Lösung für die erhöhten Anforderungen einer Fernbedienungszentrale
Für den Umbau von Schleusen fordert die Maschinenrichtlinie eine Risikoanalyse und die Einstufung der Funktionen in Gefährdungsklassen. Erhöhte Sicherheitsanforderungen gelten, we...
Für den Umbau von Schleusen fordert die Maschinenrichtlinie eine Risikoanalyse und die Einstufung der Funktionen in Gefährdungsklassen. Erhöhte Sicherheitsanforderungen gelten, wenn mehrere Schleusen von einer Bedienzentrale aus bedient werden sollen. Für die Saar-Schleusen wurde eine Lösung entwickelt, die auch für Container-Bahnhöfe interessant ist.
Die Saar wurde 1974 für die Großschifffahrt ausgebaut. Seitdem kann die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung ein steigendes Transportaufkommen verzeichnen. Die oft über 100 m langen, häufig mit Kohle beladenen Schubverbände müssen zwischen Konz und Saarbrücken sechs Schleusen passieren, um eine Gesamtfallhöhe von 55 m zu überwinden. Der Rund-um-die-Uhr-Dienst ist sehr aufwändig: Auch in den ruhigeren Wintermonaten muss der Schichtbetrieb an jeder Schleuse mit mindestens drei Personen aufrechterhalten werden. Um beispielsweise ineffiziente Nachtschichten einzusparen und das vorhandene Personal gezielter einsetzen zu können, ist eine gemeinsame Bedienzentrale für alle Saar-Schleusen geplant. Voraussetzung für die Fernbedienung der Schleusen ist die Erneuerung der bislang in Relaistechnik ausgeführten Steuerungstechnik. Da auch die elektrische Energieverteilung der Staustufen das Ende ihrer Lebensdauer erreicht hat, erfolgt im gleichen Zug auch deren Austausch.
Erhöhte Sicherheitsanforderungen zu erfüllen
Für den Umbau der Schleusen- und Wehranlagen ist seit 2006 die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG umzusetzen, da die Schleusen als Maschinen eingestuft wurden. Die Richtlinie fordert eine Risikoanalyse und die Einstufung der einzelnen Funktionen in Gefährdungsklassen. Im Rahmen der durchgeführten Risikoanalyse wurden einige Funktionen der Saar-Schleusen in den „Performance Level d" der ISO 13849 eingestuft.
Begonnen wurde mit dem Umbau der Schleuse Mettlach im Jahr 2013. Sie hat eine Nutzlänge von 190 m, eine Breite von 12 m und überwindet eine Fallhöhe von 11 m. Bei dieser Schleuse sind längs der Schleusenkammer in den Seitenwänden die Füll- und Entleerungskanäle angebracht. Die Schleusenkammer wird über diese Längskanäle durch sogenannte Längskanalverschlüsse, die jeweils am Oberhaupt und am Unterhaupt der Schleuse installiert sind, geflutet bzw. entleert. In den Füll- und Entleerungskanälen sind kleine Öffnungen zur Kammer hin angebracht, durch die das Wasser mit nur geringen Turbulenzen in die Kammer einströmt, um ein möglichst gleichmäßiges Heben und Senken der Schiffe ohne Abdrift und die damit verbundene Gefahr von Seilbrüchen zu gewährleisten.
Eine Besonderheit der Saar-Schleusen ist, dass sie zusätzlich zu den zu jeder Schleuse vorhandenen Wehren auch zur Hochwasserabfuhr genutzt werden können. Hierfür wurden die Saar-Schleusen mit sogenannten Drehsegment-Toren im Oberhaupt ausgerüstet, die ein Verfahren gegen den Wasserdruck ermöglichen.
Fehlersicherheit und Redundanz gefordert
Den Auftrag für den Umbau der Schleuse Mettlach (ca. 40 km südlich Trier) erhielt die Fa. IFA Ingenieurgesellschaft für Automation mbH in Heddesheim. Projektleiter Ullrich Hahn hat schon eine Reihe von Schleusen und Wehren automatisiert. Für den fehlersicheren Betrieb der Schleuse Mettlach hat er aus dem Automatisierungs-Portfolio der Siemens AG je eine speicherprogrammierbare Steuerung Simatic S7-315F/2PN/DP für Oberhaupt und Unterhaupt und als zentrale Steuerung ausgewählt. Als dezentrale Peripherie dient die ET 200S mit fehlersicheren Ein-/Ausgängen.
