08.11.2018 • TopstoryASWDrohnenKonzernsicherheit

Proaktive Sicherheitsphilosophie

Das 1913 gegründete Familienunternehmen Claas ist einer der weltweit führenden Hersteller von Landtechnik. Der Hauptsitz Harsewinkel gehört zu den modernsten Produktionsstätten von...

Das 1913 gegründete Familienunternehmen Claas ist einer der weltweit führenden Hersteller von Landtechnik. Der Hauptsitz Harsewinkel gehört zu den modernsten Produktionsstätten von Mähdreschern und Feldhäckslern weltweit. Bei Mähdreschern ist das Unternehmen mit seinen 10.900 Mitarbeitern europaweit führen – mit seinen selbstfahrenden Feldhäckslern ist es außerdem Weltmarktführer. Auch mit Traktoren, landwirtschaftlichen Pressen und Grünland-Erntemaschinen belegt Claas Spitzenplätze in der Agrartechnik. Zur Produktpalette gehört außerdem modernste landwirtschaftliche Informationstechnologie. Claas beschäftigt weltweit mehr als 10.900 Mitarbeiter.
Unser wissenschaftlicher Schriftleiter Heiner Jerofsky sprach mit Christian Vogt, Leiter Konzernsicherheit und Vorstandsvorsitzender ASW NRW über sein Sicherheitsmanagement und die Arbeit der ASW.

GIT SICHERHEIT: Herr Vogt, Sie leiten seit vier Jahren die Konzernsicherheit von Claas. Welcher personeller und technischer Aufwand steckt dahinter und welches Konzept haben Sie für diese verantwortungsvolle Aufgabe?

Christian Vogt: Der personelle und technische Aufwand ist groß. Dabei hat die Claas-Gruppe ein großes Interesse daran, immer die Angemessenheit im Fokus zu behalten und risikobasierend zu handeln. Trotzdem wird Sicherheit als wertschöpfend betrachtet. Dass die Konzernsicherheit direkt an den Sprecher der Konzernleitung berichtet, ist aus meiner Sicht hochprofessionell. Nicht in allen Bereichen sind die gleichen organisatorischen, personellen und technischen Maßnahmen angezeigt. Wir fokussieren hier auf Schwerpunktbereiche, insbesondere z.B. den Bereich der Forschung und Technik und handeln sonst kaskadierend über mehrstufige Sicherheitskonzepte. Die Technik unterstützt hierbei Sicherheitsmanager und -mitarbeiter immer besser. Es gilt jedoch, eine gute Mischung zu finden und sich nicht ausschließlich auf Technik zu verlassen. Als Familienunternehmen handeln wir auch im Bereich der Konzernsicherheit sehr verantwortungsbewusst. Die Konzepte der Konzernsicherheit setzen auf Transparenz und Sensibilisierung und stärken damit die Fähigkeiten der Mitarbeiter zur Sicherheit bei Claas beizutragen. Dieser Faktor kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, zumal unsere Mitarbeiter dem Unternehmen häufig ein Leben lang die Treue halten.

Was unterscheidet die Sicherheitsarchitektur Ihres Hauses von normalen Werkschutztätigkeiten? Gibt es in Ihrem Unternehmen besondere Risiken und Sicherungsschwerpunkte und eine eigene Sicherheitsphilosophie?

Christian Vogt: Die so genannte „normale Werkschutztätigkeit“ ist (nur) ein Baustein der Sicherheitsarchitektur im Bereich der Standortsicherheit. Die Sicherheitsarchitektur des Hauses Claas greift jedoch bezüglich der Sicherheitsthemen deutlich weiter und ist ganz eng mit anderen Geschäftsbereichen verzahnt. Die Risikobewertung steht im Regelfall am Anfang jeder Maßnahmenentscheidung. In den Bereichen Standortsicherheit, der Reisesicherheit, des Konzernbrandschutzes, aber auch dem umfassenden Bereich der Informationssicherheit und dem Notfallmanagement agieren wir immer übereinstimmend mit unseren Geschäftszwecken und -zielen. Sicherheit bei Claas ist niemals Selbstzweck. Das Management von Risiken bedeutet auch, dass man Risiken, die man angemessen minimieren konnte, darüber hinaus ergänzend transferiert, z.B. an einen Versicherungspartner und natürlich mit Restrisiken auch professionell umgehen kann. Die Sicherheitsphilosophie bei Claas ist proaktiv und sieht sich als ein Dienstleistungsprozess für das Unternehmen – in enger Kooperation mit zahlreichen anderen Prozessen, insbesondere Internal Audit, Rechtsbereich, IT-Bereich, Versicherungsbereich und immer auch den einzelnen HR-Bereichen im Konzern. Im Bereich der Reisesicherheit haben wir zuletzt beispielsweise einen „Award“ im Bereich „Duty of Care“ gewonnen und vermarkten dies dann auch in der internen Kommunikation. Weil alle „Claasianer“ weltweit durch das umfassende „Global Assistance-Programm“ geschützt werden, können wir dies auch weltweit adressieren – ohne Ausnahme.

