Interview mit Daniel Schrader: „Fünf-Jahres-Plan fokussiert Sicherheit"
GIT SICHERHEIT: Herr Schrader, letztes Jahr haben Sie China besucht. Was waren Ihre Eindrücke? Daniel Schrader: China ist unzweifelhaft ein faszinierendes Land. Für West-Europäer ...
GIT SICHERHEIT: Herr Schrader, letztes Jahr haben Sie China besucht. Was waren Ihre Eindrücke?
Daniel Schrader: China ist unzweifelhaft ein faszinierendes Land. Für West-Europäer erst einmal schwer zu verstehen. Mein Besuch in der verbotenen Stadt sowie die Besichtigung der Chinesischen Mauer zählten mit Sicherheit zu meinen beeindruckenden Erlebnissen. Die freie wirtschaftliche Entfaltung spielt eine große Rolle. Die Mittelstandsschicht hat sich vervielfacht und ist mittlerweile so groß, wie die europäische Bevölkerung insgesamt - also sprechen wir hier über 450 Millionen.
Allein jedes Jahr verlassen mehr als eine Million Ingenieure mit Abschluss die Universitäten. Das Image des Kopierens und Abschauens ist schon längst vorbei. Ingenieure wollen eine tolle Technologie für ihr Land entwickeln und haben dabei den Blick auf einen Nobelpreis gerichtet. Aber unverkennbar ist das veränderte Selbstwertgefühl des chinesischen Mittelstandes. Und das betrifft nicht nur die kulturelle Macht, sondern spiegelt sich auch in der Verwirklichung als Wirtschafts- und Militärmacht wider. Die Planwirtschaft findet zwar immer noch statt, doch ist das Bestreben, die allgemeine Situation zu verändern sehr groß, ohne allerdings die staatliche Situation zu verändern. Das gipfelt in einem neuen Lebensgefühl und damit werden auch neue Bedürfnisse geweckt.
Chinesen der Mittelschicht wollen ihr Leben selber gestalten. Sie haben Geld und entwickeln mehr und mehr Interesse für ihre Umwelt und gesündere Lebensumstände. Leben im Smog ist nicht mehr angesagt und die Toleranzgrenze - selbst bei dem geduldigen Chinesen - wird immer geringer. Um das einmal zu verdeutlichen: In der Regel hat der reiche Pekinger zwei Mercedes-S-Klasse-Wagen (respektive Audi, Porsche oder BMW) und ein schönes Haus mit allem Komfort. Die 6.000 Vorbestellungen für die neu eingeführte S-Klasse beispielsweise sprechen da für sich.
Sie hatten die Gelegenheit mit einem Top Insider der chinesischen Wirtschaft ein Gespräch zu führen. Wie kam es dazu?
Daniel Schrader: Auf unserem Symposium „Tag der sicheren Perspektive", das sich speziell mit den neuen Herausforderungen der präventiven Bekämpfung von Terrorismus und dem Rechtsextremismus in Berlin und Brandenburg befasste, bekam ich Kontakt zu einem chinesischen Journalisten. Ihm habe ich es zu verdanken, dass ich die einmalige Chance erhielt auf meiner dreiwöchigen China-Reise mit dem ehemaligen chinesischen Botschafter der Niederlande, Wang Quing Yu, ein ausführliches Gespräch zu führen. Es ist ja immer ein großer Unterschied, ob Sie einen Insider vor sich haben, der sich mit der Materie auskennt, oder sich die Daten und Informationen aus Studien oder ähnlichen Quellen heraussuchen müssen.
Das ausführliche Gespräch mit Wang Quing Yu hat mir die Möglichkeit gegeben, hinter die Kulissen zu sehen und vor allen Dingen die Mentalität des chinesischen Volkes erst einmal zu verinnerlichen. Sicherlich unschätzbare Erkenntnisse, die ich in der Verwirklichung von Projekten innerhalb der SAB Gruppe mit der Zeit umsetzen kann. Herr Wang Quing Yu hat den großen Vorteil, dass er die Verhältnisse seiner Heimat genauso gut einschätzen kann, wie auch die deutsche Mentalität. Immerhin hat er in Leipzig studiert, spricht ein hervorragendes Deutsch und ist durch seine langjährigen Aufenthalte in den Niederlanden wie in Deutschland prädestiniert, nicht nur globale wirtschaftliche Zusammenhänge zu erkennen, sondern ganz speziell die Verbindungen zwischen Deutschland und China.
