Vorbeugender Brandschutz: Herausforderungen und Lösungen der Bauplanung
An ernsten Herausforderungen ist in der Bauplanung einschließlich aller Sicherheitsgewerke kein Mangel. Doch neben den Problemen, die aus Fachkräftemangel, überzogener Scheu vor der Übernahme von Verantwortung, der Explosion normativer Vorgaben etc. erwachsen, gibt es auch erhebliche Chancen – etwa im Zuge der Digitalisierung, wie Dr. Peter Burnickl, Gründer und CEO von Burnickl Ingenieure, im Gespräch mit GIT SICHERHEIT deutlich macht.
GIT SICHERHEIT: Herr Burnickl, Sie beschäftigen sich ja praktisch ausnahmslos mit sämtlichen Gewerken und Bereichen der Gebäude- und Sicherheitstechnik– und zwar für Schulen genauso wie etwa für Kliniken oder Flughäfen. Geben Sie uns ein paar Eckpunkte?
Peter Burnickl: Sehr gerne. Wir sind technische Generalplaner für alle Gewerke und beginnen mit der Planung in der Gebäudeperipherie, d. h. mit Strom- und Wärmeerzeugungsnetzen. Im Anschluss daran planen wir alle technischen Anlagen im Gebäude vom Mittelspannungstrafo über die Sprinkleranlage bis zur Brandmeldeanlage und zur Videoüberwachung. Wir sind bundesweit tätig und haben im spanischen Valencia eine verlängerte Werkbank.
Das prominente Beispiel des Berliner Flughafens mit seinen brandschutzbedingten Verzögerungen ist nur eins von nicht wenigen komplexen Bauvorhaben, die unser Land in der jüngeren Vergangenheit öffentlich diskutiert wurden. Die Anforderungen an den Brandschutz für kleinere wie große Vorhaben scheinen in der Tat zu explodieren?
Peter Burnickl: Sie haben vollkommen Recht. Aus meiner Sicht ist die Situation zweigeteilt. Zum einen steigen die Anforderungen und zum anderen sinkt die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Das bedeutet, technische oder sicherheitsrelevante Anforderungen durch den baulichen Brandschutz als auch durch die Nutzeranforderungen werden mit immer höheren Anforderungen an die Sicherheitstechnik kompensiert. Mein Eindruck ist, dass es quasi nur noch Vollschutz geben wird in unmittelbarer Zukunft.
Die Folge, sagen Sie, ist nun, dass im Zweifel sicherheitshalber der „Vollschutz“ gewählt wird, auch wenn der beim konkreten Projekt gar nicht nötig wäre?
Peter Burnickl: Das ist vollkommen richtig. Da in unserem Land kaum noch Verantwortung übernommen wird und gefühlt jeder Angst vor einer Unterschrift hat, ist das die letzte Konsequenz. Häufig ist es aus normativen Gründen nicht erforderlich, in einen Vollschutz zu gehen. Das Motto ist jedoch in der Praxis eher „Doppelt hält besser“ bzw. „Sicher ist sicher“. Dadurch entstehen für den Bauherren oft immense Kosten: häufig nicht nur in der Erstinbetriebnahme, sondern insbesondere auch in den Wartungskosten. Diese werden jedoch leider aufgrund getrennter Budgets in Deutschland häufig nicht betrachtet. Durch diese Betrachtungsweise hat der Bauherr gegenüber vielen anderen Ländern einen erheblichen Nachteil.
Glauben Sie, dass das Risiko, doch nicht genug gemacht zu haben – und vor allem eben das Haftungsrisiko – überschätzt wird?
Peter Burnickl: Ja, genau das glaube ich. Häufig werden niedrigere Anforderungen in der Umsetzungsmöglichkeit regelrecht torpediert. An dieser Stelle ist es häufig schlicht zermürbend und ermüdend. Es ist extrem viel Überzeugungsarbeit notwendig. Durch unsere Gebührenordnung hat es darüber hinaus die Folge, dass es dann auch weniger anrechenbare Kosten und weniger Honorar gibt. Eine aus meiner Sicht ziemlich kontroverse bzw. unglückliche Situation. Am Ende weniger Risiko für die Beteiligten, mehr Kosten für den Auftraggeber, mehr Honorar für die Beteiligten und mehr Komponenten für die Hersteller und ausführenden Firmen.
Noch mal zum Stichwort Verantwortung: Es erscheint doch zweifelhaft, dass ein dem Bauen immanentes Risiko auf den todesmutigen Planer verlagert wird...? Müsste diese Risikozuweisung nicht auch normativ auf andere Füße gestellt werden? Oder wie kommen wir da raus...?
