Quentic: Wohin die Reise geht
Arbeitsschutz, das ist heute mehr als bloßes Vermeiden von Unfällen und der gesundheitliche Schutz von Angestellten am Arbeitsplatz. Angefangen bei der Sicherheitsausrüstung bis hin zur Führungskultur berührt Arbeitssicherheit alle Unternehmensbereiche.
Seit einiger Zeit stehen auch zunehmend Fragen des Wohlbefindens von Mitarbeitern im Fokus, um einerseits ihre Gesundheit zu schützen, aber auch um ihre Motivation, Kreativität und Einsatzbereitschaft zu fördern. Das Thema Arbeitsschutz entwickelt sich also rasant und zeigt dabei vielfältige neue Facetten.
Das Unternehmen Quentic mit Sitz in Berlin entwickelt und vertreibt Softwarelösungen für Arbeitssicherheit und Umweltmanagement in Form einer eigenen Plattform, einer App sowie zahlreichen Dienstleistungen im Bereich Health, Safety und Environmental Management (HSE). Unter Einbindung eines starken Partner- und Expertennetzwerks entsteht der jährlich erscheinende Safety Management Trend Report, für den internationale Expertinnen und Experten Trends identifizieren, die die zukünftige Entwicklung des Arbeitsschutzes nachhaltig prägen werden. GIT SICHERHEIT hat dies zum Anlass genommen, um im Interview mit Markus Becker, Mitgründer und CEO von Quentic, die Trends im Bereich Arbeitsschutz für das kommende Jahr auszuloten.
Herr Becker, auch das Jahr 2021 wird maßgeblich von der COVID-19-Pandemie geprägt sein. Welchen Einfluss messen Sie der Pandemie in Hinsicht auf Veränderungen im Arbeitsschutz bei?
Markus Becker: Es ist unumstritten, dass die Coronavirus-Pandemie den Arbeitsschutz stark beeinflusst hat. Wir sprechen ja schon seit vielen Jahren davon, dass Arbeitsschutz digitaler wird. Die Pandemie hat diese Entwicklung aber noch beschleunigt. Das Thema Online-Unterweisungen ist zum Beispiel eines, das stark an Relevanz gewonnen hat und uns auch ins so genannte „New Normal“ begleiten wird. Das ist eine der vielen technischen Seiten der Auswirkungen. Für mich und die Experten im Safety Management Trend Report ist aber eine ebenso bedeutende Folge der Pandemie, dass die wichtige Arbeit von Verantwortlichen im Bereich Arbeitssicherheit sichtbarer geworden ist. Das geht mit erhöhter Wertschätzung, aber auch mit neuen Anforderungen einher.
Der Safety Management Trend Report beschäftigt sich dieses Jahr u. a. mit der Frage, wie der Erfolg von Arbeitssicherheit gemessen werden soll. Einige Experten kritisieren sogar allgemein die stark auf Zahlen ausgerichteten Ansätze. Wie beurteilen Sie das?
Markus Becker: Ich glaube, hier muss man im Blick behalten, dass jedes Unternehmen individuell ist. Ich denke nicht, dass wir um die Erhebung traditioneller Kennzahlen wie Unfälle, Beinaheunfälle oder Krankheitstage herumkommen, weil sie einen guten Blick auf den Status Quo erlauben. Viele unserer Kunden verfolgen eine sehr erfolgreiche „Null-Unfälle-Strategie“ und haben damit auch eine positive Sicherheitskultur etabliert. Trotzdem verstehen wir die Kritikpunkte, dass ein reiner Fokus auf diese rückblickenden Zahlen nicht ausreicht. Wir begleiten auch zahlreiche Kunden, die hier andere Schwerpunkte setzen. Wichtig ist in meinen Augen nicht unbedingt das Etikett wie „traditionell“, „modern“, „Safety I oder II“, sondern die ganzheitliche Umsetzung. Jeder Ansatz kann nur erfolgreich sein, wenn sich darum eine gute Sicherheitskultur entwickelt. Diese folgt nicht den Kennzahlen, sondern die Kennzahlen folgen der Kultur.
Die Experten betonen auch, dass Arbeitsschutz heute mehr als bloße Unfallprävention und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz ist. Es geht zunehmend um soziale und psychische Faktoren wie Stress, Wertschätzung und die allgemeinen Umgangsformen am Arbeitsplatz. Welche Rolle wird das Arbeitsschutzmanagement hierbei ihrer Meinung nach in Zukunft spielen?
Markus Becker: Ich sehe hier eindeutig, dass das Berufsfeld vielfältiger wird. Diese Einschätzung teilen auch die von uns befragten Experten. Die Arbeitssicherheitsfachkräfte sind genau die richtigen Personen für diese wichtigen Aufgaben. Sie haben einen Überblick über alle Unternehmensbereiche, sind in der Regel gut im Betrieb vernetzt und können dadurch auch Führung und Verantwortung übernehmen. Aber damit sie diese Rolle auch ausfüllen können, brauchen sie die nötigen Ressourcen. Dazu zählen natürlich Zeit und Werkzeuge, die ihre Routinearbeiten vereinfachen. Nur wenn sie selbst gut ausgestattet sind, Wertschätzung erfahren und ein verträgliches Stresslevel für ihre vielen Aufgaben haben, können sie Kolleginnen und Kollegen für ihre Themen begeistern.
