Feuerprobe für Schutzkleidung - neue Schutzausrüstung für die Feuerwehr Berlin
Die Berliner Feuerwehr arbeitet und löscht in neuer Schutzkleidung. Den Schritt zur Ausrüstung haben sich die Verantwortlichen nicht leicht gemacht. Was waren die Entscheidungsfakt...
Die Berliner Feuerwehr arbeitet und löscht in neuer Schutzkleidung. Den Schritt zur Ausrüstung haben sich die Verantwortlichen nicht leicht gemacht. Was waren die Entscheidungsfaktoren? Wie sind die ersten Erfahrungen?
„Wir sind stolz darauf, dass wir unsere Mitarbeiter nach dem neuesten Stand der Technik eingekleidet haben", sagt der Berliner Landesbranddirektor Wilfried Gräfling. Ein auffälliges Merkmal der neuen Schutzausrüstung ist das synthetische goldfarbene Obermaterial. Es ist die Weiterentwicklung eines Stoffes für die NASA aus den 80 er Jahren, der heute bereits in den USA, Großbritannien und Skandinavien für Feuerwehrschutzanzüge eingesetzt wird. Wie kam es zu dieser Umstellung, in deren Rahmen die 3.500 Berufsfeuerwehrleute sowie die 1.500 Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr in Berlin neu eingekleidet wurden?
Schwere Brandverletzungen in kurzer Folge
Anfang der 90er Jahre kam es bei unterschiedlichen Bränden innerhalb kurzer Zeit zu tragischen Unfällen. Mehrere Feuerwehrleute erlitten aufgrund von Durchzündungen schwerste Brandverletzungen. Das nahmen die Verantwortlichen zum Anlass, ein neues Kleidungskonzept zu entwickeln, bei dem die thermische Isolation und somit Schutz bei Bränden im Fokus steht. Die neue Kleidung war blau, sie bestand aus einer langen Jacke mit Kapuze sowie Latzhose mit vierlagigem Aufbau (Nomex Obermaterial, Gore-Tex Nässesperre, Isolierung, Futter).
Die neue blaue Schutzkleidung bewährte sich. Es kam nicht mehr zu Brandverletzungen, obwohl deutlich näher am Feuer gearbeitet wird. Die Kehrseite allerdings war, dass die Kameraden durch die kompakte Thermoisolierung bei körperlicher Betätigung früher schwitzten. Zuweilen kam es sogar zu temporären Einschränkungen ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit.
Um die thermophysiologischen Eigenschaften zu verbessern, wurden bei jeder Nachbeschaffung Änderungen an der Feuerwehrschutzkleidung vorgenommen. Die Wattierung wurde reduziert und andere Isolationsmaterialien eingesetzt, außerdem wird das Flächengewicht des Obermaterials verringert und die Kapuze weggenommen. Alle diese Maßnahmen erwiesen sich aber als nicht weitreichend genug.
Anforderungen an eine neue Schutzkleidung
Schließlich kamen die Verantwortlichen bei der Berliner Feuerwehr überein, ein neues Konzept für neue Schutzkleidung zu erarbeiten. Sie sollte ausreichend Schutz bei Bränden bieten, ebenso reißfest, thermostabil und durch die ePTFE Membran wasserdicht und extrem haltbar sein wie die alte. Sie sollte dabei aber eine höhere Atmungsaktivität aufweisen. Die Berliner Verantwortlichen überlegten dabei auch, ob der Verzicht auf eine Nässesperre zu besseren Trageeigenschaften führen könnte. „Wir wollten genau wissen, was uns das Leben so schwer macht", sagt Gräfling. Außerdem sollte die Funktionalität der Jacke erhöht werden, um die Arbeit der Feuerwehrleute zu erleichtern und Rettungsmöglichkeiten zu verbessern.
In einer ersten Erprobung wurde getestet, welcher Materialaufbau die besten Trageeigenschaften in der Praxis aufweist. Nach vorheriger Ausschreibung wurden im Februar 2010 350 Jacken des österreichischen Konfektionärs Texport für eine sechsmonatige Erprobung ausgegeben. 150 dieser Anzüge hatten einen dreilagigen Aufbau mit PBI-Matrix als Außenmaterial, wasser- und winddichter Gore-Tex Membran und Isolierung aus Nomex Flies. 150 weitere Jacken besaßen einen zweilagigen Aufbau ohne Membran. Die restlichen 50 Jacken waren vierlagig aufgebaut mit demselben Außenmaterial, einer Zwischenlage mit Gitterstruktur, ePTFE Nässesperre mit Ausrichtung zum Körper plus Futter. Es wurde den Trägern nicht mitgeteilt, welche dieser Jacken sie zum Test erhielten. Für den Tragetest wurden die drei größten Wachen Neukölln, Prenzlauer Berg und Mitte ausgewählt. Alle zwei Monate erhielten die Probanden einen Fragebogen mit Fragen im Multiple Choice-Verfahren, aber auch zur persönlichen Meinungsäußerung und Änderungsvorschlägen.
