Sicherheit im Stadion: Gespräch mit Sven Brux vom FC St. Pauli

Bereits im November haben wir Sven Brux, Sicherheitsmanager des FC St. Pauli, über seine Sicht der Dinge in Sachen Sicherheit im Stadion befragt.

Am 12. Dezember nun fällt die Entscheidung über das heftig diskutierte DFL-Sicherheitskonzept - und Brux, der am 9. Dezember auch von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung interviewt wurde, vertritt klare Ansichten: Kein unverhältnismäßiger Aktionismus. Ebenfalls Thema unseres Gesprächs: der neue Zertifikatsstudiengang für Sicherheitsmanager an der SRH-Hochschule Heidelberg. (Interview mit Sven Brux in voller Länge - siehe auch GIT SICHERHEIT Nr. 1-2/2013).

Noch kurz vor unserem Gespräch hat Sven Brux, Sicherheitsmanager beim FC St. Pauli, eine Begehung seines Stadions absolviert. Sicherheit im Stadion steht ständig auf dem Prüfstand. Sein Gespür für das Nötige und Mögliche leitet er selbst in nicht geringem Maße von seiner Verwurzelung in der Fan-Arbeit ab. Er hat jahrelang als Fanbeauftragter Erfahrungen gesammelt und u. a. den Fanladen als Anlaufstelle entwickelt. Jetzt hat er den ersten Zertifikatsstudiengang für Sicherheits­manager an der SRH-Hochschule in Heidelberg erfolgreich absolviert. Matthias Erler von GIT-SICHERHEIT.de hat sich mit Sven Brux unterhalten.

GIT-SICHERHEIT.de: Herr Brux, wie man hört, wird bei Ihnen in St. Pauli gerade heftig um den Standort einer neuen Polizeiwache gefochten - dabei geht es auch um die Präsenz von Polizisten?

Sven Brux: Es geht dabei um die vom Dachverband - ohne Größenangabe - vorgeschriebene Polizeiwache in der Nähe von Fußballstadien. Geplant war eine fast 600 m2 große Wache in unserem verhältnismäßig kleinen Stadion. Das stößt natürlich auf Widerstand vor allem bei den Fans, die nicht von der Polizei im Stadion bedrängt werden wollen. Sie würde aber auch die Arbeit des Fanladens behindern und vertrüge sich nicht mit den Planungen für ein Vereinsmuseum. Jetzt läuft es auf eine externe Lösung in Form des Ausbaus der Domwache hinaus, denn es reicht, dass die Wache in unmittelbarer Nähe des Stadions ist.

Gibt es denn überhaupt Probleme mit Gewalt im Stadion?

Sven Brux: Zum Glück nur in sehr geringem Maße. Probleme mit Fans gibt es generell auch eher außerhalb des Stadions, nicht so sehr im Stadion selbst.

Was sind eigentlich aus Ihrer Sicht die wesentlichen Sicherheitsproblematiken im Stadion?

Sven Brux: Grundsätzlich ist man in Stadien zunächst einmal vor die gleichen Probleme gestellt wie bei jeder anderen Großveranstaltung auch: Viele Menschen kommen auf engem Raum zusammen - sie müssen entsprechend geleitet werden, es muss Fluchtwege geben, und es gelten generell die Regeln des Versammlungsrechts. Besonderheiten im Stadion bestehen zum Beispiel in der Möglichkeit der Überfüllung von Blöcken. Dazu kommt vor allem aber, dass wir es hier mit Menschen zu tun haben, die regelmäßig ins Fußballstadion kommen und sich nicht so sehr als Besucher, sondern als Teil des Ganzen betrachten. Es handelt sich um eine eigenständige Jugendkultur: Der Fußball ist für viele ein zentraler Lebensinhalt. Daraus entsteht wiederum eine eigene Kultur des Stadions mit massenpsychologischen Aspekten. Hier werden auch Grenzen austariert. Auf all das muss man im Umgang mit den Fans und Zuschauern Rücksicht nehmen. Viele von Juristen aufgestellte Bestimmungen und Forderungen gehen deshalb an der Realität vorbei.

Was bedeutet das in der Praxis?

Sven Brux: Man hangelt sich gewissermaßen an den Vorschriften entlang, orientiert sich aber auch an den Realitäten. Das ist von Stadion zu Stadion unterschiedlich: So hängt die Personalplanung z. B. davon ab, ob die Zuschauer pünktlich kommen, wie die Anfahrtswege sind, wie viele Eingänge es gibt und wie ganz allgemein die örtlichen Gegebenheiten gelagert sind.

Wie ist Ihre Haltung zu dem derzeit diskutierten DFB-Sicherheitskonzept?

