„Stadtluft macht frei“ hieß es einst – und auch heute sind Städte attraktiv. Untersuchungen zeigen: Bis 2050 sollen rund 70 Prozent der Weltbevölkerung in Ballungsräumen leben. Aber wie reagieren die Städte auf diesen gewaltigen Zuwachs? Die Verwaltung, Behörden und auch viele andere Organisationen stehen schon heute vor großen Aufgaben – und sollten zudem an einem Konzept für die Zukunft arbeiten. Viele Unternehmen entwickeln Vorschläge, wie Städte effizienter, umweltfreundlicher und vor allem intelligenter gemacht werden können. So lassen sich Ressourcen sparen und die Lebensqualität der Bewohner erhöhen. Einen Einblick in die Möglichkeiten, die IP-Technologien bieten, gibt uns Epko van Nisselroij, Business Development Manager für Smart Cities bei Axis Communications.
GIT SICHERHEIT: Herr van Nisselroij, wenn man den Begriff Smart City, also eine intelligente Stadt, im Web sucht, findet man eine Fülle an Websites und Begriffen. Wie ist Ihre Definition einer Smart City?
Epko van Nisselroij: Viele Unternehmen fokussieren sich auf einzelne Bereiche, wie Parken, das Gesundheitswesen, Energie oder Transport. Alles unter dem Motto „smart“. Wir bei Axis sind hier einen anderen Weg gegangen, denn smart heißt für uns auch Technologien zu nutzen, die vernetzt sind und auf Daten basieren. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass Smart City-Projekte in der Regel drei gemeinsame technologische Kernpunkte haben: IoT-Sensoren, Konnektivität und Daten. Sensoren sind hierbei alle integrierten Geräte, welche Informationen an das Netzwerk liefert. In unserem Fall sind das IP-Kameras. Die Konnektivität wird durch feste oder drahtlose Netzwerke gewährleistet und die Daten stellen Speicherung, Analyse und Darstellung von Echtzeit- und historischen Daten dar. Werden diese drei Punkte verbunden, entsteht eine leistungsfähige Plattform. Auf dieser Grundlage können die Stadtverwaltung und die Behörden Prozesse und Vorgänge besser und fundierter nachvollziehen und auf Daten basierend Entscheidungen treffen.
Können Sie uns mal ein praktisches Smart-City-Anwendungsbeispiel nennen?
Epko van Nisselroij: Denken Sie an eine smarte Abfallwirtschaft. Sensoren in Glascontainern liefern Entsorgungsunternehmen die Info, wie voll sie sind. Dementsprechend können diese dann die Entleerung der einzelnen Container planen. Oder smarte Parklösungen. Hier erfassen Sensoren verfügbare Parkmöglichkeiten, die dem Fahrer entweder über digitale Schilder entlang der Straße oder über mobile Apps angezeigt werden, so dass er ohne großen Aufwand einen Parkplatz findet.
Axis ist ja als Hersteller von Netzwerk-Kameras und Sicherheitslösungen bekannt und Kameras sind im Stadtalltag allgegenwärtig, um Schutz und Sicherheit zu ermöglichen. Wie passt Smart City hier in Ihr Konzept?
Epko van Nisselroij: Eine Smart City kann erst entstehen, wenn die Bürger sich sicher fühlen. Denn wer hat großes Interesse an freien Parkplätzen, wenn er sich aus Angst nicht einmal in die Stadtmitte traut? Sie haben Recht, unsere Kameras sind im Stadtbild nicht neu – im Gegenteil. Sie sind Teil der Sicherheits- und Schutzlösung und ermöglichen es der Polizei und anderen Ersthelfern, effizient auf Vorfälle und Notfälle zu reagieren. Doch hier hört der Einsatzzweck nicht auf. Da die Kameras als Sensoren fungieren, macht es nur Sinn, die Daten, die dadurch generiert werden, auch zu nutzen.
Was können also Netzwerk-Kameras konkret in einer Stadt verbessern?
Epko van Nisselroij: Beispielsweise erfassen und analysieren Kameras heute mittels Sensoren und Software den Verkehrsfluss. Dies macht besonders Sinn an Verkehrsknotenpunkten oder zentralen Umschlagplätzen des ÖPNV. Dank Datenanalyse können die Verkehrsbetriebe präventiv auf erhöhte Frequenzen reagieren. Im Verkehr zählen integrierte Sensoren beispielsweise die Fahrzeuge und erfassen die Durchschnittsgeschwindigkeit und Fahrspurauslastung oder führen eine Fahrzeugklassifizierung durch. Auch können Wetterfaktoren wie starke Regen- oder Schneefälle einbezogen werden. Die Stadtverwaltung kann sich somit früh auf Verkehrsstaus einstellen und die Situation anhand von Videoanalysen überprüfen sowie die nötigen Einsätze überwachen und Reaktionszeiten verkürzen. Oder denken Sie an den Umweltschutz, hier können Netzwerk-Kameras mit speziellen Sensoren Umweltparameter wie Luftqualität, die Konzentration von Gasen wie CO2, Temperatur, Luftfeuchtigkeit oder Wasserqualität messen und diese mit passender Software auch auswerten. Die verschiedenen Datensätze liefern wichtige Informationen über die Luftbeschaffenheit, die Schadstoffbelastung oder Wetterverhältnisse und werden für eine effiziente Stadtentwicklung, Verkehrsplanung, Umweltschutz oder Präventionsmaßnahmen eingesetzt.