Die Wiedervereinigung von Deutschland ist von China mit großem Interesse verfolgt worden. Ein Versuch, sich mit anderen starken Ländern zu verbinden?
Daniel Schrader: Die Chinesen hatten immer großes Interesse an der deutschen Wiedervereinigung gehabt, so bedeutete dies doch für sie eine stärkere Anbindung an Europa. China begriff sich ja immer als das Zentrum der Welt. Dieser Anspruch wird ja mit der Selbstbezeichnung als „Reich der Mitte" deutlich reflektiert und ist in ihrer geschichtlichen Entwicklung begründet. Ein Charakteristikum von China ist ja das Gefühl der kulturellen Überlegenheit und das starke Bestreben, sich an die Spitze globaler Entwicklungen zu stellen. Dies ist nicht negativ zu bewerten, es ist eben einfach ein Selbstverständnis, das sicherlich auch durch die Größe des Landes und damit verbunden durch die geschichtliche Entwicklung entstanden ist. Und genau diese Tatsache beeinflusst das außenpolitische Denken sowie die außenpolitische Praxis anderen Ländern gegenüber.
China und Deutschland verbinden nicht nur wirtschaftliche Interessen. Die beiden Länder haben ja auch eine gemeinsame militärische Geschichte angefangen von Militärberatern bis hin zu Ideologielieferanten.
Daniel Schrader: Das ist richtig. Noch bis 1914 wurde Deutschland als Macht angesehen, die China in eine Art von Halbkolonialismus gestürzt hatte. Das hat sich nach dem Ersten Weltkrieg geändert, denn China fühlte sich spontan mit den Besiegten verbunden und knüpfte verstärkt wirtschaftliche Kontakte - neben der noch jungen Sowjetunion. In dieser Zeit erreichten immer mehr westliche Einflüsse China. Chinesische Intellektuelle propagierten die Idee, dass die Rettung Chinas nur in der totalen Verwerfung aller chinesischen Traditionen sowie in der Nachahmung westlicher Werte bestand. In dieser Zeit weitete sich die Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland aus und spiegelte sich im anwachsenden Handel von Waffen und Rohstoffen wider wie auch im Eisenbahnbau und dem Austausch von Studenten. Deutsche Militärberater wurden dem damaligen Präsidenten Chiang Kaishek zur Seite gestellt, die ihm bei seinen Feldzügen gegen die 1921 gegründete Kommunistische Partei halfen
Wie nimmt man in China heute die Deutschen wahr?
Daniel Schrader: Nun, die Deutschen genießen dort einen sehr guten Ruf. Wir gelten als ein friedliches Land, das seine Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg gezogen hat. Aber natürlich spielt die starke deutsche Industrie, besonders im Maschinen- und Anlagenbau, eine große Rolle. Gleichbleibende Qualität gepaart mit Zuverlässigkeit und Langlebigkeit steht nach wie vor für „Made in Germany". Seit den letzten Jahren steht aber auch unsere Autoindustrie in China hoch im Kurs. Wie auch immer, Deutschland ist seit langem der wichtigste europäische Handelspartner von China.
Nun kommen wir zu einem neuen Industriezweig. Der Wunsch nach mehr ziviler Sicherheit ist auch in China zu einem Thema geworden.
Daniel Schrader: Ja, bemerkenswerterweise steht der Fokus des aktuellen Fünf-Jahres-Plans von China auf der zivilen Sicherheitstechnik. Das könnte bedeuten, dass der Markteinstieg der deutschen Sicherheitswirtschaft aktuell günstig ist, wenn man sich auf die Einschätzung deutscher China-Experten beruft. Wenn man dann noch das Programm „Safe City" berücksichtigt, das sich auf die Verbesserung der öffentlichen Sicherheit in China konzentriert, wird Jedem klar, dass hier ein enormer Bedarf existiert. Immerhin hat China mehr als 18 Milliarden US-Dollar investiert, um die zivile Sicherheits-Infrastruktur der 400 größten Städte zu optimieren. So ist es kein Wunder, dass deutsche Unternehmen versuchen, ihr Know-how an den Mann zu bringen. Aber ich sehe diese Entwicklung etwas differenzierter.
