01.07.2024 • Topstory

Schlüsseltransfersystem: Funktionsweise und Einsatzgebiete

Rein mechanische Schlüsseltransfersysteme bieten vor allen in rauen und rausten Umgebungen Vorteile gegenüber elektrischen Komponenten. Sie funktionieren ohne Verdrahtung und sind zugleich weniger störanfällig. Gleichzeitig können sie genutzt werden, um Abläufe in der Bedienung von Maschinen zu erzwingen und so die Sicherheit deutlich zu steigern.

Zwei Legofiguren als Bauarbeiter, die eine echten Schlüssel in der Hand halten...
© Wiley|GIT SICHERHEIT / E. Dold & Söhne GmbH & Co. KG
Arthur Aartsen, Business Development Manager bei E. DOLD & Söhne, auf einem Profilbild
Arthur Aartsen, Business Development Manager bei E. DOLD & Söhne
© E. Dold & Söhne GmbH & Co. KG

In Zeiten zunehmender Digitalisierung und dem Internet of Things scheint eine mechanisch arbeitende Lösung für die Sicherheit in Maschinen und Anlagen aus der Zeit gefallen zu sein. Arthur Aartsen, Business Development Manager bei E. DOLD & Söhne, hat auf der SPS 2023 einen Vortrag über Schlüsseltransfersysteme (STS) gehalten, die Maschinen und Anlagen überwiegend mechanisch absichern. Die Redaktion der GIT SICHERHEIT hat dies zum Anlass genommen, um mit Arthur Aartsen zu sprechen.

 

GIT SICHERHEIT: Herr Aartsen, auf der SPS 2023 haben Sie einen Vortrag zum Thema Schlüsseltransfersysteme gehalten. Wo werden diese Systeme eingesetzt?

Arthur Aartsen: Schlüsseltransfersysteme (STS) werden hauptsächlich in rauen bis sehr rauen Umgebungen zur Absicherung trennender Schutzeinrichtungen von Maschinen und Anlagen eingesetzt. Der Grund dafür ist relativ einfach: Schlüsseltransfersysteme funktionieren mechanisch, und elektrische Komponenten sind weitestgehend nicht notwendig. Und gerade elektrische Komponenten halten den rauen Umgebungsbedingungen oft nicht stand. Ein mechanisch arbeitendes System ist hier klar im Vorteil.

 

In Ihrem Vortrag haben Sie erwähnt, dass wir es hier möglicherweise mit der ältesten Form industrieller Sicherheitstechnik zu tun haben. Können Sie das weiter erläutern?

Arthur Aartsen: Schlüsseltransfersysteme stammen aus der Zeit der ersten Elektrifizierung der Industrie. Wir sprechen über die Zeit um 1900 bis 1920 – eventuell sogar noch früher. Das nach meinem Wissen älteste, öffentlich zugängliche Dokument bezüglich Schlüsseltransfersystemen ist auf 1921 datiert. Es handelt sich um ein Patent, das ein Schloss- und Schlüsselmechanismus zur Anwendung in sicherheitsgerichteten Systemen beschreibt. Sicherheitssysteme auf Basis von STS waren also bereits damals Stand der Technik.

 

Warum ist diese Technologie auch nach einem Jahrhundert noch so häufig in Gebrauch und hat in Zeiten der Digitalisierung immer noch ihre Daseinsberechtigung?

Arthur Aartsen: Wie anfangs bereits erwähnt, funktionieren Schlüsseltransfersysteme ohne, oder nahezu ohne Verdrahtung. Störungen in der Verdrahtung sind oftmals die Ursache von Betriebsausfällen von Maschinen und Anlagen, speziell in rauen Umgebungen. Schlüsseltransfersysteme beheben dieses Problem, da sie mechanisch funktionieren. Außerdem können diese Systeme Abläufe in der Bedienung von Maschinen erzwingen. Das sind Aufgaben, die heute meist nur mittels einer Steuerung erreicht werden können. Der Einsatz von Steuerungen jedoch würde allerdings wiederum bedeuten, dass Verdrahtung benötigt wird.


Ein Schlüsseltransfersystem von E.Dold fungiert als Sperrvorrichtung an einem Bolzenschloss
Schlüsseltransfersystem als Sperrvorrichtung
© E. Dold & Söhne GmbH & Co. KG

Sie sagen „Abläufe erzwingen“, wie funktioniert das?

