Mobiles Hochwasser-Schutzsystem löst Probleme
Die Idee ist so einfach wie genial und wirkungsvoll im Kampf gegen das Hochwasser: Zylinder aus glasfaserverstärktem Kunststoff. Die nehmen kaum Platz weg, sind leicht und werkzeu...
Die Idee ist so einfach wie genial und wirkungsvoll im Kampf gegen das Hochwasser: Zylinder aus glasfaserverstärktem Kunststoff. Die nehmen kaum Platz weg, sind leicht und werkzeuglos aufzubauen und werden mit Wasser vollgepumpt: Damit kann man längere, auch gekrümmt verlaufende Schutzlinien schnell und passgenau aufbauen. Das System „Aquariwa" ist inzwischen vielfach erfolgreich im Einsatz getestet worden.
„Et kütt wie et kütt" heißt es in Köln pragmatisch - oder optimistischer: „Et hett noch immer joot jejangen". Auch wenn Reinhard Vogt, Leiter der hiesigen Hochwasserschutzzentrale, schon lange und gerne in der Domstadt lebt, helfen ihm allerdings solche Maximen allein in seinem Job nicht weiter. Denn wenn der Rheinpegel steigt - wie zu Heilig Abend 1993 oder bei der Jahrhundertflut 1995, als das Wasser schon mal bis zu 21 cm pro Stunde stieg - ist Tatkraft gefragt. Drängt der Rhein in die Altstadt, müssen die Kräfte von Polizei, Feuerwehr und Freiwilligen rechtzeitig, schnell und effizient handeln.
Manpower und Logistik
Die Schwierigkeiten im Kampf gegen das Wasser sind gewaltig: Zunächst einmal ist reichlich Manpower erforderlich - zum Befüllen von Sandsäcken und Bigpacks, zum Transportieren und fachmännischen Verbauen. Die Anforderungen an die Logistik sind immens: Man braucht vor allem das was man am wenigsten zur Verfügung hat, wenn die Pegel steigen: Zeit.
Reinhard Vogt hat solche Hochwassereinsätze bei Regen und Kälte häufig geleitet, er kennt den Stress im Kampf mit Sandsäcken und Barrieren gegen das Wasser und gegen die Zeit. Und er kennt die Mühen nach der Flut: Den Dreck und den Schlamm und das Aufräumen. So war der Hochwassererfahrene zunächst einmal äußerst skeptisch, als er eher „muffiger Stimmung", wie er erzählt, einer Einladung zur Vorstellung des Hochwasser-Schutzsystems „Aquariwa" am Kölner Stadthaus folgte - doch die Vorführung stimmte ihn schnell um: „Angenehm überrascht" wurde er vor allem davon, wie einfach und mit wie wenig Handgriffen das System aufgebaut werden kann.
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Die Neuerfindung des Zylinders
Aquariwa ist ein zylinderförmiges System, das sehr viele Probleme löst, die beim Hochwasserschutz auftauchen. Erfunden wurde es von Prof. Reinhard Ries, Direktor der Branddirektion in Frankfurt am Main, und dessen Vater. „Wir suchten etwas, was nicht allein mit großen Mengen von Sand funktioniert und haben zunächst sehr viel herumprobiert" erzählt Reinhard Ries. Ihre Kernidee war die Nutzung des Mediums Wasser als Füllmaterial: Das ist mit rund einer Tonne Gewicht pro Kubikmeter sehr schwer und noch dazu leicht pumpbar - und Pumpen ist eine immer abrufbare Kernkompetenz von Feuerwehr und THW.
Anfangs versuchten die Tüftler, aus Kunststoffplatten Kästen und Tröge zu bauen - dabei war eines der Hauptprobleme der starke Druck des Wassers: Es brachte die Behälter zum Platzen. Vater Ries kam daraufhin die entscheidende Idee, die Behälter rund zu bauen, „wie einen Gartenpool", so dass das System ohne Verstrebungen funktioniert. So haben die Erfinder die Platten zu Zylindern von etwa 1,2 Metern Durchmesser gebogen - und das war in der Tat der Durchbruch, dank dessen alle Probleme auf einen Streich gelöst waren. Das fertige Produkt besteht heute aus einer GFK-Platte, vier Riegeln und Schlössern und einem Wassersack.