Peter Burnickl: Todesmutig muss man sicherlich nicht sein. Es ist ja immer ein Zusammenspiel zwischen dem Planer, dem Brandschutzgutachter, dem Sachverständigen, den Behörden und natürlich dem Betreiber bzw. Bauherrn, welcher das Betreiberrisiko einschätzen muss. Wenn viele dieser Parteien auf Nummer sicher gehen, wird am Ende auch dieser Weg eingeschlagen und gewählt. Die Anforderungen der Normen steigen natürlich auch stetig, da diese die gleichen Ziele verfolgen. In den Normengremien sitzen überwiegend Techniker, Fachexperten und Ingenieure. Diese sind technikaffin. Mit Technik ist vieles möglich. Dadurch werden diese Möglichkeiten natürlich am Ende auch ausgereizt. Da sich die normativen Anforderungen nicht reduzieren werden, müssten schlicht die Beteiligten mehr versuchen diese effektiver auszulegen. Aktuell gibt es meist keinen Anreiz für die Beteiligten „weniger zu machen“.
Sie haben auch den Eindruck, dies sei ein deutsches Problem – Stichwort Regelungswut und die Folgen des Föderalismus, die sich im Baurecht ja sehr anschaulich zeigen...?
Peter Burnickl: Auch hier haben Sie mit dieser These aus meiner Sicht vollkommen Recht. Wir haben schon diverse Projekte im Ausland betreut und begleitet und stellen fest, dass die Anforderungen hier meist bei Weitem niedriger sind als in Deutschland. Der Ansatz ist deutlich pragmatischer, unkomplizierter und einfacher, wodurch hier viel mehr Möglichkeiten gegeben sind. Daher könnte man aus meiner Sicht schon sagen, dass es ein eher typisches deutsches Thema ist, wahrscheinlich in vielen, jedoch nicht in allen Fällen.
Inwieweit sind normative Explosion und die Notwendigkeit vielfacher Zertifizierungen für steigende Kosten verantwortlich?
Peter Burnickl: Aus meiner Sicht werden die Kosten weiter steigen. Hier ein klares Ja. Die normativen Anforderungen werden zunehmen und nur teilweise durch technische Innovationen kompensiert werden. Wenn Sie zum Friseur gehen und fragen, ob Sie einen Haarschnitt nötig haben, dann können Sie sich die Antwort sicherlich auch schon vorneweg nehmen. Darüber hinaus rechne ich aktuell nicht mit einer steigenden Verantwortungsübernahme von allen involvierten Parteien.
Die Zahl der am Bau Beteiligten kann mitunter unüberschaubar werden, wie Sie kürzlich in einem Vortrag auf den Wiley Industry Days, den WIN>DAYS, schon erwähnt haben...?
Peter Burnickl: Das sehen Sie richtig. Denn in der TGA – also in der Technischen Gebäude Ausrüstung – gibt es sehr viele Schnittstellen. Die Zahl der am Bau Beteiligten könnte natürlich demnach deutlich niedriger ausfallen, wenn pragmatischere Wege als auch Abweichungen von Normen einfacher und pragmatischer entschieden werden würden. Häufig ist man schlicht durch die Anforderungen der Bauherren zur Einhaltung der Normen verpflichtet. Abweichungen sind stets schwierig, obwohl diese aus meiner Sicht auch häufig sinnvoll wären. Darüber hinaus kommen noch Versicherungen, Betreiber, Feuerwehren, Genehmigungsbehörden und Sachverständige hinzu. Mein Motto ist hier immer: Ein Ingenieur sollte auch als Ingenieur denken und handeln und entsprechend auch Entscheidungen treffen können. Und diese sollten auch weniger in Frage gestellt werden.
Könnten Sie all das einmal anhand ein paar Beispielen aus Ihrer Praxis deutlich machen?
Peter Burnickl: Ein Praxisbeispiel hierzu fällt mir ein. In einem Bürogebäude war eine Brandmeldeanlage der Kategorie 1 gefordert. Auch hier ermöglicht die Norm sogenannte Ausnahmen von der Überwachung, wenn z. B. in Zwischendeckenbereichen nur sehr wenig Brandlasten vorhanden sind. Entsprechende bauliche Kompensationen sind erforderlich, jedoch nur mit der Konsequenz, deutlich weniger Rauchmelder verbauen zu müssen. Wir haben dies bei einem Projekt so umgesetzt und dem Bauherrn einen erheblichen Betrag in der Erstinvestition und in den Folgekosten eingespart. Der Weg dorthin war jedoch nur mit einer schier unzähligen Zahl an Protokollen, Diskussionen und Besprechungen möglich und hatte am Ende weniger Honorar zur Folge. Würden Sie das nochmal machen?
Sie sind auch am Frankfurter Flughafen mit dem Austausch der Brandmeldeanlagen betraut, bei der unter anderem sage und schreibe 265 Rauchansaugsysteme eingebaut werden?
Peter Burnickl: Ja das ist richtig. Hier haben wir viele Anforderungen, wie man sich vorstellen kann. Die Zusammenarbeit ist äußerst professionell aufgestellt sowie klar und transparent – an dieser Stelle kann man schon von einer musterhaft guten Zusammenarbeit sprechen.
Es gibt noch weitere Entwicklungen, die die Bauplanung derzeit prägen. Da wäre beispielsweise die starke Vernetzung der Einzelgewerke untereinander...?