Es gibt unzweifelhaft einen enormen Nachholbedarf, aber das Verständnis für eine funktionierende Sicherheits-Infrastruktur ist einfach noch nicht entwickelt. Das Geschäft mit der Sicherheit in den östlichen Ländern beispielsweise unterliegt immer noch dem staatlichen Monopol. Im Falle von China darf man nicht vergessen, dass auch hier die Meinung vorherrscht, dass man es allein schafft. Das steht erst einmal im krassen Gegensatz zu den Bemühungen von deutscher Seite. Eine vorsichtige Annäherung sowie sensible Vorgehensweise ist in meinen Augen sehr wichtig. Hinzu kommt, dass der Ausbildungsfortschritt, den wir mittlerweile in Europa und in den US haben, in China noch nicht adaptiert werden konnte. Es gibt zwar schon private Sicherheitsunternehmen, die allerdings ihre Aufgabe mehr darin sehen, nach strikten militärischen Regeln aufzutreten. Hier nur ein Beispiel zur Verdeutlichung.
Ich habe während meines China-Aufenthaltes in einer bewachten Wohnanlage gelebt. Ein Feueralarm rief zwar sofort entsprechende Sicherheitsmitarbeiter auf den Plan, aber die Situation wirklich erkennen, um Abhilfe zu schaffen, war ihnen nicht gegeben. Meiner Meinung nach waren sie weder auf diesen Fall vorbereitet, noch zu eigenem Denken und damit zur Problemlösung angehalten. Ein weiterer Eindruck in dieser Richtung ist auf ein Erleben einer Ausbildungseinheit eines privaten Sicherheitsdienstes gestützt.
Hier wurde die Aktion wie auf dem Appellplatz einer Kaserne absolviert, Befehle erteilt und Exerzierübungen abgehalten. Gleichschritt und eine exakte Handhaltung beim Marschieren helfen nicht, die wirkliche Aufgabe zu lösen. Es wurde nur das (Miß-) Verständnis einer Militärmacht demonstriert. Was ich sagen will, ist, dass die Mitarbeiter zur Problemlösung hin entwickelt werden müssen, dass eine strukturierte Vorgehensweise in einem Krisenfall als Handlungsanleitung gelehrt werden muss, dass verdeckte Ermittlungen zum Beispiel oder der Personenschutz unter Einhaltung von diskreten Verhaltensmaßnahmen einer jeden ausgebildeten Fachkraft in Europa als selbstverständlich angesehen werden, sich aber in China noch nicht durchgesetzt haben.
Hier gilt die Demonstration von optischer Präsenz als probates Mittel gegen Verbrechen und anderen Sicherheitsrisiken. Unabhängig davon sehe ich die Interessen der Sicherheitsakademie Berlin eindeutig in den weiteren Geschäftsentwicklungen in den östlichen Ländern Europas wie auch in China. Der Nachholbedarf in diesen Ländern ist enorm und wir besitzen die Expertise, unsere reichhaltigen Erfahrungen, speziell was die Ausbildung von Fachkräften betrifft, dort auch umzusetzen. Dieses wird auch durch die Politik gestützt.
Durch das Projekt WISIND (Wirtschaftliches Indikatorensystem zur Messung von Sicherheit und Sicherheitswirtschaft in Deutschland), das von dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen eines Sicherheitsforschungsprogrammes gefördert wurde, konnte das BIGS (Brandenburgische Institut für Sicherheitsforschung) eine Marktstrukturerhebung der Sicherheitswirtschaft in Deutschland Ende 2012 durchführen. Diese Ergebnisse sind in die Studie zum Masterplan Zivile Sicherheit eingeflossen. Die Initiative zielt auf den Export des Know-how der Sicherheitswirtschaft ab. Und nicht zuletzt profitiert auch Deutschland - und nicht nur monetär - von einer sichereren Welt.
Herr Schrader, vielen Dank für das Gespräch.
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