ONVIF und der Nutzen der Standardisierung - ein Gespräch mit René Kiefer

Das Open Network Video Interface Forum - kurz ONVIF - besteht seit 2008 und hat sich seitdem als ­weltweit wichtigster Standard für IP-basierte Sicherheitsprodukte weitgehend durch...

René Kiefer, Senior Consultant Siemens IC Building Technologies Fire Safety &...
René Kiefer, Senior Consultant Siemens IC Building Technologies Fire Safety & Security und Sprecher des Fachkreises Video im Fachverband Sicherheit im ZVEI

Das Open Network Video Interface Forum - kurz ONVIF - besteht seit 2008 und hat sich seitdem als ­weltweit wichtigster Standard für IP-basierte Sicherheitsprodukte weitgehend durchgesetzt. Die ­Non-Profit-Organisation vermeldet mehr als 2.000 lieferbare ONVIF-­konforme Produkte von weltweit mehr als 300 Mitgliedsfirmen (Stand Oktober 2012). Matthias Erler von GIT-SICHERHEIT.de sprach darüber mit René Kiefer, Senior Consultant Siemens IC Building Technologies Fire Safety & Security und Sprecher des Fachkreises Video im Fachverband Sicherheit im ZVEI.

GIT-SICHERHEIT.de: Herr Kiefer, den ONVIF-Standard gibt es jetzt seit ein paar Jahren. Lassen Sie uns doch zum Einstieg zunächst darüber sprechen, welche Vorteile Standardisierungen überhaupt bieten.

René Kiefer: Standards sichern Qualitätsniveaus. Sie bewirken kurz gesagt, dass der Hersteller weiß, was er liefern muss und der Kunde weiß was er erwarten darf. Außerdem reduzieren Standards die Komplexität - und das verringert Risiken. Es ergeben sich also vielfältige Vorteile für alle Beteiligten: Vereinfachte, standardisierte Produktion, verringerte Kosten, bessere Produkte, größere Nachfrage. Das ist attraktiv und öffnet Märkte für neue Anwendungen.

...hinsichtlich ONVIF kommen aber noch weitere Aspekte dazu?

René Kiefer: In der Videobranche sind die Innovationszyklen kurz. Die Aufwendungen für die Integration von IP-Produkten unterschiedlicher Hersteller sind hoch. Häufig ist das komplex und teuer. Das begrenzt den Einsatz wie die Vermarktung. Für einen nachhaltigen Fortschritt ist eine zügige Marktfähigkeit jedoch unverzichtbar. Standards reduzieren die Komplexität und das geht immer auch einher mit der Reduktion von Risiken. Wer Komplexität beherrscht, begrenzt auch das Risiko. Wer es nicht begrenzt oder kennt, weiß nie was passiert. Und das sind tatsächlich für einen Standard für IP-basierte Sicherheitsprodukte weitere wichtige Aspekte.

Was halten Sie von der hier und da sinngemäß geäußerten Kritik, Standardisierung könne Impulse für Neuentwicklungen ersticken? Könnte ONVIF auch zum Gleichmacher und regelrechten Innovationshemmer werden?

René Kiefer: Standardisierung behindert nicht die Kreativität der Ingenieure und Designer. Im Fall von ONVIF wird die Zusammenarbeit zwischen Produkten, also deren Fähigkeit, untereinander Informationen auszutauschen, vereinheitlicht. Davon abgesehen, hat jedes Produkt aber viele weitere Eigenschaften, die dann den Unterschied zwischen gut und besser ausmachen - und an dieser Stelle beweist sich die Kreativität und Innovationskraft der Ingenieure und Designer: Ihre Ideen etwa für integrierte Funktionen, die Verbesserung von Auflösung, Handhabung und Bedienung oder schlicht dem Design, etc. Das sind Eigenschaften, die das Produkt attraktiv machen und letztlich den Preis rechtfertigen.

Sie sprachen gerade die bessere Handhabung von Risiken als Vorteil der Einführung von Standards an. Was sind das für Risiken?

René Kiefer: Das können Risiken prozessualer oder technischer Natur sein. Es geht dabei darum, Unwägbarkeiten dadurch auszuschalten, dass man das technische System beherrscht. Das wiederum ermöglicht die Teilhabe am technischen Fortschritt.

Was meinen Sie damit?

René Kiefer: Der technische Fortschritt findet in Form schneller Innovationszyklen an den unterschiedlichsten Teilen des Gesamtsystems statt. In komplexen Systemen sind nun aber die Auswirkungen punktueller Modernisierungen schwer überschaubar. Hierin eben stecken erhebliche Risiken für das Funktionieren des Gesamtsystems.