Sie haben das Thema „Predictive Analytics“ schon angerissen – es geht dabei um Verbrechens- und Katastrophen-Prävention. Entsprechende Lösungen erarbeiten Sie gemeinsam mit Partnern. Geben Sie uns einmal ein praktisches Beispiel für ein realisiertes Projekt?
Epko van Nisselroij: Ein Beispiel ist die Sicherheitsinitiative „Project Green Light“ in Detroit. Hier wird die Kriminalprävention durch intelligente Überwachung unterstützt. Den Behörden wird ermöglicht, potenzielle Vorfälle automatisch zu erkennen. Dadurch können diese auf Ereignisse viel schneller reagiert. Die Geschichte dahinter: Stadtbeamte fanden 2015 heraus, dass eine hohe Anzahl an gewaltsamen Verbrechen im Umkreis von Tankstellen passierte. Die beste Chance für die Polizei, Kriminalität in einer Stadt zu verhindern oder zu stoppen, ist es, so schnell wie möglich und mit so vielen Informationen wie möglich einzugreifen. Wenn Polizeibeamte unvorbereitet in eine Situation geraten, wird es schwieriger. Neben einer umfangreichen Informationskampagne für Tankstellenbetreiber, setzte die Polizei auch auf Videoüberwachung. Aber nicht einfach die Installation von mehr neuen Kameras war hier das Credo, sondern die Vernetzung der bereits vorhandenen Videostreams der Unternehmen. Diese können nun auch der Polizei in Echtzeit zur Verfügung gestellt werden. Und das Resultat kann sich sehen lassen – die Anzahl der Gewaltverbrechen ging um 50 Prozent zurück und auch andere Unternehmen haben Interesse, sich an dem Projekt „Green Light“ zu beteiligen.
Lassen Sie uns noch das Stichwort „Sicherheit der Sicherheit“ ansprechen. Es gibt eine Schnittmenge zwischen den Themenkomplexen „Kritische Infrastruktur“ und „Smart City“. Cyber-Attacken auf Kritis sind für alle Bürger extrem relevant. Wie sehen Sie diese Problematik bei den von Ihnen angesprochenen Smart-City-Projekten?
Epko van Nisselroij: Cybersecurity ist essentiell, da gibt es keine Ausnahme. Die technologischen Aspekte von Smart Cities, wie Connectivity, Big Data und IoT, machen Städte auch angreifbarer. Wir dürfen uns hier keine Illusionen machen, Smart City-Projekte sind auch ein potenzielles Ziel für Cyberkriminelle. Die Abwehr dieser Bedrohungen kann nur in Zusammenarbeit mit Unternehmen und verschiedenen Interessensgruppen gelingen. Sicherheit kann hier nur geschaffen werden, wenn alle beteiligten Organisationen im städtischen Ökosystem die sicherheitspolitischen Standards einhalten. Cybersecurity in diesem Zusammenhang ist auch keine universell einsetzbare Lösung oder ein Produkt, sondern sollte immer in Abstimmung mit den speziellen Anforderungen erstellt werden. Es gibt eine Reihe von Richtlinien, die berücksichtigt werden müssen. So ist es essentiell, dass Integratoren und Installateure installierte Geräte mit neuen Updates aktualisieren und einen professionellen Virenscanner betreiben. Eine Strategie für Passwörter, die Verwaltung des Fernzugriffs und wer für die regelmäßige Wartung von Software und vernetzten Geräten zuständig ist, sind hier einige relevante Punkte. Vertriebspartner, wie Value-added-Distributoren sollten sich darüber ebenso Gedanken machen. Insbesondere dann, wenn sie Geräte von einem Hersteller kaufen oder sie unter einer anderen Marke einsetzten, also OEM/ODM-Geräte. Transparenz ist hier entscheidend. Als Gerätehersteller ist beispielsweise Axis in der Pflicht, keine absichtlichen Backdoors zu kreieren oder hardcodierte Passwörter zu verwenden. Updates und ein erschwingliches Gerätemanagement sind ebenso relevant wie die ehrliche Veröffentlichung von Schwachstellen.
Wie stark werden eigentlich nach Ihrer Wahrnehmung Smart-City-Projekte und -Ideen von den Kommunen selbst und von den Bürgern selbst nachgefragt? Immerhin bedarf es ja etwa der öffentlichen Förderung entsprechender digitaler Infrastrukturen und Plattformen?
Epko van Nisselroij: Die Nachfrage steigt definitiv, vor allem in den Benelux-Ländern. Der deutschsprachige Raum ist hier noch zurückhaltender. Wir merken oft bei Anfragen, dass der generelle Wunsch, als Stadt „smart“ zu werden, groß ist, es aber dann an der Umsetzung hapert. Wir empfehlen Städten, aufgrund von umfangreich gesammelten Daten, zuerst einmal eine Analyse der derzeitigen Situation zu erstellen und dann gezielt ein paar Bereiche auszuwählen, wo erste Initiativen gesetzt werden.
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