Sven Brux: Die Debatte, die Sie hier ansprechen, hat zum Hintergrund, dass vor allem in den Medien - etwa in nur als unsäglich zu bezeichnenden Talkshows mit ausnahmslos fachfremden Gästen - sehr viel Unsinn geredet wird. Von einer „Spirale der Gewalt", von einer „explosionsartigen Zunahme" von Vorfällen wird da geredet - obwohl von einer veränderten Sicherheitslage überhaupt keine Rede sein kann. Da gebe ich dem ehemaligen DFB-Sicherheitschef Helmut Spahn vollkommen recht, der sich ähnlich geäußert hat. Bezeichnend ist, dass in dieser Debatte die Gewerkschaft der Polizei besser wahrgenommen wird, also die Polizei selbst.

Welche Punkte stören Sie besonders?

Sven Brux: Der DFB stellt selbst fest, dass die deutschen Stadien europaweit den höchsten Sicherheitsstandard haben. Da frage ich mich wie die Fans, wo die Notwendigkeit für schärfere Sicherheitsregeln ist. Diskutiert wird beispielsweise die Vollkontrolle, die darauf hinausläuft, dass jeder Besucher einer Veranstaltung, die doch eigentlich seinem Vergnügen dienen soll, damit rechnen muss, sich in einem Container zwecks Kontrolle entkleiden muss. Das ist entwürdigend und passt auch nicht zu den sonst geltenden Regeln, wonach derartige Maßnahmen einem Richtervorbehalt unterliegen oder jedenfalls einen dringenden Tatverdacht voraussetzen. Was sonst hohe rechtliche Hürden einhalten muss, soll jetzt bei allenfalls ordnungswidrigem Mitbringen von Pyrotechnik eine Ordnungskraft im Stadion anordnen können! Das ist vermutlich juristisch auch gar nicht haltbar.

Sie sehen hier die Verhältnismäßigkeit der Mittel in Gefahr, wie ja vielfach kritisiert wird ...

Sven Brux: Die Stadionbesucher einschließlich Familienväter mit ihren Kindern werden unter Generalverdacht gestellt - ohne echten Nutzen: Denn die Pyrotechnik wird auf die eine oder andere Weise immer ins Stadion gelangen. Das ist in der Tat ein unverhältnismäßiger Aktionismus. Ein weiteres Beispiel sind die diskutierten Maßnahmen wie Stadionverbote, die auf fünf bis zehn Jahre verlängert werden können sollen. Die damit beabsichtigte Abschreckung kann damit aber natürlich nicht erreicht werden, wie jeder weiß, der die Praxis kennt. Solche Vorschläge nähren aus meiner Sicht den Verdacht, dass das traditionsgemäße etwas rauere Fußballpublikum durch ein neues, braves Publikum ausgetauscht werden soll. Fußball ist aber eben kein Tennis oder Golf. Wirksame Regeln können nicht von Fachfremden, sondern müssen mit Absprache mit den Betroffenen aufgestellt werden, sonst stoßen sie nicht auf Akzeptanz. Strafen dürfen nicht als schiere Repression wahrgenommen werden.

Sie sind ja seit Kurzem „Zertifizierter Sicherheitsmanager im Fußball" - nachdem Sie ein entsprechendes Studium an der SRH-Hochschule in Heidelberg absolviert haben. Unterstützt wird das von DFL und DFB. Wie wichtig und nützlich war dieses Studium für Sie persönlich?

Sven Brux: Die Idee hinter diesem Studium ist ja zu einem Gutteil aus der eben besprochenen öffentlichen Diskussion heraus geboren. Es ist sicher spannend und in vieler Hinsicht hilfreich - auch wenn wir ersten 16 Absolventen durchaus ein wenig die Funktion hatten, umgekehrt unser Know-how mit in die Gestaltung dieser Ausbildung einzubringen. Insgesamt saßen da ja ein paar Hundert Jahre Berufserfahrung zusammen.

Was war für Sie besonders interessant?

Sven Brux: Spannend waren für mich insbesondere die polizeipsychologischen Teile des Studiums. So haben wir etwa massenpsychologische Fragestellungen behandelt, die beim Fußball ähnlich virulent sind wie etwa bei Demos, Kirchentagen, Papstbesuchen und dergleichen. Immer geht es darum, zu verstehen, wie man Menschen anspricht und welchen Effekt das hat. Auch die Behandlung rechtlicher Fragen war lehrreich - hier ging es etwa darum, unter welchen Umständen man die Personalien feststellen darf, oder auch um Haftungsfragen. Das ist für den Alltag des Sicherheitsverantwortlichen sehr wichtig.

Auch der Umgang mit den - selbst nicht unbedingt sensiblen - Ultras war ja Gegenstand des Studiengangs. Welche Art von Sensibilität im Umgang mit ihnen halten Sie für erforderlich?

Sven Brux: Für Ultras ist beispielsweise die Gruppenfahne das Ein und Alles. Sie hat einen sehr hohen ideellen und emotionalen Wert. Wenn ein Ordnungsmann sie auch nur anfasst, kann das ein Problem nach sich ziehen. Man muss eben wissen: Die Fahne ist ein Teil der Identität der Ultras und nicht bloß ein Stück Stoff. Um sie zu schützen, riskieren sie durchaus ein Stadionverbot - dessen Androhung kann sie also nicht abschrecken. Das sollte man wissen. Man sollte auch wissen, wie Ultragruppierungen sonst strukturiert sind: Sie kommen in großen Gruppen und wollen immer zusammen bleiben. Alkohol ist hier z. B. weniger das Problem.