Arthur Aartsen: Schlüsseltransfersysteme wirken mittels eines Austauschs von Schlüsseln. Es müssen Anforderungen erfüllt werden, um ein oder mehrere Schlüssel entnehmen oder einstecken zu können. Nehmen wir an, wir haben eine Maschine mit einem Zugang zur Inspektion. Dieser Zugang darf sich nur bei Stillstand der Maschine öffnen lassen. Wenn die Maschine ausgeschaltet wird, kommt diese direkt zum Stillstand. Der Zugang wird mittels einer mechanischen Zuhaltung verriegelt, die sich durch das Stecken eines Schlüssels öffnen lässt. Dieser Schlüssel ist bei der laufenden Maschine in einem schlüsselbedienten Schalter gesteckt. Wird der Schlüssel entnommen, dann stoppt die Maschine und der Bediener kann den Schlüssel in die mechanische Zuhaltung stecken. Wird anschließend der Zugang zur Inspektion geöffnet, lässt sich der Schlüssel nicht mehr entnehmen. Somit ist sichergestellt, dass der Zugang nur geöffnet sein kann, wenn die Maschine abgeschaltet ist. Möchte der Bediener die Maschine danach wieder starten, muss der Zugang geschlossen sein, und er kann den Schlüssel aus der mechanischen Zuhaltung entnehmen. Ein Anlaufen der Maschine ist abschließend erst dann möglich, wenn der Schlüssel wieder in dem schlüsselbedienten Schalter steckt. 


Ein Schlüsselwechsler eines Schlüsseltransfersystems von E. Dold im Einsatz an einer Sicherheitstür
Beispiel für einen Schlüsselwechsler mit integrierter Zuhaltefunktion: Das Schild an der Tür verweist zusätzlich darauf, dass ein Betreten des gesicherten Bereichs nur mit einem Schlüssel pro Person erlaubt ist
© E. Dold & Söhne GmbH & Co. KG

In Ihrem Vortrag haben Sie auch Schlüsselwechsler erwähnt, was sind Schlüsselwechsler?

Arthur Aartsen: Ein Schlüsselwechsler ist eine STS-Komponente, die Schlüssel vervielfacht oder mehrere Schlüssel sammelt und dann weitere freigibt. Diese stammen aus der Anfangszeit der Schlüsseltransfersysteme. Damals wurden Maschinen nicht wie heute über eine Steuerungsebene abgeschaltet, sondern direkt über einen Hauptschalter. Dieser wurde mit einem Bolzenschloss gesperrt. Da diese Kombination aus Hauptschalter und Bolzenschloss nur einen Schlüssel freigeben konnte, bestand das Problem der Absicherung mehrerer Zugänge. Ein Schlüsselwechsler löst dieses Problem, indem dieser mehrere Schlüssel freigibt, wenn ein Schlüssel gesteckt wird. Er vervielfacht also den einzelnen Schlüssel aus dem Schalter, die dann wiederum mehrere Zugänge absichern können. 

In einer Weiterentwicklung des Schlüsselwechslers, lassen sich mehrere Schlüssel sammeln, bevor ein oder mehrere Schlüssel freigegeben werden. Ein typisches Beispiel hierfür: Die Maschine muss nicht nur stoppen, es muss auch ein Ventil geschlossen sein, bevor der Zugang zu einer Maschine möglich ist.

 

Reden wir immer noch von Maschinen, da Sie eben „Bolzenschloss“ und „Ventile“ genannt haben?

Arthur Aartsen: Ja, natürlich. Neben dem Abschalten der Maschine kann es auch erforderlich sein, weitere Energiequellen zu sperren, bevor man eine Maschine betreten kann. Hierzu können Bolzenschlösser verwendet werden. Ein Bolzenschloss ist auch eine STS-Komponente, die bei Entnahme der Schlüssel einen Bolzen ausfährt. Mit diesem Bolzen lassen sich zum Beispiel Ventile aber auch Hauptschalter sperren. Die Funktionsweise ist in der ISO/TS 19837 und demnächst auch in der neuesten Ausgabe der EN ISO 14119 detailliert erläutert.