Die Steuerungen sind über einen Ring in Lichtwellenleitertechnik miteinander verbunden. Die zentrale Steuerung koordiniert den Betrieb der beiden Tore und steuert die Signalanlagen ebenfalls fehlersicher an. Über jeweils drei redundante Weggeber und entsprechende Endschalter wird beispielsweise sichergestellt, dass die Voraussetzungen für das Öffnen bzw. Schließen der Tore erfüllt sind oder dass das Drehsegment-Tor vollständig geöffnet ist, bevor die Ampel für die Ein- oder Ausfahrt auf Grün geschaltet werden kann.
Sicherheit für Besatzung, Schiff, Ladung und Schleuse
Der Schleusenvorgang wird vom Schleusenturm aus eingeleitet und überwacht. Bedient und beobachtet wird die Anlage über das Prozessvisualisierungssystem Simatic WinCC - von Ullrich Hahn hierfür im TIA Portal projektiert. Diese Bedienoberfläche erlaubt eine einheitliche und durchgängige Projektierung von Steuerung und HMI-System. Zusätzlich sind mehrere Kameras installiert, über die die Schiffe in der Schleusenkammer beobachtet werden: Sind die Schiffe richtig festgemacht? Funktionieren die Schwimmpoller oder verhakt etwas? Zwei fehlersichere Eingaben sind über Taster realisiert: Im Fall, dass ein Schiff während des Schleusenvorgangs abtreibt oder sich an einem Poller „aufhängt", kann durch das Auslösen eines „Schleusungshalt" das Fluten bzw. das Entleeren der Kammer gestoppt werden, sodass der Wasserstand in der Schleusenkammer konstant bleibt. Ist das Problem behoben, wird der Befehl quittiert und der Schleusenvorgang kann fortgesetzt werden. Für den Gefahrenfall - wenn z. B. durch einen Dauerbefehl (Automatik Betrieb) eine Bewegung ausgelöst wird - sind am Visualisierungsbedienstand Not-Halt-Taster nach VDE 0113 Teil 1 installiert. Die Auslegung der Not-Halt-Schalteinrichtung erfolgt nach Stoppkategorie 1 - gesteuertes Stillsetzen mit anschließender Abschaltung der Energiezufuhr zu den Antriebselementen, aber ohne Abschaltung der gesamten Energie.
Funktionsbaustein erfüllt Sicherheitsanforderungen
Die Automatisierung der Saar-Schleusen erhöht nicht nur deren Sicherheit, sondern ist auch die Voraussetzung für die Fernbedienung von einer Fernbedienzentrale aus. Die fehlersicheren Controller Simatic S7-315F-2DP/PN für die Schleuse und in der geplanten Fernbedienzentrale kommunizieren fehlersicher über das PROFIsafe-Telegramm. Für das Bedienen und Beobachten in der geplanten Zentrale hat Franz-Josef Niemeyer, Projektleiter E-Technik und zuständig für den Umbau der Anlagen des Wasser- und Schifffahrtsamtes Saarbrücken, den Einsatz der vom BMV im Rahmen der Standardisierung von Schleusen entwickelten Bedienoberfläche verpflichtend vorgegeben. Damit wird sichergestellt, dass alle lokalen Bedienoberflächen und die Bedienoberflächen der zukünftigen Leitzentrale ein identisches Erscheinungsbild haben.
Erhöhte Sicherheitsanforderungen bestehen für die eindeutige Zuordnung der Taster für Wasserstopp und Not-Halt beim Betrieb der Leitzentrale. Hier muss sichergestellt werden, dass die am Bedienplatz befindlichen Taster auch tatsächlich auf die am Bildschirm angewählte beziehungsweise dargestellte Schleuse wirken. Auf Anregung der Fachstelle Maschinenwesen Südwest entwickelte Siemens für diese Problematik eine Lösung in Form eines Funktionsbausteins. Dieser stellt trotz der Anwahl der Schleuse über ein „nicht sicheres" HMI-System eine verifizierte, sichere Verbindung zwischen der Not-Halt-Funktion der angewählten Schleuse und den auf dem Bedienplatz der Leitzentrale befindlichen Tastern her.
Breite Einsatzmöglichkeiten für Fernbedienungszentralen
Der für die Fernbedienungszentrale der Saar-Schleusen entwickelte Funktionsbaustein ist nicht nur für Schleusen interessant, sondern beispielsweise auch für Containerbahnhöfe, bei denen mehrere Kräne sicher bedient werden müssen. Ullrich Hahn und Franz-Josef Niemeyer sind von den Vereinfachungen durch die sichere Fernbedienung positiv beeindruckt. Das Gebäude für die Fernbedienzentrale an der Saar ist bereits errichtet und geht 2015 in Betrieb.
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