Wie hoch schätzen Sie die Verluste durch kriminelle Handlungen ein? Glauben Sie, dass sich das Unrechtsbewusstsein unter den Beschäftigten, Lieferanten, Kunden und Fremdfirmenmitarbeitern in den letzten Jahren verändert hat?

Christian Vogt: Die Verluste durch kriminelle und dolose Handlungen zu beziffern, ist nicht abschließend möglich. Hier tun sich auch andere Beteiligte außerhalb von Unternehmen sehr schwer. Als Beispiel ist die hochunterschiedliche Schadensbetrachtung auf den Bereich der Wirtschaftskriminalität durch Polizeien und Wirschaftsberatungsunternehmen zu nennen. Wir haben natürlich bei Claas auch eine Hellfeldbetrachtung auf gemeldete Ereignisse im Rahmen unserer internen Meldeverpflichtungen, weil wir hier auch trotz umfassender Maßnahmen der Standortsicherheit an unseren weltweiten Standorten, Risiken transferieren und somit einen guten Überblick dokumentierter Fallzahlen haben. Was mich mehr beunruhigt sind Fälle, die zunächst einmal keinen direkten Schadenswert zugeordnet bekommen – z.B. Bereich Cybersicherheit; Datenschutzthemen, Know-how-Schutz. Sie bilden ein aus meiner Sicht nicht zu unterschätzendes Dunkelfeld. Ich glaube nicht, dass sich das Unrechtsbewusstsein hier unter den Beteiligtengruppen verschlechtert hat. Ich glaube aber, dass wir bei Claas durch das Beteiligen aller Mitarbeiter den Grundstein dafür legen, auch im Bereich des Dunkelfelds immer besser zu werden. Ich kann dies daran festmachen, dass wir bessere und substantiellere Hinweise auf Fälle und Schwachstellen aus dem Kreis unserer Mitarbeiter erhalten. Im Bereich der Informationssicherheit konnten wir zuletzt ein sehr gutes Web-based-Training etablieren, das die Mitarbeiter mitnimmt und beteiligt. Ohne die Mitarbeiter kann es keine professionell agierende Konzernsicherheit geben.

Welche technischen Einrichtungen halten Sie für unabdingbar beim Schutz von Menschen und Sachwerten? Welche Erfahrungen haben Sie mit Einbruchmeldetechnik, Videoüberwachung und Zutrittskontrollsystemen gemacht?

Christian Vogt: Alle genannten Anlagen haben ohne Frage ihre Daseinsberechtigung. Für mich ist dies jedoch nur ein ganz kleiner Bereich der Konzernsicherheit und zu stark auf die „alte Unternehmenssicherheit“ ausgerichtet. Mit einem Rahmenkonzept für die Standortsicherheit versuchen wir, auch in sehr guter und vertrauensvoller Abstimmung mit dem Sachversicherer, die Sicherheitssysteme je nach Erfordernis des Standorts abzustimmen. Natürlich gibt es hier eine enorme Bandbreite von limitierten Maßnahmen an Standorten mit geringer Risikobewertung bis hin zu neuen Entwicklungsstandorten mit bestem baulichen Schutz. Schaut man auf die reine Statistik im Bereich der Standortsicherheitsthemen, ist der bauliche Gebäudeschutz oft unberechtigt gegenüber reinen Detektionsmaßnahmen untergewichtet. Die bestehende Sicherheitstechnik führen wir über Sicherheitsmanagementlösungen z.B. am Hauptstandort in Harsewinkel zusammen. Ziel hier: Handlungssicherheit für die Sicherheitsmitarbeiter und damit Mehrwert für Claas erreichen. Die Mitarbeiter haben nur ein einziges System vor Augen, sehen den Standort auf einem Layout und können doch damit alle erforderlichen Technikprozesse steuern – und was wichtig ist, prozesssicher dokumentieren und archivieren. Das Thema Brandschutz – und dessen konzernweite, kaufmännisch intelligente Betrachtung – treibt alle Sachversicherer stark um und ist entsprechend von enormer Bedeutung. Im Bereich der Videoüberwachung versuchen wie beispielsweise zunehmend mit Wärmebildsystemen datenschutzkonform zu agieren und den Fokus auf die Wahrnehmung von Verstößen zu legen. An Standorten in der Fläche agieren wir mit dem Claas-Sicherheitskonzept häufig so, dass wir mit einem im Vergleich zu benachbarten (Nicht Claas-) Objekten erhöhten Einsatz von Sicherheitstechnik erfolgreich eine „Verdrängung“ praktizieren. Hier agieren wir auch z.B. an unseren Verkaufsstandorten mit offensiver Beschilderung.

Drohnen können Fluch und Segen sein. Welche Vor- und Nachteile hat diese Technik aus Ihrer Sicht für den Werkschutz?

