Die Gesundheitsgefahren unbequemer Sicherheitsschuhe - individuelle Passformen und orthopädische Sprechtage
Beschäftigte tragen ihre Sicherheitsschuhe in der Regel weitaus länger als ihre Freizeitschuhe. Deswegen ist der Tragekomfort sehr wichtig. Im Interview spricht Dr. Katina Ehl, Leiterin der Abteilung Innovation, Biomechanik & Orthopädie beim niederrheinischen Sicherheitsschuhhersteller Elten, über die Gesundheitsgefahren unbequemer Sicherheitsschuhe, die Bedeutung individueller Passformen und orthopädische Sprechtage, von denen Beschäftigte und Arbeitgeber profitieren.
GIT SICHERHEIT: Frau Dr. Ehl, wie wichtig ist der Tragekomfort von Sicherheitsschuhen?
Dr. Katina Ehl: Sicherheitsschuhe werden an Arbeitstagen in der Regel deutlich mehr Stunden getragen als normale Freizeitschuhe. Daher ist der Tragekomfort in Sicherheitsschuhen mindestens genauso hoch, wenn nicht sogar höher zu bewerten als bei Freizeitschuhen.
Wie bewerten Sie die Auswirkungen unbequemer Sicherheitsschuhe auf die Arbeitssicherheit?
Dr. Katina Ehl: Wer schon einmal unbequeme Schuhe getragen hat, weiß, wie störend und schmerzhaft das ist. Nun stellen Sie sich vor, Sie müssten in solchen Schuhen acht Stunden lang arbeiten. In solchen Situationen wird der Sicherheitsschuh schnell zum Störfaktor. Und genau das darf nicht passieren. Denn nicht passende Schuhe scheuern oder drücken, sie können Ursache für Blasen, Entzündungen oder chronische Druckstellen sein. Und auch Sicherheitsschuhe, die nicht auf mögliche orthopädische Fußprobleme ihrer Trägerinnen und Träger eingehen, werden schnell zur Belastung. All das wirkt sich negativ auf das Wohlbefinden aus und führt im schlimmsten Fall zu Schonhaltungen, die dauerhafte Beschwerden wie Knie- oder Rückenschmerzen auslösen. In der Folge nimmt die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit ab. Es passieren mehr Fehler und das Unfallrisiko steigt. Deswegen gilt: Ein Schuhmodell für alle Mitarbeiter funktioniert nicht.
Welche Rolle spielen vor diesem Hintergrund individuelle Fußvermessungen im Beschaffungsprozess von Sicherheitsschuhen?
Dr. Katina Ehl: Die Füße sind so individuell, wie die Menschen denen sie gehören. Die persönliche Fußform und nicht zuletzt der eigene Geschmack spielen eine große Rolle bei der Auswahl des wirklich passenden Schuhs. Darüber hinaus fühlen sich die Mitarbeiter wertgeschätzt, wenn sie von ihrem Arbeitgeber zur individuellen Fußvermessung eingeladen werden. Auch das trägt zur größeren Akzeptanz der Sicherheitsschuhe bei. Wir erleben das in unserem Alltag sehr konkret. Nach einem Vermessungstermin vor Ort gibt es kaum Rückläufer oder Beschwerden über die Schuhe. Bei blind bestellten Schuhen sieht das ganz anders aus.
Wie integrieren Sie ergonomische Aspekte in die Entwicklung Ihrer Sicherheitsschuhe?
Dr. Katina Ehl: Elten legt großen Wert auf Tragekomfort und Ergonomie und hat schon früh mit Experten aus der Wissenschaft zusammengearbeitet, um auf diesem Gebiet noch besser zu werden. Mit dem Professor für Biomechanik, Prof. Stefan Grau, hat Elten zum Beispiel vor einigen Jahren die Füße zahlreicher Arbeiter exakt in ihrer 3D-Form vermessen. Dadurch sind verschiedene Leisten entstanden, die unterschiedliche Fußtypen optimal unterstützen.
Verschiedene Ausführungen der Zehenschutzkappen bieten zusätzlichen Platz im Vorfußbereich und ermöglichen orthopädische Anpassungen, wie etwa spezielle Einlagen. Mit dem Mehrweitensystem Ergo-Active stehen pro Modell drei Passformen zur Verfügung, ergänzt durch speziell entwickelte Damenmodelle. Für Menschen mit Fußdeformitäten, wie Diabetiker, bietet der Dialution besonderen Schutz, wie durch eine weite Schaftöffnung, eine geräumige Zehenschutzkappe und einen herausnehmbaren Innenschuh, um Druckstellen zu vermeiden. Ganz neu ist der Komplett-Service zur Fußgesundheit.
Was genau beinhaltet dieser Komplett-Service?
Dr. Katina Ehl: Wir vermessen die Füße mit hochmodernen 3D-Vollfußscannern, die millimetergenau arbeiten und anschließend direkt eine Empfehlung für den perfekten Sicherheitsschuh aus unserem über 600 Modelle umfassenden Sortiment geben. Unser gesamter Produktkatalog ist in der Software der Scanner integriert, dadurch kann das Gerät anhand der Fußform direkt erkennen, welche Sicherheitsschuh-Modelle in welcher Größe und Weite am besten zum jeweiligen Fuß passen. Anhand der Daten empfiehlt der Scanner außerdem, ob der Fuß Unterstützung durch eine semiorthopädische Sensicare-Einlage benötigt.