Peter Burnickl: Wir verfolgen bei Burnickl eher einen pragmatischen Ansatz mit möglichst einfacher Technik. Man muss immer bewerten, ob ein Bauherr selbst in der Lage ist, die Gebäudetechnik zu betreiben. Es gibt sicherlich unzählige Anlagen in Deutschland, die bei weitem nicht wirtschaftlich arbeiten, weil der Arbeitspunkt bei der Erstinbetriebnahme heute nicht mehr gegeben ist. Es gibt hier jedoch auch Möglichkeiten, diese Systeme durch technische Innovationen einfacher zu gestalten, d.h. hier sehe ich schon aktuell einen positiven Trend. Jedoch sind immer der Fokus und der Blick auf die einfache Bedienbarkeit durch eine durchdachte Vernetzung und eine einfache Nutzung aus meiner Sicht der absolut wichtigste.
Der Fachkräftemangel ist eine erhebliche Herausforderung. Wie stellt sich das für Sie und Ihr Unternehmen dar?
Peter Burnickl: Selbstverständlich ist auch unsere Branche von diesem Thema betroffen. Wir als Arbeitgeber haben hier glücklicher Weise schon vor Jahren die Weichen gestellt. Begriffe wie New Work, Vertrauensarbeitszeit, Jobrad, durchdachtes Fuhrparkmanagement, Desksharing und flexible Arbeitsmöglichkeiten mit einer Topp-Ausstattung und vielen Mitarbeiterbenefits. Daher sind wir hier gut aufgestellt, wenngleich wir natürlich merken, dass unsere Branche hier gerade massiv durchgeschüttelt wird.
Herr Burnickl, konstruktiv zu sein, ist ja gewissermaßen das Kerngeschäft des Bauenden... Lassen Sie uns also konstruktiv über Lösungen sprechen. Wie kann die Branche zum Beispiel vielversprechend für neue Fachkräfte sorgen?
Peter Burnickl: Unsere Branche hat, das muss man nüchtern feststellen, die letzten zwanzig Jahre viel versäumt und dadurch hier viel nachzuholen. Man kann an quasi jeder Hochschule und Universität Architektur studieren und ist danach nach Abschluss ein ausgebildeter Architekt. Bei uns z. B. in der Elektrotechnik stellen wir fest, dass ausgebildete Ingenieure häufig Airbags programmieren können, jedoch von Gebäudetechnik wenig vermittelt bekommen haben. Aus meiner Sicht müssen sich hier Interessensverbände zusammentun und mehr Lobbyarbeit umsetzen, aktiver sein und wir alle in der Branche müssen uns attraktiver für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von morgen aufstellen.
Die Digitalisierung bringt neuen (Schulungs-) Aufwand mit sich – aber auch vielfache Erleichterungen. Stichworte wären zum Beispiel die digitale Brandsteuermatrix oder die digitale Fotodokumentation...
Peter Burnickl: Das ist ein sehr positiver Aspekt. Die Digitalisierung sehe ich absolut als Chance für uns alle. Zum Beispiel ist die digitale Fotodokumentation eine immense Erleichterung im täglichen Handeln. Wir sind hier seit vielen Jahren ganz vorne mit dabei und stellen deutliche Erleichterungen fest. So wäre es vor einigen Jahren undenkbar gewesen, z. B. mit öffentlichen Auftraggebern Termine über Videokonferenzen abzuhalten, was heute mittlerweile absoluter Alltag ist. Dadurch gewinnt man viel neue Arbeitszeit, welche man natürlich für Planungstätigkeiten optimal nutzen kann.
Nicht zu vergessen, das Building Information Modeling (BIM). Wie weit sind wir hier in Deutschland? Es ist ja Bestandteil vieler Ausschreibungen?
Peter Burnickl: BIM wird als Methode mittlerweile bei vielen Ausschreibungen vorgegeben. In der Praxis stellen wir hier eine deutliche Verbesserung zu den letzten Jahren fest. Der Prozess wird immer dynamischer und professioneller. Natürlich ist hier noch ein weiter Weg vor vielen Bauherren, Fachingenieuren und Architekten. Wir selbst setzen voll auf die BIM-Methode und setzen eine übergeordnete Burnickl-BIM-Strategie durch BIM-Manager und BIM-Koordinatoren sukzessive um. Eine spannende Situation mit vielen Chancen.
Es sollte mittlerweile allen klar sein, dass der Zug nicht nur rollt, sondern den Bahnhof bereits verlässt. Wer aufspringen will, sollte sich beeilen.
Herr Burnickl, Sie haben jetzt etliche Herausforderungen und auch Lösungsansätze aufgezeigt – macht Ihnen denn das Bauen noch Spaß...?
Peter Burnickl: Natürlich macht das Bauen noch Spaß. Die schon immer spannende und herausfordernde Umgebung ist durch die aktuellen Situationen am Markt sicherlich noch deutlich herausfordernder und spannender geworden. Wie in jeder Krise und in jeder Veränderung stecken jedoch auch wahnsinnig viele Chancen, die wir als Burnickl Ingenieure gerne meistern und annehmen wollen, sodass wir am Ende davon profitieren können. Denn nur derjenige, der am Fahrersitz sitzt und an der Zukunft proaktiv mitarbeitet, wird die Baubranche nachhaltig mit innovativen Lösungsansätzen prägen und somit mitgestalten können.