Sicherheit im ÖPNV der Bankenmetropole Frankfurt
Fühlen sich die Passagiere im ÖPNV sicher, hat dies einen positiven Einfluss auf dessen Akzeptanz und Nutzung. Dies gilt insbesondere für die Zugangspunkte zu den Verkehrsmitteln. Ein neues Videosystem für die VGF nutzt IP-Kameras von Axis und Videomanagement-Software von Qognify.
Fast 300 Banken haben in Frankfurt ihren Sitz – darunter die Deutsche Bundesbank und die Europäische Zentralbank. Als Hessens bevölkerungsreichste Stadt will Frankfurt attraktive Rahmenbedingungen für Mensch und Wirtschaft bieten. Zu den elementaren Standortfaktoren zählt dabei ein leistungsfähiges Nahverkehrsnetz. Verantwortlich dafür ist die Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main – kurz VGF. Sie befördert mit rund 2.600 Beschäftigten und 400 Fahrzeugen in Spitzenzeiten 200 Millionen Menschen pro Jahr im U-Bahn- und Tram-Netz. Ein neues Videosystem nutzt IP-Kameras von Axis und Videomanagement-Software von Qognify.
Fühlen sich die Passagiere im ÖPNV sicher, hat dies einen positiven Einfluss auf dessen Akzeptanz und Nutzung. Dies gilt insbesondere für die Zugangspunkte zu den Verkehrsmitteln. Als Austragungsort für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 hatte die VGF deshalb bereits umfassend in eine Service- und Sicherheitszentrale mit Einsatzleitsystem und integrierter Video- und Notruftechnik investiert. Die gesetzlichen Vorgaben für kritische Infrastruktur und die Anforderungen der VGF hatten sich seitdem jedoch verändert. Darüber hinaus boten technologische Innovationen neue Möglichkeiten.
Modulares Lösungskonzept: Abhängigkeit von Lieferanten reduzieren
2017 initiierte die VGF deshalb das Projekt „Service und Sicherheit – Erneuerung, Migration und Erweiterung“ (kurz: SuS–EME). Ein wichtiger Baustein war dabei die Erneuerung und Erweiterung des Videosystems, da sich besonders in diesem Bereich die Technologie mittlerweile erheblich weiterentwickelt hatte. Zudem galt es, die Bedrohungserkennung direkt mit den Fähigkeiten eines modernen Einsatzleitsystems zu verknüpfen. Ein wesentlicher Schwerpunkt lag dabei auf der schnellen und effektiven Koordination eines Vorfalls zusammen mit Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten. Ziel des Projekts war die Schaffung einer Gesamtlösung mit unabhängigen Komponenten, in der vom Einsatzleitsystem über das Videomanagement- bis hin zum Geoinformationssystem alle Anwendungen über standardisierte Schnittstellen miteinander kommunizieren. Zusätzlich sollte ein modularer Aufbau die Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten reduzieren und mehr Spielraum für technische Neuerungen bieten.
Den Auftrag zur Generalplanung einschließlich der Projektbegleitung vergab die VGF an Genius Technologie & Management Consulting, ein auf integrierte Leitstellen- und Sicherheitstechnik im KRITIS-Umfeld spezialisiertes Planungsbüro. Genius-Geschäftsführer Ulrich Matern nahm die Herausforderung an: „Aufgrund der vielen betrieblichen und gesetzlichen Vorgaben und der Schnittstellen im technischen und organisatorischen Bereich waren die Anforderungen an die Systemplanung sehr komplex. Ein wesentlicher Aspekt für die erfolgreiche Umsetzung des Projektes war die hohe Motivation aller Projektbeteiligten von der Planung bis zur Inbetriebnahme. Praxisnahe Workshops vermittelten allen Beteiligten frühzeitig ein Bild des Projektziels.“
Termingerechte Umsetzung trotz Pandemie
Eine 2019 EU-weit veröffentlichte Ausschreibung führte 2020 zur Vergabe des Projekts an Hexagon als Generalunternehmer und Lieferant des Einsatzleitsystems. Die Firma vi2vi übernahm als Systemintegrator die Erneuerung und Erweiterung des Videosystems, bei der IP-Kameras von Axis und Videomanagement-Software von Qognify zum Einsatz kamen. Die Basis für das Projekt bildete ein 2020 erstelltes, detailliertes Pflichtenheft.