Ergebnisse der ersten Erprobung
Im Hinblick auf den Tragekomfort schnitten alle drei Materialaufbauten ähnlich gut ab. Sie werden deutlich atmungsaktiver wahrgenommen als die alte Schutzkleidung. Während der Erprobung zeigte sich allerdings, dass die Jacke ohne Nässesperre nicht wasserdicht ist. Die Imprägnierung der Oberware reicht nicht aus, die Jacke dauerhaft wasserundurchlässig zu machen. Die dauerhafte Wasserdichtheit/Wasserdichtigkeit ist nicht nur bei Kontakt mit Löschwasser unverzichtbar, sondern auch bei technischen Hilfsleistungen im Freien.
„Außerdem wurde die Jacke ohne Membran von den testenden Personen bei Wind und niedrigen Temperaturen als zu kalt empfunden", sagt Jürgen Dietrich von der Berliner Feuerwehr. Typische Situationen sind Outdoor-Einsätze, bei denen technische Hilfsleistungen gefordert sind wie bei Autounfällen, Hochwasser oder im Katastrophenschutz. Nicht nur winterliches Wetter, auch Wind und Nässe setzen den Feuerwehrleuten hier zu.
Schnittdetails im Fokus der zweiten Erprobung
Auf Basis dieser Ergebnisse zum Materialaufbau wurde ein zweiter Trageversuch angesetzt. Im Fokus standen diesmal die schnitttechnischen Details. Sie sollen den Kameraden im Einsatz die Arbeit bzw. Rettung und Eigenrettung erleichtern.
Der Haltegurt wird als Rettungsgurt mit Karabiner in die Jacke integriert. Für die Crash-Rettung werden verdeckte Trageschlaufen im Nacken- und Oberschenkelbereich eingeführt. An beiden Oberarmen gibt es fortan Taschen
für Digital-Funkgeräte. Der Hosenbund wird anstelle eines Druckknopfes mit Klettverschlüssen versehen. Die Hosenbeine werden für die zweite Erprobung breiter geschnitten und bekommen seitlich kniehohe Reißverschlüsse. So gestaltet sich das Anziehen bei Notruf auch mit Stiefeln leichter und schneller. „Außerdem sind Knie und Arme der Kleidung sind wie beim Motorsport vorgeformt", beschreibt Dietrich.
In dieser zweiten Erprobung von Ende 2010 bis Anfang 2011 wurden die Anzüge wie bei der ersten an drei Feuerwehrwachen ausgegeben. Von den 300 Anzügen sind 150 mit dreilagigem Materialaufbau (Außenmaterial, ePTFE Membran, Isolation mit Futter versteppt) und 150 aus dem vierlagigen X-treme Materialaufbau von Texport. Dem Oberstoff folgt eine textile Zwischenlage als Isolation, dann die Gore-Tex Nässesperre und das Innenfutter.
Erste Erfahrungen nach vollzogenem Wechsel
Im zweiten Trageversuche wurden die unterschiedlichen Anzüge als gut beurteilt und von den Probanden für ihre Arbeit als geeignet angesehen. Was die Atmungsaktivität anbelangt, konnte der Vierlagen-Aufbau leicht bessere Werte erzielen. Damit fällt die Entscheidung zugunsten dieses Materialaufbaus.
Die vorgenommenen schnitttechnischen Details bewähren sich und werden komplett so in die Ausschreibung übernommen. Von den Bewerbern macht der österreichische Konfektionär Texport das Rennen und erhält im Sommer 2011 den Zuschlag für die Beschaffung. Die Auslieferung der Schutzkleidung an die 5.000 Berufsfeuerwehrleute und Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr begann im Herbst 2011 und wurde Ende 2012 abgeschlossen.
Die Erfahrungen der ersten Monate haben gezeigt, dass Verschmutzungen auf dem neuen Obermaterial schneller zu sehen sind. Das ist von den Verantwortlichen so gewollt. Häufigeres Waschen der Kleidung ist für die Hygiene und somit den Gesundheitsschutz der Feuerwehrleute zuträglich. Durch die Wäschen wird das Material weicher.
Damit die Kleidung lange ihre Funktionalität behält, muss sie richtig gereinigt werden. Bereits während der beiden Feldversuche wurden unterschiedliche Wäschereien mit dieser Aufgabe betraut. Den Zuschlag erhielt die Berliner Firma Berendsen Textilservice GmbH. Sie hat die besten Waschergebnisse erzielt und das wirtschaftlichste Angebot abgegeben.
Für Reparaturen an der neuen Schutzkleidung ist der Bekleidungslieferant verantwortlich. Defekte Anzüge werden in der Berliner Kleiderkammer getauscht und die zu reparierenden Teile in einer Gitterbox gesammelt. Ist sie voll, wird Texport zur Abholung veranlasst.
Die blaue Ausrüstung aus den 90 er Jahren gehört damit endgültig der Vergangenheit an. Da sie unverändert funktionsfähig ist, wird sie bis heute noch für Übungszwecke genutzt.
Autorin:
Kirsten Rein
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