sind und zu prüfen, ob die Auslegung funktionsfähig ist. Mit der Grobplanung kann er sich an unseren Vertrieb wenden und sich dann beraten lassen, welche spezifische Gerätevariante für seine Planung die beste ist.
Meist gelesen
Gesundheit von Pferden mit KI überwachen
Mit einer Kombination von Videotechnologie und KI geht der Hersteller Novostable neue Wege bei der Gesundheitsüberwachung von Pferden.
Konzernsicherheit und Krisenmanagement bei Carl Zeiss
Risikobasierter Sicherheitsansatz: "Wer alles schützen will, schützt nichts." GIT SICHERHEIT im Interview mit Sven Franke, Head of Security, Crisis Management & BCM bei Carl Zeiss.
Kommunale Sicherheit: Gespräch mit der Düsseldorfer Ordnungsdezernentin Britta Zur
Öffentliche Sicherheit der Stadt Düsseldorf im Zusammenspiel von Ordnungsamt und Polizei: Ordnungsdezernentin Britta Zur im Interview über die Kriminalitätsentwicklung, Gefahrenabwehr und Fußball-EM 2024.
Coded Processing: Funktionale Sicherheit ohne spezielle Hardware ermöglichen
Im Interview mit GIT SICHERHEIT erläutern Claudio Gregorio (Innotec) und Martin Süßkraut (Silistra Systems) wie die Technologie funktioniert.
Wie Unternehmen und Polizei zusammenarbeiten
GIT SICHERHEIT im Interview mit Julia Vincke, Leiterin Unternehmenssicherheit BASF, und Bettina Rommelfanger, Polizeivollzugsbeamtin am Landeskriminalamt Baden-Württemberg (LKA BW).