Geben Sie uns ein Beispiel?

René Kiefer: In jeder einzelnen Komponente eines Videosystems steuern Softwaremodule die Funktionen. Erfolgt die Aktualisierung oder Modernisierung einzelner Module nicht nach standardisierten Vorgaben oder bleiben Standards unberücksichtigt, wird die Funktion des Gesamtsystems beeinträchtigt oder ganz behindert. Und es ist leicht vorstellbar, wenn die einzelnen Komponenten und Produkte des Gesamtsystems von den unterschiedlichsten globalen Herstellern kommen, dass die Innovationszyklen der beteiligten Firmen nicht abgestimmt sind. Hier strebt jede Firma nach ihrem Vorteil und will der Erste sein. Und genau hier helfen geeignete Standards, die Innovation und Fortschritt nicht behindern also weiterentwickelte und erneuerte Produkte mit den anderen Komponenten im Gesamtsystem weiter reibungslos zusammenarbeiten. Jeder Teillieferant erzeugt also Fortschritt - und die geeigneten Standards stellen sicher, dass auch das Gesamtsystem funktioniert: So erst kann der Kunde auch am technischen Fortschritt teilhaben.

Sehen Sie überhaupt noch Raum für proprietäre Systeme jenseits der Standards?

René Kiefer: Es wird immer kundenspezifische Lösungen geben - und zwar überall da, wo Ingenieurleistung und Individualität der Bedürfnisse und Prozesse die dominierende Rolle spielen. Beispiele sind Bereiche in denen Menschenleben oder Werte im erhöhten Maße gefährdet sein können oder die Komplexität gewaltig ist, wie zum Beispiel in der Raumfahrt. Vereinfacht lässt sich das am Beispiel des Maßanzuges beschreiben: Die individuell zusammengestellten Bestandteile beruhen ihrerseits großenteils auch auf globalen Standards. Das Proprietäre daran ist, um im Bild zu bleiben, der Schneider und seine individuelle handwerkliche Leistung. Die hochqualitativen Stoffe die er verwendet, sind aber nach anerkannten Standards gefertigt, etwa dem verwendeten Rohstoff oder dem Gewicht je Einheit, aber auch solchen der Nachhaltigkeit oder ethisch vertretbaren Produktionsbedingungen.

Wo steht ONVIF eigentlich heute - wie weit ist der Standard als solcher anerkannt? Geben Sie uns ein paar Zahlen, was den aktuellen Stand betrifft?

René Kiefer: Der Standard ist ja immer noch sehr jung - er besteht seit 2008 -, ist aber schnell in seiner Bedeutung gewachsen. Kurz vor der Security waren bereits mehr als 2.000 Produkte ONVIF-konform. Sie stammen von allen wesentlichen Anbietern weltweit - mehr als 300 Mitgliedsfirmen gibt es. Die Ausweitung von Videoprodukten auf die Zutrittskontrolle und Zeiterfassung zeigt, wie sich der Standard etabliert hat. Man muss sich klarmachen, dass der Kunde heute aus diesen 2.000 Produkten frei wählen kann und ein System mit Produkten erhält, die untereinander kommunizieren und Informationen austauschen können. Bis 2008 war das schlicht und einfach nicht der Fall - der Standard hat also einen enormen Fortschritt gebracht.

Nun gibt es auch andere Standards, etwa PSIA in den USA. Wer wird sich da auf lange Sicht Ihrer Meinung nach im globalen Maßstab durchsetzen - bzw. wie sehen Sie die Entwicklung und wie beurteilen Sie den Wettbewerb zwischen diesen verschiedenen Standards?

René Kiefer: Auch in diesem Umfeld ist Wettbewerb zu begrüßen und förderlich. Es gibt noch weitere Standards die ähnlichen Zielstellungen wie ONVIF folgen. Eine Verbreitung oder Unterstützung wie die Zahlen der konformen Produkte oder die Mitgliedsfirmen belegen, weist keine andere Organisation vor. Ich persönlich halte diese für regional präsent aber international weniger bedeutsam. Insgesamt ist jeder Standard zu begrüßen der den Fortschritt unterstützt und die Zusammenarbeit fördert. Am Ende wird sich der Standard durchsetzen, der die tiefste Integration ermöglicht - verbunden mit dem größten wirtschaftlichen Nutzen für Entwickler, Hersteller, Integratoren sowie Kunden und Anwender.

Herr Kiefer, herzlichen Dank für das Gespräch.

 

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