Aus dem Safety Management Trend Report geht ebenfalls hervor, dass HSE-Software und -Apps dazu beitragen können, das Arbeitsschutzmanagement zu vereinfachen und zu verbessern. Wo sehen Sie die klaren Vorteile für HSE-Experten?
Markus Becker: Der klare Vorteil ist natürlich, dass es einen Ort gibt, an dem alle Daten zusammenlaufen. Das ist wichtig für die Konsistenz und somit die Qualität von Auswertungen und Analysen, auf deren Basis auch Entscheidungen getroffen werden. Außerdem erlauben HSE-Software und Apps, so wie Quentic, einen ganzheitlichen Blick über Abteilungen, Standorte und auch Ländergrenzen hinweg. Nur wenn es ein System gibt, in dem alle Informationen digital zusammenwirken, kann ich überhaupt den Blick für dieses große Ganze bekommen.
Auch das Thema Sicherheitskultur haben wir ja schon angesprochen. Denken Sie mal an eine traditionelle Meldung auf dem Papierweg: vom richtigen Formular über das korrekte Ausfüllen bis zum Weg per Scan oder Hauspost zum hoffentlich richtigen Ansprechpartner vergehen oft Tage. Die Auswertungen, Reaktionen darauf und Analysen mehrerer Vorfälle kostet dann noch mal Zeit. Die Motivation für diesen Weg kann also nicht besonders hoch sein. Wenn ich aber mit einem Klick und einem Foto diesen ganzen Prozess in einer Minute erledigt habe, ist Sicherheit gar kein großer Mehraufwand mehr. Damit steigt die Bereitschaft, Dinge zu melden. Und die verantwortlichen Personen bekommen diese Informationen so gut wie ohne Zeitverzug.
Wie bewerten sie allgemein den Nutzen moderner Technologien und Datenverarbeitungsverfahren für den Arbeitsschutz, die man häufig mit Wörtern wie Big Data, Augmented bzw. Virtual Reality oder KI versieht?
Markus Becker: Grundsätzlich sehen wir hier viele positive Anknüpfungspunkte. Auch im Safety Management Trend Report wird seit Jahren hervorgehoben, dass Augmented und Virtual Reality eine große Chance im Bereich Trainings sein können und dass KI-Anwendungen starke Treiber für den Arbeitsschutz der Zukunft sind. Wir haben hier selbst in Pilotprojekten schon Themen umgesetzt und getestet.
Man darf aber bei aller Euphorie über die technischen Möglichkeiten nicht außer Acht lassen, dass die Grundlage immer Daten sind. Es müssen deutlich mehr Daten erhoben und ausgewertet werden, damit eine KI daraus lernen kann. Und an diesem Punkt wägen wir ab, ob diese neuen Technologien auch dem Stand der Digitalisierung in den Unternehmen gerecht werden und wie mit dem Datenschutz umgegangen werden muss. Für Quentic heißt das, dass wir dem Ganzen offen gegenüberstehen und langfristig auch mehr Anwendungsgebiete in unserer Software abdecken wollen, wir aber immer fragen, welche Methoden uns und unseren Kunden tatsächlich bei bestimmten Fragestellungen helfen.
Wie wird der genannte Wandel von dem, was man unter Arbeitsschutzmanagement versteht, in ihren eigenen Produkten aufgegriffen?
Markus Becker: Anfang des Jahres haben wir unser neues Modul Ereignisse & Beobachtungen vorgestellt, das an viele der genannten Trends anknüpft. Es unterstützt in der Pandemie-Bekämpfung, ebnet mit individuell definierbaren Ereignissen den digitalen Weg für Arbeitssicherheitsansätze wie Behavior-Based Safety und fördert die Sicherheitskultur. Dass Beschäftigte ein wichtiges Arbeitssicherheits-Werkzeug in ihrer Hosentasche haben, ist ein Schlüsselaspekt um das Thema nah an die Arbeitsrealität zu bringen.
Auch die ganzheitliche Perspektive, die unsere Expertinnen und Experten mit Blick auf die Themen Nachhaltigkeit, Globalisierung und Rechtskonformität fordern, ist schon lange zentral für Quentic. Unsere Module bilden das gesamte HSE-Spektrum ab und verknüpfen Daten über Abteilungs- und Ländergrenzen hinweg. Die Plattform ist bereits auf mehr als 20 Sprachen zugänglich und kann über Partnerschnittstellen Compliance in 300 Gerichtbarkeiten unterstützen. Fest steht: Wir werden hier über alle Module hinweg weiter neue Funktionalitäten implementieren.
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