Christian Vogt: Drohnen erzeugen in Deutschland noch sehr viel Misstrauen. Einen Einsatz bei Claas haben wir schon diskutiert und z.B. für die Brandfrüherkennung in Erwägung gezogen. Den Einsatz von Drohnen z.B. zur Bestreifung von Standortflächen sehe ich nicht unkritisch; zum einen bilden Videoüberwachung und Datenschutz ein bedeutendes Spannungsfeld, zum anderen wollen die Sicherheitsbereiche bei Claas transparent und offen agieren. Auf die Betroffenenrechte aller Beteiligten legen wir großen Wert. Gefühlt würde ich hier konstatieren, dass wir uns die weitere Entwicklung hierzu weiter anschauen, vor allem die Akzeptanz der Menschen; natürlich vor dem Hintergrund, im Interesse von Claas die beste Lösung bereitzuhalten.

Setzen Sie eigenen Werkschutz oder Dienstleister ein? Welche Ausbildung setzen Sie voraus und gibt es Weiterbildungsangebote?

Christian Vogt: Wir haben am Hauptstandort einen eigenen Werkschutz. Auf Ausbildung legen wir großen Wert. Weiterbildungsangebote nutzen wir durch externe Trainer und z.B. auch die Angebote der ASW NRW. Die Voraussetzung für die Mitarbeiter im Werkschutz ist unterschiedlich und wird auch durch Claas-Risikobewertungen gesteuert. Am Hauptstandort setzen wir vornehmlich die „Fachkraft für Schutz und Sicherheit“ ein. Umfassend ist dies nicht an allen Standorten einzuhalten.

Sie sind Vorstandsvorsitzender der ASW NRW. Können Sie unseren Lesern einen kurzen Einblick in Ihre Verbandsarbeit geben und die Ziele der Allianz für Sicherheit beschreiben?

Christian Vogt: Die Verbandsarbeit der ASW NRW erlebe ich sehr lebhaft und dynamisch, wir wachsen derzeit mit ausgezeichneten Unternehmen aus NRW und bisweilen sogar darüber hinaus, aus den verschiedensten Branchen der Wirtschaft. Die Arbeit mit vielen hochengagierten und ausgewiesenen Experten im Vorstand sowie in der Geschäftsstelle macht mir viel Freude. Die Ziele der ASW bestehen zum Beispiel darin, die Kriminalprävention in der Wirtschaft zu fördern, den Wirtschaftsschutz voranzutreiben und auch beispielsweise durch die Berufung von Wirtschaftsschutzbeauftragten zu etablieren und tief im Bewusstsein der Unternehmen zu verankern. Darüber hinaus möchte die ASW NRW das zentrale Informationsportal für die Interessen der Wirtschaft sein und natürlich professionelle Beratung und Schulungen bieten. Hier sind wir zuletzt noch deutlich breitbandiger und professioneller geworden; unsere Seminare haben ausgezeichnete Trainer und somit auch dementsprechend tolle Bewertungen.

Was tut die ASW NRW um die Kriminalprävention in der Wirtschaft zu fördern?

Christian Vogt: Wir erhöhen gegenwärtig die Bedeutung des Verbands durch Wachstum im Bereich der Mitglieder, durch die Stärkung der Sicherheitspartnerschaft mit Sicherheitsbehörden und unseren Veranstaltungsformaten für unsere Mitglieder. Zudem bringen wir uns verstärkt in die politischen Diskussionen ein und erhöhen unsere Präsenz im politischen Umfeld. Der diesjährige Sicherheitstag NRW unter Schirmherrschaft des Innenministers war sehr erfolgreich und stärkt das Netzwerk der ASW NRW in bedeutender Weise. Das kommt dann ganz direkt der Wirtschaft zu Gute. Das Ganze ist ein Kreislauf, der gegenwärtig sehr gut läuft. Im Bereich der Seminare bieten wir zahlreiche neue Themen an, die nach unserer Auffassung für die Kriminalprävention in der Wirtschaft von hoher Bedeutung sind. Um einige Beispiele zu nennen: Inhouse-Krisenmanagementtraining, Krisenkommunikation, Seminar im Deliktsbereich Entführung, Cyberthemen in zunehmendem Maße. Die Planungen im Bereich der Ausbildung gehen ständig weiter.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Sicherheitslage für Industrie und Wirtschaft aus Sicht der ASW? Haben Sie Zugriff auf aktuelle Lagebilder und gibt es Informationsaustausch durch Sicherheitspartnerschaften?

Christian Vogt: Ich denke, dass die Sicherheitslage, gerade im Hinblick auf globale Tendenzen, noch nie so volatil war, wie dies aktuell der Fall ist. Wir schauen uns auch aktuelle Lagebilder an, natürlich. Auf den Informationsaustausch im Rahmen der Sicherheitspartnerschaft legen wir zunehmenden Wert, verbunden mit der Erwartung, dass alle Partner hier das Bestmögliche einbringen mögen. Die Etablierung eines gemeinsamen Lagebildes zum Wirtschaftsschutz in NRW würde für alle Beteiligten einen Mehrwert bedeuten.
 

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