 

Seit einigen Jahren produziert die Firma Dold Schlüsseltransfersysteme. Haben Sie auch Bolzenschlösser im Programm?

Arthur Aartsen: Nein, denn die Kombination aus Bolzenschloss und Ventil, oder Bolzenschloss mit Hauptschalter – eigentlich sollte ich sagen „Lasttrennschalter“ – ist 1-kanalig in der Struktur. Gemäß EN ISO 13849-1 wird mit einer derartigen Architektur, maximal Performance Level C erreicht. Nur mittels Fehlerausschlüssen wäre PL d erreichbar. 

 

Wenn Sie keine Bolzenschlösser zur Verfügung haben, wie schalten Sie dann die Maschinen?

Arthur Aartsen: Das Schalten einer Maschine mittels Lasttrennschalter wird „Power Interlocking“ genannt. In der deutschen Fassung der EN ISO 14119 heißt das „Schalten im Leistungsteil“. Das bedeutet, dass ohne eine separate Steuerungsebene, die Maschine an- und abgeschaltet wird. Bei modernen, hochautomatisierten Maschinen ist diese Methode jedoch steuerungstechnisch problematisch. Wir schalten vorzugsweise über die Steuerungsebene und können so weitere Funktionen, wie Drehzahl- und Stillstandsüberwachung, Niveaumessung und weitere sicherheitsrelevante Signale auswerten und diese in das Schlüsseltransfersystem integrieren. 

Zwar können auch wir Power Interlocking anbieten, jedoch führen wir unsere Schlüsseltransfersysteme vorzugsweise inklusive sicherer Überwachung des Schlüssels aus, damit eine 2-kanalige Architektur möglich ist und sich Fehlerausschlüsse erübrigen.

 

Sie haben schon mehrmals einige Normen erwähnt. Sie arbeiten auch in mehreren Normungsgremien mit. Können Sie mehr über Ihre Arbeit in der Normung erzählen?

Arthur Aartsen: Ja, ich bin seit 2011 Mitglied im Normungsausschuss NA 060-40-30 AA Ballenpressen und NA 095-01-04 GA für Sicherheitsverrriegelungen sowie seit zehn Jahren in ISO/TC 199 WG7 bzw. habe 2013, nach dem Erscheinen der damaligen EN ISO 14119 einen Vorschlag für einen Technischen Report, bezüglich Schlüsseltransfersystemen in der DIN vorgestellt. Dieser Vorschlag wurde zunächst vom deutschen Normenausschuss abgelehnt, jedoch wurde kurze Zeit später ein weiteres New Working Proposal für STS im ISO/TC 199 WG7 eingereicht. Letztendlich wurden beide Vorschläge kombiniert, und auf dieser Basis entstand die ISO/TS 19837. Schlüsseltransfersysteme müssen stets an die Anwendung und die jeweiligen Bedingungen angepasst werden und erfordern ein gewisses Maß an Engineering und Planung. Die jeweiligen Normen sowie die DGUV-Information 203 087, an denen ich ebenfalls mitgewirkt habe, geben diesbezüglich Hilfestellung – sowohl für Hersteller als auch für die Systemintegratoren und Betreiber.

Business Partner

E. Dold & Söhne GmbH & Co.

Postfach 1251
78114 Furtwangen
Deutschland

Kontakt zum Business Partner







Meist gelesen

Photo
11.03.2024 • TopstorySafety

Die Zukunft der Gefahrstofflagerung

„Cemo“ dieser Name steht seit über 60 Jahren für sicheres Lagern, Fördern und Dosieren. Doch gerade in der Gefahrstofflagerung ist durch den massiven Einsatz von Lithium-Akkus in praktisch allen Wirtschaftsbereichen vieles in den vergangenen Jahren in Bewegung geraten. Zugleich mangelt es gegenwärtig an einer übergreifenden und verbindlichen Norm, wenn es z. B. um die Prüfanforderungen für feuerwiderstandfähige Lagerschränke für abnehmbare Lithium-Ionen-Batterien geht. Ein Umstand, der nicht zuletzt auf Verbraucherseite für viel Unsicherheit sorgt. Daher hat GIT SICHERHEIT Eberhard Manz, Managing Director und Geschäftsführer, sowie Jonas Sigle, Produktentwickler bei Cemo zum Interview gebeten.