Rund, passgenau, wellenresistent
Die runde Form machte zum einen Verstärkungen und Schrauben überflüssig, weil sie den Wasserdruck ideal aufnahm - und sie ermöglichte den Aufbau in jeder Richtung: Das macht den Bau auch von krumm verlaufenden Schutzlinien möglich. Auch auf die sonst zum Beispiel bei Tordurchfahrten oder zwischen Häuserfronten erforderlichen Passstücke kann man mit dem System verzichten. Zudem sind die Zylinder ausgesprochen praktisch in der Handhabe, was im Notfall eines Hochwassers von entscheidender Bedeutung ist: Man braucht kein Werkzeug zum Aufbauen und man braucht extrem wenig Platz zum Lagern und Transportieren.
Im Rahmen verschiedener äußerst positiv verlaufener Tests und inzwischen zahlreicher Einsätze in der Praxis haben die Erfinder ihr System noch weiter optimiert. Eine Abdichtfolie hilft beispielsweise dabei, die Stabilität noch zu erhöhen: Der Staudruck des Hochwassers presst die Folie an die Zylinderwandungen und erzeugt eine extreme Haftreibung. Dadurch werden die Zylinder zusätzlich versteift, so dass ein Umkippen selbst bei einem Meter Wasserhöhe nicht möglich ist. Die Rundung der Zylinder bietet eine maximale Oberfläche für die Schutzfolie, die durch das Hochwasser eine absolut feste Verbindung zum Boden erzeugt. Das sichert den festen Stand auch bei starkem Wellenschlag.
Flexibel und vandalismussicher
Wenn nötig, kann das System während des Einsatzes ohne weiteres angepasst werden, wenn die Schutzhöhe nicht mehr ausreicht. Steigt das Hochwasser über 1,2 Meter an, wird das Wasser in den Zylindern durch Sand, Kies, Erde oder Steine ersetzt. Genau genommen kann alles als Ballastmedium verwendet werden, was schwerer ist als Wasser. Dabei wird beim Einfüllen das Wasser durch den Sand verdrängt. Das Gewicht durch den nassen Sand beträgt dann mehr als 2,0 Tonnen und versteift das System derart, als wäre es mit Beton aufgefüllt worden. Jetzt kann auf dem System problemlos weiter aufgebaut werden, z. B. mit einer Zylinderreihe mit 1 Meter Durchmesser und 90 cm Höhe, die wiederum mit Wasser gefüllt werden. Wenn eine zweite Zylinderreihe hinter der ersten aufgestellt wird, kann sogar ein 1,20 m großer Zylinder aufgestellt werden, was eine Schutzhöhe mehr als 2,40 Meter ermöglicht.
Auch gegen - durchaus vorkommende - mutwillige Beschädigungen ist das System geschützt. Eine typische Bedrohung für Hochwasserschutzsysteme ist das Aufschlitzen mit Messern. Bei den Aquariwa-Zylindern lässt sich selbst mit schweren Werkzeugen nichts ausrichten. Selbst wenn der Foliensack aufgeschlitzt wird, kommt es nicht zum Wasserverlust, weil sich der Schnitt durch den Wasserdruck wieder verschließt. Und auch die Riegel sitzen durch den Wasserdruck sehr fest und lassen sich allenfalls mit schwerem Werkzeug herausschlagen.
Für Deiche und Fischzucht
Das System hat im Ernstfall bereits mehrfach überzeugt - zum Beispiel 2010 in Frankfurt an der Oder, und im Januar 2011 in Frankfurt am Main. Und es zeigen sich auch andere Einsatzmöglichkeiten - etwa als Deichverstärkung, als Wasserreservoir bei Waldbränden, selbst als Sortiersystem in der Fischzucht. Gerade diese Variabilität ist es, die auch Reinhard Vogt von der Kölner Hochwasserschutzzentrale für das System einnimmt. Als Verbesserungsmöglichkeit könnte er sich höchstens vorstellen, die immerhin etwa vier Meter langen Teile etwas kürzer zu konstruieren, damit sie besser auf die Transporter passen. Doch der Hochwasserexperte freut sich schon auf den nächsten Praxiseinsatz: Sobald das Wasser in Köln wieder steigt, wird man ihn am Restaurant „Bastei" am Rhein zwischen Eisenbahn- und Zoobrücke finden: beim Kopfsteinpflaster-Belastungstest.
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