Unsere Orthopädieschuhmacher bedienen das Gerät und erkennen, ob eventuell sogar eine maßgefertigte orthopädische Einlage, eine Schuhzurichtung oder eine Orthese empfehlenswert ist. Sollte das der Fall sein, senden sie die Daten direkt in die Elten Orthopädieschuhmacherwerkstatt am Firmensitz in Uedem. Die Orthopädieschuhmacher dort erstellen aus den Bildern des 3D-Scanners mit einem CAD-Programm die Einlage nach Maß, die dann im 3D-Druckverfahren in unserer Werkstatt hergestellt wird. Der Druck ist rund um die Uhr möglich.
Passiert das im Rahmen einer Fußvermessung?
Dr. Katina Ehl: Wir haben für das neue Komplettangebot unsere orthopädischen Sprechtage ins Leben gerufen. Wir kommen mit den Scannern ins Unternehmen und vermessen dort die Füße der Mitarbeiter. Dabei wollen wir den Betriebsalltag so wenig wie möglich stören. Wir können unsere Scanner überall aufbauen – direkt in der Produktionshalle oder im Pausenraum. Damit die Mitarbeiter einen möglichst kurzen Weg zum Scanner und wieder zurück zum Arbeitsplatz haben. Unsere bewährten und bekannten Fußvermessungen gibt es auch weiterhin. Der Unterschied besteht darin, dass bei den Orthopädischen Sprechtagen immer unsere Orthopädieschuhmachermeister oder Orthopädieschuhmacher dabei sind.
Der Datenschutz ist ein besonders sensibles Thema. Können Sie gewährleisten, dass die Mitarbeiterdaten nicht in falsche Hände geraten?
Dr. Katina Ehl: Wir haben sehr hohe Sicherheitsstandards. Der Versand der Daten erfolgt verschlüsselt und ausschließlich innerhalb des Elten Systems. Da wir nicht mit Drittanbietern zusammenarbeiten, entsteht auch keine potenziell risikoreiche Schnittstellen zu anderen Unternehmen.
Wie lange dauert es, bis der Mitarbeiter seine orthopädische Einlage im Schuh hat?
Dr. Katina Ehl: In der Regel vergehen nur zwei Wochen von der Auftragsfreigabe durch das Unternehmen nach dem orthopädischen Sprechtag bis zur fertigen Einlage in den Sicherheitsschuhen des Mitarbeiters. Diese schnelle Abwicklung ist möglich, weil der Arbeitgeber die orthopädischen Einlagen bezahlt. Die Nettokosten kann dieser aber vollständig von der Steuer absetzen. Zum Vergleich: Bei der Beantragung orthopädischer Hilfsmittel über die Kostenträger vergehen vom ersten Arztbesuch bis zum fertigen Hilfsmittel nicht selten mehrere Wochen oder gar Monate. Bei schmerzenden Füßen ist so ein Zeitvorteil sehr viel Wert. Der finanzielle Aufwand für die Arbeitgeber ist gering, das Zeichen der Wertschätzung gegenüber ihrer Angestellten aber umso größer.
Was ist der Unterschied zwischen einer semiorthopädischen Sensicare-Einlage und einer orthopädischen Einlage?
Dr. Katina Ehl: Die semiorthopädischen Sensicare-Einlagen sind industriell hergestellte Komforteinlagen, die immer dann sinnvoll sind, wenn keine Beschwerden vorliegen. Die Sensicare sorgt für eine Unterstützung und Entlastung des Fußes und somit zu einem gesteigerten Wohlbefinden. Liegen bereits Beschwerden vor, benötigt der Mitarbeiter eine orthopädische Einlage oder eine Schuhzurichtung. Die werden nach dem individuellen Fußscan maßangefertigt.
Wie sieht es bei 3D gedruckten Einlagen mit der Nachhaltigkeit aus?
Dr. Katina Ehl: Nachhaltigkeit verstehen wir als fortlaufenden Prozess, den wir kontinuierlich und abteilungsübergreifend in Projektteams weiterentwickeln. Dazu passt der 3D-Druck ganz hervorragend, denn beim Drucken von Einlagen fällt kaum Müll an. Der Drucker benutzt nur so viel Filament, wie für die Einlage tatsächlich notwendig ist. Beim herkömmlichen Fräsen von Rohlingen dagegen, fällt immer auch Verschnitt an.
Inwiefern trägt Ihr Ansatz zur Gesunderhaltung der Mitarbeitenden zur Mitarbeitermotivation bei?
Dr. Katina Ehl: Jede Fußvermessung, egal ob orthopädisch oder nicht, ist ein Zeichen der Wertschätzung für den Arbeitnehmer. Er fühlt sich gesehen und ernst genommen. Und im Idealfall geht es seinen Füßen mit den neuen Sicherheitsschuhen anschließend besser als vorher.
Gerade in Zeiten des fortschreitenden Arbeitskräftemangels sind solche Zeichen der Wertschätzung aber auch die Gesunderhaltung der Belegschaft wichtiger denn je. Und Gesundheit fängt eben an den Füßen an: Wer sich in seinen Schuhen gut geschützt und schmerzfrei wohlfühlt, arbeitet konzentrierter und fehlerfreier, dem passieren weniger Arbeitsunfälle. In der Folge werden die Ausfallkosten für den Arbeitgeber minimiert. Denn schon ein Krankheitstag verursacht deutlich höhere Kosten als ein paar gute Sicherheitsschuhe.