Im März 2021 begann der Systemumbau – unter außergewöhnlichen Rahmenbedingen, wie Felix Müller, Projektleiter bei der VGF, unterstreicht: „Aufgrund der Reise- und Kontaktbeschränkungen durch die Covid-Pandemie mussten wir das Projekt virtuell mit Online-Kollaborationstools und Videokonferenzen durchführen. Vor allem die rein virtuelle Werksabnahme war etwas Besonderes: Der Systemintegrator hat dafür in seinen Räumen einen Leitstellenplatz aufgebaut und alle Prozessabläufe im Einsatzleitsystem und im Videomanagement-System simuliert. Der Inhalt aller Bildschirme wurde dann in Echtzeit an die Mitarbeiter des Projektteams übertragen. Durch den außergewöhnlichen Einsatz aller Beteiligten und die höchst lösungsorientierte Zusammenarbeit konnten wir das Projekt trotz aller Herausforderungen fristgerecht im Dezember 2021 abschließen.“
Prozessorientierte, voll integrierte Leitstelle
Die VGF arbeitet heute mit einer der modernsten Service- und Sicherheitsleitstellen im ÖPNV. Alle beteiligten Organisationsbereiche sind über eine einheitliche Systemlandschaft verbunden und werden optimal unterstützt. Entstanden ist eine innovative Gesamtlösung, die ein ganzheitliches, strukturiertes Management von Ereignissen auf Basis vordefinierter Abläufe gewährleistet. Dabei helfen leistungsfähige Videokomponenten dem Personal in der Leitstelle die Situation vor Ort schnell und umfassend zu beurteilen.
Ein Großteil der Vorfälle, die das Team in der Service- und Sicherheitsleitstelle der VGF bearbeitet, wird von Fahrgästen über die Notruf- und Informationssäulen (NIS) an den Stationen und Haltestellen gemeldet. Für jeden Info- oder Notruf wird automatisch ein Vorfall im Einsatzleitsystem erstellt. Mitarbeiter der SuS-Leitstelle, die den Anruf entgegennehmen, sehen über das im Einsatzleitsystem integrierte Geoinformationssystem sofort die genaue Ereignisposition auf einer Karte. Gleichzeitig schalten sich automatisch die benachbarten Kameras auf. Das verschafft den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Echtzeit einen umfassenden Überblick zur Situation vor Ort. Alle Details zum Vorfall lassen sich in dynamischen Eingabemasken schnell erfassen. Abhängig vom Vorfalltyp zeigt das Einsatzleitsystem einen Maßnahmenkatalog an, der Schritt für Schritt abgearbeitet werden muss. Das gewährleistet eine standardisierte und schnelle Reaktion.
Die Mitarbeiter in der Leitstelle können zudem aus dem Einsatzleitsystem heraus die Kräfte des VGF-Ordnungsdienstes alarmieren, die sich gerade in der Nähe befinden. Die Kommunikation erfolgt dabei medienbruchfrei per App. Sobald der Vorfall abgeschlossen ist, wird er in ein webbasiertes digitales Wachbuch überführt. Auf diesem Weg kann die interne Ermittlungsgruppe der VGF auch der Polizei relevante Informationen in einem ausgearbeiteten Bericht zur Verfügung stellen. Ein datenbankbasiertes Reporting-Tool liefert zusätzlich detaillierte Statistiken zu erfassten Vorfällen. Auf dieser Basis kann die VGF ihre Reaktionsprozesse kontinuierlich verbessern.
Auch aus technischer Sicht ist die Lösung innovativ – dazu Felix Müller: „Als Verkehrsunternehmen unterliegen wir den Bestimmungen für kritische Infrastruktur. Deshalb sind uns bei IT-Systemen Standardisierung, Ausfallsicherheit und Zuverlässigkeit besonders wichtig. Aus diesem Grund betreiben wir sowohl das Einsatzleitsystem wie auch das Videomanagement in einer voll virtualisierten Umgebung in mehreren Rechenzentren.“ Auch beim Aufbau des Kamera-Netzwerks hat die VGF großen Wert auf verlässliche und ausfallsichere Lösungen gelegt. Zum Einsatz kamen speziell für digitale Videosysteme entwickelte Extender von Barox. Für 27 unterirdische und 16 oberirdische Stationen sowie mehrere Liegenschaften und Betriebshöfe betreibt die VGF derzeit etwa 500 Kamerakanäle. Sie werden in der Videomanagement-Software zentral verwaltet und aufgeschaltet.
Gezielter und effektiver handeln
Das System ist seit Ende 2021 im Einsatz. Felix Müller ist sehr zufrieden mit dem Ergebnis: „Uns ist bewusst, dass Sicherheitstechnik Straftaten nicht völlig verhindern kann. Durch die richtigen Maßnahmen und Verbesserungen an den einzelnen Systembestandteilen können wir jetzt jedoch gezielter und effektiver handeln. Insgesamt konnten wir das Management von Vorfällen durch das neue Einsatzleitsystem deutlich verbessern. Wesentliche Erfolgsfaktoren sind die App für schnelle Lokalisierung und Koordination des Ordnungsdiensts sowie das digitale Wachbuch für höhere Transparenz und bessere Zusammenarbeit mit Ermittlungsgruppe und Behörden.“ Auch das Videosystem hat seine Flexibilität unter Beweis gestellt: „Über das ursprüngliche Projekt hinaus haben wir bereits weitere Liegenschaften und insgesamt über 50 Kameras zum Videosystem hinzugefügt. In weiteren Ausbaustufen erwarten wir mittelfristig eine Gesamtzahl von ca. 1.000 Kameras. Dank der offenen Architektur können wir in Zukunft neue Funktionen hinzufügen – zum Beispiel intelligente Videoanalyse zur Messung der Passagierströme.“
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