Von Alkoholverboten halten Sie generell eher wenig?

Sven Brux: Es gibt Untersuchungen die zeigen, dass Alkohol und Aggression im Stadion nicht zusammenhängen. Ein absolutes Verbot führt allenfalls dazu, dass die Fans noch vor dem Stadion auf Vorrat trinken - und zwar große Mengen in sehr kurzer Zeit - und dann kurz vor Spielbeginn alle auf einmal stark angetrunken ins Stadion kommen. Das führt auch zu großen Problemen bei Einlass. Da ist es erheblich besser, wenn die Leute verteilt auf die gesamte Spielzeit ein paar Bier trinken.

Wie sieht es denn mit dem Einsatz von Sicherheitstechnik aus. Welche Rücksichten sollten hier genommen werden?

Sven Brux: Ein Beispiel ergibt sich aus der Versammlungsstättenverordnung. Sie schreibt vor, dass Stehplatzbereiche durch Zäune in einzelne Blöcke unterteilt werden. Diese Zäune sollen 2,2 Meter hoch sein. In der Praxis führt das dazu, dass sich die Fans wegen der Sichtbehinderung möglichst weit weg vom Zaun aufstellen. Dadurch entstehen dort freie Streifen zulasten der Treppen auf der anderen Seite. Diese sollen aber als Fluchtwege eigentlich frei bleiben. Deshalb wäre es besser, den Zaun in Brusthöhe aufzustellen. Eine ähnliche Problematik gibt es bei den Zäunen zum Spielfeld hin - auch wenn man es heute weniger sieht: Zäune mit scharfen Spitzen verletzten Fans Denn sie lassen sich im Zweifel nicht von einem Zaun aufhalten und verletzen sich dann. Auch diese Zäune sollten nicht zu hoch sein - denn wer hier stürzt, verletzt sich umso mehr. Bauchhohe Zäune reichen völlig aus und stören auch nicht die Sicht.

Zum Studium gehören ja auch Projektarbeiten, von deren hohem Niveau sich Studiengangs­leiter Prof. Dr. Michael Nagy beeindruckt zeigte. Worum ging's dabei?

Sven Brux: Wir hatten jeweils die Aufgabe, eine Sicherheitsanalyse des eigenen Stadions vorzunehmen. Diese sehr umfangreiche Arbeit umfasste bauliche, personelle und organisatorische Fragestellungen und wurde in der Tat bei uns allen mit einem positiven Abschluss belohnt. Den Status quo haben wir mit Verbesserungsvorschlägen kommentiert und einen Zeitplan zu ihrer Umsetzung entwickelt. Das ist jetzt Teil unserer Arbeit - ein sehr positiver Effekt des Studiums. Übrigens erleichtert uns der mit gut bewertete Abschluss auch die interne Diskussion, was Ausgaben für Sicherheitsmaßnahmen betrifft: Wir können mit unserer Expertise besser überzeugen.

Was haben Sie sich da konkret vorgenommen?

Sven Brux: Gerade in älteren Stadionteilen haben wir z. B. rostige und scharfkantige Zäune ersetzt, Stolperfallen durch nicht betonierte Stufen ausgebessert und Engstellen bei den Zuschauerwegen verbreitert. Auch Organisatorisches verbessern wir: etwa die Kommunikation mit den Handwerkern. Es ist wichtig, dass sie sich mit dem Sicherheitsbeauftragten austauschen, bevor sie etwas einbauen. So lässt sich beispielsweise vermeiden, dass Infostände mitten in einen Fluchtweg gestellt werden.

Insgesamt ziehen Sie also ein positives Fazit?

Sven Brux: Das Studium ist eine von mehreren Aktivitäten, um die Sicherheit im Stadion und das Zusammenspiel aller Beteiligten zu verbessern. Die Nachfolger im Studiengang werden auch von der Mitarbeit von uns ersten Teilnehmern profitieren. Um die Sicherheit in deutschen Fußballstadien ist es aber - das muss man betonen - sehr gut bestellt bei uns. Wie sonst ist es zu erklären, dass die Zuschauerzahlen steigen - immer mehr kommen auch mit Kindern. Uns trennen Welten von der Situation, die wir noch in den achtziger Jahren hatten. Vieles an der aktuellen Diskussion ist daher absurd. Die tatsächliche Sicherheit in den Stadien stellt die Lage jedes Oktoberfestes in den Schatten.

Besten Dank für das Gespräch, Herr Brux!

Was die Verantwortlichen vom FC Bayern München und von Borussia Dortmund zum Thema Sicherheit zu sagen haben - demnächst mehr in GIT SICHERHEIT.

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